Landeshauptstadt Stuttgart
Referat Soziales und gesellschaftliche Integration
Gz: SI
GRDrs 394/2017
Stuttgart,
06/13/2017


Bericht über Veränderungen bei der Führung von gesetzlichen Betreuungen



Mitteilungsvorlage


Vorlage anzurSitzungsartSitzungstermin
Sozial- und GesundheitsausschussKenntnisnahmeöffentlich26.06.2017

Bericht:



Veränderungen bei der Führung von gesetzlichen Betreuungen

Ehrenamtliche Betreuungen

In Bezug auf die beiden Mitteilungsvorlagen zum Haushalt 2018/2019, GRDrs 259/2017 „Betreuungsvereine – Finanzierung der Querschnittsarbeit ab 2018“ und GRDrs 260/2017 „Förderung des Anthropos Betreuungsvereins Stuttgart e.V., Schwarenvergstr. 96, 70188 Stuttgart“, erfolgt mit dieser Vorlage der Bericht zu den Veränderungen bei der Führung von gesetzlichen Betreuungen. Die Betreuungsbehörde des Sozialamtes der Landeshauptstadt Stuttgart hat gemäß ihres gesetzlichen Auftrags sicherzustellen, dass eine ausreichende Anzahl von geeigneten Betreuerinnen und Betreuern zur Verfügung steht und dass für jede gesetzlich betreute Person ein für sie geeigneter und entsprechend qualifizierte Betreuer dem Betreuungsgericht zur Bestellung vorgeschlagen werden kann.

Am 31.12.2016 waren in der Landeshauptstadt Stuttgart 4.822 gesetzliche Betreuungen anhängig. Davon wurden 1.688 Betreuungen von Angehörigen geführt, 617 Betreuungen von Ehrenamtlichen, die von den Betreuungsvereinen oder der Behörde begleitet wurden, 439 Betreuungen von den beruflichen Vereinsbetreuern und 2.078 Betreuungen von Berufsbetreuern.

Eine gesetzliche Betreuung soll nach dem Willen des Gesetzgebers nur dann vorgeschlagen werden, wenn kein ehrenamtlicher Betreuer zur Verfügung steht.

Um dem gesetzlich festgeschriebenen Vorrang (§ 1896 Abs. 6 BGB) der ehrenamtlichen vor der hauptamtlichen Betreuung Rechnung zu tragen, ist es eine zentrale Aufgabe der vier Stuttgarter Betreuungsvereine (Evangelischer Betreuungsverein Stuttgart e. V., Betreuungsverein des Sozialdienstes der katholischen Frauen e. V., Betreuungsverein Stuttgart Filder e. V. sowie Anthropos Betreuungsverein Stuttgart e. V.) zusammen mit der Betreuungsbehörde, Ehrenamtliche für die Übernahme gesetzlicher Betreuungen zu gewinnen, sie zu schulen und sie bei der Führung der Betreuungen zu unterstützen und zu beraten (s. GRDrs 293/2014 „Netzwerk gesetzliche Betreuung“). Die Betreuungsvereine haben für die Finanzierung des Ausbaus der Querschnittsarbeit ab dem Jahr 2018 eine Erhöhung des städtischen Zuschusses analog der Landesförderung beantragt (vgl. GRDrs 259/2017 „Betreuungsvereine – Finanzierung der Querschnittsarbeit ab 2018“).

Durch die Zusammenarbeit im „Netzwerk gesetzliche Betreuung“ konnte erreicht werden, dass 617 Betreuungen durch von den Vereinen und der Behörde gewonnene und qualifizierte Ehrenamtliche geführt werden. Dies zeigt eine Steigerung bei den ehrenamtlichen Betreuungen gegenüber den Vorjahren. Am 31.12.2014 wurden von 4.720 anhängigen Betreuungen 524 ehrenamtlich geführt, 2015 von 4724 anhängigen Betreuungen 533.

Angehörige von Betroffenen, die sich die Übernahme einer Betreuung nicht zutrauen – sei es aufgrund von Sprachproblemen oder aufgrund der umfangreichen administrativen Tätigkeiten eines Betreuers – erhalten von allen Betreuungsvereinen das Angebot, Betreuungen gemeinsam mit einer Mitarbeiterin oder einem Mitarbeiter des Betreuungsvereines, d. h. „im Tandem“ zu führen. Die ehrenamtliche Betreuerin wird durch die gemeinsame Betreuungsführung mit dem Vereinsbetreuer unterstützt und sorgfältig in die Aufgaben eingeführt und kann nach einem Jahr die Betreuung alleine weiterführen. Am 31.12.2016 waren 37 Betreuungsverhältnisse anhängig, die nach diesem Modell unterstützt wurden. Durch dieses Angebot konnten ehrenamtliche Betreuerinnen und Betreuer gewonnen werden, die ohne diese Begleitung zur Betreuungsführung nicht bereit gewesen wären.

Berufsbetreuungen

Wenn die persönliche Situation von Betroffenen mit einem sehr hohen und schwierigen Regelungsbedarf verbunden ist, kann die Betreuung nur von einer Berufsbetreuerin oder einem Berufsbetreuer übernommen werden.

Der Arbeitsaufwand bei den rechtlich geführten Betreuungen hat sich in den vergangenen zehn Jahren erheblich verändert. Die Führung von Betreuungen wurde zeitaufwändiger und in der Regel reicht das vom Gesetzgeber vorgegebene, pauschaliert vergütete Zeitbudget nicht mehr aus.

Berufsbetreuern werden im ersten Jahr für mittellose Betreute, die sich nicht in einem Heim befinden, lediglich 5,5 Stunden im Monat vergütet und ab dem zweiten Jahr nur noch 3,5 Stunden im Monat – bei den wenigen vermögenden Betreuten jeweils eine Stunde monatlich mehr. Bei Heimbewohnern werden im ersten Jahr 3,5 Stunden im Monat vergütet und ab dem zweiten Jahr nur noch 2 Stunden im Monat. Der Gesetzgeber ging ursprünglich von einer Mischkalkulation aus, bei der die Vergütung für die weniger aufwändigeren Fälle den höheren Zeitaufwand bei den komplizierteren Fällen ausgleichen würde.

Dies führt dazu, dass es immer schwieriger wird, für Betreute, die aufgrund ihres Krankheitsbildes sehr schwierig und äußerst zeitaufwändig zu betreuen sind, Berufsbetreuerinnen und Berufsbetreuer zu finden oder dazu, dass Berufsbetreuer aufgrund der besonderen Schwierigkeit bereits nach wenigen Monaten ihre Entlassung und einen Betreuerwechsel beantragen.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der vier Vereine müssen deshalb immer häufiger als Ausfallbürgen zur Verfügung stehen, um besonders schwierige Betreuungen zu übernehmen. In der Regel sind diese Betreuungen aufgrund von Vermögenslosigkeit mit der geringeren Vergütung aus der Staatskasse verbunden und von den Vereinsmitarbeitern nur dadurch leistbar, dass ein kommunaler Zuschuss für die Betreuungsarbeit für drei Betreuungsvereine gewährt wird.

Durch die seit 2005 unveränderten, gesetzlich festgelegten Vergütungsätze von 44 EUR in der Stunde sind Betreuungen von den Vereinsmitarbeitern und Vereinsmitarbeiterinnen schon lange nicht mehr kostendeckend zu führen. Tarifliche Gehaltsteigerungen von ca. 25 % seit dieser Zeit wurden nicht übertragen.

Bisher wurde der Betreuungsverein Anthropos e. V. bei der kommunalen Förderung der Betreuertätigkeit nicht berücksichtigt. Er wurde im jahr 2012 gegründet und ist inzwischen ein zuverlässiger, kompetenter Kooperationspartner der Betreuungsbehörde, der auch besonders schwierige Betreuungen übernimmt. Er hat für diese Betreuungsarbeit einen städtischen Zuschuss ab dem Jahr 2018 beantragt. Die Fachverwaltung schlägt eine städtische Förderung ab dem Jahr 2018 vor (vgl. GRDrs 260/2017 „Förderung des Anthropos Betreuungsvereins Stuttgart e. V., Schwarenbergstraße 96, 70188 Stuttgart).

Die Betreuungsvereine stehen dafür ein, dass die Betreuungsbehörde von den Betreuungsgerichten nicht als Betreuerin im Rahmen ihrer Garantenpflicht bestellt werden muss. Die Betreuungsbehörde kann somit ihren originären gesetzlichen Aufgaben nachkommen, d. h. für das Betreuungsgericht umfängliche Unterstützung zu Verfahrensangelegenheiten leisten, alle erforderlichen Beratungsangebote im Rahmen der Rechtsfürsorge vorhalten sowie ehrenamtliche Betreuer/-innen beraten und unterstützen.

Veränderungen in der Betreuungsführung

In den ersten Jahren der Betreuungsgesetze war ein rechtlicher Betreuer inhaltlich vorwiegend als Fallmanager tätig, der soziale Dienste mit den notwendigen Aufgaben für die Unterstützung und Versorgung eines betreuten Menschen beauftragt hat.

Die Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben, d. h. die Zunahme von Antragstellungen, Mitwirkungen und Berichtspflichten, die durch Sozialgesetzgebungsänderungen der letzten Jahre entstanden sind, haben dazu geführt, dass Betreuungen zeitaufwändiger und komplizierter geworden sind. Aufgrund gestiegener Fallzahlen bei den jeweils zuständigen sozialen Diensten und Leistungserbringern müssen die gesetzlichen Betreuerinnen und Betreuer oftmals jene Tätigkeiten machen, zu denen die sozialen Dienste aufgrund ihrer Arbeitsbelastung nicht mehr kommen.

Seit einigen Jahren benötigen zudem immer mehr jüngere Menschen eine rechtliche Vertretung oder Beistandschaft. Am 31.12.2016 waren 11,7 % der Betreuten jünger als 30 Jahre. Gründe hierfür sind drogenindizierte Psychosen, Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis oder emotional instabile Persönlichkeitsstörungen (z. B. Borderline-Syndrom). Häufig wechseln Menschen mit Erreichen der Volljährigkeit von der Jugendhilfe in die rechtliche Betreuung und zeigen wenig Bereitschaft, ein institutionelles Hilfeangebot anzunehmen. Grundsätzlich sind nach dem Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz Baden-Württemberg die Sozialpsychiatrischen Dienste in den acht Gemeindepsychiatrischen Zentren in Stuttgart zuständig. Sie arbeiten vorwiegend aufsuchend und sind sozialräumlich für ein bestimmtes Einzugsgebiet verantwortlich. Häufig ist die Krankheitseinsicht bei oben beschriebener Zielgruppe nur in geringem Maße vorhanden. Es fällt daher den Betroffenen schwer, die Angebote in den Gemeindepsychiatrischen Zentren anzunehmen. Zur Entlastung und Unterstützung von jungen, erwachsenen Wohnungslosen mit psychischen Belastungen trägt außerdem die zentrale Beratungsstelle für junge Erwachsene der Ev. Gesellschaft Stuttgart e.V. bei (s. GRDrs 72/2017 „Unterstützung von jungen erwachsenen Wohnungslosen mit psychischen Belastungen bei der Zentralen Beratungsstelle für junge Erwachsene der Ev. Gesellschaft Stuttgart e. V.). Die klinische Psychiatrie für Erwachsene ist für viele dieser jungen Menschen nicht das passende Hilfsangebot.

Es kann nicht grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass sich bei dem vorgenannten Personenkreis der Aufwand nach ein bis zwei Jahren Betreuungsarbeit verringert. Gerade bei jüngeren Betreuten können sich die Lebensverhältnisse von heute auf morgen ändern: von der Mietwohnung in die Obdachlosigkeit, vom stationären Wohnheim in ambulante Wohnangebote. Mit jedem Heimplatz- oder Wohnungswechsel ist ein hoher administrativer Aufwand auch für die Betreuungsarbeit verbunden.

Um die Betreuten gemäß der gesetzlichen Vorgaben zu unterstützen, zu vertreten und zu begleiten, damit dieser „…entsprechend seinen Fähigkeiten, sein Leben nach seinen Wünschen und Vorstellungen… gestalten…“ kann (§ 1902 BGB), ist ein persönlicher Kontakt unabdingbar. Die rechtliche Betreuung darf daher nicht auf einen Verwaltungsakt reduziert und nur vom Schreibtisch aus „erledigt“ werden. Beziehungsarbeit und regelmäßige Gespräche sind wesentliche Elemente, um die Betreuten kennenzulernen, sie zu gewinnen und um – wie gesetzlich vorgeschrieben – alles mit ihm zu besprechen. Ebenso sind den betreuten Menschen genügend Gelegenheiten zu bieten, ihre Betreuerin oder ihren Betreuer kennenzulernen und ihre eigenen Anliegen vorzubringen. Der in der Pauschale vorgegebene zeitliche Rahmen reicht dafür in vielen Fällen nicht aus.

Das Risiko, sich zu verschulden, besteht bei den vielen Personen mit gesetzlicher Betreuung. Ob Handyverträge oder Online-Bestellungen, fast immer beherrschen die Jüngeren dieses Metier so gut, dass ein Schutz vor weiteren Bestellungen oder Vertragsabschlüssen kaum noch möglich ist. Der Einwilligungsvorbehalt ist in diesen Fällen das einzige Mittel, um weitere Schulden zu vermeiden. Die Zentrale Schuldnerberatung Stuttgart (ZSB) hat mittlerweile eine sehr lange Wartezeit. Um einerseits die Wartezeiten bis zum Beginn der Beratung von überschuldeten Personen auf unter sechs Monate zu senken und andererseits die Präventionsarbeit für junge Erwachsene und ältere Menschen ausbauen zu können, hat die Zentrale Schuldnerberatung einen Antrag auf Erhöhung der städtischen Förderung ab dem Jahr 2018 gestellt (vgl. GRDrs 74/2017 „Soziale Schuldnerberatung in Stuttgart – Ausbau der Kapazitäten für Beratung und Prävention in der Zentralen Schuldnerberatung Stuttgart ab 2018“).

Betreuung von Menschen mit Migrationshintergrund

In den letzten Jahren ist der Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund bei den Betreuungsbestellungen annähernd gleichgeblieben. Auch die signifikante Zunahme von Flüchtlingen in Stuttgart in den letzten zwei Jahren führte bislang zu keinem nennenswerten Anstieg bei den Betreuungsanregungen und Betreuerbestellungen.

Bei den bisherigen Betreuungsanregungen aus dem Flüchtlingsbereich konnte die Betreuungsbehörde in den meisten Fällen feststellen, dass die Voraussetzungen für die Anordnung einer Betreuung nicht vorlagen. In Einzelfällen wurde eine Betreuung ausschließlich aufgrund von Sprachproblemen angeregt, wobei dies laut Rechtsprechung keine Anordnung einer Betreuung begründen darf. Gemäß § 1896 BGB muss eine psychische Erkrankung oder geistige Behinderung vorliegen, die dazu führt, dass die Betroffenen ihre Angelegenheiten nicht mehr regeln können. Diese Voraussetzung war in den meisten der Betreuungsanregungen nicht gegeben. Es konnte festgestellt werden, dass durch die Sozialbetreuung in den Unterkünften und durch die Unterstützung der vielen Ehrenamtlichen in der Flüchtlingsbetreuung die vom Gesetz geforderten anderen betreuungsvermeidenden Hilfen ausreichend vorhanden sind.

Lediglich in wenigen Fällen wurde bislang eine Betreuung angeordnet, wobei es sich bei den Betroffenen um Menschen mit einer geistigen Behinderung handelte und für die Betreuung ehrenamtliche Betreuerinnen und Betreuer aus dem Familienumfeld mit entsprechenden Sprachkenntnissen gewonnen werden konnten.

Sollte im Flüchtlingsbereich künftig vermehrt der Bedarf nach rechtlichen Betreuungen auftreten, wird die Suche nach geeigneten Betreuerinnen und Betreuern schwierig werden. Angehörige, die über ausreichend deutsche Sprachkenntnisse verfügen oder ehrenamtliche Betreuerinnen und Betreuer mit den geforderten Fremdsprachenkenntnissen, sind in der Regel nicht vorhanden und beide Personengruppen sind wahrscheinlich nicht mit den Rechtsproblematiken in diesem Bereich vertraut. Berufsbetreuerinnen und Berufsbetreuer sind in der Regel nicht bereit, Betreuungen für diesen Personenkreis zu übernehmen, da sie die notwendig werdenden Dolmetscherkosten nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht erstattet bekommen, sondern selbst tragen müssen.

Bei Stuttgarter Bürgerinnen und Bürgern mit Migrationshintergrund, für die eine Betreuung angeregt wird, handelt es sich häufig um jüngere Menschen unter 30 Jahren. Dies sind häufig Menschen mit einer geistigen Behinderung, aber auch die Zunahme von jungen Menschen mit psychischen Problemen ist auffällig. Seit einiger Zeit ist zu bemerken, dass auch für ehemalige „Gastarbeiter“ oder deren Angehörige aufgrund altersbedingter psychischer Einschränkungen, z. B. einer dementiellen Erkrankung, Betreuungen angeregt werden.

Die Betreuungen werden in den meisten Fällen nicht von den Betroffenen bzw. deren Familien angeregt, sondern von außenstehenden Dritten, z. B. von Mitarbeitenden in Krankenhäusern oder sozialen Diensten.

In fast allen Herkunftsländern gibt es kein der rechtlichen Betreuung in der Bundesrepublik Deutschland vergleichbares Hilfesystem. Im Kontakt der Behörde mit den betroffenen Migrantinnen und Migranten oder deren Angehörigen begegnet den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Betreuungsbehörde deshalb häufig Ablehnung, Misstrauen und Angst. Die Betreuungsanregung von außen kann als Eingriff und Bevormundung der Familie empfunden werden, wenn die Betreuung als eine Entmündigung verstanden wird. Die Menschen sind über das deutsche Rechtsystem, speziell über das Betreuungsrecht und die Möglichkeiten der Vorsorge mittels Erteilung einer Vollmacht, in den seltensten Fällen bereits informiert. Vor allem mit älteren Migrantinnen und Migranten ist aufgrund von Sprachproblemen eine Verständigung nur mit Sprachkundigen aus dem Angehörigenkreis oder mit Dolmetscherinnen und Dolmetschern möglich. Hilfreich bei der Aufklärung und Information sind hierbei die der Betreuungsbehörde vorliegenden Flyer und Informationsbroschüren in mehreren Sprachen.

In den meisten Fällen übernehmen die Angehörigen nach entsprechender Information und ausführlicher Beratung die gesetzliche Betreuung. In den Fällen, in denen sich Angehörige diese Aufgabe nicht zutrauen, wird das Angebot der Tandembetreuung mit einem Vereinsbetreuer gerne angenommen.

Wenn sich kein Angehöriger bereit erklärt hat, die Betreuung ehrenamtlich zu führen, stand bislang immer eine Ehrenamtliche oder ein Ehrenamtlicher aus dem Pool der Vereine oder der Behörde mit den geforderten Sprachkenntnissen zur Verfügung. Auch wenn Betreuungen berufsmäßig geführt werden müssen, stehen derzeit ausreichend Berufsbetreuerinnen und Berufsbetreuer mit entsprechendem Migrationshintergrund und Sprachkenntnissen zur Verfügung.

In den nächsten Jahren ist zu erwarten, dass die Betreuungsbedürftigkeit von älteren Menschen mit Migrationshintergrund zunehmen wird. Aufgrund dessen plant das „Netzwerk gesetzliche Betreuung“ gemeinsam mit den Betreuungsvereinen ein Konzept

zu erstellen, mit welchen Methoden und Kooperationen Menschen mit Migrationshintergrund über das Betreuungsrecht und zu den Möglichkeiten der Vorsorge mittels Vollmacht informiert und aufgeklärt werden können, und auf welche Weise ausreichend ehrenamtliche Betreuerinnen und Betreuer aus diesem Personenkreis gewonnen und qualifiziert werden können.



Fallbeispiele

Herr K.
Für den heute 26-jährigen Herrn K. wurde im Jahr 2011 wegen einer Psychose eine rechtliche Betreuung eingerichtet. 2013 wurde der Vorbetreuer abgelöst und der Betreuungsverein übernahm die Betreuung. Herr K. wohnte bei Betreuungsübernahme in einer Mietwohnung in Stuttgart, die sich in einem „verwüsteten“ Zustand befand. Nach mehreren stationären Aufenthalten in psychiatrischen Kliniken konnte ihm ein Platz in einer Einrichtung für Doppeldiagnosen vermittelt werden. Dort nahm er an einem Projekt teil und bekam die Gelegenheit, verschiedene Praktika zu absolvieren. Im November 2011 erhielt er jedoch aufgrund von Regelverstößen eine Kündigung.

Weitere betreute Wohnformen lehnte er ab und wohnte zunächst bei Freunden, der Mutter und einem seiner Brüder. Anfang 2015 erfolgte nochmals eine Aufnahme in o. g. Einrichtung. Es wiederholte sich eine fristlose Entlassung wegen der Missachtung des Alkoholverbotes.

Herr K. war daraufhin mehrere Monate wohnsitzlos, zog im Juli 2015 bei einer Freundin ein und bekam dann einen Mietvertrag bei der Großmutter eines Bekannten. Dieser Mietvertrag wurde zum 1. April 2017 gekündigt.

Herr K. versuchte, selbständig Arbeit zu finden. Er war bei Zeitarbeitsfirmen beschäftigt und er hatte durchaus Chancen, einen Ausbildungsplatz zu erhalten, was jedoch an seiner Unzuverlässigkeit scheiterte. Alle Arbeitsverhältnisse hielten nur für kurze Dauer.

Zu realisieren waren/sind: Halbwaisengeld (endet 2018), ALG II, Eingliederungshilfe. Immer wieder waren Kontakte mit diversen Zeitarbeitsfirmen sowie dem einen oder anderen Arbeitgeber erforderlich, um zu versuchen, Herrn K.s jeweiligen Arbeitsplatz zu erhalten.

Die rechtlichen Ansprüche auf Grundsicherung sind stets den aktuellen Gegebenheiten anzupassen: ALG II mit der Halbwaisenrente, Zeitarbeitsverdienst mit ALG II. Mit jedem Wohnortwechsel ändert sich die Zuständigkeit des Leistungsträgers. Auszahlungen für den Lebensunterhalt verzögern sich dann. Der Betreuer ist ständig gefordert, den weiteren Leistungsbezug mit den damit verbunden Mitwirkungspflichten für Herrn K. sicherzustellen. So gibt es immer wieder Nachberechnungen und Rückforderungen, so dass die Auszahlung zum Lebensunterhalt monatlich neu angepasst werden muss.

Da sich Herr K. nirgendwo dauerhaft aufhält, kann er an keinen sozialen Dienst verlässlich vermittelt werden. Es bleibt dem Betreuer überlassen, sich um Wohn- und Arbeitsplatz zu bemühen. Er muss dabei den Kontakt zu Herrn K. halten, um ihm zur Seite stehen zu können, denn Herr K. leidet unter Ängsten und wurde auch schon von Dealern real bedroht.

Das Verhältnis von Herrn K. zum rechtlichen Betreuer ist sehr gut. Er schätzt dessen Zuverlässigkeit, denn der Betreuer ist immer am selben Ort und erreichbar.

Weil Herr K. hoch verschuldet ist und ständig neue Schulden verursacht, hat er einen Einwilligungsvorbehalt.

Diagnosen: Drogenindizierte Psychose; AD/ADHS; Intelligenzminderung.

Einsatzstunden des Vereinsbetreuers seit Betreuungsübernahme: 433 Stunden, vorgesehen laut Pauschale und vergütungsfähig sind 154 Stunden.


Frau U.
Erhält seit ihrem 14. Lebensjahr Unterstützung von verschiedenen Hilfesystemen und hat in mehreren stationären, psychiatrischen Jugendeinrichtungen gewohnt. Mit der Volljährigkeit wurde eine rechtliche Betreuung erforderlich. Es folgten Aufenthalte in stationären und ambulanten Wohnformen, die in Zusammenhang mit Regelverstößen von Frau U. selbst gekündigt wurden. Frau U. mietet ungeachtet ihrer finanziellen Lage überteuerte Wohnungen an. Beschäftigungs- und Ausbildungsverhältnisse wurden abgebrochen. Frau U. ist mehrfache Mutter, die Kinder wohnen nicht dauerhaft bei ihr.

Die rechtliche Betreuung beinhaltet oder tangiert u. a.:

- Bewährungshilfe
- Verschiedene Rechtsanwälte (u. a. Strafsachen)
- Jugendhilfe (unterschiedliche Beratungszentren, weil jedes Kind in einem anderen Stadtbezirk wohnt)
- Angehörige
- Ausländerbehörde wegen des Aufenthaltsstatus und des Anspruchs auf ALG II hinsichtlich der Bedarfsgemeinschaft durch verschiedene Mitbewohner
- Jobcenter (Verrechnung ALG II mit jeweiligem Einkommen aus Arbeit, Mutterschaftsgeld, Einkommen von Mitbewohnern)
- diverse Arbeitgeber
- Schule/Ausbildungsanbieter
- Familienberatungsstellen
- Gemeindepsychiatrische Zentren, Zuständigkeiten nach Wohnung im Stadtbezirk
- verschiedene Vermieter

Frau U. leidet an einer psychischen Erkrankung. Sie ist hoch verschuldet und hat einen Einwilligungsvorbehalt.

Die rechtliche Betreuung wurde 2008 eingerichtet. 2009 wurde der bestellte Berufsbetreuer abgelöst und die Betreuung wurde von einem Betreuungsverein übernommen.

Einsatzstunden des Vereinsbetreuers seit Betreuungsübernahme: 702 Stunden; vorgesehen laut Pauschale und vergütungsfähig sind 294 Stunden.


Herr B.
Herr B. war selbständig und führte ein kleines Unternehmen. Auf eine schwere Erkrankung folgten monatelange Klinikaufenthalte und Rehabilitationsmaßnahmen. Es ergab sich eine finanziell sehr schwierige Lage, da mit der Firma schon vor der Erkrankung kein ausreichender Gewinn mehr erzielt werden konnte. Ein Vollstreckungstitel in Höhe von ca. 95.000 EUR lag bereits vor sowie weitere Schulden. Niemand konnte die EDV Daten der Firma von Herrn B. verlässlich entschlüsseln. Auch die Familie konnte nichts zur Klärung beitragen. Herr B. konnte aufgrund seiner Behinderung nicht mehr arbeiten und daher auch kein Einkommen erzielen. Durch die Selbständigkeit war es zunächst sehr schwierig, den Lebensunterhalt für die Familie über Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II zu sichern. Neben den zu stellenden zahlreichen Anträgen bei unterschiedlichen Kostenträgern (Versorgungsamt, Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Rentenversicherung, Jobcenter, Familienkasse) wurde dem Betreuer deutlich, dass eigentlich eine Insolvenz vorlag und der Betrieb nicht weiterzuführen war. Eine vom Jobcenter bezahlte externe Beratungsfirma kam zu dem gleichen Ergebnis.

Um eine Zwangsversteigerung zu verhindern, sollte das Haus der Familie verkauft werden. Herr B. sah dies auch so; Frau B. war jedoch anderer Meinung und versuchte, den Kauf zu verhindern und die Betreuung aufheben zu lassen.

Mittlerweile ist das Haus verkauft, die Schulden sind beglichen. Es verblieb der Familie ein Vermögen von ca. 200.000 EUR. Nachdem die Finanzen geregelt waren und sich die gesundheitliche Verfassung von Herrn B. stabilisiert hatte, war die rechtliche Betreuung nicht mehr erforderlich und wurde aufgehoben.

Einsatzstunden seit Betreuungsübernahme durch den Verein: 335 Stunden; vorgesehen laut Pauschale und vergütungsfähig sind 109 Stunden.



Beteiligte Stellen

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Vorliegende Anträge/Anfragen

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Werner Wölfle
Bürgermeister





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