Landeshauptstadt Stuttgart
Referat Soziales und gesellschaftliche Integration
Gz:
SI
GRDrs
1129/2020
Stuttgart,
02/04/2021
Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG)
in der Landeshauptstadt Stuttgart
Mitteilungsvorlage
Vorlage an
zur
Sitzungsart
Sitzungstermin
Sozial- und Gesundheitsausschuss
Kenntnisnahme
öffentlich
15.02.2021
Bericht:
I.
Einführung und Rückblick
In der UN-Behindertenrechtskonvention werden die Akteure der Eingliederungshilfe aufgefordert, Menschen mit Behinderung ein selbstbestimmtes Leben und die Teilhabe in allen Lebensbereichen zu ermöglichen. Damit dies gelingt, sollen in einem kooperativen Zusammenwirken mit den Menschen mit Behinderung Barrieren jeglicher Art abgebaut werden. Hierdurch wird die Grundlage dafür geschaffen, dass Menschen mit Behinderung gleiche Rechte auf Erziehung, Bildung und Arbeit dort einlösen, wo sie wohnen.
„Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Diesem Grundsatz, festgeschrieben in Artikel 3 des Grundgesetzes, trägt das Bundesteilhabegesetz (BTHG) Rechnung. Wesentliche Ziele der Regelungen sind die Verbesserung der Lebenssituation von Menschen mit Behinderung sowie deren volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft. Vorrangig sollen die Unterstützungssysteme im Alltag der Menschen stattfinden. Die Leistungen setzen, wo immer möglich, innerhalb der Herkunftsfamilie, der bestehenden sozialen Bezüge oder da an, wo die Menschen mit Behinderung leben wollen. Ausgangspunkt der Leistungen ist stets deren Wille. Das BTHG soll Menschen mit Behinderung in ihrer selbstbestimmten Teilhabe in allen Lebensbereichen stärken.
Wesentliche Ziele des BTHG sind dabei die Herauslösung der Eingliederungshilfe aus dem Fürsorgesystem der Sozialhilfe, eine personenzentrierte Leistungserbringung sowie der Perspektivwechsel von einer defizitorientierten Betreuungsleistung hin zu einer ressourcenorientierten und partizipativen Assistenzleistung.
II.
Aktueller Stand der Umsetzung:
Mit dem Projekt „Vorbereitung Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes beim Sozialamt und den Bezirksämtern (BTHG 50+15)“ wurden die organisatorischen Auswirkungen des BTHG auf die Aufbauorganisation der betroffenen städtischen Stellen untersucht. Als Ergebnis wurde die Herauslösung der Eingliederungshilfe aus der Sozialhilfe organisatorisch umgesetzt.
Die seit dem 1. Januar 2020 bestehende Abteilung Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung – Eingliederungshilfe (50-7) ist zentrales Ergebnis des Organisationsprojektes.
Weiteres Ergebnis des Projektes war die Einführung des Fallmanagements mit integrierter Sachbearbeitung und die Festlegung von Bearbeitungsschlüsseln. Diese wurden mit der GRDrs 847/2019 (Haushalt 2020/2021– 1. Projekt "Vorbereitung Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes beim Sozialamt und den Bezirksämtern" - Abschlussbericht 2. stellenplanrechtliche Auswirkungen im Geschäftskreis V - Referat Soziales und gesellschaftliche Integration) vom Gemeinderat beschlossen.
Die neue Abteilung besteht aus fünf Sachgebieten. Zum 1. Januar 2021 sind in der Abteilung insgesamt 41 von 60 Fallmanagerstellen besetzt. Im Jahr 2020 wurden 16 Fallmanager*innen eingestellt. Von den genehmigten Stellen sind 19 Stellen aufgrund fehlender Arbeitsplätze noch nicht besetzt.
Die dauerhafte und dem Platzbedarf entsprechende Unterbringung der Abteilung 50-7 erfolgt nach Umbau im Gebäude in der Torstraße 15. Ein Umzug ist frühestens im 2. Quartal 2022 möglich.
Um die mit dem Doppelhaushalt 2020/2021 geschaffenen Stellen vollständig besetzen und den gesetzlichen Aufgaben in vollem Umfang Rechnung tragen zu können, arbeiten Sozialamt und Liegenschaftsamt derzeit an einer Interimslösung in gesondert dafür anzumietenden Räumen. Ziel ist es, die noch zu besetzenden Stellen im Februar 2021 in die Ausschreibung zu bringen.
III.
Entwicklungen auf Landesebene
Die kommunalen Spitzenverbände haben unter der Moderation des Ministeriums für Soziales und Integration Baden-Württemberg am 28. Juli 2020 einen Landesrahmenvertrag ausgehandelt. Mit dem Beschluss vom 14. Dezember 2020 (GRDrs 928/2020 “Zustimmung zum Abschluss des Rahmenvertrages gem. § 131 SGB IX – Neuntes Sozialgesetzbuch“) hat der Sozial- und Gesundheitsausschuss seine Zustimmung zum Abschluss des Landesrahmenvertrages erteilt und den Oberbürgermeister ermächtigt, dem Geschäftsführenden Vorstandsmitglied des Städtetages Baden-Württemberg eine Unterschriftsvollmacht zu erteilen. Die Stadt- und Landkreise haben der Unterzeichnung des Landesrahmenvertrags und damit dem Inkrafttreten desselben zum 1. Januar 2021 geschlossen zugestimmt.
Um die erforderliche und im Rahmenvertrag bereits angelegte zeitnahe Revision und Weiterentwicklung von kommunaler Seite sicherstellen zu können, ist die Mitwirkung von Fachleuten aus den Stadt- und Landkreisen erforderlich. Der Städtetag Baden-Württemberg und der Kommunalverband für Jugend und Soziales haben in diesem Zusammenhang ihrer Bitte zur Entsendung von Mitarbeitenden in die Gremien Nachdruck verliehen und betont, dass die weiteren Verhandlungen auf Landesebene nur mit weiterer personeller Unterstützung aus den Städten in deren Sinne begleitet werden können. Dabei wird mindestens im Umstellungsjahr 2021 von einem erheblichen zusätzlichen Aufwand ausgegangen.
Die kommunale Steuerungsgruppe, in der alle Stadt- und Landkreise vertreten sind, wird eine kommunale Arbeitsgruppe „Umsetzungsbegleitung des BTHG“ bilden, die eine Weiterentwicklung des Rahmenvertrages bearbeiten wird. Die Landeshauptstadt Stuttgart ist in derselben und darüber hinaus in der Vertragskommission SGB IX vertreten, ebenso wie in den weiteren, auf Landesebene gebildeten Arbeitsgruppen und Gremien.
IV.
Inhaltliche Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes in der Landeshauptstadt Stuttgart
Mit dem Bundesteilhabegesetz wird die Steuerungsfunktion der Träger der Eingliederungshilfe gestärkt. Damit liegt auch die Verantwortung für die Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe im Sinne des SGB IX maßgeblich bei den Trägern der Eingliederungshilfe. Die Umsetzung und die Ausgestaltung der Rahmenbedingungen, die vom Gesetz vorgegeben und die mit dem Abschluss des Landesrahmenvertrages für die örtliche Ebene präzisiert wurden, gilt es, zielgerichtet und strukturiert in eine einheitliche Umsetzung zu bringen.
Das Sozialamt hat dazu einen Prozess zur Umsetzung des BTHG in der Landeshauptstadt Stuttgart konzeptioniert (vgl. GRDrs 928/2020 “Zustimmung zum Abschluss des Rahmenvertrages gem. § 131 SGB IX – Neuntes Sozialgesetzbuch“).
Mit diesem strukturierten und beteiligungsorientierten Prozess will das Sozialamt die im BTHG festgelegten Ziele:
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einer verstärkten Prävention,
-
Hilfen aus einer Hand,
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einer unabhängigen Beratung und Unterstützung,
-
neuer, personenzentrierter und sozialraumorientierter Leistungsformen sowie
-
neuer Möglichkeiten der Qualitätskontrolle
inhaltlich ausarbeiten.
Das modernisierte Teilhaberecht soll praxisnah, wirtschaftlich, effizient und effektiv innerhalb des vorgegebenen gesetzlichen Rahmens umgesetzt werden. Der vorgesehene Paradigmenwechsel soll weiter vorangetrieben werden und in einem Fachkonzept sowie einer Rahmenvereinbarung zur Umsetzung des BTHG in Stuttgart münden.
Inhalte sollen sein:
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die Weiterentwicklung der Fallsteuerung und der Leistungserbringung unter Beteiligung der Partizipationsgruppen,
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die Weiterentwicklung einer stärker personenzentrierten und sozialraumorientierten Angebotsstruktur,
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die Definition der Schnittstellen und Erarbeitung von Kooperationen mit anderen Reha-Trägern und Kooperationspartnern,
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die Etablierung einer Verantwortungsgemeinschaft von Leistungsträger und Leistungserbringern auf der Planungs- und der Fallebene
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die Weiterentwicklung von Gremienstrukturen
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die Definition von Verfahrensabläufen,
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der Aufbau eines Controlling-Systems und Berichtswesens,
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die Etablierung eines systematischen Wissensmanagements,
-
die Umsetzung von Barrierefreiheit sowie Umsetzung von leichter Sprache
Der Prozess umfasst mehrere Aufgabenbereiche, die sich aus den o. g. Zielen und Inhalten ableiten.
Im Sinne der bewährten, ämter- und referatsübergreifenden Arbeit am Thema Inklusion gilt es auch bei der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes die vorhandenen verwaltungsinternen Schnittstellen (z. B. zum Jugend-, Gesundheits- und Schulverwaltungsamt) mit in den Blick zu nehmen und zu definieren. Die teilweise bestehenden Kooperationen und Absprachen sollen systematisch erfasst und die Zusammenarbeit weiter ausgebaut werden.
Bezüglich finanz- und steuerungsrelevanter Themen findet eine enge Abstimmung mit den zu beteiligenden Ämtern, insbesondere mit dem Referat WFB und der Stadtkämmerei sowie dem Referat AKR und dem Haupt- und Personalamt statt.
Die Beauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderung arbeitet in allen Aufgabenbereichen während des Umsetzungsprozesses mit und ist in sämtlichen Gremien vertreten.
Weiterhin werden alle Abteilungen innerhalb des Sozialamts am Umsetzungsprozess mitwirken.
Darüber hinaus hat der Kommunalverband für Jugend und Soziales seine Mitarbeit zugesagt. Die Einbindung des Ministeriums für Soziales und Integration Baden-Württemberg wird aktuell noch geklärt.
Besonders wichtig ist die Beteiligung von Betroffenenvertretungen, von den Partizipationsgruppen und der Trägergemeinschaft. Diese sollen einerseits in die Bearbeitung einzelner Arbeitspakete (z. B. Wirkungsorientierung) unmittelbar einbezogen und andererseits mit einem Anhörungs- und Vorschlagsrecht über die vorgesehenen bzw. bereits bestehenden Gremien erreicht werden.
Neben der verwaltungsinternen Umsetzung mit Teamentwicklungsmaßnahmen (Entwicklung einer gemeinsamen Kultur und eines gemeinsamen Verständnisses für die Abteilung und der Organisation des Wissensmanagements) wird der Aufgabenbereich „Angebotsstruktur“ besondere Aufmerksamkeit erfordern. Hier werden die Weichen für eine künftige Ausgestaltung der Angebote gestellt, die letztlich auch die Grundlage für neue Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen nach SGB IX auf örtlicher Ebene sind.
Weitere Schnittstellen bestehen zu anderen Rehabilitationsträgern, die ebenfalls in die Prozesse eingebunden werden müssen (z. B. Krankenkassen, die Bundesagentur für Arbeit, Rentenversicherung). Damit soll das Verständnis für diese gemeinsame Aufgabe erzeugt und eine vertiefte und ergebnisorientierte Zusammenarbeit erreicht werden.
Mit der Vorbereitung des Umsetzungsprozesses wurde bereits im Juli 2020 begonnen. Die Mitarbeitenden und der örtliche Personalrat sind über das Vorgehen informiert. Die Fertigstellung des Fachkonzepts und der Rahmenvereinbarung sowie der Abschlussbericht soll im Sozial- und Gesundheitsausschuss im 1. Quartal 2022 vorgestellt werden.
Beteiligte Stellen
Referat WFB hat die Vorlage mitgezeichnet mit dem Hinweis, dass für die vorgesehene sehr detaillierte Prozessarbeit keine zusätzlichen Finanzmittel bereitgestellt werden können, sondern der Umsetzungsprozess vollumfänglich im Rahmen des Sozialamtsbudgets 2021 abgebildet und gedeckt werden muss.
Vorliegende Anträge/Anfragen
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Dr. Alexandra Sußmann
Bürgermeisterin
Konzept zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes in der Landeshauptstadt Stuttgart
<Anlagen>
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1129_2020_Anlage_Konzeption BTHG .pdf