Protokoll:
Ausschuss für Umwelt und Technik
des Gemeinderats der Landeshauptstadt Stuttgart
Niederschrift Nr.
TOP:
254
1
Verhandlung
Drucksache:
162/2018
GZ:
OB/82
Sitzungstermin:
19.06.2018
Sitzungsart:
öffentlich
Vorsitz:
BM Pätzold
Berichterstattung:
-
Protokollführung:
Frau Faßnacht
fr
Betreff:
Einführung eines Mehrwegbechersystems "Coffee-to-go" in Stuttgart
Beratungsunterlage ist die Vorlage des Herrn Oberbürgermeisters vom 15.05.2018, GRDrs 162/2018, mit folgendem
Beschlussantrag:
1. Vom vorliegenden Bericht wird Kenntnis genommen.
2. Dem weiteren Vorgehen, insbesondere dem 2-stufigen Verfahren zur Auswahl eines Betreibers zur Einführung eines Mehrwegbechersystems "Coffee-to-go" in Stuttgart, wird zugestimmt.
3. Ein Preisgeld von insgesamt 10.000 € für den 1. bis 3. Platz in der ersten Stufe des Verfahrens (Konzept- und Ideenwettbewerb) für ein Mehrwegbecherpfandsystem im Haushaltsjahr 2018 werden im Teilergebnishaushalt 810 - Bürgermeisteramt, Amtsbereich 8107020 - Wirtschaftsförderung, Kontengruppe 420 - Aufwendungen für Sach- und Dienstleistungen gedeckt.
Die Beratungsunterlage ist dem Originalprotokoll sowie dem Protokollexemplar für die Hauptaktei beigefügt. Dies gilt auch für die zu diesem Tagesordnungspunkt gezeigte Präsentation, die dem Protokoll als Dateianhang hinterlegt ist.
Herr
Armbruster
(OB/82) führt ins Thema ein im Sinne der angehängten Präsentation.
StR
Dr. Vetter
(CDU) möchte die Idee weiterverfolgen. Bedenken äußert er hinsichtlich der vorgeschlagenen Variante 5 - Umsetzung durch einen privaten externen Dienstleister -, da bei Variante 4 der Hinweis erfolge, dass die Umsetzung als schwer möglich eingeschätzt werde, da der organisatorische, finanzielle und personelle Einsatz hoch sei. Er frage sich, warum ein privater Dienstleister diese Risiken auf sich nehmen sollte, wenn die Wahrscheinlichkeit, damit Geld zu verdienen, relativ gering oder sogar ausgeschlossen ist. Er erkundigt sich, ob andere Städte ein vergleichbares System bereits erfolgreich eingeführt haben, und ob über die Betreiberform nochmals nachgedacht werden könnte. Für ihn sei es vorstellbar, dass ein solches System in städtischer Hand bleibt, damit "ein übergeordneter Werbeaufdruck in Form des Fernsehturms, der Wilhelma oder sonstwas für Stuttgart steht und klar wird, wir stehen für Sauberkeit in dieser Stadt, wir identifizieren uns mit unseren Einrichtungen als Werbeträger, sodass nicht jeder einzelne Unternehmer, der Kaffee verkauft, sich dort wiederfinden muss."
Angesichts der aktuellen Berichte zur Verschmutzung der Weltmeere durch Plastikteile hält StR
Winter
(90/GRÜNE) die Einführung eines solchen Systems für eine gute und wichtige Sache. Seine Fraktion habe, was größere Veranstaltungen in Stuttgart anbelangt, vor kurzer Zeit einen Antrag gestellt, in welcher beispielhaft Wien genannt wurde, wo seit vielen Jahren mit Mehrwegsystemen und einer Firma Öko-Event gearbeitet werde. Da es in Stuttgart bereits entsprechende Infrastrukturen gebe, könne er sich vorstellen, für die Einführung des Mehrwegbechersystems fündig werden zu können. Auf die Beantwortung des von ihm genannten Antrags freue er sich.
StR
Perc
(SPD) findet aufgrund der unglaublichen Müllmengen, es lohne sich, das Thema anzugehen und nach Optimierungen zu suchen. In der Vorlage vermisst er den Erledigungsvermerk zum SPD-Antrag Nr. 391/2016. Das vorgeschlagene Vorgehen einschließlich der Variante 5 finde die volle Zustimmung. Gleichwohl sehe man eine Alternative in Variante 4, sollte die Auslobung nicht zu einem privaten Anbieter führen. Er hält das unternehmerische Risiko durch die Anschubfinanzierung der Stadt für etwas minimiert, weil die Anfangsinvestition entfällt oder gering ausfällt. Besonderes Augenmerk sollte auf die Materialauswahl gelegt werden, sodass möglichst ohne Plastik ausgekommen wird.
StR
Ozasek
(SÖS-LINKE-PluS) schließt sich, was die Notwendigkeit aufgrund der Umweltproblematik angeht, der Meinung seiner Vorredner an. Es gebe auf kommunaler Ebene bereits viele solcher Systeme, wie z. B. in Hamburg und Hannover. Was die von der Verwaltung empfohlene Variante angeht, interessiert ihn, ob Berechnungen für eine In-House-Lösung mit der AWS angestellt wurden und zu welchem Ergebnis die Prüfung geführt hat. Diesbezüglich würden sich sinnvolle Nebenaspekte ergeben, beispielsweise die separate Erfassung von weggeworfenen Bechern im öffentlichen Raum durch AWS-Mitarbeiter. Zutreffend sei, dass Haptik und Optik stimmen müssen, damit ein solches System akzeptiert wird. Wichtig sei dennoch, umweltschonendes Material ohne Plastik zu verwenden und hierauf ein besonderes Augenmerk zu legen. Für die Auslobung sei wichtig, zu definieren, was mit umweltschonender Materialauswahl gemeint ist. Aus seiner Sicht muss das Material unbedingt komplett recyclingfähig sein. Beim Thema Werbung muss aus seiner Sicht dringend darauf geachtet werden, dass keine schwermetallhaltigen Druckfarben usw. verwendet werden. Außerdem ist ihm ein wichtiges Anliegen, dass das System anschlussfähig für andere Städte und Kommunen um Stuttgart herum ist und man dies in die Auslobung einbettet, z. B. als optionale Variante.
Verwundert zeigt sich StR
Dr. Schertlen
(STd) darüber, jetzt in eine Ausschreibung zu gehen. Er verweist auf die Organisation cradle to cradle, die sich um geschlossene Kreisläufe kümmert. Seines Wissens waren "Herren von cradle to cradle Stuttgart" mit der Wirtschaftsförderung und der AWS im Gespräch. Er hätte erwartet, dass man bereits in einen Pilotversuch eingestiegen ist. Die Einführung eines Mehrwegbechersystems sei ein guter und richtiger erster Schritt. Dennoch blieben Fragen offen, beispielsweise für Leute, die auf der Durchreise sind. In Freiburg sei 2016 ein solches System eingeführt worden. Ihn interessiert, welcher Lösungsansatz dort umgesetzt wurde und wie die Bilanz aktuell aussieht.
BVin
Kienzle
(Mitte) berichtet, der Bezirksbeirat habe vor zwei Jahren den Antrag gestellt, darüber nachzudenken, wie mit Einweggeschirr umgegangen wird. Er hatte dabei nicht nur die in der Stadt fest ansässigen Anbieter im Auge, sondern auch Interimsanbieter. Auslöser waren der Food-Markt auf dem Karlsplatz und andere Interimsveranstalter. Dem Bezirksbeirat waren dabei insbesondere die Punkte wichtig, die von StR Ozasek genannt wurden. Bei der Anschlussfähigkeit liege der Blick dabei auf der Region, aber auch auf andere Veranstalter - sowohl professionell als auch semiprofessionell oder nicht professionell. Den Vereinen sei es nicht zumutbar, dass jeder sich dies einzeln anschafft. Ein sehr schönes Beispiel dafür, was alles möglich ist, habe der Übermorgen-Markt auf dem Marienplatz gegeben. Auch nach ihrer Meinung muss man sich mit denjenigen in Verbindung setzen, die bereits an dem Thema arbeiten. Man freue sich darüber, dass nun ein Aufschlag gemacht wurde und wünsche sich, weiterhin daran beteiligt zu werden, da der Stadtbezirk Mitte die meisten Veranstaltungen zu bieten habe und die Anregung dazu aus dem Stadtbezirk Mitte kam. Man hoffe außerdem, dass die Anschlussfähigkeit für weiteres Einweggeschirr bis hin zu McDonalds und anderen großen Ketten damit eingeleitet ist.
StR
Schupeck
(LKR) fragt nach dem erwarteten Potenzial. In der Vorlage sei von 80.000 Bechern in Stuttgart die Rede, obwohl es in anderen Städten maximal 40.000 Becher pro Tag sind. Er möchte wissen, von wie vielen Teilnehmenden ausgegangen wird. Er selber gehe von maximal 10 % aus, sodass man von 4.000 Bechern spreche. Da jedoch nur zwischen 5 und 10 % der Kunden mitmachen, seien es 400 Becher bis maximal 1.000 Becher im optimistischsten Fall. Er hält es nicht für vertretbar, für diese geringe Menge einen "verlorenen Zuschuss" über zwei Jahre zu investieren. Gegen die Einführung des Systems sprechen außerdem "der wahnsinnige Bürokratismus und das logistische sowie evtl. hygienische Problem für die Gastronomie und alle, die daran teilnehmen sollen".
Herr
von der Appen
(OB/82) dankt für die grundsätzliche Bereitschaft, die Einführung eines solchen Systems zu unterstützen. Er bittet zu unterscheiden zwischen den Themen städtische bzw. nicht städtische Regie und dem Thema Veranstaltungen. Man habe sich deutschlandweit angesehen, was die Städte machen, wie die Beschlüsse dazu lauteten und woher der Impuls dazu kam. Auch einige Bäckereibetriebe habe man besucht und das Gespräch mit den Verantwortlichen geführt. Letztendlich gehe es um den Kunden, der den Kaffee kauft und der den Becher nach Gebrauch wieder loswerden will. Der Antreiber bei diesem Thema sei die Industrie, da laut Gesetz ab dem 01.01.2019 der Müllverursacher für die Entsorgung der Becher selbst verantwortlich ist. Aus diesem Grund unterstützen die Bäckereien die Idee eines Mehrwegbechers und sind bereit, mitzumachen mit den festgelegten Kriterien.
Hannover und Freiburg haben eigene Abfallwirtschaftsbetriebe und betreiben ihre Systeme selbst. Hannover habe eine eigene GmbH, die Gewinne selbst generiert und aus dem selbst generierten Gewinn eigenes Personal finanziert und einen eigenen Becher entwickelt hat. Das Personal sei ausschließlich dafür da, Becher zu verteilen, Becher zu reinigen und Becher zurückzubringen. Freiburg sei 2016 angetreten mit der Idee, als erste deutsche Stadt die Einführung eines Mehrwegbechers zunächst in die eigene Hand zu nehmen, um ihn nach zwei Jahren die Aufgabe abzugeben an ein StartUp, welches jedoch nicht gefunden wurde. Es wurden 10.000 Becher produziert und bei den Kaffeebetreibern verteilt, wo die Becher gereinigt werden. Die Ketten hätten es von Beginn an abgelehnt, mitzumachen. Dies sei der Grund, warum in Freiburg die Beteiligung so gering ist. Die Stadt Freiburg beschäftige zwei Mitarbeiter, angesiedelt beim Amt für Umweltschutz, die "nur Becher machen".
Um die Sache in der Hand zu halten und steuern zu können, schlage man vor, eine Jury mit Fachleuten aus der Materialwirtschaft zu gründen, um einen Betreiber zu suchen und dabei das Thema Material zu bearbeiten. Man befinde sich in einem StartUp-Bereich. Aldi beispielsweise habe den Bambus-Becher eingeführt und dann festgestellt, dass das Material Melanin-Teile enthält. "Deshalb: Ja, wir sind später als Freiburg, aber wir werden besser, weil alle anderen deutschen Städte noch nicht die Erfahrung gesammelt haben. Und eines steht fest: In keiner deutschen Stadt gibt es bisher einen Kreislauf. Der Marktführer für den Mehrweg-Becher ist ReCup, die kommen aus München und haben natürlich ein Interesse, Becher zu verkaufen. Das ist unsere Erfahrung auch mit Städten wie Ludwigsburg, die jetzt angefangen haben, den ReCup einzuführen. Wir haben ein Hochschulprojekt damit beauftragt, die Kaffee-Betriebe zu befragen, wie erfolgreich ist ReCup, wie wird das angenommen von den Kunden? Gar nicht! Das ist der Grund. Warum sollen wir hier etwas übernehmen, was nur halb ausgegart ist? Machen wir doch erst unsere Hausaufgaben und führen dann etwas ein, was nachhaltig ist!"
StR
Schupeck
erinnert an seine Frage zur Potenzial-Einschätzung. Herr
von der Appen
verweist auf die Gewinnschwelle: Bei Gesprächen mit Firmen wie Yormas oder Mc Donalds, die zwischen 20.000 und 30.000 Einwegbecher pro Tag ausgeben, komme man irgendwann auf die Frage, ab wann es sich lohnt, Einweg einzustellen und Mehrweg einzuführen. Es entstehen umso mehr Kosten, je mehr Einweg herausgegeben wird, insbesondere wenn die Kosten für Einwegmüll immer weiter steigen. Mc Donald teste derzeit in Augsburg einen Mehrwegbecher der Fa. ReCup, um Erfahrungen zu sammeln. Bundesweit sei Mc Donald die erste Firma, die Einwegbecher für Heißgetränke einstellen wird.
Er könne keine Zahlen nennen, weil in keiner Stadt gezählt werde, wieviele Becher in den Mülleimern entsorgt werden. Es gehe um den Kunden, der den Kaffee kauft, und nach dessen Genuss ein Problem in der Hand hält. Es gehe um den Service, der sich in der Befragung der Bäckereifamilien herauskristallisiert habe. Diese haben gesagt, "wenn Ihr es hinkriegt, ein System zu entwickeln, nennen wir es einmal Mehrwegbecher-Pfandautomat an öffentlichen Stellen, oder vielleicht in Bankfilialen aufzustellen, wenn der Kunde in der Königstraße oder an der Universität Automaten findet und als Pfand 1 € zurückkriegt, das ist realistisch, es ist finanzierbar".
Man habe auch mit der weltgrößten Firma für Pfandautomaten telefoniert, die Fa. Tomra, die 90 % des Marktes abdeckt: "Die Automaten sind bezahlbar, das ist sympathisch und das ist auch eine Überlegung in unserer Auslobung, so etwas zu betrachten, ein System zu entwickeln, wo die Mehrweg-Becher abgegeben werden können. Wir haben mit SBR - Fa. Bonus - und auch mit Lebenshilfe telefoniert. Die sind z. B. in der Lage, die Infrastruktur zu stellen, dass diese Becher gereinigt werden können und - Sie kennen die Fa. Velo-Carrier - die wären in der Lage, diese Becher wieder emissionsfrei an die Standorte, an die Bäckereien zurückzubringen. Das sind alles vorweggenommene Ideen, die wir gesammelt haben, auch in unseren Erfahrungen, die in diesem Auslobungstext drinstehen. Und deswegen suchen wir die Firma, die uns diese Kriterien erfüllt."
Nach Ansicht von BVin
Kienzle
geht es auch darum, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es nicht egal ist, wie man sich auf der Welt verhält. Für den Bezirksbeirat sei die inhaltliche Frage wichtig, die mit einem Umdenken zu tun hat. Man müsse den Diskurs mit den Bürgerinnen und Bürgern darüber nicht scheuen, sondern sei interessiert daran, offen auf die Menschen zuzugehen und darüber zu sprechen, wie man es besser hinbekommt.
StR
Dr. Vetter
unterstreicht, es gehe seiner Fraktion auch bei diesem Projekt um Nachhaltigkeit. Ihn interessiert daher, an welcher Stelle des Kreislaufs der externe Dienstleister daran verdient. Gegebenenfalls würde er lieber nochmals darüber diskutieren, das Projekt in städtischer Hand durchzuführen.
Dagegen handelt es sich aus Sicht von StR
Perc
um ein schlüssiges Konzept, in welches viel Zeit und Arbeitskraft gesteckt wurde. Hierfür dankt er und wünscht, nun endlich in die Umsetzung zu kommen. Sollten keine Angebote eingehen oder solche, die man nicht guten Gewissens vorschlagen kann, werde man sich ohnehin nochmals in den Gremien mit dem Thema befassen, "um Plan B als städtischen Betreiber aufzurufen".
StR
Winter
erklärt Zustimmung zur Vorlage und verweist erneut auf das Beispiel Wien, wo das Thema Bewusstseinsmachung in der Stadt ebenfalls eine große Rolle gespielt habe und wo die Umsetzung seit Jahren mit Externen erfolgt. Es sei bereits eine gewisse Infrastruktur in Stuttgart vorhanden, weshalb es vernünftig sei, einen privaten Betreiber zu suchen.
Für StR
Schupeck
ist das Projekt wenig schlüssig und plausibel. Er sagt dem Ganzen ein Debakel voraus. Alle müssten sich darüber klar sein, dass dieser Planet uns etwas wert sein muss, findet StR
Dr. Schertlen.
BM
Pätzold
stellt fest:
Der Ausschuss für Umwelt und Technik hat von der GRDrs 162/2018
Kenntnis genommen
.
zum Seitenanfang
PP_Mehrwegbechersystem.pdf