Protokoll:
Ausschuss für Wirtschaft und Wohnen
des Gemeinderats der Landeshauptstadt Stuttgart
Niederschrift Nr.
TOP:
4
1
Verhandlung
Drucksache:
GZ:
Sitzungstermin:
27.01.2023
Sitzungsart:
öffentlich
Vorsitz:
BM Fuhrmann
Berichterstattung:
die Herren Bartle (Thalia), Breuninger (Tritschler), Hahn (CIS)
Protokollführung:
Frau Sabbagh
th
Betreff:
Demonstrationen in der Innenstadt - Auswirkungen auf den Handel
- Berichterstatter City-Initiative Stuttgart e.V. -
- mündlicher Bericht -
Nach einer Begrüßung durch BM
Fuhrmann
, der betont, OB Dr. Nopper sei es wichtig gewesen, das Thema nach dem Demonstrationsgeschehen auf dem Marktplatz nun auch im Ausschuss für Wirtschaft und Wohnen aus Sicht des betroffenen Einzelhandels zu beleuchten und ein Meinungsbild des Ausschusses einzuholen.
Zunächst berichtet Herr
Hahn
zur Situation vor Ort. Er schickt voraus, dass ihm die Rechtslage - Art. 8 GG - durchaus bewusst sei, weshalb er keine Forderungen stelle. Doch wolle er die Auswirkungen deutlich machen und eine gewisse Sensibilität gegenüber dem Einzelhandel wecken. In den Jahren 2008 - 2010 hätten in der Stuttgarter Innenstadt jeweils 300 - 400 Versammlungen stattgefunden. Mittlerweile sei man bei 1500 - 2000 Versammlungen angekommen. Diese fänden in der Regel an Freitagen und Samstagen statt, die zugleich die umsatzstärksten Wochentage seien. Hinzu komme, dass an den Wochenenden Veranstaltungen des Handels, z. B. Firmenjubiläen, stattfänden. Infolge von Versammlungen und Gegendemonstrationen, wie sie erst kürzlich auf dem Marktplatz stattgefunden hätten, erwachse den umliegenden Läden ein Schaden in hoher Millionensumme. Er rechnet vor, welche Summen vom stationären Handel innerhalb des City-Rings erwirtschaftet würden. Dabei sei natürlich eine Lebendigkeit in der Stadt von großem Vorteil. In Kenntnis der Rechtslage appelliert er an den Ausschuss, bei Entscheidungen über Demonstrationen - gleich welcher politischen Richtung - die wirtschaftliche Situation des stationären Handels mit zu bedenken. Mit Blick auf die Sondernutzungsrichtlinien bittet er um ein gewisses Entgegenkommen. Die CIS sei sehr daran interessiert, mit allen beteiligten Akteuren ins Gespräch zu kommen. In Ludwigsburg billige die Gewerkschaft ver.di im Hinblick auf den Erhalt von Arbeitsplätzen ausdrücklich zwei verkaufsoffene Sonntage, in Karlsruhe sogar drei. In Stuttgart sei die diesbezügliche Kommunikation mit ver.di schwierig, weshalb er die Fraktionen mit besserem Draht zur Gewerkschaft um Vermittlung ersuche.
Auch Herr
Bartle
vertritt die Ansicht, dass Demonstrationen nicht pauschal gesehen werden könnten. Manche, z. B. Fridays for Future oder die Demonstration gegen Stuttgart 21 am Montagabend, verursachten überhaupt keinen wirtschaftlichen Schaden. Massiver wirtschaftlicher Schaden entstehe dagegen bei Demonstrationen, die am Samstagnachmittag unter anderem auf dem Marktplatz, dem Schillerplatz, der Königstraße abgehalten würden. Bei diesen Gruppen - und das meine er völlig wertfrei - handle es sich in der Regel um Kurden, Türken, Querdenker und Rechte. Der wirtschaftliche Schaden entstehe dadurch, dass die Besucher und Kunden entweder schon im Vorfeld von den Demonstrationen Kenntnis erlangten und die Stadt deshalb komplett mieden oder, wenn sich beginnende Demonstrationen durch erhöhtes Polizeiaufkommen ankündigten, die Buchhandlung fluchtartig verließen. Dies bedeute einen Besucherverlust von ca. 1000 Personen und einen Kundenverlust von ca. 500 Personen bzw. 10.000 EUR. Bei zehn Demos im Jahr betrage der Umsatzverlust 100.000 EUR. Die wirkliche Zahl sei wahrscheinlich deutlich höher. Diese Zahlen könne man angesichts der aktuellen Situation im Stuttgarter Einzelhandel nicht kompensieren. Er bittet die Mitglieder des Ausschusses, bei Entscheidungen, an denen sie beteiligt seien, jeweils die Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen. Hier sollte man - im Rahmen von gesetzlichen Leitplanken - steuern und nicht die Interessen weniger über die Interessen vieler stellen.
Herr
Breuninger
betont vorab, das Demonstrationsrecht sei ein wertvolles Gut. Dieses sollte keinesfalls extrem eingeschränkt werden. Bei der letzten großen Demonstration auf dem Marktplatz Ende November seien Wasserwerfer vor Ort gewesen. Doch gerade in den sechs Wochen vor Weihnachten erziele der Einzelhandel ein Drittel seines Jahresumsatzes. Er erlebe es häufig, dass seine Kunden nicht schon im Vorfeld informiert seien, vielmehr kämen sie in die Stadt und würden mit Polizisten in Kampfmontur, Wasserwerfern und Zäunen konfrontiert. Familien, die samstags vom Land in die Stadt zum Einkaufen kämen, seien schockiert und träten unverrichteter Dinge den Heimweg bzw. den Weg in ein Einkaufscenter außerhalb der Stadt an. Die Fa. Tritschler befinde sich seit 300 Jahren am Stuttgarter Marktplatz und wolle hier auch die nächsten 300 Jahre bleiben. Von insgesamt ca. 100 Beschäftigten arbeiteten ca. 80 in Stuttgart, teilweise ihr gesamtes Berufsleben. Diese wolle man erhalten. Deshalb bitte auch er den Gemeinderat, bei entsprechenden Entscheidungen dort, wo es möglich sei, zumindest zu versuchen, die Folgen einer Demonstration zu berücksichtigen. Natürlich gebe es auch viele Demonstrationen, die keine negativen Auswirkungen auf den Handel hätten und niemanden ängstigten, sondern sogar Interesse weckten.
BM
Fuhrmann
erklärt, hier gebe es immer eine Interessenskollision und es sei schwierig, eine Auswahl zu treffen. Demonstrationen müssten ja nicht genehmigt, sondern lediglich angemeldet werden. Wenn die rechtlichen Rahmenbedingungen es erlaubten, könnten sie jedoch untersagt werden.
Die Vertreter*innen der Fraktionen danken für die Ausführungen.
Für StRin
Fischer
(90/GRÜNE) sind die Einschätzungen aus dem Einzelhandel nachvollziehbar. Sie geht davon aus, dass der Wasserwerfer auf einer Demonstration eine Ausnahme gewesen sei. Sie würde gerne wissen, welche Lösungen BM Dr. Maier im Gespräch mit CIS angeboten habe. Sie räumt ein, dass der Handlungsspielraum der Stadt hier nicht besonders groß sei, und sie bestätigt die Unterschiedlichkeit der Demonstrationen, von denen manche ja auch als Frequenzbringer für Handel und Gastronomie fungierten. Grundsätzlich müsse der öffentliche Raum auch für nicht kommerzielle Nutzungen verfügbar sein. Ihre Fraktion habe im Prinzip nichts gegen einen dritten verkaufsoffenen Sonntag einzuwenden, wobei man jedoch bedenken müsse, dass dies höhere Kosten, z. B. für Personal verursache.
Ein Blick auf die Zahlen zeige, so StRin
Porsch
(CDU), dass mittlerweile durchschnittlich drei bis vier Demonstrationen stattfänden, wobei diese sich vorwiegend auf Donnerstag bis Samstag konzentrierten. Sie bestätigt, dass es im Einzelhandel in Stuttgart sehr viele Arbeitsplätze gebe. Sie regt an, die Demonstrationen nicht immer nur in der Innenstadt zu veranstalten bzw. sie nicht immer auf die besucherstärksten Zeiten zu legen. Dabei sollte auch die Art der Demonstration berücksichtigt werden, so fühle sie sich nicht gestört, wenn ca. 100 Personen mit Schildern dastünden. Doch gebe es auch andere Fälle. Hier sollte die Verwaltung die Spielräume ausschöpfen, ohne in die Rechte der Versammlungsfreiheit einzugreifen. Bei wiederkehrenden Demonstrationen sollte man im Gespräch mit den Veranstaltern eine für beide Seiten verträgliche Lösung suchen. Sie bittet die Verwaltung darzulegen, welche Stellschrauben es hier gebe. An ihre Vorrednerin wendet sie sich mit dem Hinweis, der Handel wisse durchaus, ob sich ein verkaufsoffener Sonntag lohne. Hier sollte die Politik unterstützend wirken. Es sei wichtig, dass die Stadt attraktiv und belebt bleibe. Dafür gebühre dem Einzelhandel Dank.
Auch StR
Lutz
(SPD) plädiert für einen ehrlichen und offenen Umgang miteinander. Seine Fraktion sei eine große Anhängerin des Demonstrationsrechts, das als Fundament der Demokratie nicht angetastet werden dürfe. Dazu gehörten auch die Ortswahl und das Thema. Seiner Ansicht nach müsse die Botschaft vermittelt werden, dass Demonstrationen zu einer demokratischen Großstadt gehörten und auch nicht an die Peripherie ausgelagert werden dürften. An der Gestaltung von Demonstrationen sollte noch gearbeitet werden, weder dürften dort Gewalt noch sonstige abstoßende Aktionen stattfinden. Die von den Berichterstattern vorgetragenen Sorgen seien auch in den Augen seiner Fraktion völlig berechtigt.
StR
Pantisano
(Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei) betont ebenfalls die Bedeutung des Versammlungsrechts als Fundament der Demokratie, an dem man nicht rütteln dürfe. Ohnehin liege die Entscheidungsbefugnis hierüber nicht beim Gemeinderat, und das sei auch gut so. Demonstrationen seien auch dazu da, den anderen ein Stück weit weh zu tun, sie aufzurütteln. Das bedeute, dass sie nicht immer ein schönes Bild erzeugten, allerdings sollten sie nicht mit Gewalt oder Randale enden. Er könne die geschilderten Sorgen verstehen. Der Marktplatz werde als Ort z. B. deshalb oft gewählt, weil dieser mit dem Rathaus das kommunalpolitische Zentrum der Stadt bilde. Zur stark gestiegenen Anzahl der Demonstrationen merkt er an, dass darunter mittlerweile auch viele Kundgebungen fielen. Er definiert, im Unterschied zu Demonstrationen, bei denen man sich von A nach B bewege, finde die Kundgebung an einem fixen Ort statt. Doch müsse bereits ein Info-Stand mit zwei Tischen beim Ordnungsamt als Kundgebung angemeldet werden. Insofern werde die Anzahl der Kundgebungen im Kommunalwahljahr 2024 explodieren. Er schließt sich StRin Fischer an, dass viele, die an großen Demonstrationen teilnähmen, anschließend in der Stadt einkauften oder die Gastronomie nutzten.
Einigkeit sieht StR
Serwani
(FDP) im Ausschuss, wonach das Demonstrationsrecht ein sehr hohes Gut sei. Er weist darauf hin, dass der Ausschuss regelmäßig vom Amt für öffentliche Ordnung eine Liste mit allen angemeldeten Demonstrationen erhalte. Insofern hätte er es begrüßt, wenn neben BM Fuhrmann auch BM Dr. Maier dem Ausschuss seine rechtliche Einschätzung dargelegt hätte. Im Übrigen finde er persönlich schade, dass es nicht mehr bzw. überhaupt verkaufsoffene Sonntage gebe. Schließlich könne dies der Einzelhandel jeweils mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern individuell regeln. Hier sollten sich nicht nur die Gewerkschaften, sondern auch die Kirchen bewegen. Die Stadt sollte auf die Veranstalter von Demonstrationen zugehen und ihnen die Auflagen und auch die Auswirkungen erläutern. Die Sondernutzungsrichtlinien sollten künftig großzügiger ausgelegt werden, wie ein Gespräch mit verschiedenen Teilnehmern und dem Amt für öffentliche Ordnung ergeben habe. Gleichwohl bleibe immer ein wirtschaftlicher Schaden bei einer Demonstration. Grundsätzlich halte er es für falsch, die Innenstadt an den Wochenenden vor Weihnachten mit Demonstrationen zu überhäufen.
BM
Fuhrmann
stellt klar, zur Erläuterung der Rechtslage sei Herr Dr. Stadler vom Amt für öffentliche Ordnung anwesend.
Dies begrüßt StR
Puttenat
(PULS) ausdrücklich. Seiner Ansicht nach müsste nun die in dieser Sache wichtigste Instanz, das Ordnungsamt, sprechen.
StR
Zaiß
(FW) kann die Probleme des Einzelhandels gut nachvollziehen. Doch sei das Demonstrationsrecht ein hohes Recht, das man nicht einschränken könne. Man müsse versuchen, auf bestimmte Gruppen zuzugehen und darum zu bitten, dass diese ihre Mitbürger und Mitdemonstranten entsprechend zurückhielten. Denn jeglicher Krawall sei schädlich für die Gesellschaft. Auch er hätte gerne eine Stellungnahme des Amts für öffentliche Ordnung oder der Polizei, da der Ausschuss zwar darüber reden, jedoch nichts bewirken könne. Er hoffe auf eine Lösung, die für alle tragbar sei.
Das gemeinsame Interesse, dass das Demonstrationsrecht in seiner aktuellen Form erhalten bleibe, bestätigt StR
Köhler
(AfD). Er habe die Ausführungen als Appell an den Ausschuss verstanden, dass dieser wiederum seine Möglichkeiten nutzen solle, an die Demonstrierenden zu appellieren, den Rechtsrahmen nicht bis an die Grenzen auszuschöpfen. Wichtig sei, eine vernünftige und gewaltfreie Lösung zu finden, mit denen alle Beteiligten leben könnten.
BM
Fuhrmann
erinnert daran, dass es in der aktuellen Sitzung nur darum gehe, das Demonstrationsgeschehen in Stuttgart aus dem Blickwinkel des Handels zu beleuchten. Er sagt zu, die anderen Aspekte aufzunehmen und an BM Dr. Maier weiterzuleiten, um das Thema nochmals im Ganzen zu beleuchten.
Herr
Hahn
bestätigt, es sei von vornherein klar gewesen, dass man den Einflussbereich des Gemeinderats nicht ausdehnen könne. Er betont nochmals, er werde sich ganz bewusst jeglicher Wertung des Inhalts von Veranstaltungen enthalten. Er stimmt StR Pantisano zu, dass es um eine Differenzierung gehe. Von den 1500 Veranstaltungen stellten über 80% kein Problem dar. Aus seiner Sicht gehe es um den Umgang mit konfliktträchtigem Geschehen. Zum Vorgehen in anderen Städten merkt er an, nach seiner Information habe das Kreisverwaltungsreferat in München in intensiven Koordinationsgesprächen im Vorfeld von Demonstrationen erreicht, die Fußgängerzone in der Innenstadt weitgehend frei von Demonstrationen zu halten. Diesbezüglich sei ihm ein Austausch mit den Kollegen in München zugesichert worden.
Abschließend merkt er an, der letzte verkaufsoffene Sonntag in der Stuttgarter Innenstadt habe 2006 während der Fußball-WM stattgefunden.
BM
Fuhrmann
stellt fest:
Der Ausschuss für Wirtschaft und Wohnen hat vom Bericht
Kenntnis genommen
.
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