Protokoll: Sozial- und Gesundheitsausschuss des Gemeinderats der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
1461/2017
GZ:
Sitzungstermin: 23.04.2018
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: BM Wölfle
Berichterstattung:Herr Ohm (GesundhA)
Protokollführung: Herr Krasovskij de
Betreff: Projekt "Gesundheitslotsen für Migrantinnen und
Migranten"

Beratungsunterlage ist die Vorlage des Referats Soziales und gesellschaftliche Integration vom 03.04.2018, GRDrs 1461/2017, mit folgendem

Beschlussantrag:

1. Der Durchführung des Projektes "Gesundheitslotsen für Migrantinnen und Migranten" in Stuttgart für die Dauer von vier Jahren wird zugestimmt.

2. Das Gesundheitsamt wird ermächtigt, in der Zeit vom 01.06.2018 bis 31.05.2022 außerhalb des Stellenplans eine/-n Sozialarbeiter/-in (70 %-Teilzeitkraft) in der Entgeltgruppe S15 TVöD während der Projektlaufzeit im Umfang von 48 Personenmonaten zu beschäftigen.

3. Die hierfür entstehenden Personalaufwendungen in Höhe von 189.840 €
werden in Höhe von rund 97 % durch eine Förderung der Stiftung Gesundheitliche Prävention gedeckt.


Die Finanzierung erfolgt durch Eigenmittel aus dem Budget des Gesundheitsamts, durch einen Zuschuss der Kommunalen Gesundheitskonferenz und durch Fördermittel der Stiftung Gesundheitliche Prävention Baden-Württemberg. Der Zuwendungs-bescheid vom 06.03.2018 liegt vor. Die Gesamtfördersumme des Projektes durch die Stiftung beträgt 226.284 €.


Die Beratungsunterlage ist dem Originalprotokoll sowie dem Protokollexemplar für die Hauptaktei beigefügt.

Einleitend erklärt BM Wölfle, das geplante Projekt sei das erste Vorhaben, das im Rahmen des Präventionsgesetzes durch die Stiftung für gesundheitliche Prävention Baden-Württemberg mitgefördert werde. Er gratuliert allen Mitwirkenden dazu und begrüßt das Vorhaben in der Folge. In den vergangenen fünf Jahren hätten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Gesundheitsamtes rund 600.000 Euro an Fördergeldern des Landes oder Bundes für zahlreiche Projekte akquirieren können, so der Bürgermeister weiter. Dies sei erfreulich und zeige die gute Vernetzung der Kolleginnen und Kollegen.

Das Vorhaben Gesundheitslotsen für Migrantinnen und Migranten wird von StRin Bulle-Schmid (CDU) grundsätzlich begrüßt. Positiv sei auch die Förderung des Projekts durch die Stiftung für gesundheitliche Prävention Baden-Württemberg. Ähnlich äußern sich im weiteren Verlauf der Aussprache auch StRin Rühle (90/GRÜNE), StRin Dr. Hackl (SPD), StR Adler (SÖS-Linke-PluS) und StRin Yüksel (FDP).

Auf der anderen Seite müsse man sich bewusstmachen, so die Stadträtin weiter, dass es keine homogene Gruppe der Migrantinnen und Migranten gebe. Sie seien viel mehr unterschiedlich gut integriert und hätten verschiedene Bedürfnisse. Ähnlich äußert sich auch StR Dr. Fiechtner (BZS23). StRin Yüksel betont ebenfalls die Unterschiede unter den Migrantinnen und Migranten. Sie meint, vor allem ältere Mitbürger aus der Gastarbeitergeneration hätten oftmals Integrationsschwierigkeiten, da es damals ähnliche Integrations- und Sprachangebote wie heute nicht gegeben habe.

In diesem Zusammenhang erklärt BM Wölfle, durch das angedachte Projekt, wolle man genau dieser Differenziertheit unter den Migrantinnen und Migranten entsprechen, indem versucht werde, diejenigen anzusprechen, die hilfebedürftig seien.

StRin Bulle-Schmid möchte wissen, wie man diejenigen Menschen herausfiltern wolle, die wirklich Bedarf an der Unterstützung durch die Gesundheitslotsen hätten. Diese Frage teilt auch StRin Yüksel. Auch StR Adler meint, dass es wichtig sei, die Menschen zu erreichen, die Hilfe bräuchten. Dafür sei die konsequente Beteiligung der Migrantenvereine, der Migrationsberatung der freien Träger und weiterer in der Vorlage genannter Akteure notwendig. Der Erfolg des Projektes werde davon abhängen, ob es gelinge, das Angebot an die Zielgruppe heranzutragen. Dieser Äußerung stimmt auch StRin Yüksel zu.

Hierauf führt Herr Ohm, Leiter der Abteilung Strategische Gesundheitsförderung beim Gesundheitsamt, aus, man sei sich der heterogenen Bedürfnisse der Zielgruppe bewusst. Die hilfebedürftigen Menschen bräuchten mitunter unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten und Formen der Ansprache. Dies wolle man auch bei den Ehrenamtlichen berücksichtigen, indem man mit Personen zusammenarbeiten wolle, die sich in den anzusprechenden Ethnien auskennen und über die verschiedenen Bedürfnisse Bescheid wüssten.

Ferner meint StRin Bulle-Schmid, es sei vor allem auch ein Problem, dass viele Menschen, die schon lange in Deutschland lebten, nicht wirklich integriert seien und sich in unserem Gesundheitssystem nicht auskennen würden. Sie ist der Meinung, dass Verwaltung und Gemeinderat sich abgesehen von den verschiedenen Projekten grundsätzlich Gedanken machen müssten, wie man Migrantinnen und Migranten noch besser und vor allem zeitnaher nach der Ankunft erreichen könne.
Im Weiteren bittet StRin Bulle-Schmid darum, den Ratsmitgliedern das Ergebnis der geplanten Recherche zu bereits in Stuttgart vorhandenen Angeboten zur Vermittlung von Gesundheitsthemen an Migrantinnen und Migranten, wodurch Doppelstrukturen vermieden werden sollen, zukommen zu lassen. Dies sichert Herr Ohm in der Folge zu. Hierzu meint StRin Dr. Hackl, man sollte kritisch überprüfen, ob eine solche Recherche überhaupt notwendig sei. Es gebe schließlich Berichte des Gesundheitsamtes, in welchen man bestehende Angebote bereits erhoben habe.

StRin Rühle erklärt, dass Thema Gesundheitsförderung betreffe nicht nur Migrantinnen und Migranten, mitunter gebe es auch bei der einheimischen Bevölkerung gerade im Alter Hilfsbedarf. Manchmal sei das Gesundheitssystem hierzulande nicht ganz einfach zu durchschauen. Das Projekt der Gesundheitslotsen für Migrantinnen und Migranten sei eine sinnvolle Ergänzung zu bereits bestehenden Angeboten wie dem Projekt "TrotzAlter". Es sei aber wichtig, die Akzeptanz und den Erfolg des Vorhabens gut zu evaluieren, um so auch Doppelstrukturen vorzubeugen.
Zu Fragen der StRinnen Rühle und Yüksel erläutert Herr Ohm, die Zusammensetzung der vorgesehenen Steuerungsgruppe sei ein erster Vorschlag der Projektplaner. Man sei für Anregungen hinsichtlich der Aufnahme weiterer Vereine, Initiativen oder Gruppierungen offen.

In ihrer Wortmeldung macht StRin Dr. Hackl bezugnehmend auf die Vorlage (S. 7 der Anlage) darauf aufmerksam, dass der im Jahr 2012 veröffentlichte Alterssurvey deutlich gemacht habe, dass eine genaue Einschätzung der gesundheitlichen Situation von insbesondere älteren Menschen mit Migrationshintergrund in Stuttgart häufig aufgrund von Sprachbarrieren derzeit noch nicht möglich sei. Man könnte auf diesem Feld schon weiter sein, wenn der Gemeinderat nach dem Alterssurvey damals den Handlungsbedarf erkannt hätte, so die Stadträtin. Sie erinnert an einen Antrag zu dem Thema, der zum Ziel hatte, mit Hilfe von Vereinen und Organisationen an die Migrantinnen und Migranten heranzukommen. Im Folgenden unterstreicht StRin Dr. Hackl noch einmal die Wichtigkeit des geplanten Vorhabens.

Auf eine Frage von StRin Dr. Hackl eingehend, erläutert Herr Ohm, die Projektplaner würden sehr großen Wert auf eine gute Zusammenarbeit mit den ehrenamtlichen Gesundheitslotsen legen. Die Freiwilligen sollen nicht nur in Gesundheitsthemen geschult, sondern auch beraten und begleitet werden, wenn es zum Beispiel um den Umgang mit schwierigen Fragen und die Vermittlung ihrer Kenntnisse geht. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Gesundheitsamtes und andere Fachleute stünden den Ehrenamtlichen im Hintergrund immer zur Verfügung. Wenn sich die Ehrenamtlichen durch die Aufgabe überfordert fühlten, oder durch Umzug oder Veränderungen in der Familie nicht mehr teilnehmen könnten, seien sie natürlich frei, das Projekt wieder zu verlassen. Der Mitarbeiter des Gesundheitsamtes erklärt, bereits heute hätten einige Menschen Interesse an der Arbeit als Gesundheitslotse bekundet, obwohl das Projekt in der Öffentlichkeit noch gar nicht so recht bekannt sei. Es gebe zudem aufgrund von Erfahrungen aus anderen Projekten eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass viele Ehrenamtliche dem Projekt bis zum Ende treu bleiben würden, wenn sie sich einmal für die Aufgabe entscheiden.

Im Folgenden weißt StRin Dr. Hackl darauf hin, dass die Erstellung eines Abschlussberichtes über das Projekt bis zum 31.05.2022 geplant sei. Zu dem Zeitpunkt sei der Doppelhaushalt 2022/2023 aber schon verabschiedet. Die Stadträtin regt deshalb eine frühzeitigere Berichterstattung rechtzeitig vor den Haushaltsplanberatungen 2022/2023 an, um im Rahmen der Etatberatungen gegebenenfalls über eine weitere kommunale Förderung des Projektes entscheiden zu können. BM Wölfle dankt der Stadträtin für den Hinweis, den man berücksichtigen werde.

Gegenüber StR Adler erläutert Herr Ohm, die Zahl von 6.000 Migrantinnen und Migranten, die man im Rahmen des Projektes erreichen wolle, sei eine an den Kapazitäten der Projektbeteiligten bemessene Prognose. Er gehe aber davon aus, dass die tatsächliche Zahl der hilfebedürftigen Menschen noch höher sei.

Von StR Dr. Fiechtner wird das Projekt Gesundheitslotsen für Migrantinnen und Migranten kritisiert. Der Stadtrat sieht keine Notwendigkeit für dieses Vorhaben und bemängelt, dass hierfür abermals Steuergelder verschwendet würden. Seiner Ansicht nach, dürfe die kommunale Hand nicht immerzu in Vorleistung treten. Beim Thema Integration gebe es auch eine "Holpflicht" der Migranten, so StR Dr. Fiechtner. Man dürfe den Menschen nicht alle Schwierigkeiten abnehmen, dies wäre nach Ansicht des Stadtrats ansonsten kontraproduktiv für die Integration und würde integrationshemmendes Verhalten fördern. Anstatt für viel Geld die Gesundheitslotsen auszubilden, sollte man die Migrantinnen und Migranten dazu motivieren, eigene Anstrengungen zu unternehmen oder auf Nachbarschaftshilfe zurückzugreifen.
Ferner erklärt StR Dr. Fiechtner, die Vermittlung von gesundheitsförderlichen Verhaltensweisen und deren praktischer Umsetzung im Alltag sei seiner Ansicht nach Aufgabe von Medizinern und würde die ehrenamtlichen Gesundheitslotsen, die mitunter medizinfremd seien, überfordern. Darauf entgegnet Herr Ohm, er betrachte Gesundheitsförderung als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, bei der nicht nur die Ärzteschaft, sondern auch die Verwaltung, Vereine, gesellschaftliche Organisationen und Institutionen mitwirken müssten.

Anschließend bedankt sich Herr Ohm für die überwiegend positiven Äußerungen der Ratsmitglieder zum geplanten Projekt. Er betont noch einmal, dass man ein "lebendiges" Projekt anstrebe und eng mit den verschiedenen Vereinen, Organisationen und den Ehrenamtlichen kooperieren wolle, um das Konzept weiterzuentwickeln. Aus den Erfahrungen der Gesundheitslotsen erhoffe man sich ein besseres Verständnis über das Leben der Migrantinnen und Migranten und ihre speziellen Bedürfnisse in Bezug auf Gesundheit und Gesundheitsförderung zu erlangen. Herr Ohm erklärt weiter, dass die Projektplaner zahlreiche Schnittstellen auch zu anderen Projekten im Jugendhilfebereich oder im sozialen Bereich vermuten.

Danach stellt BM Wölfle fest:

Der Sozial- und Gesundheitsausschuss stimmt dem Beschlussantrag bei 1 Gegenstimme mehrheitlich zu.
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