Protokoll:
Betriebsausschuss Leben und Wohnen
des Gemeinderats der Landeshauptstadt Stuttgart
Niederschrift Nr.
TOP:
6
6
Verhandlung
Drucksache:
GZ:
Sitzungstermin:
23.01.2017
Sitzungsart:
öffentlich
Vorsitz:
BM Wölfle
Berichterstattung:
Herr Weber (Einrichtungsleiter Pflegezentrum Generationenhaus Heslach)
Protokollführung:
Frau Gallmeister
de
Betreff:
Die Junge Pflege im Pflegezentrum des Generationenhauses Heslach der Rudolf Schmid und Hermann Schmid Stiftung
- mündlicher Bericht -
BM
Wölfle
verweist einleitend auf die Notwendigkeit des Angebots der Jungen Pflege und dass die Nachfrage steigt. Seiner Meinung nach habe man in Stuttgart für das Angebot im Pflegezentrum des Generationenhauses Heslach der Rudolf Schmid und Hermann Schmid Stiftung einen geeigneten Standort.
Herr
Weber
führt aus, dass das Pflegezentrum des Generationenhauses Heslach aus zwei Einrichtungen besteht, und zwar der Seniorenpflege mit 30 Plätzen und der Jungen Pflege mit 50 Plätzen. Insgesamt seien fast 100 Mitarbeiter/-innen beschäftigt, viele davon in Teilzeit, einschließlich 15 Auszubildenden. Die hohe Zahl an Auszubildenden solle auch weiterhin hohe Fachkompetenz und eine gute Qualität gewährleisten.
Die Junge Pflege habe sich im Generationenhaus Heslach nach diversen Anlaufschwierigkeiten im Jahr 2001 inzwischen allseits anerkannte Kompetenz und einen guten Ruf erarbeitet. Daher habe man sich im Jahr 2008 entschlossen, die Junge Pflege von 24 Plätzen auf 50 Plätze auszuweiten, womit sie auch bundesweit eine der größten Einrichtungen dieser Art sei. Es habe sich herausgestellt, dass die zentrale Lage und die gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr ideal für den Betrieb einer solchen Einrichtung sind. Die zahlreichen Kontaktmöglichkeiten im Generationenhaus und die Veranstaltungsvielfalt vom Gebrüder Schmid Zentrum bereicherten den Standort zusätzlich. Die Plätze der Jungen Pflege, fast ausschließlich Einzelzimmer, befänden sich auf zwei Stockwerke mit je 25 Zimmern verteilt und verfügten über einen hohen baulichen Standard.
Die Zielgruppe der Jungen Pflege seien junge Menschen, bei denen Pflegebedürftigkeit aufgrund einer chronischen, meist neurologischen, Erkrankung im Vordergrund stehe. Dabei handle es sich überwiegend um junge Menschen mit Multipler Sklerose (MS) und Chorea Huntington sowie vereinzelt um junge Menschen mit Mukoviszidose. Das Einzugsalter liege zwischen 20 und 40 Jahren. Der Altersdurchschnitt liege seiner Schätzung nach momentan bei 45, 46 Jahren.
Um den besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung der vielen MS-Kranken im fortgeschrittenen Stadium gerecht zu werden, sei es auch erforderlich gewesen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besonders zu qualifizieren. Das komplexe Krankheitsbild der MS, die auch als die Krankheit der tausend Gesichter bezeichnet werde, erfordere von den Pflegemitarbeiterinnen und -mitarbeitern neben umfangreichem pflegerischem und medizinischem Fachwissen große psychologische Kompetenz und eine hohe Sensibilität in allen Lebensbereichen. Herr Weber erläutert dies anhand eines Beispiels.
Im Jahr 2012 habe die Junge Pflege im Pflegezentrum des Generationenhauses Heslach durch den Landesverband AMSEL, seines Wissens als bisher einzige Einrichtung im Großraum Stuttgart, die Anerkennung als DMSG-geprüfter Fachpflegedienst für Multiple Sklerose erhalten. Gerade die AMSEL als Selbsthilfeverband der MS-Kranken begleite die Junge Pflege seit vielen Jahren in einer "kritischen Solidarität" und helfe der Jungen Pflege stets, sich weiterzuentwickeln. Ehrenamtliche der AMSEL organisierten Ausflüge, unterstützten Veranstaltungen und ein Psychologe der AMSEL berate immer wieder das Pflegeteam der Jungen Pflege.
Besonders junge Menschen machten mit dem Einzug in das Generationenhaus Heslach die Erfahrung, dass dies nicht zwangsläufig den Verlust von Autonomie und Selbstständigkeit bedeutet, sondern im Gegenteil erführen viele Bewohner, dass sie über ganz neue und andere Freiheiten verfügen als in ihrem früheren häuslichen Umfeld. Angehörige seien z. B. von der Pflege befreit und könnten sich in ganz anderer Weise ihren Kindern oder Partnern zuwenden. Bewohner könnten wieder eigenständig das Haus verlassen.. Es gebe keine Besuchszeiten, Partnerinnen oder Partner könnten selbstverständlich im Zimmer der Bewohner übernachten. Häufig könnten im neuen Zuhause auch neue Beziehungen geknüpft und gelebt werden. Mit dem Einzug in die Junge Pflege entfalle die unmittelbare Abhängigkeit von den pflegenden Eltern, was eine ganz neue Entwicklung für solch einen jungen Menschen bedeute und für die Eltern nicht immer ganz einfach sei. Liebe, Sex und Partnerschaft spielten für Menschen in dieser Altersgruppe natürlich eine bedeutende Rolle. Für das Pflegepersonal sei es eine große Herausforderung, Bewohner/-innen dabei dann auch zu unterstützen. Diese stießen dabei häufig an ihre persönlichen Grenzen und seien gezwungen, ihr eigenes Berufsbild ständig neu zu hinterfragen. Eine weitere Herausforderung für die Pflegemitarbeiter/-innen im Gegensatz zur Seniorenpflege sei die Haltung der meist vollkommen orientierten Bewohner/-innen, die selbstbewusst Leistungen auf Augenhöhe einforderten. Die lange Verweildauer der jungen Menschen in der Jungen Pflege führe bei den Mitarbeiter/-innen, die oft im ähnlichen Alter seien wie die zu Pflegenden, oft zu sehr intensiven Beziehungen, und oft seien die Mitarbeiter/-innen durch das Leid, das die Krankheit mit sich bringe, tief betroffen. Sterben und Tod von jungen Menschen sei oft eine besondere Herausforderung für die Mitarbeiter/-innen, auch u. a. besonders für Auszubildende und damit auch für die Ausbilderinnen und Ausbilder. Mit Supervision und moderierten Fallbesprechungen durch Externe stehe zwar ein hilfreiches Instrumentarium zur Verfügung, das die Mitarbeiter/-innen in krisenhaften Situationen begleite, aber die Vorgesetzten würden dadurch nicht der Verantwortung enthoben, sich aufmerksam und in ganz besonderer Weise um ein wertschätzendes Arbeitsklima zu kümmern und die Mitarbeiter/-innen ständig bei ihrer Professionalisierung - dem Finden des notwendigen Maßes von Nähe und Distanz zu den Bewohnern - zu unterstützen.
Ein wichtiger Lernprozess in den ersten Jahren der Jungen Pflege sei für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Umgang mit den Angehörigen gewesen, da die Vorstellung von Eltern, die ihre Kinder sehr lange gepflegt hätten, dahin gehe, dass ihre Kinder in der Jungen Pflege genauso gepflegt werden wie zuhause. Es habe längere Zeit gedauert, bis erkannt worden sei, mit welcher Intensität sich die Mitarbeiter/-innen auch des Leids der Eltern annehmen müssten und wie viel Zuwendung diese wirklich benötigten. Nur so könne es gelingen, auch die Angehörigen unterstützend und kooperativ in den Pflegeprozess und in das Leben im gesamten Haus einzubinden.
Abschließend merkt Herr Weber an, die oft hohe Anspruchshaltung der Bewohner/-innen, also die Versorgung auf Augenhöhe und die detaillierten Absprachen der einzelnen Pflegeverrichtungen, nehme auch die Pflege der Zukunft ein Stück weit vorweg, da künftige Generationen, die weniger entbehrungsreich aufgewachsen seien als die heutigen Hochbetagten, andere Ansprüche an die Pflege und an die Institutionen, die Pflege anbieten, stellen werden.
StRin
Bulle-Schmid
(CDU) dankt namens ihrer Fraktion Herrn Weber für seinen eindrucksvollen Bericht, der aufgezeigt habe, was die Pflege jüngerer pflegebedürftiger Menschen für das Pflegepersonal, aber auch für die Angehörigen bedeutet. Da gerade junge Leute, auch wenn sie schwer pflegebedürftig seien, noch etwas erleben wollten, sei die Junge Pflege im Generationenhaus Heslach, das eine Veranstaltungsvielfalt bieten könne, sehr gut untergebracht.
Die Stadträtin wirft die Frage auf, ob die Pflegeplätze in der Jungen Pflege ausreichen, da auch Pflegebedürftige aus der Region hier untergebracht seien. Sie erkundigt sich, wie sichergestellt werden könne, dass vor allem pflegebedürftige junge Menschen aus Stuttgart in der Jungen Pflege einen Platz bekommen, und ob es nicht sinnvoll wäre, auf andere Kommunen zuzugehen und ihnen zu verdeutlichen, dass Stuttgart nicht alle ihre pflegebedürftigen jungen Menschen aufnehmen kann. Im Übrigen dankt sie Herrn Weber und all seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die hervorragende Arbeit, die von allen geleistet wird.
Auch StRin
Rühle
(90/GRÜNE) dankt im Namen ihrer Fraktion für die gute Arbeit, die in der Jungen Pflege erbracht wird, und das sehr gute Konzept, auch mit den verschiedenen Projekten, wie z. B. einem Motorradausflug. Die Zusammenarbeit der Jungen Pflege mit dem Selbsthilfeverband AMSEL sei eine wichtige und sehr gute Sache für die Angehörigen, sicher aber auch für das Personal, das immer wieder einmal eine Rückkopplung seiner Tätigkeit erhalte.
StRin
Gröger
(SPD) dankt ebenfalls für den Einblick in die Junge Pflege, die etwas ganz Besonderes darstelle. Sie hielte es für sinnvoll, wenn zu gegebener Zeit auch ein schriftlicher Bericht vorgelegt würde, auch vor dem Hintergrund des Platzbedarfes. Ihre Fraktion bitte, dass nach einer Suchschleife rasch mögliche weitere Standorte für die Junge Pflege genannt werden. Sie halte hierfür auch eingestreute Pflegegemeinschaften für denkbar, die hohe Qualität für junge pflegebedürftige Menschen böten.
Wie StRin Bulle-Schmid ist auch StRin Gröger der Auffassung, dass darauf geachtet werden muss, dass unter dem Zuzug aus dem Umland Stuttgarter Bürger/-innen nicht das Nachsehen hätten. Dabei seien auch die Landkreise in der Verpflichtung. Sie bittet um Darstellung, wie sich das Verhältnis derzeit darstelle, entweder wenn eine Vorlage vorgelegt werde, oder per E-Mail.
StR
Ehrlich
(SPD) fragt an Herrn Weber gewandt unter Hinweis auf die Kostenträgerverhandlungen, ob es hier Probleme gibt oder ob die Junge Pflege mit den Einschätzungen des Medizinischen Dienstes klarkomme. Weiter möchte er wissen, wer die Kooperationspartner der Jungen Pflege sind, über welche Kommunikationswege die Betroffenen zur Jungen Pflege kommen und welche Rolle palliative Pflege in der Jungen Pflege spielt.
Auf die aufgeworfenen Fragen der Ausschussmitglieder eingehend, legt Herr
Weber
dar, die meisten in der Jungen Pflege zu Betreuenden kämen aus Stuttgart und würden überwiegend von der AMSEL zugewiesen bzw. fänden über die AMSEL-Kontaktgruppentreffen Kontakt zur Jungen Pflege.
Palliative Pflege werde selbstverständlich angeboten.
Für Menschen mit Chorea Huntington gebe es Spezialeinrichtungen. Aber in der Jungen Pflege seien ebenfalls Menschen mit Chorea Huntington untergebracht. Es würden alle Menschen mit Krankheiten aufgenommen, die in das Bild chronisch neurologisch erkrankt passen, und die Pflegebedürftigkeit stehe im Vordergrund. Aber 70 % bis 75 % der Bewohner seien an Multipler Sklerose erkrankt.
BM
Wölfle
schlägt vor, den Bericht, mit Zahlen unterfüttert, den Ausschussmitgliedern zukommen zu lassen. Dagegen werden keine Einwendungen erhoben.
Mit nochmaligem Dank an Herrn Weber und der Bitte, so weiterzumachen wie bisher, schließt der Vorsitzende den Tagesordnungspunkt ab.
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