Protokoll:
Ausschuss für Wirtschaft und Wohnen
des Gemeinderats der Landeshauptstadt Stuttgart
Niederschrift Nr.
TOP:
144
4
Verhandlung
Drucksache:
GZ:
Sitzungstermin:
16.12.2016
Sitzungsart:
öffentlich
Vorsitz:
EBM Föll
Berichterstattung:
-
Protokollführung:
Frau Sabbagh
pö
Betreff:
"Kommunales Wildtierverbot in Stuttgart"
- gemeinsamer Antrag Nr. 244/2016 (SPD, 90/GRÜNE,
SÖS-LINKE-PluS) vom 27.07.2016
Der im Betreff genannte Antrag sowie die Stellungnahme des Herrn Oberbürger-meisters dazu vom 07.12.2016 sind dem Originalprotokoll sowie dem Protokollexemplar für die Hauptaktei beigefügt.
Zunächst begründet StR
Perc
(SPD) den gemeinsamen Antrag.
EBM
Föll
erläutert die schriftliche Stellungnahme des Oberbürgermeisters zum Antrag, die sich vor allem mit der rechtlichen Frage befasst. Ergänzend merkt er an, dass der Tierschutz ein Bundesrecht sei, das bislang ein solches Verbot nicht vorsehe.
BM
Dr. Schairer
fügt hinzu, wenn der Ausschuss bzw. der Gemeinderat ein Wildtierverbot beschließen würde, würde man sich an der GRDrs 652/2010 orientieren. Dort seien die Wildtiere definiert.
Die Vertreter der Fraktionen danken für die detaillierten Ausführungen.
StR
Rudolf
(CDU) plädiert dafür, den Stuttgarter Weg, der Modellcharakter in Deutschland habe, nicht zu verlassen, um nicht eventuell noch größere Probleme zu riskieren. Er legt dar, dass es sich zwar per definitionem um Wildtiere handle, diese aber teilweise im Zirkus geboren und dort gezüchtet würden. Viele Kinder könnten diese Tiere nie in der Natur beobachten und sie dann wenigstens im Zirkus sehen. Mit dem Stuttgarter Modell habe man in jeder Hinsicht ausreichend Vorsorge getroffen. Zum wirtschaftlichen Aspekt erwähnt er den Weltweihnachtszirkus mit einem Alleinstellungsmerkmal für Stuttgart und rund 150.000 Besuchern. Dieser oder auch der Zirkus Krone brächten Touristen in die Stadt. Er sehe es auch nicht als Aufgabe der Kommune oder des Gemeinderats an, in Bezug auf ein Wildtierverbot eine Vorreiterrolle zu übernehmen, und dies umso mehr, als die Stadt ohnehin schon mit Themen wie S 21, Feinstaub, Staustadt bundesweit bekannt sei. Die Frage sei auch, wo man die Grenzen ziehe. Auch im Zoo würden viele Tiere täglich zur gleichen Zeit vor Publikum gefüttert. Etwas anderes wäre es, wenn der Zirkus sich irgendwann diesen durch gesetzliche Bestimmungen verursachten extremen Aufwand nicht mehr leisten könnte und aus diesem Grund auf die Tiere verzichte. Seine Fraktion lehne den Antrag ab.
Mit dem Stuttgarter Modell sei 2010 auf Antrag seiner Fraktion ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung gemacht worden, der von allen begrüßt worden sei, merkt StR
Winter
(90/GRÜNE) an. Schon damals sei im gesamten Gemeinderat der Handlungsbedarf erkannt worden. Einige Jahre später sei nun die Zeit für einen weiteren Schritt gekommen, in dem man beschließe, dass Wildtiere in Zirkussen grundsätzlich nicht mehr zur Schau gestellt werden dürften. Im Weiteren begründet auch er den gemeinsamen Antrag.
Er ergänzt, bei den Fristen sollte man ausreichend Zeit - er denke an ein bis zwei Jahre, also 2018 bzw. Anfang 2019 - für eine Umstellung einräumen. Seiner Fraktion liege daran, dass der Weltweihnachtszirkus weiterhin in Stuttgart bleibe. Er bittet um Zustimmung zum Antrag.
Im Stuttgarter Modell sehe seine Fraktionsgemeinschaft zwar einen Fortschritt, erklärt StR
Ozasek
(SÖS-LINKE-PluS), doch trage es dem grundgesetzlich fixierten Staatsziel des Tierschutzes nicht in ausreichendem Maße Rechnung. Dieses Staatsziel binde auch die Kommune unmittelbar. Er begründet ebenfalls den gemeinsamen Antrag und ergänzt dabei, dass auch die tiermedizinische Betreuung nicht ausreichend gewährleistet sei. Häufig seien die Tiertrainer nicht entsprechend qualifiziert. In der Folge erlitten viele Wildtiere einen verfrühten Tod. Auch die Bundestierärztekammer unterstreiche, dass eine artgerechte Haltung bestimmter Wildtiere unter diesen Bedingungen nicht möglich sei. Zudem halte seine Fraktionsgemeinschaft die Zurschaustellung von Wildtieren zum Zwecke der Unterhaltung auch für ethisch fragwürdig, da dies die Würde der Wildtiere verletze. Das Tierschutzgesetz in seiner aktuellen Fassung legalisiere diese Praxis.
An StR Rudolf gewandt verneint er, dass Stuttgart mit Annahme des Antrags eine Vorreiterrolle einnehmen würde. Diesen Schritt hätten bereits über 70 Kommunen in Deutschland vollzogen.
Zu dem von EBM Föll dargelegten möglichen Rechtsrisiko unterstreicht er, die Richter des VGH München und des VGH Hessen hätten jeweils in zweiter Instanz die kommunalen Regelungen gebilligt und damit die kommunale Selbstverwaltung gestärkt. Es gebe keine gleichwertigen Gerichtsurteile mit anderer Tendenz. In den Urteilen werde ein weiterer Gestaltungsspielraum bei der Vergabe von Veranstaltungsplätzen und deren Nutzungsbeschränkungen unterstrichen. Auch das Argument, dass die Berufs- und Kunstfreiheit unzulässigerweise eingeschränkt würde, sei vom Gericht verworfen worden. Deshalb gehe seine Fraktionsgemeinschaft davon aus, dass ein kommunales Wildtierverbot jeglichen Klagen standhielte. Der Vertrauensschutz bleibe durch die Anerkennung der bestehenden Verträge ausreichend gewahrt.
Nicht nachvollziehen könne seine Fraktionsgemeinschaft, dass in.Stuttgart sich dafür feiere, den Zirkus Krone für ein Gastspiel geworben zu haben. Dessen Zirkusdirektorin sei bereits mehrfach wegen Verstößen gegen das Tierschutzgesetz rechtskräftig verurteilt worden.
In knapp 20 Staaten in Europa hätten die nationalen Regierungen bereits Wildtierhaltungsverbote erlassen und damit auf den laut Umfragen klaren Wunsch aus der Bevölkerung reagiert. Große Zirkusse wie etwa der Weltweihnachtszirkus könnten ihr Programm problemlos dem der Nachbarländer anpassen.
StR
von Stein
(FW) entnimmt der Antwort der Verwaltung, dass das Wildtierverbot nicht so einfach zu realisieren sei. Sie werde auch gegen ein solches Verbot stimmen, weil Wildtiere für sie zum Zirkus gehörten und sie tiefen Respekt vor der Entwicklung in den Zirkussen habe. Man sollte ihnen die Chance zur weiteren Entwicklung geben. Das Argument, dass Tiere in freier Wildbahn länger lebten als im Zirkus, halte sie für außerordentlich fragwürdig. Zum Thema artgerechte Haltung verweist sie z. B. auf Katzen, die ihr ganzes Leben in einer 1,5-Zimmer-Wohnung fristeten. Sie bezweifle, dass dies artgerecht sei, auch wenn die Tiere domestiziert seien. Gleiches gelte auch für andere Haustiere oder Sportarten wie Springreiten und Dressur. Selbst in der Wilhelma seien ihrer Ansicht nach viele Tiere nicht artgerecht untergebracht. Die Zirkusse seien von diesen Wildtieren abhängig, und dort finde eine Selektion im Hinblick auf das, was die Tiere im Zirkus vorführen sollten, statt. Im Übrigen halte sie es auch nicht für artgerecht, dass Menschen in Hochhäusern lebten. Den Begriff artgerecht müsse man diskutieren. Schließlich merkt sie noch an, dass im Weltweihnachtszirkus die Seelöwen einen "ganz besonders intensiven Beifall" bekommen hätten. Ihre Fraktion werde den Antrag ablehnen.
Auch StR
Klingler
(AfD) erinnert an die ganz andere Situation vor 50 Jahren und begrüßt die Entwicklung. Zum Vergleich mit den zoologischen Gärten merkt er an, darunter gebe es einige, in denen die Tiere unter schlechteren Bedingungen lebten als in Zirkussen. Er betont, dass es inzwischen ja nur noch um den Cannstatter Wasen gehe, auf dem nur Vorzeigebetriebe mit einem "sensationellen Verhältnis" zwischen Trainer und Tier gastierten. Und im Aufsichtsrat der in.Stuttgart sei dargelegt worden, dass der Weltweihnachtszirkus ohne die Wildtiere nicht mehr nach Stuttgart käme und auf umliegende Städte auswiche. Solange es keine Bundesregelung gebe, bewirke ein kommunales Gesetz gar nichts.
StRin
Yüksel
(FDP) ist überzeugt, dass die meisten Menschen inzwischen unter artgerechter Tierhaltung weit mehr verstünden, als im Tierschutzgesetz normiert sei. Auch sie selbst besuche seit Jahren keinen Zirkus mit Wildtiernummern im Programm mehr. Sie sei sich aber nicht sicher, ob man hier emotional entscheiden sollte. Aus juristischer Sicht greife man mit der Zustimmung zum Antrag stark in die von der Verfassung geschützte Berufsausübungsfreiheit der Artisten ein. Diese begingen allein durch das Halten der Tiere im Zirkus noch keinen Rechtsverstoß, solange sie sich an das Tierschutzgesetz hielten. Die Frage sei, ob bei der rechtlichen, jedoch ausdrücklich nicht ethisch-moralischen, Abwägung die Berufsausübungsfreiheit der Artisten nicht doch überwiege und ein solcher Eingriff nicht unverhältnismäßig sei. Hier sei die Bundesregierung gefordert, eine entsprechende Rechtsverordnung vorzulegen. Bis dahin sollte man sich überlegen, ob man den Zirkussen auf kommunaler Ebene nicht langfristig Anreize geben solle, ihre Tiere freiwillig abzuschaffen, z. B. indem man von ihnen weniger oder gar keine Gebühren verlange. Da es in ihrer Gruppierung hierzu unterschiedliche Auffassungen gebe, bitte sie um Entscheidung im Plenum.
EBM
Föll
erklärt, die Entscheidung falle ohnehin im Gemeinderat. Diesem werde eine inhaltlich an der Vorentscheidung im Ausschuss orientierte Beschlussvorlage präsentiert. Man habe ja auch das Stuttgarter Modell 2010 in der Vollversammlung des Gemeinderats beschlossen.
Gegenüber StR
Ozasek,
dem ein Beschluss des Gemeinderats, der die konkludente Widmung ändere, nicht ausreiche, macht EBM
Föll
deutlich, dass eine solche rechtlich völlig gleichbedeutend mit einer Satzung sei. Wolle man eine Satzung, müssten darin alle zulässigen und nicht zulässigen Nutzungen für den Cannstatter Wasen definiert sein. Es erfordere auf jeden Fall mehr Zeit, bis die Fragen des Zulassungsrechts geprüft seien. Auch bei dem 2010 beschlossenen Stuttgarter Modell handle es sich um keine Satzung.
Er bestätigt dem Stadtrat gegenüber, dass solche Beschlüsse durchaus von Gerichten bestätigt worden seien, dass es aber ebenso auch die gegenteilige Rechtsprechung gebe. Deshalb müsse er auf das bestehende Rechtsrisiko hinweisen. Sollte es eine rechtliche Überprüfung geben, werde die Abwägung der sachlichen Gründe, die der Gemeinderat vorgenommen habe, eine Rolle spielen.
Das rechtliche Risiko sei seiner Fraktion bekannt, unterstreicht auch StR
Pfeifer
(SPD). Er plädiert dafür, den Beschlussantrag in der Weise zu ändern, dass die Verwaltung zunächst den Entwurf für eine Widmungsbeschränkung vorlegen solle. Als Übergangsfrist schlage seine Fraktion vor, dass die Regelung ab Ende des 1. Quartals 2019 gelten solle.
Diese Übergangsfrist erscheine seiner Fraktion etwas kurz, wendet StR
Rudolf
ein. In Anbetracht des Risikos würde er es vorziehen, den Stuttgarter Weg so spät wie möglich zu verlassen. Sein Änderungsantrag sehe hierfür etwa 2020/2021 vor.
Seine Fraktionsgemeinschaft hätte sich ein schnelleres Prozedere und eine Änderung des Stadtrechts gewünscht, erklärt StR
Ozasek,
werde nun aber zum Zweck der Mehrheitsfindung den Vorschlag von StR Pfeifer mittragen.
StR
Winter
sieht in der Frist bis 2019 einen tragfähigen Kompromiss. Damit könne der Weltweihnachtszirkus in der laufenden und zwei weiteren vollen Spielzeiten unverändert in Stuttgart gastieren.
EBM
Föll
lässt über den Antrag mit dem Auftrag an die Verwaltung, zeitnah eine Vorlage mit einem Wildtierverbot für Zirkusbetriebe auf allen kommunalen Flächen einschließlich des Cannstatter Wasens - dort mit Wirkung ab dem 01.04.2019, bei den übrigen Flächen unverändert - in den Gemeinderat einzubringen, abstimmen und stellt fest:
Der Ausschuss für Wirtschaft und Wohnen
beschließt
den Antrag mit 9 Ja- und 7 Nein-Stimmen bei 1 Enthaltung mehrheitlich.
EBM Föll kündigt an, die Beschlussvorlage in einer der ersten Gemeinderatssitzungen 2017 vorzulegen.
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