Zum Stichtag 15. 06.2017 wurden im Stadtgebiet Stuttgart insgesamt 304 UMF-Vormundschaften geführt. Zum Stichtag 31.12.2016 waren es insgesamt 413 UMF-Vormundschaften; am 31.12.2015 wurden 331 Vormundschaften geführt. Somit ergibt sich über das Jahr 2016 ein Gesamtzuwachs von 82 UMF-Vormundschaften (ca. +25 %), während die Zahl im ersten Halbjahr 2017 wieder um ca. 25% abgenommen hat (s. Tab.6).1
Tab. 6: Anzahl der laufenden UMF-Vormundschaften zum jeweiligen Jahresende
Die UMF-Vormundschaften werden durch die Amtsvormünder des Jugendamtes, durch den Vormundschaftsverein der Arbeitsgemeinschaft Dritte Welt (AGDW e. V.), durch geeignete private Einzelvormünder (in der Regel Familienangehörige der Minderjährigen) oder durch geschulte ehrenamtliche Einzelvormünder geführt.
In der Regel wird dem Familiengericht vom Jugendamt für jeden betroffenen UMF ein Vormund (Stelle oder konkrete Einzelperson) vorgeschlagen. Dieser Vorschlag erfolgt im Wesentlichen unter dem Aspekt einer bestmöglichen Passung von Mündel und Vormund sowie unter Beachtung der jeweils vorhandenen Kapazitäten. Am 31.12.2016 (s. Abb. 5) wurden im Stadtgebiet Stuttgart 226 UMF im Rahmen der Amtsvormundschaft durch das Jugendamt begleitet. Bei der AGDW e. V. wurden zu diesem Stichtag 105 Vormundschaften geführt. Darüber hinaus waren 61 Privatvormünder und 21 ehrenamtliche Vormünder für UMF aktiv. Abb. 5: Verteilung der laufenden UMF-Vormundschaften im Stadtgebiet
In der Dienststelle Vormundschaften und Pflegschaften des Jugendamtes wurden aufgrund des hohen Anstieges von UMF-Vormundschaften insgesamt 3,88 Stellen neu geschaffen. Durch die Stellenneuschaffung konnte die Anzahl von Vormundschaften pro Mitarbeiter abgesenkt werden, blieb in weiten Teilen des Jahres dennoch über der in § 55 SGB VIII formulierten Soll-Obergrenze von 50 Mündel pro Vollzeitstelle.
Zudem konnte die Expertise zur Führung von UMF-Vormundschaften in der Dienststelle durch eine verbesserte Vernetzung und Kooperation mit Fachstellen und den Sozialen Diensten sowie einer Weiterqualifizierung des Personals, insbesondere im Bereich Ausländerrecht, verbessert werden. Durch diese Maßnahmen konnte letztlich auch die Qualität der vormundschaftlichen Begleitung von UMF durch die Amtsvormünder erhöht werden. Ausbau ehrenamtlicher UMF-Vormundschaften
Gerade im Hinblick auf den Beziehungsaspekt bietet die ehrenamtliche Vormundschaft viel Potential und hat sich auch im UMF-Kontext bewährt.
Im Regelfall führt ein ehrenamtlicher Vormund nur eine Vormundschaft und kann für diese entsprechend mehr Zeit und Flexibilität aufwenden als beispielsweise ein Amtsvormund. Zudem kann der Aspekt der Passung von Mündel und Vormund bei einer ehrenamtlichen Einzelvormundschaft in besonderem Maße Berücksichtigung finden, da der Vormundbestellung im Regelfall eine Kennenlern- und Anbahnungsphase vorgeschaltet werden kann. In dieser Phase können Mündel und Vormund ohne Zeitdruck selbst prüfen, ob eine Passung besteht und dann entscheiden, ob der betreffende Ehrenamtliche mit der Führung der Vormundschaft betraut werden soll. Letztlich kann ein Minderjähriger durch einen ehrenamtlichen Vormund intensiver begleitet werden, als dies im Rahmen einer Berufs- oder Amtsvormundschaft im Regelfall möglich ist. Gerade emotional bedürftige Minderjährige profitieren hiervon in besonderem Maße. Ein weiterer positiver Aspekt ist, dass sich gesellschaftlich engagierte Privatpersonen unmittelbar selbst mit der Lebenssituation von UMF auseinandersetzen, was wiederum zu einem Abbau von Vorurteilen gegenüber geflüchteten Minderjährigen in der Bevölkerung beiträgt. Die für UMF eingesetzten, ehrenamtlichen Vormünder werden sowohl durch die Dienststelle Vormundschaften und Pflegschaften des Jugendamtes als auch durch die AGDW e. V. geschult und im Hinblick auf allgemeine Themen fortlaufend beraten. Im Jugendamt ist mit diesen Aufgaben eine Fachkraft mit 0,5 Stellenanteilen befasst. Darüber hinaus werden die ehrenamtlichen Vormünder bei spezifischen Problem- und Fragestellungen durch die hauptamtlichen Vormünder einzelfallbezogen beraten und unterstützt. Durch diese Verbindung von ehrenamtlichem Engagement, fundierter Qualifizierung und Expertise der hauptamtlichen Vormünder, konnte für die Mündel eine äußerst hochwertige vormundschaftliche Begleitung erreicht werden. Die Zahl der über die Dienststelle Vormundschaften und Pflegschaften oder über die AGDW e. V. aktiv eingesetzten, ehrenamtlichen UMF-Einzelvormünder, konnte im Laufe des Jahres 2016 zudem von fünf (31.01.2016) auf insgesamt 21 (31.12.2016) ausgebaut werden. 7. Fachthemen und Herausforderungen Neben der gesetzlichen Kernaufgabe der Jugendhilfe für UMF, die insbesondere in der Inobhutnahme, Versorgung, Betreuung, Beratung, Situations- und Perspektivklärung sowie ggf. Umverteilung besteht, bedarf es einer Fülle von Anstrengungen und Themenbearbeitungen, um entweder rasche, gelingende Integration und sicheres, altersgerechtes Heranwachsen oder auch eine gut vorbereitete, geordnete Rückkehr ins Ursprungsland zu ermöglichen. Nicht zuletzt geht es auch um die Beachtung einiger Besonderheiten, die diese Zielgruppe mit sich bringt. Im Folgenden werden einige ausgewählte Aspekte dieser Bemühungen dargestellt: Kommunikation und Transparenz Sowohl das Jugendamt als auch die Freien Träger haben in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von Einrichtungen für UMF in unterschiedlichen Stadtteilen in Betrieb genommen oder wieder geschlossen; dies ist auf teilweise großes Interesse und auch Fragen der Öffentlichkeit gestoßen. Um bereits im Vorfeld bestehende Fragen, Ängste und Sorgen der Bevölkerung aufzugreifen, haben die verantwortlichen Leitungskräfte des Jugendamts mehrfach in den Bezirksbeiräten Vaihingen, Feuerbach und Stuttgart-Ost berichtet. In Elternabenden von benachbarten Tageseinrichtungen für Kinder und Schulen wurde informiert und auf Fragen und Sorgen eingegangen. Sowohl in Vaihingen als auch in Stuttgart-Ost wurden die Bezirksbeiräte und die Nachbarschaft in die Einrichtungen eingeladen. Mit jeder Polizeidienststelle im Stadtteil wurden Gespräche geführt und Vereinbarungen zur Zusammenarbeit getroffen. Vor allem in Feuerbach und in Stuttgart-Ost gab und gibt es eine gute und enge Zusammenarbeit mit den Flüchtlingsfreundeskreisen, die sich auch für die UMF engagieren. So konnte es gelingen, dass auch in den Hochzeiten überfüllter Inobhutnahmeeinrichtungen ein geordnetes und friedliches Miteinander möglich war und es bis heute zu keinen besonderen Vorkommnissen kam – im Gegenteil, die anfänglichen Ängste und Sorgen bezüglich der UMF haben sich fast durchgehend verwandelt in viel Verständnis, Hilfe und Unterstützung durch Schulen, Kitas, Vereine, Freundeskreise, Nachbarschaft und Bezirksbeiräte. Vielfalt der Hilfesettings bei allen Trägern Alle Erziehungshilfeträger in Stuttgart (Stiftung Jugendhilfe aktiv, St. Josef, Evangelische Gesellschaft, Caritas und die Abteilung Erziehungshilfen des Jugendamts) haben UMF sowohl in ihre Regeleinrichtungen aufgenommen und integriert als auch eine Vielzahl an neuen Einrichtungen und Plätzen für UMF geschaffen. Auch in diesem Feld bisher nicht tätige Träger, wie der Internationale Bund für Sozialarbeit, die Kolpinghäuser Stuttgart und die Nikolauspflege, haben wohngruppenähnliche Settings in Absprache mit dem Jugendamt neu aufgebaut. Eine besondere Wohngruppe ist in der Trägerschaft der Stiftung Jugendhilfe aktiv in den Räumen des Hans-Rehn-Stifts, einer Altenhilfeeinrichtung des Eigenbetriebs Leben und Wohnen im Alter, entstanden. Die Abteilung Erziehungshilfen konnte über aufwändige Öffentlichkeitsarbeit ca. 20 Privatvermieter gewinnen, die einen UMF aufgenommen haben und betreut ca. 57 UMF in Wohnungen mit einem bis sechs Plätzen im Rahmen des Betreuten Jugendwohnens (BJW) in fast allen Stadtteilen Stuttgarts. Neben diesen klassischen Erziehungshilfesettings werden auch im Rahmen der Erziehungsbeistandschaft UMF in Gemeinschaftsunterkünften für Asylbewerber betreut, die dort bei Bekannten oder Freunden und nicht in einer Jugendhilfeeinrichtung leben wollen. Gast-/Pflegefamilien und Verwandtenpflege Nicht nur für besonders junge, schutzbedürftige UMF, sondern auch für Jugendliche und junge Erwachsene UMF ist es sinnvoll und bedarfsgerecht, dass sie in familiären Settings aufwachsen und integriert werden können. Der Pflegekinderdienst des Jugendamts hat bereits in 2015 mit verstärkter Öffentlichkeitsarbeit, Werbe- und Informationsveranstaltungen versucht, sog. Gastfamilien für UMF zu gewinnen, zu überprüfen und zu schulen. Hierfür wurden Informationsmaterial, Schulungs- und Betreuungskonzepte neu entwickelt. Der Gemeinderat hat dafür in 2016/2017 auch extra Mittel bewilligt. Nach anfänglich großem Interesse Stuttgarter Familien an dieser besonderen Pflegefamilien-Form zeigte sich, dass unrealistische Erwartungen einzelner Familien aufgrund der durch Medien geprägten Bilder hilfsbedürftiger kleiner Kinder aus Kriegsgebieten schwer kompatibel waren mit den Bedarfen von meist männlichen Jugendlichen. Auch wurde das Verfahren zur Überprüfung, Schulung und Vermittlung entsprechend der fachlichen Standards des Pflegekinderdienstes, von denen auch bei der Vermittlung von UMF in Pflegefamilien aus gutem Grund nicht abgewichen wird, nicht den Wünschen einzelner Interessierter entsprechend vereinfacht. Bis heute konnten ca. 25 Pflegefamilien für UMF gewonnen und begleitet werden, einige haben wieder aufgehört, neue Familien werden gewonnen. Laufend betreut der Pflegekinderdienst ca. 17 Pflegeverhältnisse von UMF sowie ca. 40 sogenannte Verwandtschaftspflegeverhältnisse; hierfür wurden befristet bis Ende 2017 drei Stellen geschaffen. Die große Anzahl von ca. 40 laufenden Verwandtenpflegen, die durch den Pflegekinderdienst nach den gleichen fachlichen Standards betreut und begleitet werden wie die Vollzeitpflege, ist auch eine Folge von mehr Flüchtlingsfamilien in Stuttgart, die verwandte UMF bei sich aufnehmen. Hierzu bedarf es i. d. R. keiner besonderen Werbung, sehr wohl aber einer intensiven Betreuung und Beratung, weil diese Familien häufig selbst noch einen hohen Unterstützungs- und Beratungsbedarf haben. Bis auf einzelne Fälle, in denen UMF aufgrund von Krisen und nicht lösbaren Konflikten wieder aus Pflegefamilien heraus genommen werden mussten, haben wir durchweg positive Erfahrungen mit dieser Hilfeform gemacht, zumal sie den jungen Menschen eine besondere Möglichkeit zur raschen Integration und intensiven Unterstützung bietet. Allerdings wurde auch sehr deutlich, dass diese Familien besonders intensiv geschult, beraten und begleitet werden müssen, soll die Hilfe gelingen. Hierzu ist ein Betreuungsschlüssel von max. zehn UMF pro Vollkraft im Pflegekinderdienst notwendig. Unser Ziel ist es, weitere Pflegefamilien zu gewinnen und eine längerfristige gute Begleitung und Betreuung der Pflegeverhältnisse zu gewährleisten. Dazu ist es unerlässlich, die geschaffenen Stellen auch über 2017 hinaus zu erhalten, sonst muss der Pflegekinderdienst diese Arbeit wieder einstellen bzw. kann die Betreuung und Begleitung der Verwandtenpflege nicht mehr gewährleisten. Kinderschutz bei UMA und besondere Hilfebedarfe In der pädagogischen Arbeit mit jungen Flüchtlingen hat man es mit einer besonderen Klientel unter den Adressaten der Jugendhilfe zu tun. Zum einen bringen UMA andere kulturelle und religiöse Hintergründe mit, zum zweiten sind die Krisen- und Kriegserfahrungen im Heimatland oftmals traumatisch für die jungen Menschen. Drittens ist die Flucht selbst mit all den Gefahren und Unsicherheiten, verbunden mit der Trennung von der Familie und ungewisser Perspektive im Aufnahmeland, extrem belastend. Aus diesen abweichenden Voraussetzungen ergeben sich einerseits andere Ressourcen und Kompetenzen, andererseits zum Teil andere Hilfe- und Unterstützungsbedarfe als bei einheimischen Jugendhilfeempfangenden. In Einzelfällen resultieren daraus auch besondere Kindes- bzw. Jugendwohlgefährdungen. Alle UMA bringen besondere Belastungen mit, einige davon behandlungsbedürftige Traumatisierungen. Hierbei ist anzumerken, dass ein Trauma nicht nur in den Bereich von Therapie „überwiesen“ werden kann, sondern den entsprechenden Bedarfen der jungen Flüchtlinge im Alltag vor allem pädagogisch zu begegnen ist. Ob und wann eine therapeutische Aufarbeitung möglich und sinnvoll ist, hängt von vielen Faktoren ab. Zunächst mal sind Stabilisierung, Entlastung und Sicherheit wichtige Aufgaben von pädagogischen Fachkräften und Vormündern. Die kulturell bedingte Sozialisation im Rahmen von anderen Werten und Normen, verbunden mit Gewalterfahrungen aufgrund von Krisen und Kriegen, sind UMA-spezifische Aspekte bei aggressiven und gewalttätigen Verhaltensweisen, die die Jugendhilfe teilweise vor besondere Herausforderungen stellt. Hier müssen die Hintergründe bei der pädagogischen Herangehensweise und den geplanten Hilfesettings mit beachtet werden. In wenigen Einzelfällen kommen auch religiöse Motive hinzu, sodass Experten für Extremismus und Radikalisierung eingeschaltet werden. Recht häufig werden bei stark belasteten UMA selbstgefährdendes Verhalten und Selbstverletzungen beobachtet. Auch hier gilt es bei der Bewertung, den spezifischen Hintergrund zu kennen, sonst kann ein Verhalten aus „westlich“ geprägter Sicht leicht missverstanden werden und darauf folgende Maßnahmen bleiben erfolglos. Ein ständiger Austausch zwischen jungem Flüchtling und Betreuer bzgl. kulturell geprägten Deutungen von Verhaltensweisen und auch den Erwartungen in Deutschland ist unverzichtbar. Bei weiblichen UMA gibt es zum Teil andere spezifische Gefährdungen und Bedarfslagen. Die pädagogische Bewertung einer im Ausland geschlossenen Ehe mit einer minderjährigen UMA macht die Bedarfsfeststellung nicht selten anspruchsvoll und komplex, da es bei Eheschließungen bei weitem nicht immer bzw. nur um Zwang oder Abhängigkeiten, sondern auch um Schutz und Fürsorge gehen kann. Die rechtlichen Unsicherheiten der Anerkennung von Minderjährigen-Ehen kommen noch hinzu. Die anstehenden Gesetzesänderungen sehen Aufhebungen oder gar Aberkennungen von in Ausland geschlossenen Minderjährigen-Ehen vor. Sowohl die rechtlichen als auch die psychosozialen Probleme der beteiligten jungen Menschen, die aus diesen Einschnitten resultieren, müssen fachlich adäquat aufgefangen werden. Massiver sind die Gefährdungslagen bei (Verdacht auf) Menschenhandel und Zwangsprostitution. Hier arbeiten wir mit erfahrenen Beratungs- und Hilfsorganisationen zusammen. Teilweise kommen weibliche UMA schwanger oder bereits mit Kindern nach Stuttgart. Auch hier zeigen sich besondere Hilfe- und Unterstützungsbedarfe. Sprache, Schule, Ausbildung Sprache ist das Tor zur Welt – Sprache ist aber auch der Schlüssel für eine gelingende Integration, für Bildung und Ausbildung. Sprache: Ab dem 2. Tag ihres Aufenthalts in der Inobhutnahme erhalten die UMF ein verbindliches, alltagsorientiertes Sprach-, Beschulungs- oder Alphabetisierungsangebot durch Fachkräfte mit der Lehrqualifikation Deutsch als Zweitsprache. Finanziert wird dieses Projekt durch Spendenmittel der Rotarier Stuttgart und der Louis-Leitz-Stiftung bis Sommer 2018. Danach muss die Finanzierung über Sonderbudgetmittel des Jugendamts erfolgen. Neben dem Erwerb von Sprache oder der Alphabetisierung dient dieses Angebot auch der Alltagsstrukturierung in der ersten Phase der Inobhutnahme und der Wertevermittlung. Im Anschluss oder, bei entsprechender Voraussetzung auch parallel, besuchen die UMF dann die Sprachkurse bei den privaten Anbietern Henke oder Tricos. Schule: Je nach Alter oder Bildungsstand besuchen die UMF entweder eine internationale Vorbereitungsklasse (IVK), ein Vorqualifizierungsjahr Arbeit/Beruf mit oder ohne geringen Deutschkenntnissen (VAB/VAB-O) an den beruflichen Schulen oder eine Regelklasse an Haupt- oder Realschulen, in manchen Fällen auch ein Gymnasium. Da keine gesonderte Statistik über die Art des Schulbesuchs von UMF vorliegt, können dazu keine detaillierten Zahlen geliefert werden. Das Schulverwaltungsamt und das Staatliche Schulamt berichten regelmäßig im Rahmen des Stuttgarter Flüchtlingsberichts über die Anzahl der Flüchtlingskinder (inklusive UMF) in den verschiedenen Schularten sowie über die Anzahl der IVK und VAB/O-Klassen. Ziel für möglichst alle UMF ist das Erreichen eines qualifizierten Schulabschlusses. Ausbildung: Trotz vieler freier Lehr- und Ausbildungsstellen stellt der Übergang von Schule in Ausbildung für viele UMF und ihre Betreuer eine der größten Hürden dar. Dies liegt zum einen an der manchmal in sehr kurzer Zeit nur schwer zu erreichenden Ausbildungsqualifikation, zum anderen aber vor allem an den großen, aufgrund der Genehmigungspraxis der Ausländerbehörde immer höher werdenden Hürden, eine Ausbildungs- und Arbeitserlaubnis zu bekommen. Möglicherweise erfolgt eine Verbesserung durch die Arbeit des Ausbildungscampus sowie durch eine Initiative des Städte- und Landkreistages zur Verstärkung der Integrationsbemühungen in Ausbildung und Beruf nach der Jugendhilfe. Fortbildung und Schulung Für die vielen neuen Mitarbeitenden des Jugendamts in allen Arbeitsfeldern, aber auch bei den freien Trägern besteht zu unterschiedlichen Themen im Zusammenhang mit UMF ein teilweise erheblicher Schulungs- und Fortbildungsbedarf, dem entweder mit internen Ressourcen, mit Projekt- und Spendenmitteln oder durch die Nutzung externer Angebote so gut wie möglich nachgekommen wird. Seit 2012 organisiert das Jugendamt jährlich einen Fachtag UMF für alle Ämter und Institutionen, die in Stuttgart für und mit UMF arbeiten. Zu den Themen Ausländer- und Asylrecht, Umgang mit Eskalationen, Deeskalationsstrategien, Traumatisierung, Umgang mit kultureller Vielfalt, Erkennen von Radikalisierungstendenzen bietet vor allem die Abteilung Erziehungshilfen den Mitarbeitenden immer wieder Schulungen und Fortbildungen an. Zum Thema Sexualpädagogik sowie Umgang mit sexueller Identität und Orientierung gibt es in der Inobhutnahme und den Einrichtungen der Abteilung Erziehungshilfen gruppen- und teambezogene Schulungsangebote. Darüber hinaus gibt es Schulungen im Bereich der Vormundschaft (siehe Kapitel 5), für Dolmetscher, für die Mitglieder der Alterseinschätzungskommission sowie für Pflegeeltern. Einbeziehung sozialer Netzwerke und der Familie im Heimatland Ein besonderes Merkmal in der Arbeit mit UMA ist die Tatsache, dass diese ohne ihre Eltern in Deutschland sind. Das heißt jedoch nicht, dass die Familie keine Rolle bei der Hilfeplanung und der Erarbeitung einer Zukunftsperspektive spielt. Im Gegenteil, die meisten jungen Menschen haben Kontakt zu ihren Familien im Heimatland. Weiterhin gibt es nicht selten Verwandte in Deutschland oder in Drittländern, die bei der Planung der Flucht mitgewirkt haben. Würden diese Einflüsse in der Arbeit hier vor Ort außer Acht gelassen, so ließen sich Widerstände bei der Mitwirkung und abweichendes Verhalten oft nicht erklären oder gar verändern. Dementsprechend wird die Familie im Heimatland indirekt, teilweise auch im direkten Kontakt in die Entwicklung von Hilfeoptionen eingebunden. Hier ist ein sensibles Vorgehen notwendig, da die Jugendlichen oft unter starken Loyalitätskonflikten leiden. Wichtige Informationen, wie z. B. Aufträge der Eltern, werden oft verheimlicht, da sie Erwartungen der Jugendhilfe entgegen stehen. Wenn ein Jugendlicher beispielsweise beauftragt ist, Geld zur Familie zu schicken, hier jedoch ohne Hintergrundwissen der Schulbesuch in den Fokus genommen wird, kann die Hilfe zum Scheitern verurteilt sein. Nur mühevoll erarbeitetes Vertrauen in Menschen und Gesellschaft seitens der jungen Menschen kann den Weg ebnen, diese versteckten Hürden zu überwinden. Weiterhin gilt es, in Deutschland neue, tragfeste soziale Netzwerke zu schaffen und zu erhalten. Auch hier hat die Jugendhilfe eine begleitende und unterstützende Funktion. Paten und Ehrenamt Bereits 2009 hat die Abteilung Erziehungshilfe damit begonnen, einen Pool von Paten und Ehrenamtlichen für UMF aufzubauen. Mittlerweile umfasst dieser Pool ca. 90 Menschen, die eine Patenschaft für einen UMF übernehmen; jeder UMF, der dies möchte, bekommt einen Paten. Alle Paten müssen ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorlegen, werden geschult und beraten und 2-3 Mal pro Jahr zu einem Patentreffen eingeladen. Die Abteilung hat einen Leitfaden für Paten erarbeitet, der neben einer Fülle von Informationen auch Regelungen zur Zusammenarbeit mit den Fachkräften enthält. Die Paten engagieren sich vor allem im Bereich Freizeit, schulische Unterstützung, Behördengänge, geben Einblicke in Familien- und Berufsalltag und können auf besondere Bedarfe ihrer UMF eingehen, die die Möglichkeiten und Ressourcen der Fachkräfte übersteigen. Einige Paten haben die Vormundschaft für ihren UMF übernommen, einige haben ihren UMF als Pflegekind aufgenommen und nicht wenige unterstützen und begleiten die jungen Menschen auch über das Ende der Jugendhilfe hinaus. Besonders im Bereich der Ausbildungsplatzsuche, der Termine im Asylverfahren und der zeitaufwändigen Termine bei der Ausländerbehörde leisten die Paten eine sehr wertvolle Unterstützung und Entlastung der Fachkräfte. Seitens der hauptamtlichen Fachkräfte der Abteilung Erziehungshilfen werden viel Zeit und Energie in eine gute Begleitung und Beratung der Ehrenamtlichen investiert, um deren Ansprüchen gerecht zu werden und Enttäuschungen und Konflikten vorzubeugen. UMF-Gruppe und Projekte Neben den vielen Einzelhilfen kommen der Gruppenarbeit und übergreifenden Projekten in den Bereichen Lernen, Freizeit, Kultur, Sport und Begegnung eine besondere Bedeutung für die gelingende Bildung und Integration von UMF zu. Die UMF-Gruppe, in der sich monatlich und in den Ferien wöchentlich viele UMF zu Freizeit-, Kultur- und Lernaktivitäten treffen, austauschen und beraten werden, hat die Abteilung Erziehungshilfen bereits vor vielen Jahren aufgebaut. Seit Sommer 2016 hat sich diese Gruppenarbeit durch die Eröffnung neuer Gruppenräume in der Rotebühlstr 149 verändert: In dem sogenannten „Haus der Hoffnung“ können die UMF am PC arbeiten, sich treffen und austauschen, werden beraten, können kochen und erhalten an vier Tagen in der Woche Nachhilfe und Unterstützung beim Lernen. Angeboten werden auch feste Sportgruppen, teilweise in Zusammenarbeit mit dem Sportamt der Stadt Stuttgart; neben einer Cricket-Gruppe, die in ganz Baden-Württemberg an Turnieren teilnimmt, sind viele UMF in Stuttgarter Sportvereinen aktiv. Lerncamps in den Schulferien wurden bereits zweimal aus Spendenmitteln für bis zu 20 UMF zur Vorbereitung auf den Schulabschluss organisiert und erfolgreich durchgeführt. Nach einem erfolgreichen Modell aus Berlin können UMF den Wohnungsführerschein erlangen. In sieben Modulen werden sie in den Themen Mietrecht, Umgang mit Nachbarschaft, Pflichten des Mieters sowie Kleinreparaturen geschult, am Ende steht eine Prüfung mit Zertifikat. Auch dieses Projekt wird aus Spendenmitteln finanziert und soll den UMF die Suche nach Wohnraum nach der Jugendhilfe erleichtern und sie zu qualifizierten Mietern machen. Viele UMF sind zudem in Tanz- und Theaterprojekten aktiv, bspw. bei Labyrinth, Junges Ensemble Stuttgart, Lockstoff oder Theater tribühne. Mit den Firmen Daimler, Bosch und Porsche und insbesondere deren Ausbildungsbereichen gibt es enge Kontakte und eine Vielzahlt von gemeinsamen Aktivitäten, bis hin zu Praktikums- und Ausbildungsplätzen. Diese vielen, beispielhaften Aktivitäten und Projekte werden von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Abteilung Erziehungshilfen zusätzlich zu ihrer Alltagsarbeit organisiert und begleitet, inklusive der Erstellung von Projektanträgen, Akquise von Spendenmitteln, Erstellung von Projektberichten und Kontaktpflege zu den Spendern. Aktuelle Fluchtbewegungen Unter anderem im Artikel der Stuttgarter Zeitung vom 11.05.2017 (Europas Versagen in der Flüchtlingskrise) wird zutreffend geschildert, dass die Migrationskrise noch nicht beendet ist. Demnach sind es vor allem Menschen aus Afrika, die vor politischer Verfolgung oder Armut fliehen, aber seit Neuestem auch aus Bangladesch. Nach wie vor kommen tausende Flüchtlinge über das Mittelmeer in Europa an. 84 % aller Migrantinnen und Migranten, die über das Meer Europa erreichen, landen aktuell in Italien. Allein in der ersten Maiwoche waren es fast 4 000. Mehr als 43 000 Menschen sind 2017 bereits über das Mittelmeer nach Italien gekommen, fast 40 % mehr als im selben Zeitraum im vergangenen Jahr. Dabei war 2016 mit 181 436 Ankömmlingen bereits ein Rekordjahr. Gemäß Dublin Abkommen müssen alle Flüchtlinge in dem europäischen Land Asyl beantragen, in dem sie ankamen und registriert wurden. Um dieser Unausgewogenheit innerhalb Europas zu begegnen, wurde ein Programm geschaffen, nach dem 160 000 Menschen bis September 2017 aus den Aufnahmeländern Griechenland, Italien und der Türkei in andere EU-Staaten umgesiedelt werden sollen, davon allein 40 000 aus Italien. Bis Anfang Mai wurden jedoch gerade einmal rund 5 400 Asylbewerberinnen und -bewerber aus Italien in ein anderes EU-Land umgesiedelt. 1 814 davon kamen nach Deutschland. Weltweit sind nach wie vor viele Millionen Menschen auf der Flucht. Die Aufnahmekapazität der aufnehmenden Länder hat ihre Grenzen. Es ist anzunehmen, dass früher oder später Deutschland wieder stärker involviert ist bei der Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen. 8. Fazit und Ausblick Die Bewältigung sämtlicher Aufgaben im Zusammenhang mit den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen war und ist für die Jugendhilfe eine enorme Herausforderung, die auch in Stuttgart gut und mit viel Engagement geleistet wurde und weiterhin geleistet wird. Dazu haben sowohl die Institutionen und Fachkräfte der Jugendhilfe, als auch die Politik und die vorbildliche Stuttgarter Stadtgesellschaft viel beigetragen. Schon immer musste die Jugendhilfe in ihrer rechtlichen und fachlichen Zuständigkeit für die UMF einen Spagat leisten zwischen jugendhilferechtlichen Standards und der Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention auf der einen Seite und den Asyl- und Ausländerrechtlichen Bestimmungen sowie der asylpolitischen Stimmung auf der anderen Seite. Seit 2016 ist eine Veränderung in der Haltung gegenüber UMF spürbar, die sich massiv auf die Arbeit der Fachkräfte und die Erfolgschancen der jungen Geflüchteten auswirkt. Abschiebeandrohungen, Ausreiseaufforderungen, Verdacht von Kriminalisierung und Radikalisierung, Verweigerung von Ausbildungserlaubnissen und gesicherter Aufenthaltsperspektive sowie die Debatte um Standards und Kosten für die Versorgung, Betreuung und Integration der UMF wirken sich entmutigend und demotivierend sowohl auf die jungen Menschen als auch auf die Fachkräfte und ehrenamtlich Engagierten aus. Wer keine oder nur eine unsichere Perspektive hat, dem fehlt das Ziel, für das sich lohnt, viel Kraft und Mühe in Spracherwerb, Kulturanpassung, Schulabschluss, Ausbildung und Integration aufzuwenden. Aufgrund der ungesicherten Perspektive ergibt sich eine weitere Aufgabe für die Jugendhilfe. Den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen Entwicklungs- und Lernchancen zu bieten, die ihnen auch bei einer Zukunft in ihrem Herkunftsland Perspektiven bieten. Es bedarf deutlicher Signale von Bund, Ländern und Kommunen, dass die Integration und der längerfristige Verbleib von UMF in Deutschland gewollt und gefördert wird, damit die längerfristige Integration der vielen UMF gelingen kann. Die Jugendhilfe baucht weiterhin die Rückendeckung und eine eindeutige gesetzliche Grundlage, um ihrem Auftrag zur Unterbringung, Versorgung, Betreuung und Integration der UMF nachkommen zu können. Die Gesellschaft insgesamt und damit auch die Stadt Stuttgart steht vor der zweiten Phase (ohne die erste Phase aus dem Blick zu verlieren) der Herausforderung der Gestaltung des Übergangs für junge Geflüchtete nach der Jugendhilfe in eigenständiges Wohnen, Ausbildung, Arbeit und Integration in das Gemeinwesen. zum Seitenanfang