Landeshauptstadt Stuttgart
Referat Jugend und Bildung
Gz: JB
GRDrs 302/2017
Stuttgart,
06/27/2017


Bericht über die Arbeit mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (UMF)



Mitteilungsvorlage


Vorlage anzurSitzungsartSitzungstermin
Jugendhilfeausschuss
Internationaler Ausschuss
Sozial- und Gesundheitsausschuss
Kenntnisnahme
Kenntnisnahme
Kenntnisnahme
öffentlich
öffentlich
öffentlich
24.07.2017
19.07.2017
24.07.2017

Kurzfassung des Berichts:
Ausführlicher Bericht siehe Anlage 1

Mit der Gemeinderatsdrucksache 670/2014 wurde dem Gemeinderat letztmalig ausführlich über die Arbeit des Jugendamtes im Zusammenhang mit den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen berichtet. Seitdem erfolgten mehrfach mündliche Berichte zu ausgewählten Fragestellungen in den Sitzungen des Jugendhilfeausschusses. Im Zusammenhang mit der Beratung des 36. Stuttgarter Flüchtlingsberichts (GRDrs. 621/2016) im Jugendhilfeausschuss am 05.12.2016 wurde das Jugendamt aufgefordert, ausführlich über die Entwicklungen und die Aufgaben im Bereich UMF zu berichten. Dieser Aufforderung kommen wir mit der vorliegenden GRDrs. 302/2017 gerne nach.

Vor dem Hintergrund der über die Jahre bis einschließlich 2015 sehr stark gestiegenen Flüchtlingszahlen und seit 2016 wieder sinkender Zugangszahlen, auch im Bereich der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, muss das Jugendamt und die Jugendhilfe insgesamt mit einer sehr starken, unkalkulierbaren Dynamik in diesem Arbeitsfeld umgehen. Bis Anfang 2016 bestand die Herausforderung aller beteiligten Systeme darin, mit genügend Personal, Räumen und abgestimmten Arbeitsstrukturen dem gesetzlichen Auftrag zur Inobhutnahme, Versorgung, Betreuung und Verteilung der UMF bei steigenden Zahlen gerecht zu werden. Seit Mitte 2016 besteht die Herausforderung nun darin, die teilweise spät und verzögert zur Verfügung stehenden personellen und räumlichen Ressourcen sukzessive wieder abzubauen und dem aktuell sinkenden Bedarf anzupassen. Da die Anzahl der in Deutschland Zuflucht suchenden jungen Menschen nicht sicher einzuschätzen ist, liegt die Schwierigkeit vor allem darin, für einen unkalkulierbaren Bedarf zu planen, da es im Bereich UMF keine Zuweisungen gibt, vielmehr alle UMF, die in Stuttgart ankommen, zunächst in Obhut genommen werden und entsprechend der gesetzlichen Reglungen versorgt werden müssen.

Über die Entwicklungen und künftigen Bedarfe im Bereich Personal/Stellen, Platzzahlen, Kosten etc. wird die Verwaltung eine gesonderte Beschlussvorlage im Rahmen der Haushaltsplanberatungen vorlegen.

In dieser Mitteilungsvorlage wird versucht, die Entwicklung für alle Themenfelder im Zusammenhang der gesetzlichen und jugendhilferechtlichen Aufgabenstellung UMF darzustellen. Wesentliche Punkte sind dabei vor allem:

Mit dem folgenden ausführlichen Bericht wird dargestellt, wie das Jugendamt gemeinsam mit den Jugendhilfeträgern, auch vor dem Hintergrund langjähriger Erfahrung und unkalkulierbarer Dynamik, seiner gesetzlichen Aufgabe in der Arbeit mit und für UMF organisatorisch und fachlich nachkommt.


Beteiligte Stellen

- - -


Vorliegende Anträge/Anfragen

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Isabel Fezer
Bürgermeisterin





Anlage 1: Ausführlicher Bericht

Ausführlicher Bericht

1. Einleitung
Zunächst eine Vorbemerkung zu der unterschiedlichen Bezeichnung der Zielgruppe, über die hier berichtet wird: Bis zum 31.10.2015 wurde bundesweit die in Fachwelt, Politik und Öffentlichkeit etablierte und akzeptierte Bezeichnung „unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF)“ verwendet. Mit dem „Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher“ hat die Bundesregierung die Bezeichnung „unbegleitete minderjährige Ausländer (UMA)“ eingeführt. In diesem Bericht werden beide Bezeichnungen (UMF und UMA) gleichberechtigt nebeneinander verwendet.
Umfang und Themenvielfalt dieser Mitteilungsvorlage spiegeln die differenzierten Aufgaben in der Arbeit und Zuständigkeit der Jugendhilfe mit und für UMF und sind dem Anspruch geschuldet, den Gemeinderat ausführlich und umfassend über die Entwicklung im Zusammenhang mit den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen zu informieren.

2. Gesamtzahlenentwicklung
Neuaufnahmen 2016
Im Gegensatz zum Jahr 2015 war, wie in Tabelle 1 dargestellt, die Anzahl der im Jahr 2016 neu aufgenommenen UMA mit einem Durchschnitt von 38,7 Aufnahmen pro Monat (s. Abb. 1) vergleichsweise moderat. Die Zahl der Gesamtaufnahmen lag mit 464 der sich als minderjährig Meldenden bei knapp der Hälfte der Aufnahmen des Jahres 2015. Durch die Alterseinschätzungen und Umverteilungen, aber auch aufgrund von Entweichungen und Rückführungen zu anderen Jugendämtern, lag der Anteil der schließlich längerfristig in Stuttgart zu betreuenden als minderjährig Geschätzten mit 167 UMA bei gut einem Drittel der ursprünglich aufgenommenen jungen Menschen.
In diesem Jahr ist die Zahl der Neuaufnahmen von UMA weiter gefallen. Hier liegt die Spanne der Aufnahmen von Januar bis Mai 2017 bei 13 bis 24 Aufnahmen pro Monat.

Die folgenden beiden Darstellungen zeigen das Verhältnis von aufgenommenen und in Stuttgart verbleibenden UMA.

Tab. 1: UMA Neuaufnahmen in Stuttgart 2015 – Mai 2017



* 2015 wurden Rückführungen zu anderen Jugendämtern noch nicht separat ermittelt



Von den 464 Gesamtaufnahmen im Jahr 2016 wurden 78 UMA in Gemeinschaftsunterkünften in Obhut genommen, hauptsächlich in der ersten Jahreshälfte. Diese wurden in einer der Landeserstaufnahmestellen mit Verwandten aufgenommen und dann gemeinsam nach Stuttgart umverteilt. Im Jahr 2015 waren dies 55 UMA. 2017 wurden bisher keine weiteren UMA in Gemeinschaftsunterkünften in Obhut genommen.

Herkunftsländer
Afghanistan und Syrien waren 2016 die Haupt-Herkunftsländer der UMA. Jedoch veränderte sich im Laufe des Jahres 2016 das Fluchtverhalten, hauptsächlich durch Schließung der Grenzen. Nachdem die sogenannte Balkan-Route für Flüchtlinge nicht mehr passierbar war, gewann die Mittelmeer-Route wieder an Bedeutung. Hierdurch erreichten nicht nur eine geringere Anzahl Flüchtlinge, sondern auch teilweise Menschen anderer Nationalitäten, vor allem aus Somalia, Gambia und Eritrea, Deutschland.



*Die Zahlen beziehen sich auf die Gesamtaufnahmen von 464 UMA.


Auch in diesem Jahr (Januar bis Mai 2017) ist Afghanistan mit fast 17 % der Aufnahmen das Haupt-Herkunftsland der UMA. Aufnahmen aus Syrien spielen dagegen in diesem Jahr mit 4,2 % eine eher untergeordnete Rolle. Dafür manifestiert sich ein hoher Anteil afrikanischer Länder, insgesamt 55 %, wovon West- und Nordafrika den größten Teil ausmachen.

Altersstruktur der UMA Neuaufnahmen
Wie bereits in den Vorjahren, wurden auch im Jahr 2016 überwiegend 16- und 17-jährige UMA vorläufig in Obhut genommen, insgesamt 53 % (25 % und 28 %). Der Anteil der 15-jährigen UMA lag mit 37 Aufnahmen bei 8 %. Zwischen 12 und 14 Jahre alt waren insgesamt 10 % der UMA. Der Anteil der jüngeren UMA hat zugenommen, was zum Teil daran liegt, dass seit 2015 auch UMA mit Verwandten in Gemeinschaftsunterkünften aufgenommen werden.
Als volljährig eingeschätzt wurden mit der Alterseinschätzung 24 % aller zunächst als minderjährig aufgenommenen UMA. Diese jungen Menschen wurden nach der Alterseinschätzung an die Landeserstaufnahmestelle in Karlsruhe weitergeleitet.

Geschlecht
Wie in Abbildung 3 dargestellt wurden im vergangenen Jahr 55 weibliche UMA neu aufgenommen. Damit war der Anteil mit 12 % an den Gesamtaufnahmen so hoch wie noch nie zuvor. In diesem Jahr (Januar bis Mai 2017) ist der Anteil mit 3 % wieder niedriger und auf dem Niveau der Vorjahre.


* Für 2017 wurden Januar bis Mai ausgewertet

Gesamtversorgung von UMA in Stuttgart
Trotz der geringeren Neuaufnahmen in diesem Jahr ist die Anzahl der jugendhilferechtlichen Zuständigkeiten für UMA auch zur Mitte 2017 hoch. Zum Stichtag 31.05.2017 waren 472 junge Flüchtlinge in Jugendhilfemaßnahmen des Jugendamtes Stuttgart integriert (s. auch Tabelle 2).
Wie in Abbildung 4 ersichtlich, bewirken rückläufige Neuaufnahmen erst mit Verzögerung und recht abgeflacht rückläufige Jugendhilfemaßnahmen.
UMA verbleiben erwartungsgemäß lange in der Jugendhilfe, sehr häufig über das 18. Lebensjahr hinaus.
Von den 472 aktuell in Stuttgart versorgten UMA befinden sich 60 UMA in Gemeinschaftsunterkünften. Die zunächst in den Gemeinschaftsunterkünften in Obhut genommenen UMA erhalten im Anschluss an die Abklärungsphase bedarfsgerechte, i. d. R. ambulante Hilfemaßnahmen vor Ort.



* Die jugendhilferechtlichen Zuständigkeiten errechnen sich aus den Zahlen des jeweils letzen Werktages eines Monats. Die Datenauswertung erfolgt für die werktägliche Meldung an das Bundesverwaltungsamt.

Tab. 2: Gesamtversorgung im Bund, Land und Stadt
Stichtag
Deutschland
Gesamt
Baden-Württemberg
Gesamt
Stuttgart
Gesamt
30.04.2017
60.282
7.856
492*
30.12.2016
64.066
8.264
548*
* inkl. Hilfen für junge Volljährige, ehemalige UMA

Stuttgart erfüllt seine Aufnahmequote seit Beginn der Berechnung immer über 100 % hinaus. Zum Stichtag 30.04.2017 lag die Quotenerfüllung bei 109 %. Das Jugendamt Stuttgart verteilt also weiterhin UMA in andere Landkreise und Bundesländer um, wenn keine Verteilhindernisse vorliegen.
Tabelle 3 veranschaulicht die grobe Ausdifferenzierung nach Jugendhilfemaßnahmen zum jeweiligen Stichtag:

Tab. 3: Jugendhilfemaßnahmen für UMA in Stuttgart
Stichtag
Stuttgart Gesamt *
Minderjährige in Stuttgart
Vorläufige Inobhutnahme
Inobhutnahme
HzE
Hilfe für junge Volljährige
(§ 42 a SGB VIII)
(§ 42 SGB VIII)
(§ 27 ff. SGB VII)
(§ 41 SGB VIII)
30.04.2017
492
317
25
123
142
175
31.12.2016
548
417
45
181
182
131
* inkl. Hilfen für junge Volljährige

Hilfen zur Erziehung
Im Jahr 2016 wurden, wie in Tabelle 4 gezeigt, 276 neue, davon 257 stationäre Hilfen zur Erziehung für UMA, begonnen. In Gastfamilien wurden neun UMA vermittelt und 26 Pflegeverhältnisse bei Verwandten bewilligt. Von den stationären Hilfen wurden 52 neue Hilfen als Betreutes Jugendwohnen (BJW) installiert. Die restlichen stationären Hilfen werden in Wohn- und Verselbständigungsgruppen, teilweise in reinen UMA-Gruppen durchgeführt. In Jugendwohnheimen wurden im vergangenen Jahr vier neue UMA nach § 13 SGB VIII (Sozialpädagogisch begleitete Wohnform zur beruflichen Eingliederung) untergebracht.
Die ambulanten Hilfen werden hauptsächlich in Gemeinschaftsunterkünften gewährt.

Tab. 4: Statistik Hilfen zur Erziehung
MaßnahmeBestand 01.01.2016Begonnene Hilfen 2016Beendete Hilfen 2016Bestand 31.12.2016
ambulant
9
19
8
20
stationär
196
257
167
286
gesamt
205
276
175
306
3. Dienststelle Sozialdienst UMF

Aufgaben
Mit dem Sozialdienst für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, der im Mai 2015 seine Arbeit aufnahm, wurde der Herausforderung steigender Aufnahmezahlen und der komplexen Rechtsmaterie begegnet. Durch die Herauslösung dieser Klientengruppe aus der Bearbeitung der Beratungszentren wurde eine einheitliche und rechtskonforme Bearbeitung der sich ständig ändernden und komplexen Rechtslage in der wirtschaftlichen Jugendhilfe sowie die Wahrung von Fristen für die Geltendmachung von Kosten durch eine zeitnahe Bearbeitung ermöglicht. Weiterhin wurden Abläufe optimiert und das Verfahren im Zuge des Auf- und Ausbaus spezifischer Fachkenntnisse und effektiverer Kooperationen weiterentwickelt.

Der Sozialdienst UMF ist für folgende Aufgaben zuständig:

• Alterseinschätzung
• Umverteilung gemäß § 42 a/b SGB VIII
• Sozialpädagogische Begleitung und Bedarfsfeststellung
• Rechtliche Vertretung der UMA bis zur Bestellung eines Vormundes gemäß § 42a Abs. 3 SGB VIII
• Erste Abklärung von Aufenthaltsperspektiven
• Sicherstellung des individuellen Unterstützungsbedarfs im schulischen, pädagogischen und therapeutischen Bereich
• Mitwirkung im familiengerichtlichen Verfahren nach § 50 SGB VIII
• Kinderschutz
• Erschließung geeigneter und notwendiger Anschlusshilfen
• Wirtschaftliche Jugendhilfe (WJH).

Das Tätigkeitsfeld umfasst die für die jungen Flüchtlinge sensible und wegweisende Abklärungsphase nach der Ankunft in Stuttgart bis zur Installierung einer Anschlusshilfe nach der Inobhutnahme. Danach übernimmt das zuständige Beratungszentren Jugend und Familie in dessen Zuständigkeitsbereich die Wohngruppe, das Betreute Jugendwohnen oder die Gemeinschaftsunterkunft liegt.

Die Wirtschaftliche Jugendhilfe (WJH) bearbeitet die Fälle bis zur Beendigung der Hilfemaßnahmen, gibt sie also nicht an die Beratungszentren ab. Dementsprechend ist das Fallvolumen hier deutlich höher.

Mit der Neuschaffung einer halben Stelle für die Koordination der Alterseinschätzung zu Beginn 2016 wurde der reibungslose Ablauf der Alterseinschätzungen gewährleistet und sukzessive die Organisation und auch die Qualität der Alterseinschätzungen weiterentwickelt. Für die Durchführung der Alterseinschätzung steht ein Pool von Honorarkräften zur Verfügung. Eine Kommission wird jeweils aus drei Fachkräften gebildet, die ein einstündiges Interview führen und anschließend zu einer gemeinsamen Einschätzung kommen. Die Ergebnisse unserer Alterskommission werden inzwischen von allen Behörden in Stuttgart anerkannt und übernommen.

Verfahren nach Aufnahme in Stuttgart
Durch das im November 2015 in Kraft getretene Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher („Umverteilungsgesetz“) musste die Bearbeitung der Jugendämter angepasst und entsprechend den Vorgaben neue Verfahren entwickelt werden. Die UMF, nun im Gesetzestext UMA (Unbegleitete minderjährige Ausländer) genannt, werden seitdem zunächst „vorläufig“ in Obhut genommen gemäß dem neuen § 42a SGB VIII. Nach spätestens sieben Werktagen muss für jeden UMA nach festgelegten Kriterien die fachliche Einschätzung abgegeben werden, wer umverteilt werden kann und wer in Stuttgart verbleibt. Dann erfolgt die Umverteilung, die nach einer extra für UMA entwickelten bundesweiten Quotenberechnung durchgeführt wird.
In Stuttgart können die engen zeitlichen Fristen durch ein optimal vernetztes Arbeiten der involvierten Stellen gut eingehalten werden. Dazu gehören in dieser Phase der Jugendschutz, der KVJS, die Ausländerbehörde und der Sozialdienst UMF (hier die Koordination Alterseinschätzung, die Sozialpädagogen für das Clearing und das Sekretariat als Dreh- und Angelpunkt für den Informationsfluss bzgl. der Umverteilung).

Bereits wenige Tage nach der vorläufigen Inobhutnahme findet die nun auch gesetzlich in § 42f SGB VIII vorgeschriebene Alterseinschätzung statt. Direkt im Anschluss daran wird mit den minderjährig eingeschätzten UMA ein Clearing-Gespräch zur Feststellung der Umverteilungsfähigkeit geführt und es erfolgt ggf. die Anmeldung zur Umverteilung. Die Umverteilung des minderjährigen Flüchtlings ist gemäß § 42b SGB VIII ausgeschlossen, wenn
Im Jahr 2016 wurden 74 UMA umverteilt. Bei 167 UMA lagen Verteilhindernisse vor. 78 davon konnten nicht umverteilt werden, weil sie bereits aus einer LEA mit Verwandten nach Stuttgart umverteilt wurden. 31 junge Flüchtlinge konnten aus medizinischen Gründen nicht umverteilt werden und gut 1/5 der in Stuttgart verbliebenen UMA (36) hatten Verwandte in Stuttgart. Das Kindeswohl spielte in 11,4 % (19 UMA) eine Rolle beim Verbleib in Stuttgart (siehe Fachthemen und Herausforderungen).
Bezüglich der medizinischen Gründe waren sich hauptsächlich die Zeitspannen für Laboruntersuchungen und Fristen für die Abklärung der Umverteilungsfähigkeit in die Quere gekommen. Nach Verhandlungen mit dem Gesundheitsamt konnten jedoch dort die Abläufe optimiert werden, sodass anstehende Nachuntersuchungen schneller durchgeführt wurden und dadurch seltener zu Verteilausschlüssen führten.

Fachliche Entwicklung und UMF-Rat
Ein zentrales Qualitätsmerkmal der fachlichen Arbeit mit UMA stellt der 2015 gegründete UMF-Rat, ein Gremium ähnlich des Stadtteil-Teams (Fallbesprechung-Gremium, zusammengesetzt aus Fachkräften des Beratungszentrums und des entsprechenden sozialräumlichen Trägers), dar.
Der UMF-Rat tagt alle zwei Wochen und setzt sich zusammen aus Mitarbeitern des Sozialdienstes UMF, des Jugendschutzes und der HzE-Träger. Im UMF-Rat werden, wie in den Stadtteil-Teams, Fallbesprechungen nach dem Standard der HzE-Rahmenverein-barung durchgeführt. Darüber hinaus werden regelmäßig auch Themen aus dem pädagogischen Alltag mit UMA fallunspezifisch bearbeitet, wie z. B. Umgang mit straffälligen UMA, therapeutische Bedarfe und Angebote, Hilfebedarfe für junge Volljährige, schulische Angebote für UMA, Radikalisierung, Ausländerrecht, teilweise werden externe Referenten dazu eingeladen.

Der Sozialdienst UMF beschäftigte sich auch intensiv mit UMA-spezifischen Phänomenen des Kinderschutzes, wie Zwangsprostitution, Zwangsehen und Menschenhandel bei weiblichen UMA, Traumatisierungen und Extremismus bei UMA. Durch die Zunahme weiblicher UMA veränderten sich auch Hilfebedarfe, wie z. B. bei minderjährigen Müttern und schwangeren UMA.

Eine besondere Aufgabe der WJH im Rahmen der UMA-Bearbeitung stellt die Kostenerstattung der Jugendhilfekosten durch den überörtlichen Träger dar. Dies erfordert einen umfangreichen Verwaltungsaufwand, der im Zusammenhang mit der Einhaltung der gesetzlichen Fristen eine besondere Herausforderung für die WJH-Mitarbeiter bedeutet.



Personalentwicklung Sozialdienst UMF
Der Sozialdienst UMF wurde, wie in Tabelle 5 aufgeführt, zu Beginn 2016 entsprechend der Stellenschaffungen im Herbst 2015 personell stark erweitert.
In diesem Jahr wird bereits wieder Personalabbau entsprechend den Erfordernissen geplant und teilweise schon durchgeführt. So werden 2017 bereits eine Stelle bei der WJH reduziert und 2,7 Stellen bei Sozialpädagogen nicht nachbesetzt (Stand 01.06.2017).

Tab. 5: Personalentwicklung Sozialdienst UMF
Bereich
2015
2016
Sozialpädagogen
270 %
550 %
WJH
200 %
600 %
Sekretariat
0 %
100 %
Koordination Alterseinschätzung
0 %
50 %
Leitung
30 %
100 %
Gesamt
500 %
1400 %
4. Beratungszentren Jugend und Familie

Nach der Vermittlung in eine HzE-Einrichtung übernimmt die zuständige Fachkraft eines Beratungszentrums die Zuständigkeit für den UMA. Wie bei allen HzE werden im Hilfeplan (Kontrakt) die nächsten Ziele der Hilfe vereinbart. Die Hilfeplanung begleitet den jungen Menschen bis zum Ende der HzE und bereitet gegebenenfalls Anschlussperspektiven vor. Diese Hilfeplanung wird zwischen UMA, Fachkraft des HzE-Trägers, Vormund und Fachkraft des Beratungszentrums vereinbart. Der gezielte Einsatz von Dolmetschern bei Gesprächen von weitreichender Bedeutung ist fachlicher Standard.

Ambulante und stationäre Hilfen
Zum Stichtag 31.12.2016 waren von den Beratungszentren 20 ambulante Hilfen zur Erziehung für UMA eingesetzt gewesen. Der junge Mensch erhält zur Bewältigung von Alltagsproblemen und bei der Suche nach Lösungen bei Konflikten und Krisen eine intensive Unterstützung. Meist wohnen die UMA in Gemeinschaftsunterkünften mit Verwandten zusammen, mit denen sie den Weg vom Herkunftsland nach Deutschland gemeinsam zurückgelegt haben. Sie haben sich bewusst dafür entschieden in der Unterkunft zu bleiben, weil sie sich nicht von diesen nahestehenden Verwandten trennen wollen und haben das Angebot des Jugendamtes, in eine Notaufnahmeeinrichtung bzw. HzE-Einrichtung zu ziehen, abgelehnt.

Der Schwerpunkt der von den Beratungszentren begleiteten Hilfen für UMA liegt jedoch eindeutig im stationären Bereich mit 286 Unterbringungen in Wohngruppen und Betreutem Jugendwohnen. Diese Hilfen sind wesentlich intensiver und haben weitergehende Ziele, als sie im ambulanten Bereich vorkommen. Das übliche Hilfeplanungsverfahren im Bereich der Hilfen zur Erziehung, mit mehreren Hilfeplangesprächen jährlich, findet auch hier Anwendung. Die Betreuungsintensität der Begleitung durch die Beratungszentren hängt vom jeweiligen UMA ab. Wichtige Themen in der Hilfeplanung sind der Spracherwerb, die schulische Situation und die Ausbildungs- und Arbeitsperspektive. Dies sind wesentliche Bestandteile für deren Integration in Stuttgart. Hierzu ist die enge Zusammenarbeit aller Beteiligten, UMA, Fachkraft des Beratungszentrums, Fachkraft der HzE-Einrichtung, Vormund, bürgerschaftlich Engagierte, Schule, Job-Center und Einrichtungen der Jugendhilfe in den Stadtteilen, wie Jugendhäuser u. v. a. m. ein wesentlicher Gelingensfaktor, der zur Integration des jungen Menschen im Sozialraum beiträgt. Für deren fallbezogene Vernetzung sind ebenfalls die Fachkräfte der Beratungszentren zuständig.

Die Beratungszentren haben für diesen Aufgaben- und Fallzuwachs bisher keine Personalaufstockung erhalten, die jedoch dringend notwendig ist, um diese Pflichtaufgabe vollumfänglich über einen längeren Zeitraum erfüllen zu können.


5. Entwicklung im Notaufnahmebereich Abteilung Erziehungshilfen

Für die Abteilung Erziehungshilfen des Jugendamts war es vor allem in 2015 und 2016 eine besondere Herausforderung, alle UMF, die in Stuttgart angekommen sind oder aufgegriffen wurden, nach den jugendhilferechtlichen Standards in betriebserlaubten Einrichtungen in Obhut zu nehmen; dies ist nicht durchweg gelungen. Neben den regulären Inobhutnahmeeinrichtungen mit betriebserlaubten Plätzen in der Kernerstr., der Kupferstr. und Möhringer Landstr. in Vaihingen und seit Herbst 2016 dem Systembau Am Klingenbach in Stuttgart-Ost, wurden eine ganze Reihe von Not- und Interimsquartieren für unterschiedliche lange Zeiträume in Betrieb genommen: Der ehemalige Schülerhort Robert-Koch-Str. in Stuttgart-Vaihingen, eine Etage in der Kita Vaihinger Landstr. in Möhringen, Räume im Jugendhaus Makrele in Freiberg, ein Kontingent von 20 Plätzen in der Jugendherberge International in der Haussmannstr. für vier Monate, bis zu 20 Plätze in einem Gebäude des Sozialamts in der Landhausstr. sowie mehrere Etagen in einem Gebäude des Leitz-Areals in Feuerbach wurden als Inobhutnahmeeinrichtungen teilweise gleichzeitig, teilweise hintereinander betrieben. Dabei wurden phasenweise bis zu 300 UMF gleichzeitig in der Inobhutnahme versorgt. Die notwendige Ausstattung mit pädagogischem und hauswirtschaftlichem Fachpersonal konnte sukzessive erfolgen, in den Übergangsphasen musste sich mit Fachkräften auf Honorarbasis beholfen werden. Parallel zu dieser Herausforderung des schnellen Auf- und Ausbaus lief die Neustrukturierung des Inobhutnahmebereichs nach den seit 01.11.2015 geltenden gesetzlichen Unterscheidung in eine sogenannte vorläufige Inobhutnahme für alle UMF und eine Anschluss-Inobhutnahme für alle UMF, die in Stuttgart verbleiben und nicht umverteilt werden.
Ab Oktober 2016 gab es 115 betriebserlaubte Inobhutnahmeplätze mit dem entsprechenden Fachpersonal in fünf Inobhutnahmeeinrichtungen. Aufgrund der sinkenden Zugangszahlen wurde aber bereits zum Jahresende mit der Schließung von Standorten, dem Abbau von Personal (Fluktuation, Umsetzungen, keine Wiederbesetzung freier Stellen) und Überlegungen zu einer erneuten Umstrukturierung des Notaufnahmebereichs begonnen: Um das System in Bezug auf Platzzahlen und Personaleinsatz möglichst flexibel und bedarfsgerecht steuern zu können, wurde zu einem Inobhutnahmesystem, das nur noch zwischen der Inobhutnahme Stuttgarter Kinder und Jugendlicher und der Inobhutnahme von UMF unterscheidet, zurückgekehrt. Die Struktur von drei Sachgebieten mit Leitungen und Sekretariat für Stuttgarter Inobhutnahme, Inobhutnahme UMF sowie für Anschlusshilfen UMF und damit die Bündelung der Aufgabe UMF innerhalb der Abteilung Erziehungshilfen unter der Regie der Bereichsleitung Notaufnahme soll dauerhaft implementiert werden.


Die Entwicklung der letzten Jahre zeigt dreierlei:
1. Dynamik der Entwicklung im Bereich der UMF und damit verbunden die Schwierigkeit, dauerhafte, verlässliche Strukturen aufzubauen: Deshalb ist jede Aussage über Platz- und Einrichtungszahl und damit verbundenes Personal immer nur eine Momentaufnahme.
2. Druck der Wirtschaftlichkeit und Maßgabe, verantwortlich mit Ressourcen und Synergieeffekten umzugehen: Das Jugendamt reagiert so rasch wie möglich auf steigende oder sinkende Zugangszahlen von UMF. Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort ist dabei oft schwer hinnehmbar und verstehbar, dass der Aus- und Aufbau von notwendigen Ressourcen sehr viel länger dauert, als der Abbau erfolgen muss.
3. Enorme Herausforderung und partielle Überlastung, die die gesetzeskonforme, fachlich fundierte Arbeit mit und für UMF neben allen anderen Aufgaben der Jugendhilfe bedeutet: Es ist dem Jugendamt, auch in der Zusammenarbeit mit den freien Trägern der Jugendhilfe sowie vielen engagierten Institutionen und Ehrenamtlichen in Stuttgart gelungen, sich engagiert und motiviert um diese besondere Zielgruppe junger Menschen zu kümmern. Damit das so bleibt, muss es oberstes Ziel der Verantwortlichen in Verwaltung und Politik sein, Ruhe, Verlässlichkeit und längerfristige Perspektive in dieses Aufgabengebiet zu bekommen.
6. Vormundschaft für UMF

Durch den Vormund Um eine flüssige Lesbarkeit des Textes zu gewährleisten, wird nachfolgend stets das Maskulinum
verwendet. Selbstverständlich sind jedoch stets beide Geschlechter gemeint. wird die gesetzliche Vertretung von Minderjährigen umfassend und in allen Angelegenheiten der elterlichen Sorge (Personensorge und Vermögenssorge) gewährleistet. Der Vormund pflegt regelmäßige persönliche Kontakte zum Mündel, ist kontinuierlicher Ansprechpartner und parteiliche Vertrauensperson. Der Vormund ist in seinem Handeln ausschließlich dem Wohl seines Mündels verpflichtet. Er ist privatrechtlich tätig und in seinem Handeln weitgehend weisungsungebunden.
Für UMF, welche nicht weiter umverteilt werden, sondern in Stuttgart verbleiben, wird vom Familiengericht ein Vormund bestellt. Für alle UMF, die nach spätestens vier Wochen auf andere Stadt- und Landkreise umverteilt werden, nimmt zunächst die Dienststelle Sozialdienst UMF diejenigen Rechtshandlungen vor, die zum Wohl des Kindes oder Jugendlichen notwendig sind; ein Vormund wird in diesen Fällen erst am endgültigen Aufnahmeort bestellt.

Nahezu alle vormundschaftlich begleiteten UMF streben einen dauerhaften Verbleib in Deutschland an. Zu den besonderen Aufgaben im Rahmen einer UMF-Vormundschaft gehört es somit, die Minderjährigen bei der Realisierung einer solchen Bleibeperspektive unter Beachtung der ausländerrechtlichen Rahmenbedingungen bestmöglich zu unterstützen. Entsprechend fördert der Vormund in Kooperation mit den betreuenden Einrichtungen, dem Sozialdienst und anderen Fachstellen die Integration seines Mündels und ist für die Führung des ausländerrechtlichen Verfahrens verantwortlich.
Durch eine Asylantragstellung oder durch die Beantragung einer Duldung stellt er beispielsweise sicher, dass der Minderjährige behördlich erfasst wird und schafft die rechtliche Grundlage für einen legalen Aufenthalt in Deutschland.

Auch im laufenden Asylverfahren bleibt der Vormund der zentrale Ansprechpartner für den Minderjährigen. Er begleitet diesen unter Anderem zur persönlichen Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und initiiert ggf. ein Klageverfahren gegen aus Sicht von Vormund und Mündel nicht nachvollziehbare Ablehnungsbescheide. Der Vormund versucht, eine drohende Abschiebung des Mündels zu verhindern und einen möglichst tragfähigen Aufenthaltstitel (z. B. die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft) zu erwirken, auf Grundlage dessen dann gegebenenfalls auch ein Nachzug der Eltern realisiert werden kann.

Soweit als möglich, schafft der Vormund darüber hinaus auch für gut integrierte UMF ohne Aufenthaltstitel die rechtlichen Voraussetzungen, um dieser Personengruppe die Aufnahme einer Berufsausbildung zu ermöglichen (z. B. durch die Beantragung einer Ausbildungsduldung) und zu einer tragfähigen Bleibeperspektive zu verhelfen.

Quantitative Entwicklung der Vormundschaften im Jahr 2016

Zum Stichtag 15. 06.2017 wurden im Stadtgebiet Stuttgart insgesamt 304 UMF-Vormundschaften geführt. Zum Stichtag 31.12.2016 waren es insgesamt 413 UMF-Vormundschaften; am 31.12.2015 wurden 331 Vormundschaften geführt. Somit ergibt sich über das Jahr 2016 ein Gesamtzuwachs von 82 UMF-Vormundschaften (ca. +25 %), während die Zahl im ersten Halbjahr 2017 wieder um ca. 25% abgenommen hat (s. Tab.6).1


Tab. 6: Anzahl der laufenden UMF-Vormundschaften zum jeweiligen Jahresende


1 Die genannten Zahlen weichen von den in Kap. 2 genannten Zahlen ab: Während für das Jugendamt als Leistungsträger, als auch für andere Behörden, das von der Kommission zur Alterseinschätzung festgelegte Geburtsdatum der Minderjährigen verbindlich ist, ist für die Vormundschaft alleine das vom Familiengericht bestimmte Geburtsdatum maßgeblich. Hier kommt es teilweise zu Diskrepanzen. Trotz dem Bestreben, hier zu einem einheitlichen Ergebnis zu kommen, können die jeweils festgelegten Geburtsdaten in einigen Fällen aufgrund rechtlicher Hürden nicht angeglichen werden.


Verteilung der UMF-Vormundschaften

Die UMF-Vormundschaften werden durch die Amtsvormünder des Jugendamtes, durch den Vormundschaftsverein der Arbeitsgemeinschaft Dritte Welt (AGDW e. V.), durch geeignete private Einzelvormünder (in der Regel Familienangehörige der Minderjährigen) oder durch geschulte ehrenamtliche Einzelvormünder geführt.

In der Regel wird dem Familiengericht vom Jugendamt für jeden betroffenen UMF ein Vormund (Stelle oder konkrete Einzelperson) vorgeschlagen. Dieser Vorschlag erfolgt im Wesentlichen unter dem Aspekt einer bestmöglichen Passung von Mündel und Vormund sowie unter Beachtung der jeweils vorhandenen Kapazitäten.

Am 31.12.2016 (s. Abb. 5) wurden im Stadtgebiet Stuttgart 226 UMF im Rahmen der Amtsvormundschaft durch das Jugendamt begleitet. Bei der AGDW e. V. wurden zu diesem Stichtag 105 Vormundschaften geführt. Darüber hinaus waren 61 Privatvormünder und 21 ehrenamtliche Vormünder für UMF aktiv.










Abb. 5: Verteilung der laufenden UMF-Vormundschaften im Stadtgebiet



Personelle Entwicklung in der Dienststelle Vormundschaften und Pflegschaften des Jugendamtes

In der Dienststelle Vormundschaften und Pflegschaften des Jugendamtes wurden aufgrund des hohen Anstieges von UMF-Vormundschaften insgesamt 3,88 Stellen neu geschaffen. Durch die Stellenneuschaffung konnte die Anzahl von Vormundschaften pro Mitarbeiter abgesenkt werden, blieb in weiten Teilen des Jahres dennoch über der in § 55 SGB VIII formulierten Soll-Obergrenze von 50 Mündel pro Vollzeitstelle.

Zudem konnte die Expertise zur Führung von UMF-Vormundschaften in der Dienststelle durch eine verbesserte Vernetzung und Kooperation mit Fachstellen und den Sozialen Diensten sowie einer Weiterqualifizierung des Personals, insbesondere im Bereich Ausländerrecht, verbessert werden.
Durch diese Maßnahmen konnte letztlich auch die Qualität der vormundschaftlichen Begleitung von UMF durch die Amtsvormünder erhöht werden.

Ausbau ehrenamtlicher UMF-Vormundschaften

Gerade im Hinblick auf den Beziehungsaspekt bietet die ehrenamtliche Vormundschaft viel Potential und hat sich auch im UMF-Kontext bewährt.

Im Regelfall führt ein ehrenamtlicher Vormund nur eine Vormundschaft und kann für diese entsprechend mehr Zeit und Flexibilität aufwenden als beispielsweise ein Amtsvormund.
Zudem kann der Aspekt der Passung von Mündel und Vormund bei einer ehrenamtlichen Einzelvormundschaft in besonderem Maße Berücksichtigung finden, da der Vormundbestellung im Regelfall eine Kennenlern- und Anbahnungsphase vorgeschaltet werden kann. In dieser Phase können Mündel und Vormund ohne Zeitdruck selbst prüfen, ob eine Passung besteht und dann entscheiden, ob der betreffende Ehrenamtliche mit der Führung der Vormundschaft betraut werden soll.
Letztlich kann ein Minderjähriger durch einen ehrenamtlichen Vormund intensiver begleitet werden, als dies im Rahmen einer Berufs- oder Amtsvormundschaft im Regelfall möglich ist. Gerade emotional bedürftige Minderjährige profitieren hiervon in besonderem Maße.
Ein weiterer positiver Aspekt ist, dass sich gesellschaftlich engagierte Privatpersonen unmittelbar selbst mit der Lebenssituation von UMF auseinandersetzen, was wiederum zu einem Abbau von Vorurteilen gegenüber geflüchteten Minderjährigen in der Bevölkerung beiträgt.

Die für UMF eingesetzten, ehrenamtlichen Vormünder werden sowohl durch die Dienststelle Vormundschaften und Pflegschaften des Jugendamtes als auch durch die AGDW e. V. geschult und im Hinblick auf allgemeine Themen fortlaufend beraten. Im Jugendamt ist mit diesen Aufgaben eine Fachkraft mit 0,5 Stellenanteilen befasst.
Darüber hinaus werden die ehrenamtlichen Vormünder bei spezifischen Problem- und Fragestellungen durch die hauptamtlichen Vormünder einzelfallbezogen beraten und unterstützt.
Durch diese Verbindung von ehrenamtlichem Engagement, fundierter Qualifizierung und Expertise der hauptamtlichen Vormünder, konnte für die Mündel eine äußerst hochwertige vormundschaftliche Begleitung erreicht werden.
Die Zahl der über die Dienststelle Vormundschaften und Pflegschaften oder über die AGDW e. V. aktiv eingesetzten, ehrenamtlichen UMF-Einzelvormünder, konnte im Laufe des Jahres 2016 zudem von fünf (31.01.2016) auf insgesamt 21 (31.12.2016) ausgebaut werden.


7. Fachthemen und Herausforderungen

Neben der gesetzlichen Kernaufgabe der Jugendhilfe für UMF, die insbesondere in der Inobhutnahme, Versorgung, Betreuung, Beratung, Situations- und Perspektivklärung sowie ggf. Umverteilung besteht, bedarf es einer Fülle von Anstrengungen und Themenbearbeitungen, um entweder rasche, gelingende Integration und sicheres, altersgerechtes Heranwachsen oder auch eine gut vorbereitete, geordnete Rückkehr ins Ursprungsland zu ermöglichen. Nicht zuletzt geht es auch um die Beachtung einiger Besonderheiten, die diese Zielgruppe mit sich bringt. Im Folgenden werden einige ausgewählte Aspekte dieser Bemühungen dargestellt:

Kommunikation und Transparenz
Sowohl das Jugendamt als auch die Freien Träger haben in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von Einrichtungen für UMF in unterschiedlichen Stadtteilen in Betrieb genommen oder wieder geschlossen; dies ist auf teilweise großes Interesse und auch Fragen der Öffentlichkeit gestoßen. Um bereits im Vorfeld bestehende Fragen, Ängste und Sorgen der Bevölkerung aufzugreifen, haben die verantwortlichen Leitungskräfte des Jugendamts mehrfach in den Bezirksbeiräten Vaihingen, Feuerbach und Stuttgart-Ost berichtet. In Elternabenden von benachbarten Tageseinrichtungen für Kinder und Schulen wurde informiert und auf Fragen und Sorgen eingegangen. Sowohl in Vaihingen als auch in Stuttgart-Ost wurden die Bezirksbeiräte und die Nachbarschaft in die Einrichtungen eingeladen. Mit jeder Polizeidienststelle im Stadtteil wurden Gespräche geführt und Vereinbarungen zur Zusammenarbeit getroffen. Vor allem in Feuerbach und in Stuttgart-Ost gab und gibt es eine gute und enge Zusammenarbeit mit den Flüchtlingsfreundeskreisen, die sich auch für die UMF engagieren. So konnte es gelingen, dass auch in den Hochzeiten überfüllter Inobhutnahmeeinrichtungen ein geordnetes und friedliches Miteinander möglich war und es bis heute zu keinen besonderen Vorkommnissen kam – im Gegenteil, die anfänglichen Ängste und Sorgen bezüglich der UMF haben sich fast durchgehend verwandelt in viel Verständnis, Hilfe und Unterstützung durch Schulen, Kitas, Vereine, Freundeskreise, Nachbarschaft und Bezirksbeiräte.




Vielfalt der Hilfesettings bei allen Trägern
Alle Erziehungshilfeträger in Stuttgart (Stiftung Jugendhilfe aktiv, St. Josef, Evangelische Gesellschaft, Caritas und die Abteilung Erziehungshilfen des Jugendamts) haben UMF sowohl in ihre Regeleinrichtungen aufgenommen und integriert als auch eine Vielzahl an neuen Einrichtungen und Plätzen für UMF geschaffen. Auch in diesem Feld bisher nicht tätige Träger, wie der Internationale Bund für Sozialarbeit, die Kolpinghäuser Stuttgart und die Nikolauspflege, haben wohngruppenähnliche Settings in Absprache mit dem Jugendamt neu aufgebaut. Eine besondere Wohngruppe ist in der Trägerschaft der Stiftung Jugendhilfe aktiv in den Räumen des Hans-Rehn-Stifts, einer Altenhilfeeinrichtung des Eigenbetriebs Leben und Wohnen im Alter, entstanden. Die Abteilung Erziehungshilfen konnte über aufwändige Öffentlichkeitsarbeit ca. 20 Privatvermieter gewinnen, die einen UMF aufgenommen haben und betreut ca. 57 UMF in Wohnungen mit einem bis sechs Plätzen im Rahmen des Betreuten Jugendwohnens (BJW) in fast allen Stadtteilen Stuttgarts. Neben diesen klassischen Erziehungshilfesettings werden auch im Rahmen der Erziehungsbeistandschaft UMF in Gemeinschaftsunterkünften für Asylbewerber betreut, die dort bei Bekannten oder Freunden und nicht in einer Jugendhilfeeinrichtung leben wollen.

Gast-/Pflegefamilien und Verwandtenpflege
Nicht nur für besonders junge, schutzbedürftige UMF, sondern auch für Jugendliche und junge Erwachsene UMF ist es sinnvoll und bedarfsgerecht, dass sie in familiären Settings aufwachsen und integriert werden können. Der Pflegekinderdienst des Jugendamts hat bereits in 2015 mit verstärkter Öffentlichkeitsarbeit, Werbe- und Informationsveranstaltungen versucht, sog. Gastfamilien für UMF zu gewinnen, zu überprüfen und zu schulen. Hierfür wurden Informationsmaterial, Schulungs- und Betreuungskonzepte neu entwickelt. Der Gemeinderat hat dafür in 2016/2017 auch extra Mittel bewilligt. Nach anfänglich großem Interesse Stuttgarter Familien an dieser besonderen Pflegefamilien-Form zeigte sich, dass unrealistische Erwartungen einzelner Familien aufgrund der durch Medien geprägten Bilder hilfsbedürftiger kleiner Kinder aus Kriegsgebieten schwer kompatibel waren mit den Bedarfen von meist männlichen Jugendlichen. Auch wurde das Verfahren zur Überprüfung, Schulung und Vermittlung entsprechend der fachlichen Standards des Pflegekinderdienstes, von denen auch bei der Vermittlung von UMF in Pflegefamilien aus gutem Grund nicht abgewichen wird, nicht den Wünschen einzelner Interessierter entsprechend vereinfacht. Bis heute konnten ca. 25 Pflegefamilien für UMF gewonnen und begleitet werden, einige haben wieder aufgehört, neue Familien werden gewonnen. Laufend betreut der Pflegekinderdienst ca. 17 Pflegeverhältnisse von UMF sowie ca. 40 sogenannte Verwandtschaftspflegeverhältnisse; hierfür wurden befristet bis Ende 2017 drei Stellen geschaffen.

Die große Anzahl von ca. 40 laufenden Verwandtenpflegen, die durch den Pflegekinderdienst nach den gleichen fachlichen Standards betreut und begleitet werden wie die Vollzeitpflege, ist auch eine Folge von mehr Flüchtlingsfamilien in Stuttgart, die verwandte UMF bei sich aufnehmen. Hierzu bedarf es i. d. R. keiner besonderen Werbung, sehr wohl aber einer intensiven Betreuung und Beratung, weil diese Familien häufig selbst noch einen hohen Unterstützungs- und Beratungsbedarf haben.
Bis auf einzelne Fälle, in denen UMF aufgrund von Krisen und nicht lösbaren Konflikten wieder aus Pflegefamilien heraus genommen werden mussten, haben wir durchweg positive Erfahrungen mit dieser Hilfeform gemacht, zumal sie den jungen Menschen eine besondere Möglichkeit zur raschen Integration und intensiven Unterstützung bietet. Allerdings wurde auch sehr deutlich, dass diese Familien besonders intensiv geschult, beraten und begleitet werden müssen, soll die Hilfe gelingen. Hierzu ist ein Betreuungsschlüssel von max. zehn UMF pro Vollkraft im Pflegekinderdienst notwendig. Unser Ziel ist es, weitere Pflegefamilien zu gewinnen und eine längerfristige gute Begleitung und Betreuung der Pflegeverhältnisse zu gewährleisten. Dazu ist es unerlässlich, die geschaffenen Stellen auch über 2017 hinaus zu erhalten, sonst muss der Pflegekinderdienst diese Arbeit wieder einstellen bzw. kann die Betreuung und Begleitung der Verwandtenpflege nicht mehr gewährleisten.


Kinderschutz bei UMA und besondere Hilfebedarfe
In der pädagogischen Arbeit mit jungen Flüchtlingen hat man es mit einer besonderen Klientel unter den Adressaten der Jugendhilfe zu tun.
Zum einen bringen UMA andere kulturelle und religiöse Hintergründe mit, zum zweiten sind die Krisen- und Kriegserfahrungen im Heimatland oftmals traumatisch für die jungen Menschen. Drittens ist die Flucht selbst mit all den Gefahren und Unsicherheiten, verbunden mit der Trennung von der Familie und ungewisser Perspektive im Aufnahmeland, extrem belastend.
Aus diesen abweichenden Voraussetzungen ergeben sich einerseits andere Ressourcen und Kompetenzen, andererseits zum Teil andere Hilfe- und Unterstützungsbedarfe als bei einheimischen Jugendhilfeempfangenden. In Einzelfällen resultieren daraus auch besondere Kindes- bzw. Jugendwohlgefährdungen.
Alle UMA bringen besondere Belastungen mit, einige davon behandlungsbedürftige Traumatisierungen. Hierbei ist anzumerken, dass ein Trauma nicht nur in den Bereich von Therapie „überwiesen“ werden kann, sondern den entsprechenden Bedarfen der jungen Flüchtlinge im Alltag vor allem pädagogisch zu begegnen ist. Ob und wann eine therapeutische Aufarbeitung möglich und sinnvoll ist, hängt von vielen Faktoren ab. Zunächst mal sind Stabilisierung, Entlastung und Sicherheit wichtige Aufgaben von pädagogischen Fachkräften und Vormündern.
Die kulturell bedingte Sozialisation im Rahmen von anderen Werten und Normen, verbunden mit Gewalterfahrungen aufgrund von Krisen und Kriegen, sind UMA-spezifische Aspekte bei aggressiven und gewalttätigen Verhaltensweisen, die die Jugendhilfe teilweise vor besondere Herausforderungen stellt. Hier müssen die Hintergründe bei der pädagogischen Herangehensweise und den geplanten Hilfesettings mit beachtet werden. In wenigen Einzelfällen kommen auch religiöse Motive hinzu, sodass Experten für Extremismus und Radikalisierung eingeschaltet werden.
Recht häufig werden bei stark belasteten UMA selbstgefährdendes Verhalten und Selbstverletzungen beobachtet. Auch hier gilt es bei der Bewertung, den spezifischen Hintergrund zu kennen, sonst kann ein Verhalten aus „westlich“ geprägter Sicht leicht missverstanden werden und darauf folgende Maßnahmen bleiben erfolglos. Ein ständiger Austausch zwischen jungem Flüchtling und Betreuer bzgl. kulturell geprägten Deutungen von Verhaltensweisen und auch den Erwartungen in Deutschland ist unverzichtbar.

Bei weiblichen UMA gibt es zum Teil andere spezifische Gefährdungen und Bedarfslagen. Die pädagogische Bewertung einer im Ausland geschlossenen Ehe mit einer minderjährigen UMA macht die Bedarfsfeststellung nicht selten anspruchsvoll und komplex, da es bei Eheschließungen bei weitem nicht immer bzw. nur um Zwang oder Abhängigkeiten, sondern auch um Schutz und Fürsorge gehen kann. Die rechtlichen Unsicherheiten der Anerkennung von Minderjährigen-Ehen kommen noch hinzu. Die anstehenden Gesetzesänderungen sehen Aufhebungen oder gar Aberkennungen von in Ausland geschlossenen Minderjährigen-Ehen vor. Sowohl die rechtlichen als auch die psychosozialen Probleme der beteiligten jungen Menschen, die aus diesen Einschnitten resultieren, müssen fachlich adäquat aufgefangen werden.

Massiver sind die Gefährdungslagen bei (Verdacht auf) Menschenhandel und Zwangsprostitution. Hier arbeiten wir mit erfahrenen Beratungs- und Hilfsorganisationen zusammen.
Teilweise kommen weibliche UMA schwanger oder bereits mit Kindern nach Stuttgart. Auch hier zeigen sich besondere Hilfe- und Unterstützungsbedarfe.

Sprache, Schule, Ausbildung
Sprache ist das Tor zur Welt – Sprache ist aber auch der Schlüssel für eine gelingende Integration, für Bildung und Ausbildung.
Sprache: Ab dem 2. Tag ihres Aufenthalts in der Inobhutnahme erhalten die UMF ein verbindliches, alltagsorientiertes Sprach-, Beschulungs- oder Alphabetisierungsangebot durch Fachkräfte mit der Lehrqualifikation Deutsch als Zweitsprache. Finanziert wird dieses Projekt durch Spendenmittel der Rotarier Stuttgart und der Louis-Leitz-Stiftung bis Sommer 2018. Danach muss die Finanzierung über Sonderbudgetmittel des Jugendamts erfolgen. Neben dem Erwerb von Sprache oder der Alphabetisierung dient dieses Angebot auch der Alltagsstrukturierung in der ersten Phase der Inobhutnahme und der Wertevermittlung.
Im Anschluss oder, bei entsprechender Voraussetzung auch parallel, besuchen die UMF dann die Sprachkurse bei den privaten Anbietern Henke oder Tricos.
Schule: Je nach Alter oder Bildungsstand besuchen die UMF entweder eine internationale Vorbereitungsklasse (IVK), ein Vorqualifizierungsjahr Arbeit/Beruf mit oder ohne geringen Deutschkenntnissen (VAB/VAB-O) an den beruflichen Schulen oder eine Regelklasse an Haupt- oder Realschulen, in manchen Fällen auch ein Gymnasium. Da keine gesonderte Statistik über die Art des Schulbesuchs von UMF vorliegt, können dazu keine detaillierten Zahlen geliefert werden. Das Schulverwaltungsamt und das Staatliche Schulamt berichten regelmäßig im Rahmen des Stuttgarter Flüchtlingsberichts über die Anzahl der Flüchtlingskinder (inklusive UMF) in den verschiedenen Schularten sowie über die Anzahl der IVK und VAB/O-Klassen. Ziel für möglichst alle UMF ist das Erreichen eines qualifizierten Schulabschlusses.
Ausbildung: Trotz vieler freier Lehr- und Ausbildungsstellen stellt der Übergang von Schule in Ausbildung für viele UMF und ihre Betreuer eine der größten Hürden dar. Dies liegt zum einen an der manchmal in sehr kurzer Zeit nur schwer zu erreichenden Ausbildungsqualifikation, zum anderen aber vor allem an den großen, aufgrund der Genehmigungspraxis der Ausländerbehörde immer höher werdenden Hürden, eine Ausbildungs- und Arbeitserlaubnis zu bekommen. Möglicherweise erfolgt eine Verbesserung durch die Arbeit des Ausbildungscampus sowie durch eine Initiative des Städte- und Landkreistages zur Verstärkung der Integrationsbemühungen in Ausbildung und Beruf nach der Jugendhilfe.

Fortbildung und Schulung
Für die vielen neuen Mitarbeitenden des Jugendamts in allen Arbeitsfeldern, aber auch bei den freien Trägern besteht zu unterschiedlichen Themen im Zusammenhang mit UMF ein teilweise erheblicher Schulungs- und Fortbildungsbedarf, dem entweder mit internen Ressourcen, mit Projekt- und Spendenmitteln oder durch die Nutzung externer Angebote so gut wie möglich nachgekommen wird. Seit 2012 organisiert das Jugendamt jährlich einen Fachtag UMF für alle Ämter und Institutionen, die in Stuttgart für und mit UMF arbeiten. Zu den Themen Ausländer- und Asylrecht, Umgang mit Eskalationen, Deeskalationsstrategien, Traumatisierung, Umgang mit kultureller Vielfalt, Erkennen von Radikalisierungstendenzen bietet vor allem die Abteilung Erziehungshilfen den Mitarbeitenden immer wieder Schulungen und Fortbildungen an. Zum Thema Sexualpädagogik sowie Umgang mit sexueller Identität und Orientierung gibt es in der Inobhutnahme und den Einrichtungen der Abteilung Erziehungshilfen gruppen- und teambezogene Schulungsangebote. Darüber hinaus gibt es Schulungen im Bereich der Vormundschaft (siehe Kapitel 5), für Dolmetscher, für die Mitglieder der Alterseinschätzungskommission sowie für Pflegeeltern.

Einbeziehung sozialer Netzwerke und der Familie im Heimatland
Ein besonderes Merkmal in der Arbeit mit UMA ist die Tatsache, dass diese ohne ihre Eltern in Deutschland sind. Das heißt jedoch nicht, dass die Familie keine Rolle bei der Hilfeplanung und der Erarbeitung einer Zukunftsperspektive spielt. Im Gegenteil, die meisten jungen Menschen haben Kontakt zu ihren Familien im Heimatland. Weiterhin gibt es nicht selten Verwandte in Deutschland oder in Drittländern, die bei der Planung der Flucht mitgewirkt haben. Würden diese Einflüsse in der Arbeit hier vor Ort außer Acht gelassen, so ließen sich Widerstände bei der Mitwirkung und abweichendes Verhalten oft nicht erklären oder gar verändern. Dementsprechend wird die Familie im Heimatland indirekt, teilweise auch im direkten Kontakt in die Entwicklung von Hilfeoptionen eingebunden. Hier ist ein sensibles Vorgehen notwendig, da die Jugendlichen oft unter starken Loyalitätskonflikten leiden. Wichtige Informationen, wie z. B. Aufträge der Eltern, werden oft verheimlicht, da sie Erwartungen der Jugendhilfe entgegen stehen. Wenn ein Jugendlicher beispielsweise beauftragt ist, Geld zur Familie zu schicken, hier jedoch ohne Hintergrundwissen der Schulbesuch in den Fokus genommen wird, kann die Hilfe zum Scheitern verurteilt sein. Nur mühevoll erarbeitetes Vertrauen in Menschen und Gesellschaft seitens der jungen Menschen kann den Weg ebnen, diese versteckten Hürden zu überwinden.
Weiterhin gilt es, in Deutschland neue, tragfeste soziale Netzwerke zu schaffen und zu erhalten. Auch hier hat die Jugendhilfe eine begleitende und unterstützende Funktion.

Paten und Ehrenamt
Bereits 2009 hat die Abteilung Erziehungshilfe damit begonnen, einen Pool von Paten und Ehrenamtlichen für UMF aufzubauen. Mittlerweile umfasst dieser Pool ca. 90 Menschen, die eine Patenschaft für einen UMF übernehmen; jeder UMF, der dies möchte, bekommt einen Paten. Alle Paten müssen ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorlegen, werden geschult und beraten und 2-3 Mal pro Jahr zu einem Patentreffen eingeladen. Die Abteilung hat einen Leitfaden für Paten erarbeitet, der neben einer Fülle von Informationen auch Regelungen zur Zusammenarbeit mit den Fachkräften enthält. Die Paten engagieren sich vor allem im Bereich Freizeit, schulische Unterstützung, Behördengänge, geben Einblicke in Familien- und Berufsalltag und können auf besondere Bedarfe ihrer UMF eingehen, die die Möglichkeiten und Ressourcen der Fachkräfte übersteigen. Einige Paten haben die Vormundschaft für ihren UMF übernommen, einige haben ihren UMF als Pflegekind aufgenommen und nicht wenige unterstützen und begleiten die jungen Menschen auch über das Ende der Jugendhilfe hinaus. Besonders im Bereich der Ausbildungsplatzsuche, der Termine im Asylverfahren und der zeitaufwändigen Termine bei der Ausländerbehörde leisten die Paten eine sehr wertvolle Unterstützung und Entlastung der Fachkräfte. Seitens der hauptamtlichen Fachkräfte der Abteilung Erziehungshilfen werden viel Zeit und Energie in eine gute Begleitung und Beratung der Ehrenamtlichen investiert, um deren Ansprüchen gerecht zu werden und Enttäuschungen und Konflikten vorzubeugen.

UMF-Gruppe und Projekte
Neben den vielen Einzelhilfen kommen der Gruppenarbeit und übergreifenden Projekten in den Bereichen Lernen, Freizeit, Kultur, Sport und Begegnung eine besondere Bedeutung für die gelingende Bildung und Integration von UMF zu.
Die UMF-Gruppe, in der sich monatlich und in den Ferien wöchentlich viele UMF zu Freizeit-, Kultur- und Lernaktivitäten treffen, austauschen und beraten werden, hat die Abteilung Erziehungshilfen bereits vor vielen Jahren aufgebaut. Seit Sommer 2016 hat sich diese Gruppenarbeit durch die Eröffnung neuer Gruppenräume in der Rotebühlstr 149 verändert: In dem sogenannten „Haus der Hoffnung“ können die UMF am PC arbeiten, sich treffen und austauschen, werden beraten, können kochen und erhalten an vier Tagen in der Woche Nachhilfe und Unterstützung beim Lernen.
Angeboten werden auch feste Sportgruppen, teilweise in Zusammenarbeit mit dem Sportamt der Stadt Stuttgart; neben einer Cricket-Gruppe, die in ganz Baden-Württemberg an Turnieren teilnimmt, sind viele UMF in Stuttgarter Sportvereinen aktiv.
Lerncamps in den Schulferien wurden bereits zweimal aus Spendenmitteln für bis zu 20 UMF zur Vorbereitung auf den Schulabschluss organisiert und erfolgreich durchgeführt.
Nach einem erfolgreichen Modell aus Berlin können UMF den Wohnungsführerschein erlangen. In sieben Modulen werden sie in den Themen Mietrecht, Umgang mit Nachbarschaft, Pflichten des Mieters sowie Kleinreparaturen geschult, am Ende steht eine Prüfung mit Zertifikat. Auch dieses Projekt wird aus Spendenmitteln finanziert und soll den UMF die Suche nach Wohnraum nach der Jugendhilfe erleichtern und sie zu qualifizierten Mietern machen.
Viele UMF sind zudem in Tanz- und Theaterprojekten aktiv, bspw. bei Labyrinth, Junges Ensemble Stuttgart, Lockstoff oder Theater tribühne.
Mit den Firmen Daimler, Bosch und Porsche und insbesondere deren Ausbildungsbereichen gibt es enge Kontakte und eine Vielzahlt von gemeinsamen Aktivitäten, bis hin zu Praktikums- und Ausbildungsplätzen.

Diese vielen, beispielhaften Aktivitäten und Projekte werden von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Abteilung Erziehungshilfen zusätzlich zu ihrer Alltagsarbeit organisiert und begleitet, inklusive der Erstellung von Projektanträgen, Akquise von Spendenmitteln, Erstellung von Projektberichten und Kontaktpflege zu den Spendern.


Aktuelle Fluchtbewegungen
Unter anderem im Artikel der Stuttgarter Zeitung vom 11.05.2017 (Europas Versagen in der Flüchtlingskrise) wird zutreffend geschildert, dass die Migrationskrise noch nicht beendet ist. Demnach sind es vor allem Menschen aus Afrika, die vor politischer Verfolgung oder Armut fliehen, aber seit Neuestem auch aus Bangladesch. Nach wie vor kommen tausende Flüchtlinge über das Mittelmeer in Europa an. 84 % aller Migrantinnen und Migranten, die über das Meer Europa erreichen, landen aktuell in Italien. Allein in der ersten Maiwoche waren es fast 4 000. Mehr als 43 000 Menschen sind 2017 bereits über das Mittelmeer nach Italien gekommen, fast 40 % mehr als im selben Zeitraum im vergangenen Jahr. Dabei war 2016 mit 181 436 Ankömmlingen bereits ein Rekordjahr. Gemäß Dublin Abkommen müssen alle Flüchtlinge in dem europäischen Land Asyl beantragen, in dem sie ankamen und registriert wurden. Um dieser Unausgewogenheit innerhalb Europas zu begegnen, wurde ein Programm geschaffen, nach dem 160 000 Menschen bis September 2017 aus den Aufnahmeländern Griechenland, Italien und der Türkei in andere EU-Staaten umgesiedelt werden sollen, davon allein 40 000 aus Italien. Bis Anfang Mai wurden jedoch gerade einmal rund 5 400 Asylbewerberinnen und -bewerber aus Italien in ein anderes EU-Land umgesiedelt. 1 814 davon kamen nach Deutschland.
Weltweit sind nach wie vor viele Millionen Menschen auf der Flucht. Die Aufnahmekapazität der aufnehmenden Länder hat ihre Grenzen. Es ist anzunehmen, dass früher oder später Deutschland wieder stärker involviert ist bei der Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen.


8. Fazit und Ausblick
Die Bewältigung sämtlicher Aufgaben im Zusammenhang mit den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen war und ist für die Jugendhilfe eine enorme Herausforderung, die auch in Stuttgart gut und mit viel Engagement geleistet wurde und weiterhin geleistet wird. Dazu haben sowohl die Institutionen und Fachkräfte der Jugendhilfe, als auch die Politik und die vorbildliche Stuttgarter Stadtgesellschaft viel beigetragen.

Schon immer musste die Jugendhilfe in ihrer rechtlichen und fachlichen Zuständigkeit für die UMF einen Spagat leisten zwischen jugendhilferechtlichen Standards und der Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention auf der einen Seite und den Asyl- und Ausländerrechtlichen Bestimmungen sowie der asylpolitischen Stimmung auf der anderen Seite. Seit 2016 ist eine Veränderung in der Haltung gegenüber UMF spürbar, die sich massiv auf die Arbeit der Fachkräfte und die Erfolgschancen der jungen Geflüchteten auswirkt. Abschiebeandrohungen, Ausreiseaufforderungen, Verdacht von Kriminalisierung und Radikalisierung, Verweigerung von Ausbildungserlaubnissen und gesicherter Aufenthaltsperspektive sowie die Debatte um Standards und Kosten für die Versorgung, Betreuung und Integration der UMF wirken sich entmutigend und demotivierend sowohl auf die jungen Menschen als auch auf die Fachkräfte und ehrenamtlich Engagierten aus. Wer keine oder nur eine unsichere Perspektive hat, dem fehlt das Ziel, für das sich lohnt, viel Kraft und Mühe in Spracherwerb, Kulturanpassung, Schulabschluss, Ausbildung und Integration aufzuwenden.

Aufgrund der ungesicherten Perspektive ergibt sich eine weitere Aufgabe für die Jugendhilfe. Den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen Entwicklungs- und Lernchancen zu bieten, die ihnen auch bei einer Zukunft in ihrem Herkunftsland Perspektiven bieten.

Es bedarf deutlicher Signale von Bund, Ländern und Kommunen, dass die Integration und der längerfristige Verbleib von UMF in Deutschland gewollt und gefördert wird, damit die längerfristige Integration der vielen UMF gelingen kann. Die Jugendhilfe baucht weiterhin die Rückendeckung und eine eindeutige gesetzliche Grundlage, um ihrem Auftrag zur Unterbringung, Versorgung, Betreuung und Integration der UMF nachkommen zu können. Die Gesellschaft insgesamt und damit auch die Stadt Stuttgart steht vor der zweiten Phase (ohne die erste Phase aus dem Blick zu verlieren) der Herausforderung der Gestaltung des Übergangs für junge Geflüchtete nach der Jugendhilfe in eigenständiges Wohnen, Ausbildung, Arbeit und Integration in das Gemeinwesen.


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