Protokoll: Jugendhilfeausschuss des Gemeinderats der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
TOP:
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VerhandlungDrucksache:
399/2021
GZ:
JB
Sitzungstermin: 19.07.2021
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: BMin Fezer
Berichterstattung:-
Protokollführung: Frau Klemm
Betreff: Modellprojekt Neuzugewanderte in Ausbildung
- Ergebnisse der Zwischenevaluation

Beratungsunterlage ist die Mitteilungsvorlage des Referats Jugend und Bildung vom 13.07.2021, GRDrs 399/2021. Sie ist dem Originalprotokoll sowie dem Protokoll-exemplar für die Hauptaktei beigefügt.


Die Vorsitzende fasst den Inhalt der GRDrs 399/2021 einführend zusammen. Obwohl es sich nicht um eine haushaltsrelevante Mitteilungsvorlage handele, bezögen sich die Inhalte teilweise auch auf den kommenden Doppelhaushalt, da man ein hohes Interesse an einer Fortführung des Modellprojektes habe.

Ihren Dank für Vorlage bekunden StRin Ciblis (90/GRÜNE), StR Dr. Nopper (CDU) und StRin Dr. Hackl (SPD). Für die einhellig positiven Rückmeldungen zu dem Projekt bedankt sich Herr Dr. Knapp (JB-BiP) explizit. StR Sailer (FW) kann die Qualität des Projekts aus seiner praktischen Erfahrung bestätigen.

StRin Ciblis interessieren die größten Hürden und Erfolgsfaktoren des Modellprojektes. Die größte Herausforderung sei die Sprache, und fast alle Bemühungen seien darauf gerichtet, erläutert Herr Dr. Knapp. In diesem Zusammenhang bestätigt er, dass die Corona-Krise Auswirkungen auf die Sprachkurse gehabt habe, wenngleich man zur Erhaltung des Bezugs zu den Auszubildenden Online-Formate angeboten habe. Unter Hinweis auf die Vorlage interessieren StR Dr. Nopper die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Zahl der Teilnehmenden in den Sprachkursen. Tatsächlich sei in dieser Zeit die Mindestteilnehmerzahl ein massives Problem gewesen, bestätigt Herr Dr. Knapp. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sage jedoch garantierte Kurse mit einer Mindestteilnehmerzahl von 7 zu. Im Übrigen sei man zuversichtlich, bei Wiederaufnahme des Präsenz-Unterrichts an die ursprüngliche Teilnehmerzahl anknüpfen zu können.

Sprache sei ein Schlüssel zum Erfolg in der Berufsschule, konstatieren StR Sailer und Herr Käpplinger. Letzterer sieht eine Investition in die Zukunft der jungen Menschen in Form von bspw. kontinuierlicher zeitlicher Verfügbarkeit der Ansprechpartner*innen als unabdingbaren Schwerpunkt, gerade auch im Hinblick auf den demografischen Wandel, um dem Fachkräftemangel entgegenzutreten. Die Vorsitzende gibt ihm Recht und merkt an, man kalkuliere grundsätzlich im Rahmen der Migration mit einem Fachkräftezuwachs. Fachkräfte benötigten jedoch eine Ausbildung, die wiederum entsprechend gute Deutschkenntnisse voraussetze.

Nicht zu unterschätzen seien auch kulturelle Unterschiede, die oftmals zu Konflikten in den Betrieben führten, sagt StR Sailer. Auch hier schaffe Sprache Verbindung.

Die Befristung des Projekts stelle in der praktischen Durchführung ein weiteres Problem dar, fährt Herr Dr. Knapp in seinen Ausführungen fort. Die Arbeitsverträge der fachlich sehr gut ausgebildeten Ausbildungsmanager*innen seien befristet, was zur Folge habe, dass es häufige Wechsel gebe und derzeit nur noch eine Ausbildungsmanagerin seit Projektbeginn dabei sei. Jedoch stellten diese Mitarbeitenden nicht nur einen Erfolgsfaktor dar, sondern diese Konstellation würde auch - wie das BAMF im Rahmen eines Besuches rückgemeldet habe - von anderen deutschen Städten aufgenommen. Ein weiterer Faktor für den Erfolg des Projekts sei die bei seiner Abteilung angesiedelte Netzwerkstelle, die übergeordnet sowohl Bedarfe als auch Angebote koordiniere und bspw. Fachtage wie den für 01.10.2021 geplanten organisiere.

StRin Ciblis und StR Sailer gegenüber bestätigt Herr Dr. Knapp die Wichtigkeit von Schulungs- und Fortbildungsangeboten für einerseits Betriebe und andererseits Ausbilderinnen und Ausbilder mit dem Ziel einer Sensibilisierung für interkulturelle Kommunikation und einer engeren Zusammenarbeit. Solche Angebote existierten jedoch bisher noch nicht. In diesem Zusammenhang bringt StRin Ciblis eine mögliche Förderung durch die IHK und die Schärfung des Bewusstseins für die Problematik bei der Kammer ins Spiel. Das Arbeitsfeld, ergänzt Herr Dr. Knapp seine Ausführungen, spiele zweifellos eine wichtige Rolle, es sei aber unabdingbar, beim Naheliegenden anzufangen - den Auszubildenden selbst und dem Austausch mit diesen, sie für die Sprachkurse zu gewinnen und Freistellungen bei den Betrieben dafür auszuhandeln.

StR Dr. Nopper versichert sich der Haushaltsrelevanz des Projekts im kommenden Doppelhaushalt, die aus der Vorlage nicht eindeutig hervorgehe. Die Relevanz finde sich in der GRDrs 312/2021 vom 07.07.2021 (Mitteilungsvorlage zum Haushaltsplan 2022/2023) "Bildungsgerechtigkeit von Kindern und Jugendlichen befördern. Konkrete Maßnahmen und Vorhaben", wirft StRin Dr. Hackl ein, was Herr Dr. Knapp insofern bestätigt, als dort auch der Endbedarf dargestellt sei, um das Projekt in eine Regel- und abgeschlossene Variante zu überführen. Die Hedwig-Dohm-Schule sei als weitere Projektteilnehmerin vorgesehen, bestätigt er gegenüber StRin Dr. Hackl. Er betont, ein Umfang von 50 % Ausbildungsmanagement pro Schulstandort sei erforderlich, um die Schülerinnen und Schüler überhaupt kennenlernen zu können.

Die Entstehungshistorie des Modellprojekts fasst StRin Dr. Hackl in kurzen Worten zusammen und überbringt in diesem Zusammenhang ein Lob eines Vertreters des Wirtschaftsministeriums Baden-Württemberg an die Landeshauptstadt. Positiv hebt sie das Engagement und die Aussage der jungen Menschen hervor, Ausbildung sei eine Grundlage für eine sichere Zukunft in Deutschland.

Auch StRin Höh (FDP) lobt das Projekt. Sie spricht die Problematik des Scheiterns vieler junger Zugewanderter an den in komplexer deutscher Sprache formulierten Prüfungsaufgaben an. Herr Dr. Knapp gibt ihr einerseits Recht - eine Fachprüfung dürfe keine verstecke Deutsch-Prüfung sein. Andererseits müsse ein Absinken des Grundniveaus der Ausbildung und der Prüfungen vermieden werden. Man habe diesbezüglich mit dem Regierungspräsidium (RP) ein Einvernehmen erzielt, probeweise Prüfungsaufgaben in einfacherer Sprache anzufertigen, sagt er, eine entsprechende Frage der Stadträtin beantwortend. Zur Durchführung fehlten jedoch im Moment die personellen Kapazitäten (Ausbildungsmanager*innen).

Bezogen auf die Stuttgarter Armutskonferenz 2019 fragt StR Ebel (AfD) nach der Berechnungsgrundlage und den Kriterien der in der Vorlage thematisierten Armut, da diese seiner Ansicht nach u. a. abhängig vom Lebensumfeld und somit relativ sei. Herr Dr. Knapp stellt richtig, das Thema Armut sei im Kontext der Konferenz breiter gefächert gewesen. Im direkten Zusammenhang zwischen Armut und dem vorliegenden Modellprojekt stelle dieses eine Maßnahme zur Armutsprävention dar. Während die Ausbildungsvergütung eine finanzielle Grundlage während der Ausbildung sei, müsse nichtsdestotrotz festgestellt werden, dass die Auszubildenden dann von Armut betroffen oder zumindest armutsgefährdet seien, wenn sie das Ausbildungsziel nicht erreichten.

Frau Olgun-Lichtenberg freut sich über die Entwicklung von tollen Projekten im Nachgang zur Stuttgarter Armutskonferenz 2019 sowie über den Zwischenbericht. Die von ihr angesprochene hohe Diskrepanz im Geschlechterverhältnis der begleiteten Auszubildenden (90 % männlich, 10 % weiblich) erklärt Herr Dr. Knapp einerseits mit dem hohen Männeranteil in handwerklichen Berufen, andererseits mit der aus nicht bekannten Gründen wohl höheren sprachlichen Kompetenz bei weiblichen Teilnehmenden.

Er schließt mit der allgemeinen Anmerkung, das Projekt sei volkswirtschaftlich selbst bei einer finanziellen Unterstützung der Gesamtprojektkosten von externer Seite in Höhe von 50 % (Sprachkurse, Freistellungen, etc.) rentabel, indem es helfe, Ausbildungen zu realisieren und damit enorme Folgekosten verhindere.

BMin Fezer stellt fest:

Der Jugendhilfeausschuss hat von der GRDrs 399/2021 Kenntnis genommen.
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