Landeshauptstadt Stuttgart
Referat Soziales und gesellschaftliche Integration
Referat Jugend und Bildung

Gz: SI / JB
GRDrs 30/2023
Stuttgart,
06/12/2023


Hauptstudie zur schulischen Inklusion: 'Selbstwert, Wohlbefinden und soziale Teilhabe bei inklusiv beschulten Kindern und Jugendlichen und ihren Mitschüler*innen sowie Einstellungen zur Inklusion bei den hiervon betroffenen Eltern'



Mitteilungsvorlage


Vorlage anzurSitzungsartSitzungstermin
Sozial- und Gesundheitsausschuss
Jugendhilfeausschuss
Schulbeirat
Kenntnisnahme
Kenntnisnahme
Kenntnisnahme
öffentlich
öffentlich
öffentlich
03.07.2023
10.07.2023
18.07.2023

Bericht:


1. Hintergrund

Mit der Novellierung des Schulgesetzes in Baden-Württemberg im August 2015 wurde die Umsetzung des §19 der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (in Deutschland 2009) für dieses Bundesland rechtlich gesichert. Damit erhielten Menschen mit Behinderung das prinzipielle Recht auf Zugang zum allgemeinen Schulsystem (z.T. mit zieldifferentem Unterricht).

Zur Vorbereitung dieser gesetzlichen Neuordnung wirkte die Landeshauptstadt Stuttgart (neben vier weiteren Stadt- und Landkreisen) an deren Ausgestaltung seit dem Schuljahr 2010/11 mit.


Im
Schuljahr 2018/19, dem Erhebungszeitraum der Hauptstudie, weist das Staatliche Schulamt Stuttgart eine Zahl von 870 Heranwachsenden mit einem Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot (SBA) aus, die in allgemeinen Schulen unterrichtet werden. Von diesen besuchen 309 eine Grundschule, 561 eine weiterführende Schule (Sekundarbereich 1).


Die prozentuale Verteilung auf Förderschwerpunkte zeigt folgende Tabelle:

Stuttgart 2018/19Baden-Württemberg 2017/18
FörderschwerpunktAngaben in Prozent
Lernen64,767
Emotionale und soziale Entwicklung20,310
Geistige Entwicklung5,59
Sprache4,57
Körperliche und motorische Entwicklung3,74
Hören1,42
Sehen01


2 Rahmenbedingungen der Studie

2.1 Theoretische Grundlagen

Die Stuttgarter Studie zur schulischen Inklusion befasst sich zentral mit dem Wohlbefinden, dem Selbstwert sowie der sozialen Teilhabe aller in inklusiven Klassen unterrichteten Kindern und Jugendlichen.

Diese zentralen Fragestellungen können beeinflusst werden durch:

· Rahmenbedingungen der Schulen und Klassen

· Konzeptionen und Leitbilder

· Einstellungen der Beteiligten zur Inklusion


2.2 Methodisches Vorgehen

Die Studie ist als schriftliche Befragung aller Beteiligten konzipiert.

Vorausgegangen waren Probeläufe in den Schuljahren 2015/2016 und 2016/2017. Diese dienten vor allem der Überprüfung der Validität und Objektivität der entwickelten Fragebögen.

Es folgte eine Überarbeitung aller eingesetzten Fragebögen, vor allem in Hinblick auf eine Kürzung.

Ebenso wurden die Fragebögen um eine spezifische Version für Schulbegleitungen/Assistenzen ergänzt.

Die Hauptstudie startete im zweiten Halbjahr des Schuljahres 2018/19. Sie erfolgte auf freiwilliger Basis, d.h. es wurde im Vorfeld versucht, Schulleitungen für eine Beteiligung an den Erhebungen zu gewinnen. Diesen oblag dann die Verteilung der Fragebögen in den jeweiligen Schulen.
Auch wenn die Vorstellung der Studienergebnisse pandemiebedingt in größerem zeitlichen Abstand zur Datenerhebung erfolgt, sind diese nach Ansicht der beteiligten Ämter und Institutionen noch immer aktuell. Um den relativ großen zeitlichen Abstand zwischen Befragung und Präsentation der Studienergebnisse zu überbrücken, werden am Ende der Anlage 1 von den betroffenen Institutionen die zwischenzeitlich wesentlichen Ereignisse dargestellt und Handlungsperspektiven für die Zukunft abgeleitet.


2.3 Statistische Grundlagen des Ergebnisüberblickes (Schuljahr 2018/2019)

Befragte Personengruppen:

· Schulen (Lehrkräfte, Sonderpädagog*innen, Schulleitungen)

· Eltern

· Schüler*innen Grundschule und Sekundarstufe

· Schulbegleitungen/Assistenzen

· Insgesamt versandte Fragebögen: ca. 8.000

· Rücklauf insgesamt: 1.688 (ca. 20%)


Beteiligt haben sich insgesamt 32 der 78 allgemeinen Schulen, die im Schuljahr 2018 /19 Kinder mit SBA in ihren Unterricht einbezogen.


In diesen beantworteten insgesamt
667 Eltern die Fragebögen, darunter 350 Eltern von Grundschulkindern, 230 Eltern mit Kindern in der Sekundarstufe, 87 Eltern von inklusiv beschulten Kindern. D.h., 13 % der Elternantworten stammen von Eltern von inklusiv beschulten Kindern. Die Spannweite der Klassenstufen, die ihre Kinder besuchen, reicht von Klasse 3 bis Klasse 9.

In den Grundschulen beteiligten sich 315 Kinder. Ihr Durchschnittalter liegt bei 9,2 Jahren (durch Einbeziehung erst ab der 3. Klasse). Davon sind 48% Jungen sowie 52% Mädchen.

In der Sekundarstufe nahmen 365 Heranwachsende an der Befragung teil, darunter 55% Mädchen und 45% Jungen.



3 Ergebnisse der Studie

3.1 Zentrale Themen (orientiert an den übergeordneten Zielen der Studie,
(siehe 2.1)


3.1.1 Gesundheitliche Situation

Hintergrund und Ergebnisse

Auf die Nachfrage nach der Einschätzung der Gesundheit des Kindes antworten

Eltern von Kindern ohne SBAEltern von Kindern mit SBA
fast 69 Prozent mit sehr gutrund 45 Prozent mit sehr gut
rund 28 Prozent mit gut etwa 44 Prozent mit gut
etwa 3 Prozent mit mittelmäßigca. 10 Prozent mit mittelmäßig

Sowohl bei Heranwachsenden mit als auch ohne SBA wurde die Gesundheit in keinem Fall als schlecht eingeschätzt.

Hinsichtlich der Notwendigkeit einer speziellen Therapie gaben 30,6 Prozent der Eltern eines Kindes mit SBA an, dass eine solche benötigt wird. Bei Eltern eines Kindes ohne SBA lag dieser Anteil bei 5,7 Prozent.

Fazit

Ein Drittel der im Rahmen der Befragung erfassten inklusiv beschulten Schüler*innen benötigt eine zusätzliche spezielle Therapie. In der Regel kann diese Therapie derzeit nicht an einer allgemeinen Schule durchgeführt werden und die Eltern müssen Therapieangebote außerhalb der Schule aufsuchen. Das bedeutet eine erhebliche zusätzliche Belastung für Eltern und Kinder. Eine teilweise Integration von Therapieangeboten in die allgemeinen Schulen könnte dieses Problem lösen. Auch Schüler*innen ohne festgestellten SBA könnten unter Berücksichtigung der jeweiligen räumlichen und personellen Möglichkeiten diese Angebote nutzen (z.B. Logopädie oder Physiotherapie).


3.1.2 Wohlbefinden, Selbstwert und soziale Teilhabe der Kinder und Jugendlichen in inklusiven Schulen

Hintergrund und Ergebnisse

Auswirkungen der schulischen Inklusion auf Wohlbefinden und Selbstwert sowie auf soziale Beziehungen sind zentrale Fragestellungen der Stuttgarter Inklusionsstudie. Diese werden mit unterschiedlichen Aspekten in allen Fragebögen thematisiert.

Die Auswertungen zeigen, dass viele Schüler*innen (mit und ohne SBA) über einen positiven Selbstwert verfügen. Die gleichberechtigte Teilhabe/Einbeziehung in schulische und außerunterrichtliche Aktivitäten scheint durchgehend praktiziert zu werden. Auch erachten es die an der Befragung beteiligten Schulleitungen als selbstverständlich, dass Kinder und Jugendliche mit SBA in vorhandene Angebote einbezogen werden bzw. sich daran freiwillig beteiligen können (z.B. Chor, Orchester, Theater-AG etc.)
Kleinere Unterschiede zeigen sich in der Frage, ob das Kind sich in der Klasse wohlfühlt: Eltern mit einem Kind mit SBA bestätigen dies zu 83,6%, Eltern mit Kindern ohne SBA zu 93,7%.

Die Frage, ob ihre Kinder gerne zur Schule gehen, bejahen Eltern mit einem Kind mit SBA ebenso wie mit einem Kind ohne SBA zu 88,4% bzw. 94,3%.

Fazit

Allgemeine Schulen bieten neben Unterricht auch musische, kulturelle, kreative oder bewegungsorientierte Aktivitäten an. Diese unterstützen die Persönlichkeitsentwicklung aller Schüler*innen, stärken das Selbstwertgefühl und fördern deren Gemeinschaftsentwicklung bzw. die Identifizierung mit ihrer Schule. Dies belegen auch die für diesen Bereich positiven Ergebnisse der Studie.

Alle Schulen, insbesondere im Hinblick auf die steigende Anzahl ganztägiger Angebote, sollten deshalb von den verantwortlichen Institutionen intensiv unterstützt werden, vielerlei solcher Aktivitäten anzubieten sowie Kooperationen mit außerschulischen Partner*innen anzustreben, zu intensivieren oder auszubauen. Unerlässlich dabei ist, dass die Angebote so gestaltet sind, dass alle Kinder daran teilnehmen können. In der aktuellen Praxis kann das auch die Bewilligung von Schulbegleitung/Assistenz über die reinen Schulstunden hinaus bedeuten.

Ein positives Schul- und Klassenklima unterstützt nachweislich die Lern-, Leistungs- und Persönlichkeitsentwicklung von allen Kindern und Jugendlichen. Die Studie zeigt auf, dass dies gerade auch in der schulischen Inklusion von hoher Bedeutung ist. Schulen sollten daher nachdrücklich durch die verantwortlichen Institutionen angeregt werden, im Schulalltag darauf zu achten, dass Regeln des Miteinander, wechselseitige Wertschätzung, gegenseitige Rücksichtnahme, Hilfsbereitschaft etc. praktiziert werden.


3.2 Begünstigende / erschwerende Faktoren und Rahmenbedingungen

3.2.1. Konzeptionen und Leitbilder

Hintergrund und Ergebnisse

Alle dazu befragten Gruppen (Lehrkräfte der allgemeinen Schule, Sonderpädagog*innen, Schulleiter*innen) liefern nahezu übereinstimmende Aussagen:

Etwa ein Viertel der Schulen besitzen ein inklusives Leitbild und arbeiten daran zielgerichtet.

Ein gemeinsames pädagogisches Selbstverständnis für die schulische Inklusion hat nur etwa jede zweite inklusiv arbeitende Schule erarbeitet.

Ungefähr ein Fünftel aller inklusiven Schulen hat sich noch gar nicht mit einem auf die Inklusion adaptierten Leitbild beschäftigt.

Fazit

Ein schulisches Leitbild zu entwickeln ist eine wesentliche Gelingensbedingung für ein abgestimmtes zielgerichtetes pädagogisches Handeln, durch welches Heterogenität in Gruppen bewusst wahrgenommen, wertgeschätzt und den Schüler*innen individuelle Angebote zur Erhöhung von Aktivität und Teilhabe in der Gesellschaft unterbreitet werden.

Ein solches Leitbild sollte auch die Initiierung neuer Angebote, eingebettet in sozialräumlich vorhandene Strukturen beschreiben. Unabdingbar ist dabei auch eine Konzeption zur multiprofessionellen Kooperation.

Schulen sollten durch die zuständigen Ämter und Institutionen motiviert und arbeitsfähig gemacht werden, vermehrt an der Entwicklung von inklusiven Leitbildern zu arbeiten.


3.2.2 Kooperationen

Die Studienergebnisse beziehen sich auf Kooperationen zwischen den betroffenen Personengruppen und zwischen den agierenden Institutionen sowie Ämtern. Dabei werden folgende Aspekte in den Blick genommen:

a. Zwischen Klassenteams und Assistenzkräften und Schulpersonal sowie zwischen SBBZ und allgemeiner Schule (Schulleitungen und Lehrkräfte)

b. Zwischen Eltern und Schule

c. Übergang Kindergarten und Schule

d. Zwischen den einzelnen Institutionen/ Ämtern/Ressorts

e. Übergang Schule – Beruf


Hintergrund und Ergebnisse

Aufgrund der Befragungsergebnisse zeigen sich deutliche Entwicklungsaufgaben bezüglich der Kommunikations- und Kooperationsmöglichkeiten zwischen den Schulen, den Eltern, dem pädagogischen Fachpersonal sowie den Assistenzkräften. Es mangelt dabei jeweils an entsprechenden Konzepten und angemessenen Rahmenbedingungen. Auch der Aspekt der Kooperation von vorschulischen Einrichtungen und Schulen sollte künftig bezüglich der Inklusion in den Fokus gerückt werden.

Neue Kooperationsformen zwischen den beteiligten Stuttgarter Ämtern zur Verbesse­rung der schulischen Inklusion wurden unter Federführung des Staatlichen Schul­amts Stuttgart schon in der Zeit der Modellerprobung auf verschiedenen hierarchi­schen Ebenen installiert. Dabei wurden wirksame Ergebnisse erzielt.

Für den Bereich „Übergang Schule – Beruf“ erhalten Schüler*innen mit einem SBA im inklusiven Unterricht zum Zeitpunkt der Befragung bei weitem nicht die differenzierten Angebote, wie sie diese von einem SBBZ erhalten hätten. Die SBBZ erreichen in intensiver Kooperation mit dem Integrationsamt, den Berufsschulen, der Arbeitsagentur, dem Jobcenter, Betrieben des allgemeinen Arbeitsmarktes sowie des Integrationsfachdienstes eine hohe Eingliederungsrate und neue Wege in Ausbildung und/oder Arbeit. Im Rahmen der inklusiven Beschulung werden zum Zeitpunkt der Befragung fast 70% der Eltern von Kindern mit SBA z.B. nicht über besondere Angebote im Übergang Schule-Beruf informiert. Des Weiteren erklären sich 10 von 28 Schulleitungen, die sich an der Studie beteiligten, bezüglich der Frage spezifischer Angebote im Kontext des Übergangs von der Schule in Ausbildung/Beruf für nicht zuständig, weitere acht Schulleitungen erwähnen, dass sie keine Angebote machen (können) bzw. beantworteten die Frage nicht.

Fazit

Auf der Basis von zu entwickelnden bzw. zu praktizierenden schulischen inklusiven Leitbildern unter Einbezug und entsprechender Kooperationen mit den verantwortlichen Ämtern und Institutionen kann eine solche Herausforderung erfolgreich bewältigt werden. Um den Schulen dabei eine tragfähige Handlungsbasis bereitzustellen, sind erweiterte Kooperationen von Institutionen sowohl auf Landesebene als auch auf regionaler Ebene erforderlich. Entsprechende Strukturen sind in Stuttgart seit Einrichtung der Modellregion schon auf den Weg gebracht worden, bedürfen jedoch einer kontinuierlichen Evaluation und Weiterentwicklung.

Konzepte der beruflichen Orientierung (BO) für inklusiv beschulte Schülerinnen und Schüler für den Bereich „Übergang Schule – Beruf“ werden kontinuierlich weiterentwickelt.

Diese Weiterentwicklung bedarf einer hohen Vernetzung aller schulischen und außerschulischen Partner, aus dem Bereich der Rehabilitation, der sozialen Eingliederung sowie dem Übergang Schule – Beruf. Hierfür soll eine verbindliche Arbeitsstruktur in der Landeshauptstadt auf den Weg gebracht werden.


3.2.3 Barrieren / Hindernisse

Hintergrund und Ergebnisse

Viele der befragten Lehrkräfte halten die gegebene Ausstattung sowie auch die personellen Ressourcen für nicht ausreichend, um die schulische Inklusion erfolgreich umzusetzen. Es werden mehr Raumangebote zur Durchführung von Differenzierungsangeboten, mehr Differenzierungsmaterial sowie eine verbesserte IT-Ausstattung gewünscht. Zudem wird eine vermehrte Umsetzung des Zwei-Pädagog*innen-Prinzips für eine gelingende Inklusion in der Schule angeführt.

Fazit

Eine inklusive Schule stellt allen Personen durchgehende Barrierefreiheit zur Ver­fügung. Neben einer „Pädagogischen Architektur“ („der Raum als dritter Pädagoge“), die Schule als ganztägigen Lebensraum anbietet, gibt es z.B. die Möglichkeit, Räume multifunktional zu nutzen, um zeitgemäßes Lernen und Unterrichten selbstverständlich werden zu lassen. Bei der Umgestaltung vorhandener Schulbauten muss die Frage im Vordergrund stehen, wie die Räume gestaltet werden müssen, damit dort pädagogisch gut gearbeitet werden kann und sich alle wohl fühlen.

Dazu gehören u.a.:

· Flexible, multifunktionale und gut kombinierbare Möbel.

· Schallschutz und Maßnahmen zur Verbesserung der Akustik, wie Deckenverkleidungen, Vorhänge, …

· Bereitstellung einer FM-Anlage (Frequenzmodulierte Funksignalanlage, eine technische Hörunterstützung für schwerhörige Menschen mit Sender und Empfänger)

· Schaffung von abgegrenzten Bereichen in Klassen- und Gruppenräumen zusätzlich zum allgemeinen Ruhe- und Rückzugsbereich

· Maßnahmen zur Optimierung der Beleuchtung, Leuchtklebebänder auf Treppenstufen, Tafellesegeräte, Tastmobiliar

· Tablets mit speziellen Programmen



3.2.4 Rahmenbedingungen des Unterrichts

Hintergrund und Ergebnisse

Zur Zeit der Studiendurchführung liegt in den antwortenden Schulen die durchschnittliche Klassengröße bei 22,6 Schüler*innen. Die meisten inklusiv geführten Klassen haben zwischen 20 und 24 Kinder und Jugendliche, es gibt aber auch viele Klassen mit weniger als 20 Heranwachsenden. Die durchschnittlichen Klassengrößen der Inklusionsklassen unterscheiden sich kaum von den Klassengrößen aller Klassen. Im Grundschulbereich, für den Vergleichsdaten aus dem Schulbericht 2018 / 2019 des Schulverwaltungsamts der Stadt Stuttgart vorliegen, liegt die durchschnittliche Klassengröße der Inklusionsklassen bei 20,5 Schüler*innen, in allen Klassen bei 21,5.

Die Mehrzahl der inklusiv beschulten Schüler*innen hat einen SBA im Förderschwerpunkt „Lernen“ und wird damit zieldifferenziert nach dem Bildungsplan der Förderschule unterrichtet. Daher ist Teamteaching sowie eine Kooperation der Lehrkräfte in weiteren Bereichen unabdingbar. Nach Aussagen der an der Studie beteiligten Schulleitungen und Lehrkräften ist dies offenkundig in der Praxis nur sehr eingeschränkt einlösbar. Im Durchschnitt nennen die Lehrkräfte 5,37 Unterrichtstunden pro Woche, die mit zwei Pädagog*innen besetzt sind. Da sehr viele Lehrkräfte bei dieser Frage „0 Stunden“ eintrugen, liegt der Median bei 2,6.

Kleingruppenangebote sind nach Einschätzung der Lehrkräfte nur in 2,64 Stunden/Woche möglich.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die zur Verfügung stehenden personellen Ressourcen für eine qualifizierte schulische Inklusion nicht ausreichen:
Es
fehlt zum einen die Ressource sonderpädagogischer Fachkompetenz, die zieldifferenten Unterricht qualitativ absichert und die dringend notwendigen gemeinsamen Beratungen und Besprechungen mit den Lehrkräften der allgemeinen Schule, den Assistenzen sowie auch den Eltern ermöglicht.
Zum anderen haben auch die
Lehrkräfte der allgemeinen Schule in der schulischen Inklusion durch einen erhöhten Besprechungs-, Vorbereitungs- und Abstimmungsbedarf einen weitaus höheren Zeitaufwand als im regulären Unterricht. Daher bedarf es auch hier einer höheren personellen Ausstattung. Es ist dem hohen Engagement und dem über das Normalmaß erbrachten zeitlichen Aufwand aller Lehrkräfte geschuldet, dass die schulische Inklusion in vielen Bereichen bisher trotzdem gelingen konnte.

Es ist notwendig, den zuständigen Landesverwaltungen die Erfahrungen aus der Praxis zurückzuspiegeln und eine Anpassung der personellen Ausstattung zu fordern.



3.2.5 Qualifikationen

Hintergrund und Ergebnisse

Seit Beginn der sog. Modellphase Inklusion in Baden-Württemberg (ab 2010) gab es in der Modellregion Stuttgart über das Staatliche Schulamt sowie auch über Lehrgänge in den Staatlichen Akademien kontinuierliche, bedarfsangepasste Fortbildungsangebote sowie Austauschrunden für Lehrerteams in der schulischen Inklusion sowie für Schulleitungen. Zudem gab es durch Personen aus allen Stuttgarter Ämtern regelmäßige Hospitationen mit entsprechenden Vor- und Nachgesprächen mit den jeweils Betroffenen an inklusiven Schulen, um mögliche Handlungsbedarfe zu erkennen und umzusetzen. Diese Hospitationen wurden dokumentiert und in den einschlägigen ämterübergreifenden Gremien diskutiert.

Das unterrichtende Personal in inklusiven Bildungsangeboten wird teilweise durch Schulbegleitungen/Assistenzkräfte entsprechend ihrer spezifischen einzelfallbezogenen Aufgaben unterstützt. Dabei sind enge Abstimmungen zwischen diesen Personengruppen und eine professionsübergreifende kontinuierliche Kommunikation sowie Qualifikation unabdingbar.

Annähernd Dreiviertel dieser Assistenzkräfte waren im Rahmen eines sog. Freien sozialen Jahres an den Schulen tätig.

Fazit

Ein verlässliches, begleitendes Qualifizierungsangebot für alle in der schulischen Inklusion tätigen Personengruppen trägt wesentlich zum Gelingen bei. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass neben Angeboten spezifisch für einzelne Personengruppen auch professionell übergreifende Austauschrunden / Fortbildungen zur Verfügung gestellt werden, da Inklusion eine gute Zusammenarbeit und Kommunikation über verschiedene Professionen hinweg erfordert.

Gute Rahmenbedingungen an den Schulen tragen ebenso wesentlich zum Gelingen der schulischen Inklusion und damit auch zur Zufriedenheit aller Beteiligten bei. Dabei sollten Klassen mit einem geringeren Klassenteiler gebildet werden, um den individuellen Förderbedarf aller Heranwachsenden zu erkennen und ihm mit professionellen Angeboten begegnen zu können. Des Weiteren muss eine ausreichende Anzahl von Sonderpädagog*innen an den allgemeinen Schulen tätig sein, um Diagnostik, Entwicklung von spezifischen individuellen Lernangeboten, Beratung (von Schüler*innen, Eltern, Lehrkräften, …) und eine Ergebnissicherung mit weiteren Planungen durchführen zu können.



3.2.6 Qualität des Unterrichts

Hintergrund und Ergebnisse

Die Aufgabe, Schüler*innen mit unterschiedlichsten Lernvoraussetzungen zu unterrichten, stellt sich allen Schulen. Im inklusiven Unterricht bedeutet dies eine Steigerung der ohnehin gegebenen Differenz, insbesondere für die Förderschwerpunkte „Lernen“ und „geistige Entwicklung“. In der Stuttgarter Studie zur schulischen Inklusion wurde daher der Frage besondere Aufmerksamkeit gewidmet, wie Eltern, Schüler*innen sowie Lehrkräfte den Umgang mit diesen Anforderungen wahrnehmen.
Beispielhaft spiegeln die im Folgenden dargestellten Aussagen der verschiedenen Befragtengruppen die Qualität des Unterrichts:

· Eltern von Kindern mit SBA in der Sekundarstufe schätzen den Lernfortschritt ihres Kindes signifikant höher ein als Eltern von Kindern ohne SBA.

· Eltern schätzen die Angepasstheit von Unterricht und Materialien über 50% bis 67% als gut ein, relativ unabhängig vom SBA.

· Schüler*innen aus dem Grundschulbereich geben zu fast 2/3 an, dass sie im Unterricht Dinge gut erklärt bekommen und diese verstehen können, relativ unabhängig von einem festgestellten SBA.

· Wesentlich mehr Schüler*innen mit SBA (80%) geben an, dass sie Rückkoppelungen zu ihren individuellen Lernfortschritten von den Lehrkräften erhalten.

· Schüler*innen mit und ohne festgestellten SBA geben im Grundschulbereich deutlich öfter an, dass sie Aufgaben in der Schule gut bewältigen, wobei der Prozentsatz bei den Schüler*innen mit SBA höher liegt. Im Sekundarbereich liegt diese Quote niedriger.

· Lehrkräfte geben mit einem sehr hohen Prozentsatz an, dass im Unterricht (Grundschule und Sekundarstufe) ein differenzierter Zugang zum Erwerb von Kenntnissen und Kompetenzen gelingt.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sowohl Eltern als auch die Schüler*innen im Grundschul- sowie im Sekundarbereich überwiegend positive Einschätzungen der Unterrichtsqualität vornehmen.


Daher überraschen die folgenden Antworten der Eltern in der abschließenden Frage des Elternfragebogens: Eltern von Kindern mit SBA äußern sich von wenigen Aussagen abgesehen durchgehend positiv zu der Frage, ob ihr Kind insgesamt vom Unterricht in der inklusiven Klasse profitiere, wohingegen Eltern mit Kindern ohne SBA bei dieser Frage zu 38% „nie“ oder „selten“ angeben.

Elternfrage: Profitiert Ihr Kind insgesamt vom Unterricht in einer inklusiven Klasse? (Angaben in Prozent)

Kind mit SBAKind ohne SBA
Nie 7,516,2
Selten7,521,8
Oft 43,840,9
immer41,321,1

Dies kann nach Einschätzung der Studienleitung durchaus mit der mangelnden Einbeziehung der Eltern in Fragen der Inklusion zusammenhängen.


Die Aussagen der Lehrkräfte und Sonderpädagog*innen vermitteln eine gewisse Skepsis, was die an Inklusionsklassen gerichteten Anforderungen in Bezug auf Unterrichtsqualität betreffen. Dies kann man durchaus in einen Zusammenhang bringen mit den unter Punkt 3.2.4 dargestellten knappen personellen Ressourcen, die für inklusiven Unterricht zur Verfügung stehen.


Den ausführlichen Bericht entnehmen Sie bitte der Anlage 1.





Dr. Alexandra Sußmann Isabel Fezer
Bürgermeisterin Bürgermeisterin





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<Anlagen>


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GRDrs 30_2023 Anlage 1_Ausfuehrlicher Bericht_Stand 30052023.docx