Protokoll: Ausschuss für Stadtentwicklung und Technik des Gemeinderats der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
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Sitzungstermin: 19.01.2021
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: BM Pätzold
Berichterstattung:Herr Bertram (ASW)
Protokollführung: Frau Schmidt fr
Betreff: Milieuschutzsatzungen - weiteres Vorgehen
- mündlicher Bericht -

Vorgang: Ausschuss für Stadtentwicklung u. Technik v. 15.12.2020, öffentlich, Nr. 499
Ergebnis: Vertagung


Die zu diesem Tagesordnungspunkt gezeigte Präsentation ist dem Protokoll als Dateianhang hinterlegt. Aus Datenschutzgründen wird sie nicht im Internet veröffentlicht. Dem Originalprotokoll und dem Protokollexemplar für die Hauptaktei ist sie in Papierform angehängt.


Herr Bertram (ASW) berichtet im Sinne der Präsentation und stellt zunächst die bereits bestehenden oder zur Untersuchung angedachten Gebiete vor (Folie 2). Zum Gebiet Nordbahnhofviertel merkt er ergänzend an, diese Satzung aus dem Jahr 2012 bestehe am längsten. Das Ergebnis einer ersten Evaluation 2020 habe ergeben, dass trotz eines starken Veränderungsdrucks durch die S21-Maßnahmen und andere größere Baumaßnahmen die Mieten nicht stärker gestiegen seien als in vergleichbaren Stadtquartieren ohne Veränderungsdruck. Dies bilde den Erfolg der Satzung in diesem Viertel. Dieser Erfolg könne jedoch nicht auf andere Gebiete übertragen werden, denn im Nordbahnhofviertel gebe es eine Monostruktur bei den Eigentumsverhältnissen. Der Großteil der Gebäude (Baujahr zwischen 1850 und 1900) befinde sich im Eigentum von Vonovia, die sich mit Modernisierungen zurückhalte. Um zu stadtweiten Ergebnissen zu kommen, müssten weitere fünf Jahre abgewartet werden. Erst dann sei die Entwicklung in den anderen Gebieten absehbar. In einem kurzen historischen Exkurs erläutert Herr Bertram, dass es zwischen 1990 und 2002 die ersten drei Milieuschutzsatzungen gegeben habe (Möhringer Burgstallstraße, Obere Augusten- und Reinsburgstraße und Mittnacht-/Rosensteinstraße). Bezüglich des Vorschlages der Verwaltung zum weiteren Vorgehen (Folie 3) erklärt er ergänzend, es sei sinnvoll, zunächst die Ergebnisse aus Seelberg und Heslacher Tal abzuwarten. Diese seien am besten dazu geeignet, auf andere Gebiete übertragen zu werden, da hier die Eigentümerstruktur eine andere sei (Streubesitz). Vor diesem Hintergrund empfehle er, pro Jahr maximal ein bis zwei vorbereitende Untersuchungen in Auftrag zu geben. Anlässlich der Eigentumsverhältnisse in den neu vorgeschlagenen Gebieten (östlich Adlerstraße/Tübinger Straße und
Teinacher Straße) erläutert er die Ziele einer Milieuschutzsatzung. Diese seien


1. die Setzung eines politischen Zeichens an die Eigentümer, die Mieten nicht über Gebühr zu erhöhen,

2. Modernisierungen auf das gesetzlich notwendige Maß einzugrenzen, um so die Umlagefähigkeit von Modernisierungskosten zu begrenzen und

3. die Aufteilung in Wohneigentum und damit die Privatisierung einzelner Wohnungen zu verhindern.

Des Weiteren verweist er auf die Begleitgruppe zur Milieuschutzsatzung, die sich aus dem Amt für Stadtplanung und Wohnen, dem Statistischen Amt und dem Sozialamt zusammensetze. Die Begleitgruppe habe festgestellt, dass beim Eigentum bereits ein hoher Aufteilungsgrad in den Gebieten vorhanden sei (Folien 5 und 7). Abschließend erläutert Herr Bertram die aktuelle Finanz- und Personalsituation (Folie 9). Demnach werde es in 2021 keine weitere Beschlussvorlage für vorbereitende Untersuchungen (VU) geben, da die Finanzmittel bei 61-8 (Abteilung Stadterneuerung und Wohnbauentwicklung) aufgebraucht seien. Aus diesem Grund kündigt er für den kommenden Doppelhaushalt einen Antrag zur Erhöhung der Mittel an, dem beim letzten Doppelhaushalt leider nicht entsprochen worden sei. Es sei nicht berücksichtigt worden, dass die VUs für Milieuschutzsatzungen dazugekommen seien. Somit müssten die VUs für Sanierungen und Milieuschutzsatzungen aus diesem Etat bestückt werden, der damit nicht ausreichend sei. Grundsätzlich sei eine VU eher für Sanierungen zu empfehlen, da damit Fördergelder verbunden seien. Mit Blick auf den Mieterschutz plädiert er jedoch für die Aufstockung der Mittel. Des Weiteren werde es Stellenanträge von 61-9 (Abteilung Wohnen) geben, um weitere Satzungen betreuen zu können. In seinem Fazit erklärt der Referent, dass es "nicht die Masse macht". In München gebe es 30, in Berlin 60 Milieuschutzsatzungen; trotzdem ständen beide Städte im Mietenvergleich auf Rang 1 und 8.

StRin Schiener (90/GRÜNE) verweist auf die ausführliche Beratung des Themas am 19.03.2019 im Städtebauausschuss. Dabei sei die Soziale Stadt als Erfolgsmodell für Stuttgart bezeichnet worden. Bereits damals sei auf die Gefahren der wachsenden Segregation und des Auseinanderdriftens der Stadtgesellschaft hingewiesen worden. Sie erinnert an das Beispiel der Stadt Frankfurt, bei der das gesamte Stadtgebiet hinsichtlich neuer Gebiete untersucht worden sei. Für die nächsten Haushaltsberatungen rechnet sie mit einer Mitteilungsvorlage und signalisiert Zustimmung zur Fortsetzung des Weges. Abschließend möchte sie wissen, zu welchem Zeitpunkt die Entscheidung über die nächsten Gebiete getroffen werden müsse.

Die Notwendigkeit von Milieuschutzsatzungen unterstreicht StR Dr. Vetter (CDU). Dies sei an den Ergebnissen für das Nordbahnhofviertel abzulesen. Er plädiert dafür, angesichts der benannten Ziele von Milieuschutzsatzungen auch zukünftig nicht in der breiten Masse, sondern differenziert zu untersuchen. Somit könne er sich dem Vorschlag der Verwaltung zum weiteren Vorgehen anschließen.

Ein moderates Vorgehen ist für StR Rockenbauch (Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei) zwar verständlich, aber mietenpolitisch nicht erstrebenswert. Der Trend zur Verdrängung schreite massiv voran. Das Instrument der Milieuschutzsatzung sei bisher nicht maßvoll, sondern zögerlich eingesetzt worden. Er gehe davon aus, dass dies mit den Kapazitätsgrenzen bei den finanziellen Mitteln und des Personals zu tun habe. Einigkeit bestehe darüber, dass eine Milieuschutzsatzung kein Preistreiber sei. Stückwerk helfe nicht weiter, und er plädiere daher für ein offensiveres, mutigeres Einsetzen dieses Instrumentes, wie es beispielsweise in München praktiziert werde.

Für StR Körner (SPD) stellt der Mietwohnungsmarkt derzeit die größte Herausforderung für Stuttgart dar. Mittlerweile hätten auch Menschen mit Durchschnittseinkommen Probleme, adäquaten Wohnraum zu finden. Die Erfahrungen in deutschen Großstädten zeigten, dass die Milieuschutzsatzung ein taugliches Instrument sei, um diesem Problem zu begegnen. Angesichts der Situation auf dem Mietwohnungsmarkt seien 1 - 2 VUs pro Jahr deutlich zu wenig. Er formuliert als Zielsetzung 5 - 6 VUs, mindestens jedoch 3 - 4, um 100.000 Einwohner zu erreichen, und signalisiert Zustimmung, dafür die Ressourcen im kommenden Doppelhaushalt oder im aktuellen Nachtragshaushalt zur Verfügung zu stellen. An BM Pätzold richtet er die Frage, wie diese wichtige Entscheidung getroffen werden könne. Wenn man sich auf ein Verfahren einige, müsse dieses jedoch auch mit einem Datum versehen werden.

Den Erfolg einer Milieuschutzsatzung bezweifelt StR Serwani (FDP). In einigen Gebieten müsse sicherlich eingegriffen werden, aber im Nordbahnhofviertel wäre der Erfolg auch ohne Milieuschutzsatzung möglich gewesen. Zustimmung äußert er zur VU für die beiden neuen Gebiete, gibt aber auch zu bedenken, dass durch eine Milieuschutzsatzung die Aufteilung in Eigentum verhindert werde, obwohl der Erwerb von Eigentum stets als erstrebenswert angesehen werde.

StR Schrade (FW) kann sich der Meinung von StR Dr. Vetter anschließen und erinnert daran, dass der Wohnungsmarkt in Stuttgart nach wie vor sehr angespannt sei. Die Milieuschutzsatzung könne nicht das einzige Instrument sein, um diese Situation zu entspannen. Es müssten in den kommenden Jahren mehr Wohnungen gebaut werden.

Für StR Goller (AfD) ist eine Milieuschutzsatzung das falsche Mittel, um Stuttgart insgesamt zu helfen und ein Ansteigen der Mieten zu stoppen. Ziel einer solchen Satzung sei es, historisch wertvolle Bausubstanz und deren Bevölkerung in homogenen Wohngebieten zu erhalten. Konkrete Beispiele dafür seien Dörfer, kleinere Studentenstädte oder Kurorte. Wenn einzelne Gebiete "auf Pause" gestellt würden, erhöhe sich der Druck in anderen Gebieten, die nicht von einer Milieuschutzsatzung betroffen seien. Weiterer Nachteil einer solchen Satzung sei der Eingriff in Eigentum; solche Eingriffe müssten so gering wie möglich gehalten werden. Gebiete mit Satzung würden künstlich auf einem niedrigen Modernisierungsstand gehalten, wodurch sich Bereiche für ärmere Menschen bildeten. Es sei ein Trugschluss zu glauben, dass dadurch Milieus erhalten blieben. Weitere Folge sei die Verteuerung von Neubaugebieten. Da noch keine konkreten Ergebnisse aus den bisherigen Satzungen vorlägen, hält es der Stadtrat nicht für angebracht, weitere Untersuchungen in Gang zu setzen. Er plädiert dafür, keine einzelnen Viertel, sondern das gesamte Stadtgebiet zu betrachten.

Für eine weitere Beratung des Sachverhaltes in den Fraktionen spricht sich StRin Köngeter (PULS) aus. Sie möchte wissen, nach welchen Kriterien die Gebiete ausgewählt würden. Eventuell könne kein heutigen Standards entsprechender Wohnraum geschaffen werden, wenn durch eine Satzung Sanierungen oder Umbauten in historischen Gebäuden verhindert würden. Milieuschutz dürfe nicht das einzige Instrument bleiben, um niedrige Mieten zu realisieren. 1 - 2 VUs pro Jahr halte sie dennoch für zu wenig.

Für StR Peterhoff (90/GRÜNE) besteht Einigkeit über den Milieuschutz als geeignetes Instrument, das nun ausgebaut werden solle. Im kommenden Doppelhaushalt sei eine Verdoppelung der Mittel möglich. Er erwarte zeitnah eine Vorlage mit Informationen zu möglichen Gebieten und der Anzahl der betroffenen Einwohner*innen. BM Pätzold sagt diesbezüglich eine Mitteilungsvorlage zu. Schlussendlich sei es eine Frage der finanziellen und personellen Ressourcen, wie weiter verfahren werde.

StR Goller regt an, anhand der Daten anderer Städte zunächst eine Analyse zu erstellen, welche Auswirkungen Milieuschutzsatzungen auf den durchschnittlichen Mietpreis insgesamt in einer Stadt haben.

Die praktische Umsetzung spricht StRin Bulle-Schmid (CDU) an. Sie wolle wissen, wie verfahren werden müsse, wenn beispielsweise ein Balkon in einem Gebiet mit Milieuschutzsatzung installiert werden soll.

Dazu erklärt Herr Bertram, es gebe für derartige Anfragen derzeit nur eine Sachbearbeiterin für alle vier Gebiete. Aus diesem Grund habe er auf das Ende der personellen Kapazitäten hingewiesen. Er bestätigt, dass auch für nicht baugenehmigungspflichtige Modernisierungsmaßnahmen ein Antrag gestellt werden müsse. Dies stelle einen erheblichen bürokratischen Aufwand dar, der zu den Auswirkungen von Mieterhöhungen ins Verhältnis gesetzt werden müsse. Milieuschutzsatzungen schlössen Mieterhöhungen nicht aus, begrenzten diese aber, da umlagefähige Kosten reduziert würden. Er weist ausdrücklich darauf hin, dass die nach dem BGB gesetzlich zulässigen Mieterhöhungen auch in Milieuschutzsatzungsgebieten zulässig seien. Für die Anträge gebe es für jedes Gebiet Merkblätter, die bei der Abteilung 61-9 eingesehen werden können. Somit sei der Gleichbehandlungsgrundsatz gewährleistet.

Diesen Gleichbehandlungsgrundsatz findet StR Kotz (CDU) schwierig. Es dürften nicht Wohnungsunternehmen mit großen Beständen und dem Ziel der Mietpreismaximierung und private Vermieter mit Einzeleigentum über einen Kamm geschoren werden. Einen derartigen Beschluss sehe er sehr kritisch.

Dieser Aussage kann sich StR Goller anschließen. Eine Milieuschutzsatzung erreiche nicht das angestrebte Ziel. Es sollten Wohnbaugesellschaften angehalten werden, Mieter*innen nicht auszunutzen, aber stattdessen würden auch private Vermieter getroffen.




Mit dem erneuten Verweis auf eine zeitnahe Mitteilungsvorlage stellt BM Pätzold fest:

Der Ausschuss für Stadtentwicklung und Technik hat von dem Bericht Kenntnis genommen.

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