Protokoll: Gemeinderat der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
TOP:
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VerhandlungDrucksache:
1006/2016
GZ:
WFB
Sitzungstermin: 26.01.2017
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: EBM Föll
Berichterstattung:-
Protokollführung: Frau Sabbagh fr
Betreff: Platzvergabe an Zirkusunternehmen mit Wildtieren

Vorgang: Verwaltungsausschuss vom 25.01.2017, öffentlich, Nr. 5

Ergebnis: mehrheitliche Zustimmung mit Ergänzung


Beratungsunterlage ist die Vorlage des Referats Wirtschaft, Finanzen und Beteiligungen vom 16.01.2016, GRDrs 1006/2016, mit folgendem

Beschlussantrag:

Die Landeshauptstadt Stuttgart überlässt ab dem 01.04.2019 Zirkusbetrieben mit Wildtieren keine städtischen Festplätze (einschl. Cannstatter Wasen) und sonstigen städtischen Flächen mehr. Bis zu diesem Zeitpunkt gilt der Beschluss vom 21.10.2010 (GRDrs 652 / 2010) weiter.

Wildtiere im Sinne dieses Beschlusses sind Menschenaffen, Tümmler, Delfine, Greifvögel, Flamingos, Pinguine, Nashörner, Wölfe, Reptilien wie Alligatoren, Krokodile, Schlangen, Antilopen u. antilopenartige Tiere, Amphibien, Bären, Elefanten, Flusspferde, Giraffen, Robben u. robbenartige Tiere, Großkatzen, Lamas,
Vikunjas, Papageien, Wildformen von Rindern, Kängurus sowie Zebras.



Vor Eintritt in die Tagesordnung teilt EBM Föll mit, dass sich OB Kuhn auf einer Dienstreise in Indien befinde.

Weiter stellt er fest, dass der Gemeinderat mit Ausnahme von StRin von Stein (FW) keine Einwendungen gegen Aufnahmen des SWR während TOP 2, Wildtierverbot, hat. Es wird vereinbart, dass nicht gefilmt wird, wenn StRin von Stein das Wort ergreift.

EBM Föll weist darauf hin, dass der Beschlussantrag im VA um die Straußenvögel ergänzt worden sei und in dieser Fassung zur Abstimmung stehe. Darüber hinaus informiert er, einer Bitte des Berufsverbands der Tierlehrer entsprechend, den Gemeinderat über eine E-Mail, in der sich der Berufsverband gegen ein solches Wildtierverbot ausspreche und auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom 12.01.2017 verweise. Darin sei die Stadt Hameln im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet worden, eine erneute Vergabeentscheidung zu treffen, weil sie Zirkusunternehmen mit Wildtieren ausgeschlossen habe. EBM Föll erinnert daran, dass die Verwaltung den Gemeinderat bereits im Dezember 2016 auf die unterschiedlichen Rechtsprechungen zu dieser Thematik aufmerksam gemacht habe. Nach sorgfältiger Abwägung aller Argumente habe man im WA (siehe NNr. 144/2016) eine großzügige Übergangsfrist bis 01.04.2019 festgelegt, die aber noch im Gemeinderat beschlossen werden müsse.

StR Rudolf (CDU) hat kein Verständnis dafür, dass man den 2011 beschlossenen "erfolgreichen und sinnvollen Stuttgarter Weg ohne Not" verlasse. Der Stuttgarter Weg sehe vor, dass Zirkusse mit Wildtieren mit den entsprechenden gesetzlichen Auflagen nur noch auf dem Cannstatter Wasen gastieren dürften. Sie müssten sich zu regelmäßigen Kontrollen verpflichten. In diesen sechs Jahren sei kein einziger Verstoß bekannt, im Gegenteil, es sei alles gelobt worden. Nun wolle man die Zirkusse mit Wildtieren ohne Gesetzesgrundlage und ohne die sonst "beliebte Bürgerbefragung" verbieten. Damit nehme man den Dompteuren die Möglichkeit, ihren Beruf auszuüben.

Dem Argument, im Zirkus werde ein falsches Bild von den Tieren vermittelt, begegnet er mit der Frage, ob Arbeitstiere oder Jagdtrophäen bessere Bilder seien? Er stimme zu, dass mehr für den Tierschutz getan werden sollte, man aber z. B. bei der Überfischung der Ozeane beginnen sollte. Er sehe die Würde der Tiere im Zirkus nicht verletzt, denn sie lebten dort mit den Menschen und würden doppelt so alt wie in freier Wildbahn. Ein Dompteur berichte, dass die Tiere freiwillig in die Manege gingen. In absehbarer Zeit würden die Zirkusunternehmen Stuttgart aus wirtschaftlichen Gründen meiden, und die Leidtragenden seien nicht nur die Stuttgarterinnen und Stuttgarter, sondern auch der städtische Haushalt. Mit der neuen Regelung werde sich für die Tiere nichts ändern, weil die Zirkusse einfach an anderen Orten gastierten. Deshalb lehne seine Fraktion die Vorlage ab und bitte die übrigen, dies ebenfalls zu tun.

StR Winter (90/GRÜNE) erinnert an den Antrag seiner Fraktion von 2010, im Zuge dessen der Stuttgarter Weg beschlossen worden sei. 65 % der Bevölkerung in Deutschland wollten keine Tiernummern in Zirkussen sehen. Seiner Ansicht nach passe die Zurschaustellung von Wildtieren nicht zu einer modernen und lebensfrohen Landeshauptstadt Stuttgart. Die Stadt reihe sich mit dieser Regelung unter 50 größere und kleinere Kommunen in Deutschland - nicht zu reden von anderen Ländern - ein. Erfreulich sei, dass auch der Veranstalter des Weltweihnachtszirkusses die Verbindung zu Stuttgart und dem Publikum sehr schätze und auch über 2019 hinaus hier gastieren wolle.

Großen Respekt zolle seine Fraktion dem Engagement in bürgerschaftlichen Organisationen und Initiativen, erklärt StR Perc (SPD). Mit Blick auf die verschiedenen Positionen stellt er klar, dass Tiere im Zirkus weder intelligenter, fitter, gesünder, glücklicher seien, noch ständig misshandelt würden. Dennoch sei eine Nutzungseinschränkung notwendig. Es liege nicht in der Natur der Wildtiere, in Transportern durch die Republik gefahren zu werden, um in der Manege Kunststücke aufzuführen. Wenn man sie schon ihrer Freiheit beraube, dann doch wenigstens mit dem pädagogischen Ziel, insbesondere Kindern die Natur näherzubringen. Und schließlich wandelten sich Werte, wie man z. B. daran sehen könne, dass man das Staatsziel des Tierschutzes ins Grundgesetz aufgenommen habe. Mit der Übergangsfrist ermögliche man den Unternehmen, sich auf die neue Situation einzustellen. Aus Respekt vor Mensch und Natur sei es wichtig, dass Wildtiere nicht zur Unterhaltung dressiert würden. Deshalb bitte er um Zustimmung zum Antrag und zur Vorlage.

Als Mitinitiator nimmt StR Ozasek (SÖS-LINKE-PluS) erfreut zur Kenntnis, dass die Verwaltung ihre Bedenken zu einem allgemein verbindlichen kommunalen Wildtierverbot zwischenzeitlich zurückgestellt habe. Die sachlichen Gründe seien in der Bundesratsdrucksache 78/2016 ausreichend dargelegt. Zudem hätten VGHs in München und Hessen entsprechende kommunale Verbote bestätigt. Die Haltungsbedingungen in reisenden Zirkusbetrieben seien nicht tiergerecht. Dies führe zu Verhaltensstörungen, Erkrankungen des Bewegungsapparats und deutlich verringerter Lebenserwartung, wie auch die Bundestierärztekammer bestätige. Aus Sicht seiner Fraktionsgemeinschaft sei die geltende Tierschutzgesetzgebung völlig unzureichend. Dressur nicht domestizierter Arten erfolge zum Zweck der Unterhaltung und unter Zuführung von Schmerzen. Diese Form der Zurschaustellung verletze die Würde der Tiere und sei somit ethisch fragwürdig.

Dagegen erklärt StR Zaiß (FW), seine Fraktion verstehe das Verbot nicht. Die Veterinäre hätten seit Jahren keine Einwände gegen diese Tierhaltung. Dann müssten ja auch die landwirtschaftlichen Betriebe schließen. Die Tierpfleger und Tierlehrer lebten mit ihren Tieren und wären schlecht beraten, wenn sie sie schlecht behandeln würden. Er bezweifle auch, dass es den Tieren im Zoo generell besser gehe als im Zirkus, denn dort hätten sie keine Beschäftigung. Viele Haustiere, z. B. Hunde, ließen sich gerne im Auto spazieren fahren, und das gelte auch für viele Wildtiere. Mit dem Verbot entziehe man manchem Zirkus die Grundlage, weshalb seine Fraktion die Vorlage ablehnen werde.

Nach Ansicht seiner Fraktion, so StR Prof. Dr. Maier (AfD), sei der Tierschutz in Deutschland auf vielen Gebieten nicht ausreichend. Das beginne bei der Massentierhaltung und ende wahrscheinlich noch nicht beim Zirkus. Es sollte kein Leiden von Tieren in Kauf genommen werden zu dem Zweck, Menschen zu unterhalten. Natürlich habe sich über die Jahrzehnte einiges verbessert. Der Ursprungsgedanke, wonach Menschen exotische Tiere sehen sollten, die sie sonst nie zu Gesicht bekämen, sei durch das Fernsehen quasi gegenstandslos geworden. Dort würden Wildtiere in einer viel natürlicheren Weise präsentiert, als dies in einem Käfig bzw. im Zoo oder Zirkus der Fall sein könne. Doch sei es ein Prozess der Mentalitätsbildung, sich auf einen tierfreien Zirkus einzustellen und deshalb sei eine längere Übergangsfrist als die in der Vorlage vorgesehene notwendig. Sonst werde auch der Weltweihnachtszirkus nicht mehr in Stuttgart gastieren. Zudem könnten die jetzt noch in den Zirkussen gezeigten Wildtiere nicht ohne Weiteres in einen Zoo überführt werden, da sie eine andere Form der Haltung und des Lebens gewohnt seien. Auch deshalb müsse die Übergangsfrist länger sein. So werde sich seine Fraktion der Stimme enthalten, auch wenn sie grundsätzlich für den Tierschutz sei.

StRin Yüksel (FDP) betont, auch ihre Gruppierung halte eine artgerechte Haltung von Wildtieren in Zirkussen kaum für möglich. Doch sei bei der juristischen, ausdrücklich nicht ethisch-moralischen, Abwägung unbedingt auch das Recht der Artisten auf Berufsausübungsfreiheit zu berücksichtigen. Und die Vorlage stelle einen sehr großen Eingriff in dieses verfassungsrechtlich geschützte Recht dar. Hinzu komme die relativ kurze Übergangsfrist, insbesondere im Hinblick auf die aktuelle Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hannover. Ihre Gruppierung werde sich der Stimme enthalten und plädiere dafür, bis zum Erlass einer entsprechenden Rechtsverordnung durch die hier zuständige Bundesregierung den Zirkussen auf kommunaler Ebene Anreize zu geben, ihre Tiere freiwillig abzuschaffen, indem man z. B. Zirkusse ohne Tiere gebührenrechtlich erheblich besserstelle oder ihnen die Gebühren ganz erlasse.

StR Dr. Schertlen (STd) unterstützt das Verbot von Wildtieren in Zirkussen, da sie dort nicht artgerecht gehalten werden könnten. Verhaltensstörungen seien unter anderem die Folge. Zudem basiere die Dressur von Wildtieren in Zirkussen nicht auf Freiwilligkeit, sondern die Tiere würden meist unter körperlicher Bestrafung und psychischem Druck zu unnatürlichen Kunststücken gezwungen.

Abschließend weist EBM Föll darauf hin, dass der Veranstalter des Welt-weihnachtszirkusses öffentlich erklärt habe, dass er auch bei einem Wildtierverbot über das Jahr 2018 hinaus in Stuttgart gastieren wolle. Der Weltweihnachtszirkus werde dann ein attraktives Programm ohne Wildtiere bieten.


Er stellt fest:

Der Gemeinderat beschließt mit 29 Ja- und 19 Nein-Stimmen bei 7 Enthaltungen mehrheitlich den im 2. Absatz um "Straußenvögel" ergänzten Beschlussantrag.

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