Protokoll: Sozial- und Gesundheitsausschuss des Gemeinderats der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
GZ:
Sitzungstermin: 08.04.2019
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: BMin Fezer
Berichterstattung:Herr Dr. med. Kolb (Chefarzt der Erwachsenenpsychiatrie, St. Lukas-Klinik, Liebenau Gesundheit),
Herr Francisci (Gesamtleitung St. Damiano, Stuttgart, Liebenau Therapeutische Einrichtungen)
Protokollführung: Herr Krasovskij de
Betreff: Psychiatrische Institutsambulanz für Menschen mit geistiger Behinderung und psychischer Erkrankung - Angebot der St. Lukas-Klinik der Stiftung Liebenau in Stuttgart
- mündlicher Bericht -

Herr Francisci und Herr Dr. Kolb informieren die Ratsmitglieder über die Arbeit der Psychiatrischen Institutsambulanzen (PIA) für Menschen mit geistiger Behinderung und psychischer Erkrankung und über das geplante ambulante Angebot in der St. Lukas-Klinik der Stiftung Liebenau in Stuttgart.

Einleitend betont Herr Francisci die gute Zusammenarbeit zwischen den PIA und dem Medizinischen Zentrum für Erwachsene mit Behinderung (MZEB). Beide Angebote würden sich im Sinne einer guten Versorgung von Menschen mit einer geistigen Behinderung und einer psychischen Erkrankung gut ergänzen. Er berichtet weiter, dass in der Einrichtung St. Damiano in der Steinhaldenstraße 71 seit nun schon dreizehn Jahren behinderte Menschen mit zum Teil schweren geistigen Störungen, psychischen Erkrankungen und/oder Verhaltensproblematiken betreut würden. Heute seien dort 43 Menschen untergebracht. Vor einem Jahr sei die Einrichtung St. Damiano II in der Winterbacher Straße mit 24 Plätzen eröffnet worden. Bisher habe man ausschließlich Menschen, die in den Einrichtungen leben, im Rahmen der PIA der Stiftung Liebenau begleiten können. Vor 14 Jahren sei dann der Antrag auf Zulassung einer PIA in der St. Lukas-Klinik in Stuttgart gestellt worden. Nach einem langwierigen Zulassungsprozess liege nun seit Ende letzten Jahres die Zusage für die Einrichtung eines solchen Angebotes vor.

Auch Herr Dr. Kolb bestätigt zunächst das nicht einfache Zulassungsverfahren. Anschließend berichtet er darüber, dass in der PIA für Menschen mit einer geistigen Behinderung und einer psychischen Erkrankung Patientinnen und Patienten ab einer mittelschweren Intelligenzminderung behandelt würden. Unter einer mittelschweren Intelligenzminderung würden Menschen mit einem Intelligenzquotienten (IQ) von 50 oder darunter leiden. Von einer schweren Intelligenzminderung spreche man ab einem IQ von 35 und darunter. Diese Menschen hätten meist nur einen Wortschatz von weniger als zehn Wörter oder könnten gar nicht sprechen. Im Gegensatz dazu könnten Personen mit einer mittelschweren Intelligenzminderung ein bisschen schreiben, hätten aber schwere grammatikalische Störungen. Beiden Personengruppen sei eine Kommunikations- und Wahrnehmungsstörung sowie eine (stark) eingeschränkte Tiefensensibilität und oftmals fehlendes Distanzgefühl gemein. Nicht selten kämen auch autistische Störungen hinzu.

Herr Dr. Kolb fährt weiter fort, dass Menschen mit einer mittelschweren Intelligenzminderung Bedürfnisse und Fähigkeiten entwickeln würden, die ungefähr dem Stand eines zehn Jahre alten Kindes entsprechen würden. Personen mit einer schweren Intelligenzminderung blieben in ihrer geistigen Entwicklung in der Regel auf dem Stand eines dreijährigen Kindes. Im Rahmen der PIA werde einzelfallbezogen versucht, die Fähigkeiten, Bedürfnisse aber auch Grenzen der Patientinnen und Patienten herauszufinden, um das Umfeld auf sie anzupassen.

Ein weiterer wichtiger Punkt sei der Umgang mit dem sozialen Umfeld der Betroffenen, und hier vor allem mit deren Eltern und Angehörigen. Es gehe darum, die nahen Verwandten für die besonderen Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten zu sensibilisieren. Der Mediziner erklärt, dass behinderte Kinder sich in der Regel nicht von ihren Eltern abgrenzten. Die Eltern müssten lernen, mit einem lebenslangen und teilweise schwierig zu handhabenden Verantwortungsgefühl umzugehen. Manche Eltern versuchten dabei, die geistige Behinderung ihrer Kinder zu ignorieren, was mitunter in der Folge zu Überforderungssituationen und schweren Erkrankungsbildern führen könne. Andere Eltern neigten dagegen dazu, den Freiraum ihrer geistig behinderten Kinder zu stark einzuschränken, was ebenfalls vielfach zu Problemen führen könne.

Abschließend unterstreicht Herr Dr. Kolb die Wichtigkeit einer PIA für die Betreuung von Menschen mit geistiger Behinderung und einer psychischen Erkrankung. Ferner äußert er sich ebenfalls positiv bezüglich der Zusammenarbeit mit dem MZEB. Er betont, dass bei Menschen, die sich kaum ausdrücken könnten, diffuse Krankheitsbilder möglich sind. Deshalb sei eine körperliche Untersuchung immer auch eine Voraussetzung für die psychiatrische Arbeit.

In ihrer Wortmeldung macht StRin Bulle-Schmid (CDU) deutlich, dass es wichtig sei, sich mit der Situation und den Bedürfnissen von Menschen mit einer geistigen Behinderung und einer psychischen Erkrankung auseinanderzusetzen. Die Stadträtin verweist auf die Unsicherheit und die Ängste der Gesellschaft im Umgang mit dieser Personengruppe. Dies liege natürlich auch daran, dass sich die Betroffenen in der Regel nicht richtig mitteilen könnten. Deshalb seien geschulte Fachkräfte für den Umgang mit diesen Menschen umso wichtiger. Diese Fachkräfte könnten auch die Eltern der Betroffenen im Alltag fachmännisch anweisen und unterstützen.

Ähnlich äußert sich auch StRin Seitz (90/GRÜNE). Sie unterstreicht die besonderen Bedürfnisse der Betroffenen und die Notwendigkeit einer intensiven und sensiblen Zuwendung gegenüber dieser Personengruppe. Erfreut zeigt sich die Stadträtin über die schriftliche Zusage für die Einrichtung einer PIA in der St. Lukas-Klinik.

Im weiteren Verlauf der Aussprache weist StRin Gröger (SPD) darauf hin, dass es in Stuttgart bislang keine zufriedenstellende ambulante Versorgung von Menschen mit einer geistigen Behinderung und einer psychischen Erkrankung gegeben habe, und die Betroffenen zum Teil eine weite Fahrt bis zur nächsten Facheinrichtung auf sich nehmen mussten. Vor diesem Hintergrund müsse das Angebot der PIA in der St. Lukas-Klinik schnellstmöglich umgesetzt werden, so die Stadträtin.

Ferner macht sie auf die Tatsache aufmerksam, dass es auch unter den Mitbürgerinnen und Mitbürgern mit einem Migrationshintergrund Personen mit einer geistigen Behinderung und einer psychischen Störung gebe, die fachmännische Hilfe bräuchten. In diesem Zusammenhang müsse man darauf vorbereitet sein, dass es in anderen Kulturen mitunter bei den Angehörigen ein anderes Verständnis bezüglich des Umganges mit psychisch kranken Menschen gebe als bei uns. Dies unterstreicht auch StR Pantisano (SÖS-LINKE-PluS).

Der Stadtrat spricht sich für eine bessere Aufklärungsarbeit auch vonseiten der Stadt bezüglich der besonderen Bedürfnisse von behinderten Menschen mit einer psychischen Erkrankung aus, um dadurch falschen Vorstellungen entgegenzuwirken und Vorurteile auszuräumen.

Im Weiteren berichtet StR Pantisano darüber, dass die Scientology Kirche seit Kurzem in der Marienstraße vermutlich einen Laden angemietet habe und dort im Schaufenster nun auch eine Art Ausstellung zum Thema Psychiatrie präsentiere. Die Plakate und Exponate setzen sich nach Auffassung des Stadtrats herabwürdigend mit der Arbeit der Psychiatrie auseinander und vermittelten mithilfe einer Angstmache falsche Bilder. Er möchte wissen, ob die Stadt gegen die Scientology Kirche vorgehen könne, um die Ausstellung zu unterbinden.

Hierzu erklärt BMin Fezer, sie werde dieses Thema an das Referat SOS und BM Dr. Schairer weitergeben. Die Kollegen würden entsprechend prüfen, ob gegen die Aussteller ordnungsrechtlich oder sogar strafrechtlich vorzugehen sei.

Im Folgenden bedankt sich StRin Bodenhöfer-Frey (FW) bei den Fachkräften, die behinderte Menschen mit einer psychischen Störung betreuen für deren großes Engagement.

Gegenüber StRin Seitz und StRin Gröger erläutert Herr Dr. Kolb, die PIA in der Einrichtung St. Damiano solle ihre Arbeit nach einem notwendigen Umbau der Räumlichkeiten zum 01.09.2019 aufnehmen. Es konnte bereits ein Psychiater gefunden werden, der jetzt schon im St. Damiano mitarbeitet, und künftig die ambulante Versorgung mit einem Kontingent von 50 % abdecken werde. Herr Dr. Kolb betont, dass von Beginn an viel Wert auf eine multiprofessionelle Arbeit und die Verbindung von Medizin, Psychologie und Heilerziehungspflege, sowie auf die bereits vorhandenen Erfahrungen des Pflegepersonals im St. Damiano gelegt werde. Sowohl Herr Dr. Kolb als auch Herr Francisci unterstreichen, dass der Bedarf für ein solches ambulantes Versorgungsangebot in Stuttgart vorhanden sei.

Nach einer Frage von StRin Bulle-Schmid erklärt Herr Dr. Kolb, in den meisten Familien mit geistig behinderten Kindern und gleichzeitiger psychischer Erkrankung komme es mit der Zeit zu einem solchen Ausmaß von Problemverhalten, dass die betroffenen Familien über die medizinischen Regelsysteme nicht mehr die notwendige Unterstützung erhalten und sich unweigerlich an eine Spezialeinrichtung wenden.

Für die Verwaltung erklärt Frau Reichhardt (SozA), die Stadt Stuttgart habe im Jahr 2012 wieder verstärkt angefangen, auf verschiedenen Ebenen für die Institutsambulanzen sowie für ein zweites Angebot entsprechend dem St. Damiano für Menschen mit einer geistigen Behinderung und einer psychischen Erkrankung zu werben. Aus Sicht der Stadt sei es wichtig, für die Betroffenen und deren Angehörigen eine erreichbare und gute ambulante Versorgungsstruktur anzubieten, damit nicht sofort ein stationärer Aufenthalt notwendig werde. Durch die Eröffnungen der Einrichtung St. Damiano II sowie die geplante ambulante Institutsambulanz sei ein wichtiger Schritt hin zu einer guten Versorgung dieser Personengruppe in der Stadt Stuttgart gemacht worden, so die Verwaltungsmitarbeiterin abschließend.


Danach stellt BMin Fezer nach einem Dank an die Referenten fest:

Der Sozial- und Gesundheitsausschuss hat von dem Bericht Kenntnis genommen.

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