Protokoll: Gemeinderat der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
TOP:
43
1
VerhandlungDrucksache:
591/2016 Neufassung
GZ:
0322-00
Sitzungstermin: 06.04.2017
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Kuhn
Berichterstattung:-
Protokollführung: Frau Gallmeister
Betreff: Leitlinie für informelle Bürgerbeteiligung in der
Landeshauptstadt Stuttgart

Vorgang: Verwaltungsausschuss vom 15.03.2017, öffentlich, Nr. 50
Gemeinderat vom 16.03.2017, öffentlich, Nr. 23
jeweiliges Ergebnis: Zurückstellung

Verwaltungsausschuss vom 05.04.2017, öffentlich, Nr. 111
Ergebnis: einmütige Zustimmung mit Änderungen


Beratungsunterlage ist die Vorlage des Herrn Oberbürgermeisters vom 28.02.2017, GRDrs 591/2016 Neufassung, mit folgendem ergänzten/geänderten

Beschlussantrag (Ergänzung/Änderung fett gedruckt):

1. Der Gemeinderat beschließt die sich im Anhang befindliche "Leitlinie für
informelle Bürgerbeteiligung in der Landeshauptstadt Stuttgart". Sie tritt zum 01.10.2017 in Kraft.

2. Der Gemeinderat beschließt die Konstituierung eines Beteiligungsbeirats und beauftragt die Verwaltung, alle notwendigen Schritte einzuleiten.

3. Der Gemeinderat beauftragt die Verwaltung, die notwendigen Schritte zur Umsetzung der "Leitlinie für informelle Bürgerbeteiligung in der Landeshauptstadt Stuttgart" einzuleiten. Dies gilt insbesondere für die Einführung des neuen Instruments der Vorhabenliste.
4. Der Gemeinderat beauftragt die Verwaltung, nach einer zweijährigen Erprobungsphase die Leitlinie zu überprüfen.


StR Sauer (CDU) begrüßt für seine Fraktion das Vorliegen der Leitlinie für informelle Bürgerbeteiligung, in der umfänglich geregelt sei, wie eine informelle Bürgerbeteiligung möglich sei. Beispielsweise werde klar geregelt, wie Bürgerbeteiligungsverfahren vorbereitet und durchgeführt werden und wie damit umgegangen werden soll. Damit würden die Voraussetzungen geschaffen, dass es am Ende dieses Prozesses keine Enttäuschung gibt, wenn Bürgerbeteiligungen stattgefunden haben. Gut sei auch, dass die Entwicklung der Leitlinie öffentlich unter Beteiligung der Stuttgarterinnen und Stuttgarter zustande gekommen ist. Positiv bewertet StR Sauer auch, dass es jetzt eine Vorhabenliste geben wird, in der frühzeitig informiert wird, bei welchen Projekten Bürgerinnen und Bürger sich engagieren können und bei welchen eben auch nicht. Hinzu komme der Beteiligungsbeirat, der in die Erarbeitung aller Beteiligungsverfahren eingebunden sei und auch auf die Einhaltung der Qualitätskriterien achte, die in der Vorlage klar definiert seien.

Die Ergebnisse der Bürgerbeteiligung werden dem Gemeinderat durch den Oberbürgermeister in jeweiliger Zuständigkeit vorgelegt, der dann in eigener Autonomie entscheide, wie er mit den Ergebnissen umgeht. Mit der heutigen Verabschiedung der Leitlinie gehe der Gemeinderat eine Art von Selbstverpflichtung ein, an die er sich auch halten wolle. Klar sei aber, dass nach wie vor das Primat der Politik gelte und dass entweder der Oberbürgermeister oder der Gemeinderat in eigener Unabhängigkeit über die einzelnen Verfahren entscheiden wird.

Seine Fraktion werde deshalb der GRDrs 591/2016 Neufassung in der ausgearbeiteten Fassung mit der Änderung/Ergänzung zustimmen, erklärt StR Sauer mit dem Dank an die Verwaltung, dass die Fraktionen bei der Erarbeitung der Leitlinie stets eingebunden waren.

StRin Deparnay-Grunenberg (90/GRÜNE) erinnert daran, dass ihre Fraktion vor fünf Jahren den Antrag gestellt habe, gemeinsam einen Leitfaden herzustellen, um mit den Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch zu kommen, was die Stadt Stuttgart über das hinaus, was der Gesetzgeber ohnehin an neuer Beteiligungskultur wolle, leisten könne. Deshalb sei die GRDrs 591/2016 Neufassung für ihre Fraktion ein richtiger Erfolg. Der Dialog in der Bevölkerung und auch zwischen Bevölkerung, Gremien und Verwaltung erweitere den Blickwinkel und könne den gesellschaftlichen Zusammenhalt bereichern. Der Dialog werde auch benötigt, um die Komplexität zu bewältigen und in ganz normale demokratische Entscheidungen zu führen.

Ihre Fraktion gehe davon aus, dass die Verwaltung durch die Leitlinie vor große Herausforderungen gestellt werde. In manchen Ämtern würden neue Tätigkeiten hinzukommen. Ihre Fraktion bitte die Ämter, offen zu kommunizieren, wenn in manchen Bürgerbeteiligungen mehr Kapazität dargestellt werden müsse oder gewisse Prozesse nicht geführt werden müssen. Das Schlimmste wäre, wenn die Leitlinie zur Bürgerbeteiligung nicht mit Leben gefüllt werden könnte, weil die Ämter damit überfordert wären. In dem zu gründenden Beirat müsse man sich immer wieder fragen, wie viel mit dieser Bürgerbeteiligung erreicht werden könne und was die Ämter benötigen, um positiv mit der Bürgerschaft in Kontakt zu kommen.

Ihre Fraktion begrüße die Vorhabenliste sehr und sei gespannt auf das neue Portal und auf die Kampagne, weil sie sich erhoffe, dass, ähnlich wie beim Bürgerhaushalt, mit dieser Bürgerbeteiligungskultur in die Bevölkerung gegangen wird, fährt StRin Deparnay-Grunenberg fort. Es sollte eine ansprechende Öffentlichkeitsarbeit geben, denn wenn die Bürgerinnen und Bürger die Schritte, die der Gemeinderat heute gehe, nicht mitbekomme, nütze es nichts, dass sich Gemeinderat und Verwaltung lange Gedanken über die Leitlinie gemacht haben. Die Arbeit im Beteiligungsbeirat werde sicherlich spannend. Ihrer Meinung nach mache der Gemeinderat heute einen richtigen und guten Schritt mit dem Beschluss der Leitlinie für informelle Bürgerbeteiligung. Ihre Fraktion stimme der Vorlage selbstverständlich zu.

Die Sozialdemokraten wollten spätestens seit Willy Brandt mehr Demokratie wagen und seien stolz darauf, auch in der politischen Realität das eine oder andere in den vergangenen Jahren bewegt zu haben, bemerkt StR Körner (SPD). In der Stadt sei mit dem Bürgerhaushalt eine Fundierung der Haushaltsentscheidung geschaffen worden, die sich mittlerweile etabliert habe und gut funktioniere. Mit der Volksabstimmung zu Stuttgart 21 habe man das erste Mal nach 60 Jahren in Baden-Württemberg wieder eine echte direktdemokratische Entscheidung hinbekommen. Darauf sei seine Fraktion ein gutes Stück weit stolz, dass dies erreicht wurde.

Mit den Leitlinien könne das Vertrauen in die repräsentative Demokratie in der Stadtgesellschaft gestärkt werden. Die Bürgerinnen und Bürger bekämen mehr Informationen über das, was im Gemeinderat geschieht. Die Stadträtinnen und Stadträte bekämen aber auch mehr Informationen darüber, was die Bürgerinnen und Bürger zu dem zu sagen haben, was zur Entscheidung ansteht. Bei den Beteiligungsprozessen seien seiner Fraktion zwei Dinge besonders wichtig: Erstens, dass es erreicht werde, eine gewisse Repräsentativität bei der Bürgerbeteiligung hinzubekommen, dass auch die Bürgerinnen und Bürger zu Wort kommen, die üblicherweise unter der Woche abends nicht die Zeit hätten, sich einzubringen. Zweitens gehe es darum, dass die Bürgerinnen und Bürger, wenn sie sich einbringen, auch mitbekommen, was mit ihren Wünschen und Bedürfnissen geschehen ist. Seine Fraktion sei froh, dass die Rückkopplung in der Regel über die Bezirksbeiräte vor Ort stattfinden solle.

Das gewollte Mehr an Demokratie werde aber nicht funktionieren, wenn dafür nicht zusätzliche Ressourcen bereitgestellt würden, zusätzlich zu dem, was bereits vorhanden sei. Vor allen Dingen in den Fachämtern, die das dann leisten sollen, brauche man mehr Personal, betont StR Körner. Er habe die Diskussion im Verwaltungsausschuss so verstanden, dass der Verwaltung dies bewusst ist. An OB Kuhn gewandt merkt StR Körner an, dass seine Fraktion davon ausgehe, dass bereits in seinem Haushaltsvorschlag berücksichtigt sei, dass mit der Leitlinie auch mehr Personal benötigt wird, "um dann auch den Worten Taten folgen zu lassen".

Spätestens seit Stuttgart 21 sei klar, dass die Bürgerinnen und Bürger mehr Mitentscheidung und Mitbestimmung in der Stadt, im Land und im Bund wollen, betont StR Rockenbauch (SÖS-LINKE-PluS). Es sei deshalb gut, dass der Gemeinderat sich heute mit einem wichtigen Schritt auf den Weg mache, auch in Stuttgart dem Wunsch der Bürgerinnen und Bürger näher zu kommen. Ein zentraler Wunsch der Bürgerinnen und Bürger sei es, nicht nur mitreden, sondern auch mit entscheiden zu können. Genau dies leiste die Vorlage nicht. Seines Erachtens hänge es entscheidend davon ab, wie verbindlich die Prozesse gemacht sind und dass am Ende die Bürgerinnen und Bürger auch etwas zu entscheiden haben, wenn es darum gehe, bestimmte Bevölkerungsschichten bei Prozessen dabei haben zu wollen. Als Beispiel verweist er auf den von seiner Fraktionsgemeinschaft schon lange geforderten "echten Bürgerhaushalt", bei dem Bürgerinnen und Bürger über Stadtteilbudgets wirklich für ihre Lebensverhältnisse Verbesserungen bewirken könnten.

Zur Vorlage merkt StR Rockenbauch an, neben der Vorlage müsse die kommunale Ebene die politische Kultur und die Verwaltungskultur so einstellen, dass die Vorlage auch auf fruchtbaren Boden falle. Hinsichtlich der politischen Kultur wolle seine Fraktionsgemeinschaft die Erweiterung der demokratischen Mitbestimmung auch auf der Bezirksebene. Nicht nur was den Bürgerhaushalt, sondern auch was die Arbeit des Gemeinderats angehe, müsse mehr Transparenz erreicht werden. Hierzu wäre eine Liveübertragung der Sitzungen des Gemeinderats wünschenswert; seine Fraktionsgemeinschaft könne nicht nachvollziehen, dass dies immer noch nicht möglich ist. Die Verwaltungskultur müsse sich insofern ändern, dass die Ideen der Bürgerinnen und Bürger nicht als Zusatzbelastung empfunden werden, sondern "auf fruchtbaren Boden fallen". Dies gehe nur, wenn die Verwaltung die notwendigen Ressourcen - Geld und Zeit - erhalte, um die Bürgerbeteiligungsprozesse ernsthaft zu betreuen, zu gestalten und die Ergebnisse umzusetzen. Er wage die These, dass die Verwaltung an manchen Stellen anders als bisher arbeiten müsse; eher problemorientiert, weniger in Ressorts und Abteilungsdenken und weniger hierarchisch, sondern eher in Projektgruppen und in problemorientierten Arbeitsweisen.

Der Vorlage stimme seine Fraktionsgemeinschaft zu, da sie es für wichtig halte, dass man mit der Vorhabenliste, was die Transparenz angehe, einen Schritt weiterkomme, und weil der Beteiligungsbeirat sehr wichtig sei. Dennoch müssten in Zukunft weitere Schritte gegangen werden. So müsse z. B. das Thema Stadtentwicklung deutlicher dargestellt und klargemacht werden, wie informelle mit der formellen Bürgerbeteiligung verzahnt wird, dass am Ende eben auch ein Bürgerentscheid stehen könne. Der Satz in der Vorlage, dass am Ende immer der Oberbürgermeister oder der Gemeinderat entscheidet, müsse nicht sein, wenn diese Verzahnung mit der formellen Demokratie ernstgemeint sei. Nicht verstehen könne seine Fraktionsgemeinschaft, dass es bei manchen Prozessen nicht automatisch so sei, dass eine Bürgerbeteiligung stattfinden müsse, z. B. wenn relevante Umgestaltungen eines Quartiers stattfinden. Dies sei ein zentraler Punkt neben der Frage der Verknüpfung der einzelnen Beteiligungsprozesse mit der Diskussion auf der gesamtstädtischen Ebene. Seine Fraktionsgemeinschaft werde sich intensiv in die Weitergestaltung dieses Prozesses einklinken; sie danke allen bei der Verwaltung und bei den anderen Fraktionen für das Engagement, die Vorlage weiterzuentwickeln. Die Fraktionsgemeinschaft SÖS-LINKE-PluS hoffe, dass es so weitergehe, und man in den nächsten zwei Jahren vielleicht mit den von ihm skizzierten Schritten weiterkommen werde, schließt StR Rockenbauch seine Ausführungen ab.

StRin von Stein (FW) kündigt die Zustimmung ihrer Fraktion zur Vorlage an. Sie weist zum Thema Bürgerbeteiligung darauf hin, dass es auch Menschen gibt, die der Arbeit der Verwaltung, der Bezirksbeiräte und des Gemeinderats vertrauen und eine Bürgerbeteiligung nicht immer für notwendig halten. Dennoch sei es notwendig, Bürgerbeteiligungen zu machen, um Stimmungen und Ideen zu eruieren. Allerdings werde es bei den notwendigen Mehrheitsentscheidungen immer Menschen geben, die in der Minderheit seien und sich dann sehr unzufrieden zeigen könnten. Man müsse sich überlegen, wie diese Menschen wieder zur Mitarbeit bewegt werden könnten.

Bürgerbeteiligungen starteten mit großem Elan, aber bis zu einer möglichen Realisierung eines Vorhabens könne es Jahre dauern, weshalb es fraglich sei, ob die Menschen dafür Verständnis hätten. Sie halte es daher für wichtig, dass in zwei Jahren geprüft werde, wie sich die Bürgerbeteiligungen entwickelt haben und was möglicherweise verbessert oder verändert werden müsste.

Seine Fraktion sehe im vorgelegten Konzept der Leitlinie für Bürgerbeteiligung, das seine Fraktion begrüße, einen Schritt dahin, in einem bestimmten Sektor die repräsentative Demokratie auf der kommunalen Ebene auch durch ein Element der direkten Demokratie zu ergänzen, erklärt StR Prof. Dr. Maier (AfD). Werde das Konzept richtig gehandhabt, könne es zu einer besseren Übereinstimmung zwischen dem Verwaltungshandeln und einem im Prozess der Bürgerbeteiligung erkennbar gewordenen Bürgerwillen beitragen. Voraussetzung dafür sei sicherlich die Ernsthaftigkeit, mit der die von den Mitwirkenden zu entwickelnden Konzepte von der Verwaltung, vom Gemeinderat und auch vom Oberbürgermeister aufgenommen würden. Als nicht besonders geglücktes Beispiel der Bürgerbeteiligung in der Vergangenheit nennt der Stadtrat den Filderdialog. Die jetzt vorgelegten Leitlinien bieten seines Erachtens eine gewisse Gewähr dafür, dass sich dies nicht wiederholen werde. Seine Fraktion gehe davon aus, dass die Leitlinien in ihrer jetzigen Fassung noch nicht abschließend bearbeitet seien, sondern entsprechend den zu gewinnenden Erfahrungen auch angepasst werden können.

Eine breite Beteiligung der Bürgerschaft sei wünschenswert. Da nicht alle, die vom Gegenstand der Bürgerbeteiligung betroffen oder daran interessiert seien, die Möglichkeit hätten, sich aktiv in die Bürgerbeteiligung einzubringen, sollten nach Ansicht seiner Fraktion hier die Konzepte der sog. advokatorischen Beratung Berücksichtigung finden. Ein Rückkopplungsverfahren sei in den Leitlinien vorgesehen, es bleibe aber in der Beschreibung relativ unklar. An dieser Stelle, wie auch an einigen anderen Stellen, hätte sich seine Fraktion mehr Konkretheit gewünscht.

Hinsichtlich der Beantragung der Bürgerbeteiligung fehlen dem Stadtrat genauere Aussagen z. B. dazu, wer den Prozess in Gang setzen kann. Das Quorum von 1.000 Unterschriften sei eine hohe Hürde, wenn es um einen einzelnen Stadtbezirk oder einen kleinen Stadtteil gehe. Die Unterschriftsberechtigung, die ab dem Lebensalter von 14 Jahren vorgesehen ist, sei nach Meinung seiner Fraktion aus unterschiedlichen Gründen fragwürdig. Sie stehe im Widerspruch zu dem, was im Wahlrecht auf den verschiedenen Ebenen bis jetzt geregelt ist. Je weiter dieses Lebensalter nach unter abgesenkt werde, desto stärker müsse auch mit Fremdsteuerung gerechnet werden. Seine Fraktion werde der Vorlage zustimmen, kündigt StR Prof. Dr. Maier abschließend an.

Nach Meinung von StR Dr. Oechsner (FDP) kann Bürgerbeteiligung ein noch wichtigerer Bestandteil der Entscheidungsfindung innerhalb des Gemeinderats werden. Angesichts der noch zahlreichen "Wenn und Aber" in der Vorlage sei es richtig, in zwei Jahren die Abläufe nochmals genau anzuschauen und Anpassungen der Vorlage vornehmen zu können. Es sei der richtige Anfang, jetzt eine Leitlinie für informelle Bürgerbeteiligung zu haben. Bei den jetzt sicherlich häufigeren Bürgerbeteiligungen dürften in der Bevölkerung keine falschen Hoffnungen hinsichtlich des Mitentscheidens geschürt werden, da zunächst einmal auch in Zukunft Gemeinderat oder Oberbürgermeister über Projekte entscheiden werden. Die FDP im Gemeinderat werde der Vorlage gerne zustimmen in der Hoffnung, dass keine Partei anfängt, die Leitlinien dahingehend zu interpretieren, dass es sich um einen Bürgerentscheid handelt und damit im Prinzip die Bürger, die sich beteiligen, in eine falsche Richtung leiten.

StR Dr. Schertlen (STd) begrüßt die Leitlinie zur Bürgerbeteiligung. Am Dienstag sei im Ausschuss für Umwelt und Technik im Rahmen von STEP die Bürgerbeteiligung diskutiert worden, die in den Innenstadtbezirken meistens recht gut laufe, aber noch ausbaufähig sei. Gelungene Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit seien die Initiativen "Occupy Villa Berg" und für das Garnisonsschützenhaus, die nicht städtisch initiiert waren. Andererseits gehörten auch Dinge wie ein von engagierten Nachwuchssportlern angelegter BMX-Parcours dazu. Beim Ideenwettbewerb am Neckarknie werde dies voraussichtlich nicht in dieser Form kommen.

Wichtig sei, dass die Bürgerschaft rechtzeitig über Beteiligungsmöglichkeiten informiert wird. Ebenso müsse eine Trennung erfolgen in bezirksrelevante Projekte und solche, die zwar in einem Bezirk stattfinden, jedoch Auswirkungen auf die gesamte Stadt oder sogar die Region haben. Bei Maßnahmen mit weitreichendem Wirkungsradius sei sicherzustellen, dass alle betroffenen Bürger/-innen die Möglichkeit der Beteiligung haben. Wichtig sei auch die zeitnahe Umsetzung von Projekten, um Frust bei den Bürgerinnen und Bürgern, die sich in der Bürgerbeteiligung eingebracht haben, zu vermeiden.

Manchmal bedürfe es auch gar keiner städtischen Koordination, wie ein Beispiel aus Untertürkheim zeige, wo eine Gruppe von - im unbekannten - Einwohnern in einer Nacht-und-Nebel-Aktion eine Treppenanlage am Bahnhof "aufgehübscht" und sonstige kleine Verschönerungsmaßnahmen durchgeführt hat. Stuttgart sei an und für sich eine weltoffene Stadt, die vielleicht an der einen oder anderen Stelle noch ein bisschen nach innen gewandt experimentierfreudiger werden sollte. Als Beispiel nennt der Stadtrat das Urban Gardening, das inzwischen sogar gefördert werde. In Zukunft sollte mehr denn je die Aussage der STAdTISTEN zur Kommunalwahl 2014 "Bürger machen lassen" gelten.

OB Kuhn erklärt, er halte die Leitlinie für informelle Bürgerbeteiligung für einen wichtigen Schritt, der das politische Geschehen in der Stadt Stuttgart verändern wird, auch was Verwaltung und Gemeinderat angehe. Wenn bei großen Entscheidungen entlang der Vorhabenliste, mit Möglichkeiten für die Bezirksbeiräte und Quoren von 1.000 Einwohnern, eine Bürgerbeteiligung gemacht werden müsse, sei dies ein großer Einschnitt, und es müsse alles so ausgestattet werden, dass es funktioniert. Die Verwaltung und der Gemeinderat könnten davon profitieren, wenn die Bürgerinnen und Bürger als Experten des Alltags rechtzeitig ihre Meinungen einbringen könnten und von Verwaltung und Gemeinderat gehört würden. Wichtig sei, dass am Anfang der informellen Bürgerbeteiligung immer klargemacht werde, dass letztendlich der Gemeinderat entscheiden wird.

An StR Rockenbauch gewandt äußert der Vorsitzende seinen Eindruck, dass die Bürgerbeteiligung für den Stadtrat ein Instrument zu einer ganz anderen Demokratie ist, nämlich zu einer, bei der die Bedeutung der repräsentativ gewählten Gremien abnehme und zu vielen Dingen direktdemokratische Entscheidungen getroffen werden können, und zwar nicht nur im Sinne von Bürgerentscheiden und Bürgerbegehren. Das Konzept sei aber eine Ergänzung, die die repräsentative Demokratie reicher mache, weil sie gezwungen sei, besser und genauer zuzuhören. Den Menschen, die mehr mitreden wollen, müsse dies ermöglicht werden. Natürlich müsse darauf geachtet werden, dass niemand überfordert werde.

Die repräsentative Demokratie ist nach Meinung von OB Kuhn nicht so schlecht, wie sie manchmal geredet werde, und sie funktioniere auch. Die informelle Bürgerbeteiligung sei kein Instrument, um die verantwortliche Letztentscheidung des Gemeinderats auszuhebeln.

Auf Verwaltung und Gemeinderat komme etwas mehr Stress zu, da die Vorhabenliste, und zwar gut, aufgestellt werden müsse und die Bürgerbeteiligungen gut durchgeführt werden müssten. Verwaltung und Gemeinderat verpflichteten sich dazu, den Menschen, die an der Bürgerbeteiligung mitgewirkt haben, zu erläutern, warum eine andere Lösung gewollt werde, wenn einmal eine Entscheidung anders oder konträr getroffen werde zu dem, was die Bürgerbeteiligung als Ergebnis gebracht habe.

StR Rockenbauch verdeutlicht, wenn er sich dafür einsetze, die Mitentscheidungsrechte der Bürgerinnen und Bürger auszubauen, bedeute dies nicht, dass sich jemand immer beteiligen müsse, sondern dass die Bürgerinnen und Bürger das Recht auf Beteiligung haben, das sie wahrnehmen können oder eben auch nicht. Seines Erachtens sei es demokratische Größe, wenn Repräsentanten erkennen würden, dass in vielen Fällen die Bürgerinnen und Bürger besser entscheiden könnten, da sie näher an den Dingen dran seien. Und in diesen Fällen sollten die Bürgerinnen und Bürger das Recht haben, mitzuentscheiden. Er sei für ein "transformatorisches" Demokratieverständnis, in dem die Bürgerinnen und Bürger auch mitentscheiden, wenn es z. B. um Geld gehe. OB Kuhn betont, seine Position entspreche zuerst der Verfassung und den Gesetzen, zu denen er im Übrigen ein positives Verhältnis habe.


OB Kuhn stellt den Beschlussantrag der GRDrs 591/2016 Neufassung in der ergänzten/geänderten Form (siehe Beschlussantrag) zur Abstimmung und stellt fest:

Der Gemeinderat beschließt einstimmig wie beantragt.

zum Seitenanfang