Protokoll: Sozial- und Gesundheitsausschuss des Gemeinderats der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
103/2019
GZ:
SI
Sitzungstermin: 08.04.2019
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: BMin Fezer
Berichterstattung:Frau Reuschle-Grundmann (Sozialdienst Katholischer Frauen e. V.) und Herr Ostertag (Caritasverband für Stuttgart e. V.)
Protokollführung: Herr Krasovskij de
Betreff: MediA - Medizinische Assistenz: Gesundheitliche Versorgung für Menschen in Wohnungsnot. Zwischenstand des Projekts.

Beratungsunterlage ist die Mitteilungsvorlage des Referats Soziales und gesellschaftliche Integration vom 20.03.2019, GRDrs 103/2019. Sie ist dem Originalprotokoll sowie dem Protokollexemplar für die Hauptaktei beigefügt.

Die zu diesem Tagesordnungspunkt gezeigte Präsentation ist dem Protokoll als Dateianhang hinterlegt. Aus Datenschutzgründen wird sie nicht im Internet veröffentlicht. Dem Originalprotokoll und dem Protokollexemplar für die Hauptaktei ist sie in Papierform angehängt.


In das Thema einführend betont BMin Fezer, es sei ein Anliegen der Stadt Stuttgart, die gesundheitliche Versorgung von Menschen in Wohnungsnot zu verbessern. Vor diesem Hintergrund sei auch das Pilotprojekt "MediA - Medizinische Assistenz" gestartet worden, das seit Anfang 2017 durch die Projektpartner Sozialdienst Katholischer Frauen e. V., Caritasverband für Stuttgart e. V. und Evangelische Gesellschaft Stuttgart e. V. umgesetzt und durch die Vector Stiftung finanziert wird. Heute wolle man den Ausschuss mit einem Zwischenbericht über die Arbeit im Rahmen dieses bis zum 31.12.2019 laufenden Projektes informieren.

Frau Reuschle-Grundmann (Sozialdienst Katholischer Frauen e. V.) berichtet im Anschluss analog der Präsentation. Ziel des Projektes, erklärt sie, sei es, wohnungslosen Menschen einen Zugang zum System der medizinischen und psychiatrischen Regelversorgung zu ermöglichen. Das Angebot von MediA sei eine Art Brücke zwischen der Notfallversorgung und dem Regelsystem. Denn Wohnungslose hätten trotz der Tatsache, dass viele eine Krankenversicherung besitzen würden, häufig einen erschwerten Zugang zur gesundheitlichen Versorgung. Dies führe auch dazu, dass diese Menschen in der Regel einen schlechteren Gesundheitszustand aufweisen würden, als der Durschnitt der Bevölkerung, was durch Faktoren wie schlechte hygienische Bedingungen, eine ungesunde Ernährung, Schlafmangel, häufige Suchterkrankungen, Gewalterfahrungen oder fehlende soziale Bindungen noch weiter verschärft werde. Wegen Ängsten, Schamgefühlen, schlechten Erfahrungen oder organisatorischen Hemmnissen würden Wohnungslose den Gang zum Arzt häufig scheuen. Gerade bei Frauen sei das Abrutschen in die Wohnungslosigkeit nicht selten mit massiven Gewalterfahrungen und Traumata verbunden.

Im Folgenden geht Frau Reuschle-Grundmann im Sinne der Präsentation ausführlich auf die konzeptionelle Ausgestaltung des Projektes ein und stellt die einzelnen Bausteine vor. Das Angebot von MediA richte sich an Menschen mit und ohne Krankenversicherung. Seit Beginn des Projektes habe man Kontakt zu 179 wohnungslosen Menschen herstellen können, davon 96 Frauen und 83 Männer. In der Folge konnten 44 Menschen an das medizinische Regelsystem weitervermittelt werden. Im Zusammenhang mit der Projektarbeit erklärt die Referentin, die ursprüngliche Annahme, dass Ehrenamtliche mittelfristig eigenständig Begleitdienste von wohnungslosen Menschen zu Ärzten übernehmen könnten, habe sich nicht bewahrheitet. Dies hänge vor allem mit der Tatsache zusammen, dass die Problemlagen der angesprochenen Zielgruppe häufig sehr komplex seien. Für den notwendigen Vertrauensaufbau brauche es eine professionelle Haltung und Herangehensweise, die in der Regel besser durch geschulte Fachkräfte gelinge. Dennoch könnten Ehrenamtliche im Rahmen des Projektes unterstützend wirken, indem sie beispielsweise Fahrdienste zu den Ärzten übernehmen.

Noch einmal auf die alltägliche Arbeit der Projektpartner eingehend, berichtet Frau Reuschle-Grundmann, dass sich gerade die Kontaktaufnahme zu schwer psychisch kranken Menschen als schwierig herausgestellt habe. Dabei sei auch ein Bedarf von wohnungslosen Menschen an psychologischer bzw. psychotherapeutischer Hilfe festgestellt worden, der nicht gedeckt sei. Diese Erkenntnis sei neu und habe neue Perspektiven auf die Schnittstelle zwischen Sozialpsychiatrie und Wohnungsnotfallhilfe eröffnet.

Im Verlauf der Aussprache begrüßen StRin Bulle-Schmid (CDU), StRin Münch (90/GRÜNE), StR Ehrlich (SPD), StRin Halding-Hoppenheit (SÖS-LINKE-PluS) sowie StRin Yüksel (FDP) die Arbeit im Rahmen des Projektes "MediA - Medizinische Assistenz". Übereinstimmend unterstreichen die Ratsmitglieder die Notwendigkeit einer Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung für Menschen in Wohnungsnot sowie einer Anbindung dieser Personengruppe an das medizinische Regelsystem. Die Ausschussmitglieder bedanken sich bei den hauptamtlichen und ehrenamtlichen Beteiligten sowie allen Unterstützern des Projektes für deren Einsatz.

StRin Bulle-Schmid betont, der Zwischenbericht zeige auf, wie schwierig es sei, den Personenkreis der wohnungslosen Menschen für die medizinischen Angebote zu erreichen. Dies werde nicht zuletzt daran deutlich, dass nur 44 der 179 kontaktierten Personen letztlich an das medizinische Regelsystem weitervermittelt werden konnten.

In diesem Zusammenhang erklärt Frau Reuschle-Grundmann, angesichts der nicht einfachen Kontaktaufnahme empfinde sie es als einen Erfolg, dass 44 Menschen an das medizinische Regelsystem vermittelt werden konnten. Nach einer Frage der Stadträtin fährt sie weiter fort, Personen, die nicht an das Regelsystem vermittelt werden konnten oder bei denen die Kontaktaufnahme zunächst nicht erfolgreich gewesen sei, versuche man weiterhin über die Hilfsangebote und -strukturen anzusprechen. So seien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von MediA auch immer wieder in den Anlaufstellen und Tagesstätten für wohnungslose Menschen vor Ort und würden für die Medizinische Assistenz Werbung machen. Auch die Kollegen der anderen Hilfsdienste versuchten auf das Angebot aufmerksam zu machen. Somit hoffe man, wohnungslose Menschen doch noch erreichen zu können, selbst wenn der Kontakt zunächst abgebrochen wird.

Im Weiteren macht StRin Bulle-Schmid darauf aufmerksam, dass bei Frauen in vielen Fällen nicht die körperliche, sondern oftmals die psychische gesundheitliche Versorgung im Vordergrund stehe. Deshalb sei es wichtig, wie auch in der Vorlage gefordert, den Zugang zu psychotherapeutischen Hilfsangeboten künftig noch weiter zu verbessern. Ähnlich äußert sich auch StRin Münch. Sie spricht sich für eine bessere Zusammenarbeit an der Schnittstelle zwischen Sozialpsychiatrie und Wohnungsnotfallhilfe aus.

Bezogen auf die gesundheitliche Versorgung wohnungsloser Frauen führt Frau Reuschle-Grundmann aus, bei diesen Frauen sei insbesondere auch das Thema Zahngesundheit häufig massiv mit Ängsten besetzt. Dies hänge damit zusammen, dass sich viele der Frauen auf dem Zahnarztstuhl wehrlos fühlen würden und die Situation sie womöglich an schlimme Erfahrungen in der Vergangenheit, wie orale Vergewaltigungen, erinnert. Im Rahmen des Projektes MediA sei es dabei gelungen, bei zwei psychisch kranken Frauen eine komplette Zahnsanierung durchzuführen, und dies über Fonds zu finanzieren. Auch das Thema gynäkologische Versorgung sei bei vielen wohnungslosen Frauen nicht einfach umsetzbar und erfordere Geduld im Zugang, so die Referentin. Denn gerade nach Gewalterfahrungen oder Vergewaltigungen versuchten diese Frauen den Bereich unterhalb des Bauchraumes einfach auszublenden. In solchen Fällen seien viele kleine Schritte und einiges an Überzeugungsarbeit notwendig, um das Vertrauen der Frauen zu gewinnen. Beim Sozialdienst Katholischer Frauen habe man mit niedrigschwelligen Angeboten, wie Gesundheitsgruppen und Vorträgen von Ärztinnen und Ärzten, gute Erfahrungen gemacht.

Zu den Themen Sozialpsychiatrie sowie Schnittstelle zwischen Wohnungsnotfallhilfe und Sozialpsychiatrie äußert sich Herr Ostertag (Caritasverband für Stuttgart e. V.). Eingangs erklärt er, dass es unter den wohnungslosen Menschen auch chronisch psychisch kranke Menschen gebe, allerdings sei es nicht einfach, diese Personen für Hilfsangebote zu erreichen, da sie sich oft für ihre Situation - keine Wohnung und Arbeit zu haben und chronisch psychisch krank zu sein - schämten. Nur etwa 30 % der im Rahmen des Bausteins 3 begleiteten Personen seien tatsächlich chronisch psychisch krank. Davon habe man lediglich circa 10 % zur Weiterbehandlung an sozialpsychiatrische Einrichtungen vermitteln können. Der Großteil der begleiteten Personen würde, wenn man die Kriterien der Sozialpsychiatrie oder der psychiatrischen Institutsambulanzen zugrunde legt, nicht an einer chronischen psychischen Erkrankung leiden. Diese Menschen benötigten die Begleitung durch einen Psychotherapeuten bzw. eine psychologisch orientierte Beratung, was sich häufig bei den langen Wartezeiten auf einen Termin aber als schwierig darstelle. Deshalb übernehme er jetzt weitgehend die psychotherapeutisch orientierte Beratung der wohnungslosen Menschen im Rahmen des Projektes, so Herr Ostertag.

Perspektivisch halte man es für sinnvoll, dass sich im System der Wohnungslosenhilfe dauerhaft ein Psychotherapeut/eine Psychotherapeutin oder ein Psychologe/eine Psychologin engagiere. Herr Ostertag schildert weiter, dass er diesbezüglich auch Kontakt zur Landespsychotherapeutenkammer aufgenommen habe. Gemeinsam habe man versucht, niedergelassene Psychotherapeuten ausfindig zu machen, die sich bereiterklären würden, die wohnungslosen Menschen zu begleiten. Eine Ärztin habe sich daraufhin gemeldet und man baue gerade den Kontakt auf.

Im Folgenden bittet StRin Bulle-Schmid, nach Abschluss der Projektlaufzeit noch einmal ausführlich über die Ergebnisse der Projektarbeit zu berichten.

In ihrer Wortmeldung erklärt StRin Münch, sie halte es für besonders wichtig, künftig einen noch stärkeren Fokus auf die "Begleitende Assistenz zur gesundheitlichen Versorgung für Frauen in Wohnungsnot" (Baustein 2) sowie die "Aufsuchende, niedrigschwellige psychiatrische und sozialarbeiterische Hilfe für Menschen in Wohnungsnot" (Baustein 3) zu legen.

Zudem spricht sich die Stadträtin dafür aus, die Zusammenarbeit mit der Straßenambulanz (MedMobil) noch weiter auszubauen. Diese Meinung teilt auch StRin Yüksel. Sie regt an darüber nachzudenken, dass Angebot von MedMobil insgesamt zu erweitern.

Im Weiteren betont StRin Münch auch die Wichtigkeit einer stabilen Vertrauensbasis bei der Arbeit mit wohnungslosen Menschen. Hierbei spiele auch das Verhältnis zwischen Arzt und Patient und eine gewisse Sensibilität seitens des medizinischen Personals eine große Rolle. In diesem Zusammenhang spricht sich StRin Münch dafür aus, dass die wohnungslosen Menschen nach Möglichkeit nur an Ärzte vermittelt werden sollten, die Erfahrung im Umgang mit einem solchen Klientel haben und es positive Erfahrungen gebe.

Hierzu erklärt Frau Reuschle-Grundmann, die Erfahrungen der Projektbeteiligten mit der Ärzteschaft seien insgesamt sehr positiv. Ursprünglich habe man großen Wert auf die Begleitung der wohnungslosen Menschen zu den Ärzten gelegt, da man damit gerechnet habe, dass es vonseiten der Mediziner gewisse Ressentiments gegenüber der Personengruppe geben könnte. Dies habe sich jedoch (abgesehen von einigen individuellen negativen Erfahrungen) nicht bestätigt. Die Begleitung sei aber dennoch wichtig, um dabei zu unterstützen, eine Vertrauens- und Kommunikationsbasis zwischen Arzt und Patient zu schaffen und dadurch die wohnungslosen Menschen nach Möglichkeit zu befähigen, langfristig wieder eigenständig zum Arzt gehen zu können. In diesem Kontext dankt Frau Reuschle-Grundmann auch den beteiligten Ärztinnen und Ärzten, die im Umgang mit den Patienten eine hohe Sensibilität und soziale Kompetenz unter Beweis gestellt hätten.

Von StR Ehrlich wird gefragt, ob es schon Überlegungen hinsichtlich einer Weiterführung des Projektes im Jahr 2020 gebe. Für eine unbedingte Fortsetzung des Projektes spricht sich auch StRin Halding-Hoppenheit aus. Sie erklärt, dass der Bedarf an einer gesundheitlichen Unterstützung für wohnungslose Menschen auch vor dem Hintergrund des dringenden Wohnungsmangels in der Stadt immer größer werde. Die Stadträtin macht deutlich, dass diese Personengruppe dringend fachlich professionelle Hilfe brauche, da die Menschen in der Regel vom allgemeinen gesellschaftlichen Leben ausgegrenzt seien und große finanzielle und gesundheitliche Probleme hätten.

StR Ehrlich betont im Weiteren ebenfalls den nicht einfachen Zugang zur Gruppe der Menschen in Wohnungsnot. Bei Menschen mit Wohnungsnoterfahrungen gehe es oftmals nicht um mittel- oder langfristige Lösungen, sondern um das kurzfristige Überleben. Vor diesem Hintergrund halte er die Zahl von 44 an das medizinische Regelsystem weitervermittelten Personen durchaus für einen Erfolg.

Ferner plädiert der Stadtrat dafür, sich nicht zu voreilig von dem Gedanken der Begleitdienste durch Ehrenamtliche zu verabschieden. Seiner Ansicht nach, könnten die Ehrenamtlichen für diese zweifelsohne nicht ganz einfache Aufgabe gezielt geschult und auch später begleitet werden.

Hierzu erklärt Frau Reuschle-Grundmann, sie schätze das Ehrenamt sehr und habe mit Ehrenamtlichen bereits in verschiedenen Einsatzfeldern positive Erfahrungen gemacht. In Bezug auf die Schulungen sei man bei MediA allerdings aufgrund der Personalausstattung eingeschränkt. Dennoch könnten Ehrenamtliche, die keine ausgebildeten Sozialarbeiter seien, neben den Fahrdiensten auch bei Begleitdiensten mit mobilitätseingeschränkten Menschen oder der Durchführung von vertrauensbildenden Maßnahmen mitbeteiligt werden.

Bezogen auf das MedMobil führt Frau Reuschle-Grundmann gegenüber StRin Bulle-Schmid und StRin Yüksel aus, die Zusammenarbeit mit den Kollegen von der Straßenambulanz sei für die Projektarbeit sehr wichtig, da man durch die Präsenz vor Ort versuche, neue Klientinnen und Klienten, die diese Notfallversorgung nutzen, anzusprechen, um sie für eine Begleitung und mögliche Weitervermittlung an das medizinische Regelsystem zu erreichen.

Anschließend äußert sich Frau Reichhardt (SozA) positiv hinsichtlich des Projektes "MediA - Medizinische Assistenz" und betont, wie schon BMin Fezer, dass die Stadt eine Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung für wohnungslose Menschen und nach Möglichkeit eine Anbindung dieser an das medizinische Regelsystem anstrebe. Frau Reichhardt unterstreicht ebenfalls, dass es sich bei den Wohnungslosen um einen sehr heterogenen Personenkreis mit vielfältigen körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen handle. Gerade Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung hätten einen großen Unterstützungsbedarf. Deswegen seien im Rahmen der Wohnungsnotfallhilfe ein breiter Ansatz und verschiedene Hilfsangebote sinnvoll. Hierzu gehöre sicher auch das MedMobil als medizinische Notfallversorgung für wohnungslose Menschen.

Bezogen auf eine mögliche Fortführung des Projektes "MediA - Medizinische Assistenz" erklärt die Verwaltungsmitarbeiterin, die Verwaltung werde einen möglichen Haushaltsantrag des Trägerverbundes im Rahmen der anstehenden Haushaltsplanberatungen unterstützen.

Abschließend bestätigt auch BMin Fezer die Relevanz dieses Themas sowie die Relevanz der künftigen Ausrichtung des MedMobils für die kommenden Haushaltsplanberatungen.




Nach einem Dank an die Referenten stellt BMin Fezer fest:

Der Sozial- und Gesundheitsausschuss hat von der GRDrs 103/2019 Kenntnis genommen.

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