Haushaltsantrag vom 10/21/2013
Nr. 815/2013

Haushaltsantrag
Stadträtinnen / Stadträte - Fraktionen

SÖS und LINKE Fraktionsgemeinschaft
Betreff

Leitantrag: Was ist notwendig für die Betreuung unserer Kinder

(Leitantrag für HH 2014/15 der LHS Stuttgart)

Was ist notwendig für die Betreuung unserer Kinder?

„Wir sollten nie vergessen, dass Kindheit eine Entwicklungsepoche mit eigenen Anliegen, Interessen und Lebensformen darstellt. Kindheit darf nicht ökonomischen und Leistungsinteressen geopfert werden.“ (Dr. Rolf Oerter, Entwicklungspsychologe)

Angesichts der augenblicklichen Debatte um die Absicherung der Betreuung der Kinder in Kita und Grundschule bekommt diese Aussage ein besonderes Gewicht. Der Rechtsanspruch der Eltern und die ökonomische Zwangslage, dass Familien ihr Leben nach den Anforderungen des Arbeitsmarkts ausrichten müssen, nehmen zunehmend Raum ein. Die Frage, was Kinder und Jugendliche für ihre Persönlichkeitsentwicklung brauchen, was ihre eigenen Wünsche sind, steht dahinter zurück.

Aus den Erkenntnissen der Entwicklungspsychologie weiß man, dass der Zeitraum im Alter von ein bis drei Jahren die entscheidende Phase ist für die spätere Entwicklung der Kinder. Der Besuch einer Kinderkrippe kann eine Bereicherung sein, wenn neben den Eltern weitere Bezugspersonen hinzu kommen. Allerdings nur unter der Bedingung, dass die Erzieherin ausreichend Möglichkeiten und vor allem Zeit hat, eine Bindung zum Kind herzustellen und ihm den Spielraum zu geben, alles auszuprobieren.
Im Vorschulalter von vier bis sechs ist die Wissbegier und Neugierde der Kinder unerschöpflich. Das ist die erste Lernzeit für das Verständnis naturwissenschaftlicher Phänomene und das Erlernen von sozialer Kompetenz. Das alles setzt voraus, dass in den Einrichtungen eine Atmosphäre herrscht, in der die ErzieherInnen diese Bildungs- und Betreuungsarbeit umsetzen können.


I. Den Beruf der ErzieherInnen aufwerten und absichern

Laut dem Statistischen Landesamt hat Stuttgart (Stand März 2011) für Gruppen mit Kindern von 0-3 Jahren einen Personalschlüssel 1:3,8 (ErzieherIn pro Kinder) und für die älteren Kita-Kinder einen Personalschlüssel von 1:7,1. Rechnerisch liegt Stuttgart über dem Bundesdurchschnitt. Doch nützt dies wenig, wenn die ErzieherInnen fehlen.
Um die Personalgewinnung zu beschleunigen, muss die Tätigkeit attraktiver gestaltet werden.

Daher soll für alle qualifizierten ErzieherInnen die Lohnstufe S8 eingeführt werden. Genauso müssen die Kita-Leitungstätigkeiten angemessen vergütet werden. Sie sollten gemäß der Anzahl der Gruppen in einer Einrichtung eingruppiert werden. Für Einstein und frühkindliche Förderung benötigt man pädagogische Fachkräfte. Und diese Fachkräfte müssen gesellschaftlich anerkannt werden. Es ist auch falsch, den Bonus+ (100 Euro für einen befristeten Zeitraum) im Zuge der Anwerbung von ErzieherInnen gegen die notwendige Anhebung der Gehälter der ErzieherInnen aufzurechnen. Um die Personalgewinnung zu beschleunigen, bedarf der Beruf der ErzieherInnen eine grundlegende Aufwertung. Wertschätzung muss sich auch in der Bezahlung ausdrücken. Nur tariflich abgesicherte Entlohnung bietet Beschäftigten eine verlässliche Gewissheit, die Familien- und generelle Zukunftsplanung ermöglichen.

Kritisieren muss man die neue gesetzliche Vorgabe der Landesregierung, dem Mangel an ErzieherInnen zu begegnen, indem man den ErzieherInnenberuf mit "berufsfremdem" Personal besetzen will, wie z.B. DorfhelferInnen oder Hebammen. Diese haben keine ausreichenden (früh-)pädagogischen oder entwicklungspsychologischen Inhalte in ihrer Ausbildung. Mit einer 25 Tage-Fortbildung oder nach einem einjährigen betreuten Berufspraktikum kann man nicht die Qualitätsstandards erreichen, wie die der vierjährigen ErzieherInnen-Ausbildung. Deshalb hat die Stadt Stuttgart auf die Beschäftigung dieser berufsfremden Gruppen zu verzichten.


II. Für eine gute Betreuung muss auch das räumliche Umfeld stimmen

Das aktiv lernende Kind braucht eine Umgebung, die Anregungen gibt, zur Erforschung einlädt und auch Rückzugsmöglichkeiten bietet. Das Raumangebot muss auf die pädagogischen Konzepte angepasst werden und soll den unterschiedlichen Bedürfnissen der Kinder entsprechend gestaltet sein. Um eine inklusive Bildung und Betreuung zu ermöglichen, muss die Barrierefreiheit gesichert sein.

In jedem Stadtteil muss einerseits erhoben werden, ob ausreichend Kita-Plätze zur Verfügung stehen. Genauso wichtig ist, dass der Ausbau der Kitas nach optimalen räumlichen Bedingungen erfolgt.

Eine Außenfläche von zehn qm pro Kind sollte Standard sein. Für Großstadtkinder ist das besonders wichtig, leben sie doch häufig in beengten Verhältnissen oder in Häusern ohne Garten.

Die Schulhaussanierung hat aufgrund der jahrelangen Vernachlässigung der Pflege der Schulgebäude eine Priorität bei den anstehenden Bauarbeiten. Darüber darf aber nicht die Sanierung der Kitas vernachlässigt werden. Zudem muss darauf geachtet werden, dass Container-Lösungen nicht zum Dauerzustand werden, d.h. Neubauplanungen müssen zügig durchgeführt werden.

III. Horte in den Stadtteilgebieten erhalten, in denen die erforderlichen Qualitätsstandards für die Einrichtung von Schülerhäusern und Ganztagsschulen noch nicht erfüllt sind

Bei dem Ausbau der Grundschulen zu Ganztagsschulen mit der teilweise angewendeten Übergangslösung der Schülerhäuser zeigt sich, dass nicht alle Grundschulen auf Anhieb die Voraussetzungen schaffen können, um eine qualitativ gute Ganztagsschule anbieten zu können.
Eine große Herausforderung für alle Beteiligten sind neben der Erarbeitung der pädagogischen Konzepte die räumliche Probleme. Selbst bei der Übergangslösung mit einem Schülerhaus sind an manchen Schulen die räumlichen Kapazitäten begrenzt. Dennoch haben alle SchülerInnen einer Schule das Recht auf einen Betreuungsplatz im Schülerhaus bzw. müssen in der Ganztagsschule für alle SchülerInnen einschließlich LehrerInnen die Räumlichkeiten vorhanden sein: für Unterricht und Betreuungs-Aktivitäten – u.a. Musikräume, Technikräume, Sport- und Spielräume, Ruhe- und Rückzugsräume (auch für das Lehr- und Betreuungspersonal) sowie Büros und Besprechungsräume.
Hinzu besteht für jedes Kind in Ganztagsbetreuung das Recht auf ein gesundes, warmes Mittagessen. Auch das können nicht alle Schülerhäuser und Schulen sofort gewährleisten.
Es ist notwendig, dass den Schulen genügend Spielraum gegeben wird, in Ruhe und ohne Zeitdruck ihre pädagogischen Konzepte zu entwickeln. Gleichzeitig muss das Schulverwaltungsamt die räumlichen Voraussetzungen schaffen für eine qualitativ wirklich gute Ganztagsschule.
Deshalb sollen in den Stadtgebieten, in denen Schulen sich noch im Prozess auf dem Weg zur Ganztagsschule befinden und auch Schülerhäuser weder qualitativ (z.B. Mittagessen) noch quantitativ alle Schulkinder betreuen können, die Horte so lange bestehen bleiben, bis die erforderlichen Kriterien erfüllt sind.

IV. Frühe Bildung und Kinderbetreuung muss kostenlos sein

Es ist eine gute Leistung der Stadt, dass Kinder mit Bonuscard beitragsfrei die Kita besuchen können. Es gibt aber aufgrund vieler prekärer Lebensverhältnisse (niedrige Löhne, allein Erziehende) Eltern, die knapp über einem Einkommen liegen, das zu einer Bonuscard berechtigen würde. Auch Familien mit zwei oder drei Kindern fällt die Bezahlung der Kitagebühren nicht leicht. Gleichzeitig ist es aber vom bildungspolitischen Ansatz her gewünscht, dass Kinder früh Spracherziehung erhalten, was nur durch den Besuch der Kita gewährleistet ist. Deshalb gehört es auch zum bildungspolitischen Auftrag, den Besuch der Kitas genauso kostenfrei zu machen wie den Schulbesuch.


Thomas Adler Hannes Rockenbauch Ulrike Küstler
Fraktionsvorsitzender Fraktionsvorsitzender


Gangolf Stocker Maria-Lina Kotelmann



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