Protokoll: Gemeinderat der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
GZ:
Sitzungstermin: 07.07.2016
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Kuhn
Berichterstattung:-
Protokollführung: Frau Gallmeister
Betreff: Erhalt der CAP-Märkte in Ober- u. Untertürkheim; Ansiedlungsvorhaben ALDI in Untertürkheim unterbinden;
Anträge Nr. 180/2016 (SÖS-LINKE-PluS) v. 08.06.2016 und Nr. 226/2016 (CDU, 90/GRÜNE, SPD, FW, SÖS-LINKE-PluS) v. 07.07.2016
- mündl. Bericht -

Die im Betreff genannten Anträge sind dem Originalprotokoll sowie dem Protokoll-exemplar für die Hauptaktei beigefügt.


OB Kuhn verweist auf die beiden genannten Anträge.

StR Ozasek (SÖS-LINKE-PluS) geht auf die Bedeutung der CAP-Märkte für die Nahversorgung ein. Der Inklusionsbetrieb CAP habe eine zuvor bestehende Versorgungslücke geschlossen und stelle in den zentralen Geschäftslagen von Ober- und Untertürkheim die Nahversorgung sicher. Die CAP-Märkte schaffen Arbeitsplätze für Menschen mit Schwerbehinderungen, deren Arbeitsmarktzugang stark eingeschränkt sei. Sie sind Frequenzbringer und verbessern damit die Bindung von Kaufkraft vor Ort. Darüber hinaus sind sie Orte der Begegnung, wodurch sie eine wichtige soziale Funktion haben. Außerdem betreiben sie innovative Lösungen für mobilitätseingeschränkte Menschen in einer alternden Stadtbevölkerung durch Lieferdienste in die umliegenden Stadtteile. CAP sei in der Ansiedlungsphase zugesichert worden, dass die Stadt die Märkte vor einer übermächtigen Konkurrenz durch andere Einzelhandelsunternehmen schützt. Aus diesem Grund habe CAP überhaupt die hohen Anfangsinvestitionen getätigt und das wirtschaftliche Risiko auf sich genommen.

Das Ansiedlungsvorhaben von ALDI im Post-Areal in Untertürkheim habe für große Unruhe gesorgt. Einen Discounter in direkter Nachbarschaft von CAP in Untertürkheim anzusiedeln würde bedeuten, dass dem CAP-Markt durch Kaufkraftverlagerung von bis zu 30 % die Existenzgrundlage entzogen würde. Durch die synergetische Verflechtung mit dem CAP-Markt in Obertürkheim wäre auch dieser nicht mehr zu halten - dies sei durch ein Marktverträglichkeitsgutachten eindeutig belegt. Die Bevölkerung in Obertürkheim wehre sich entschieden gegen die Pläne der Firma ALDI und habe dem Herrn Oberbürgermeister in der vergangenen Woche 4.500 Unterschriften gegen das Vorhaben überreicht. Auch der Bezirksbeirat habe sich einstimmig gegen die Ansiedlung von ALDI ausgesprochen.

Die Stärkung der Ortszentren sei seiner Fraktionsgemeinschaft politisch ein wichtiges Anliegen. Grundsätzlich falsch sei es aber, im Versuch, diese Zentren zu stärken, das etablierte Gute und Funktionierende zu zerstören. Ein großdimensionierter ALDI würde deutlich mehr Pkw-Verkehr und damit Verkehrslärm in das Ortszentrum ziehen. Außerdem würde er inklusive Arbeitsplätze zerstören und damit den Zielen des Fokus-Aktionsplans und der UN-Behindertenrechtskonvention zuwiderlaufen.

Seine Fraktionsgemeinschaft sei der Meinung, dass der Gemeinderat ein deutliches Signal senden müsse, dass die Pläne von ALDI nicht erwünscht sind und dass der Gemeinderat für das Vorhaben kein Planrecht schaffen wird. Die Verwaltung solle keine Grundstücke an ALDI verkaufen. Diese Entscheidung müsse als Prämisse für den Masterplanprozess in Untertürkheim gesetzt werden.

Da sich zwischenzeitlich ein für seine Fraktionsgemeinschaft tragfähiger interfraktioneller Kompromiss ergeben habe, ziehe SÖS-LINKE-PluS den Antrag Nr. 180/2016 zurück und bedanke sich bei allen Kolleginnen und Kollegen, die an einer einvernehmlichen Lösung mitgewirkt haben, so StR Ozasek. Dies sei ein wichtiges Signal an CAP als Partner der Stadt bei der Bewältigung der Nahversorgungsnot in Stuttgart und an die Bürgerinnen und Bürger in Ober- und Untertürkheim, dass der Gemeinderat die äußeren Stadtbezirke im Blick hat und ihre Interessen in der Stadtentwicklung beachtet werden. Die Fraktionsgemeinschaft SÖS-LINKE-PluS hoffe auf einen guten und konstruktiven Masterplanprozess in Untertürkheim und werde gute Lösungen für den Stadtbezirk gerne politisch unterstützen.

StR Peterhoff (90/GRÜNE) erklärt, wie es zu dem Kompromiss gekommen ist. Im Ausschuss für Wirtschaft und Wohnen sei die klare Haltung der Verwaltung erläutert worden, wie sie zu einem Verkauf von Grundstücken stehe. Die Antragsteller seien daher übereingekommen festzuhalten, wie ihre Reaktion auf die neue Faktenlage ist. Aus Sicht der Antragsteller sei es wichtig, dass die Punkte der Resolution im Masterplanprozess berücksichtigt und keine vorschnellen Fakten geschaffen werden. Dabei gehe es um den Verkauf und die Bebauungsplanänderung. Ein Bericht über die Ergebnisse des Masterplans werde in den im Antrag Nr. 226/2016 genannten Ausschüssen gewünscht. Nun gelte es, vor Ort den Masterplan "in die richtigen Bahnen zu lenken und die Wichen für Untertürkheim richtig zu stellen". Hier bestehe aus Sicht seiner Fraktion eine sehr gute Chance, eine positive Entwicklung voranzutreiben.

StR Zaiß (FW) erinnert an den Antrag Nr. 191/2016 seiner Fraktion, der in der letzten Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft und Wohnen (WA) bereits behandelt wurde. Von der Verwaltung sei zugesagt worden, dass bei der Bearbeitung des Masterplans die CAP-Märkte in Ober- und Untertürkheim in den Masterplan und in die Nahversorgungsstruktur der beiden Vororte mit einbezogen würden. Zum anderen sei seitens der Verwaltung zugesichert worden, dass kein Verkauf städtischer Grundstücke im Umkreis von 33 m in diesem Gebiet stattfindet, ohne dass der Gemeinderat bzw. der WA darüber informiert wird.

Seine Fraktion wolle sich der Stimme enthalten, kündigt StR Brett (AfD) an. Er begründet dies damit, dass nicht gewollt werde, dass in den Stadtteilen nur noch Lebensmittelketten existieren. Eine Stadt müsse planen und festlegen können, dass sie manche Entwicklungen nicht wolle. Der CAP-Markt in Obertürkheim habe, als er eröffnet wurde, eine gewisse Schonfrist erhalten. Dies könne aber nicht auf Jahrzehnte hinaus so sein. Wenn gewünscht werde, dass die CAP-Märkte erhalten bleiben sollen und kein ALDI sich dort ansiedelt, wofür es 4.500 Unterschriften gegeben habe, bräuchten die Bürger nachher nicht zu ALDI zu gehen. Wenn ein ALDI entstehe, könne dieser aber auch Magnetwirkung haben, indem sich auch andere Geschäfte dort ansiedeln.

StR Dr. Oechsner (FDP) erläutert, warum die FDP den Antrag Nr. 226/2016 nicht mit unterzeichnet hat. Es sei unbestritten wichtig, dass es Einrichtungen wie den CAP-Markt gibt, und es sei auch wichtig, Möglichkeiten zu finden, um behinderte Mitmenschen in Beschäftigung zu bringen. Wenn es Schwierigkeiten bei der Nahversorgung gibt, seien die CAP-Märkte hilfreich. StR Dr. Oechsner schließt sich im Weiteren den Ausführungen von StR Zaiß hinsichtlich der Beratungen im WA an. Für die FDP stelle sich die Frage, ob in den Masterplan bzw. in die darauf aufbauenden Bebauungspläne aufgenommen wird, dass die Geschäfte, welcher Art auch immer, liefern müssen (Ziffer 3 des Antrags Nr. 226/2016). Dies könne die FDP nicht nachvollziehen, da es immer für Einzelhändler die Möglichkeiten gebe, zu liefern. Er betont, dass die Liefermöglichkeiten an sich nicht unsinnig seien, und dass damit sogar Kunden gewonnen und Geld verdient werden könne.

Für die Abstimmung über den Antrag Nr. 226/2016 bittet StR Dr. Oechsner um getrennte Abstimmung über die einzelnen Ziffern. Kein Problem hätten die FDP-Mitglieder mit den Ziffern 1, 2 und 4, aber mit der Ziffer 3.

StR Pfeifer (SPD) stellt klar, dass es kein Ansiedlungsvorhaben ALDI, sondern einen Kauf von ALDI gibt. Er sei deshalb froh, dass in diesem Punkt ein Kompromiss gefunden wurde, der zumindest für die große Mehrheit des Gemeinderats klarmache, dass man sich hinter die Sorgen der Bevölkerung in Obertürkheim stelle. Seine Fraktion halte es für ein wichtiges Signal, dass sich der Gemeinderat diese Themen nochmals zu eigen mache, um nach außen deutlich zu dokumentieren, dass keine anderen Versorgungssituationen gewollt werden, solange die heutigen vorhanden seien. Wichtig sei es deshalb, dies heute gemeinsam zu artikulieren. Die SPD-Fraktion stimme dem Antrag Nr. 226/2016 deshalb zu.

Völlig unstrittig ist nach Ansicht von OB Kuhn die Thematik, wie in den Stadtbezirken, im vorliegenden Fall in Unter- und Obertürkheim, eine möglichst optimale Versorgung mit Lebensmitteln gewährleistet werden kann. Sorgen bereite ihm die Entwicklung, dass die bestehenden Handelsketten mit strengen Parametern bestimmte Stadtteile nicht mehr bedienen. Er werde aber nicht aufgeben zu versuchen, überall dort, wo Unterversorgung besteht, Firmen aus dem Markt anzusiedeln. Wenn dies an einem Standort nicht funktioniere, sei es erfreulich, wenn CAP-Märkte dort hinkommen. Deswegen sollte der Bestand nicht gefährdet werden.

Der Vorsitzende erinnert daran, dass er selbst den Masterplan Untertürkheim vorgeschlagen hat, um zu zeigen, wie die Nahversorgung aufgebaut ist, wie sie sich mit Blick auf den demografischen Wandel verändert und was die tatsächlichen Bedürfnisse in Stadtbezirken wie Untertürkheim sind. Dies sei als exemplarische Untersuchung gemeint, bei der man methodisch vielleicht das eine oder andere lernen könne.

An StR Dr. Oechsner gewandt merkt OB Kuhn an, die Ziffer 3 des Antrags Nr. 226/2016 halte er angesichts der älter werdenden Bevölkerung durchaus für angebracht. Das Geschäftsmodell, dass Produkte nach Hause geliefert werden, könne für die Stadtgesellschaft in Zukunft wichtig sein. Wünschen würde er sich, dass in diesem Bereich die "normalen" Geschäfte verstärkt tätig würden, und dies zu bezahlbaren Preisen. In 20 Jahren werde man seines Erachtens erleben, dass in den Städten eine Austragefunktion normales Geschäftsfeld wird, wie manche großen Handelsketten dies bereits anbieten. Diesen Vorteil, die die CAP-Märkte in Ober- und Untertürkheim ausspielen, zu behalten, sei etwas wirklich Positives. Alles andere sehe man, wenn der Masterplan vorliege und darüber diskutiert werde.

StR Currle (CDU) bekräftigt die Aussagen von OB Kuhn und erinnert an die Zeit, bevor der CAP-Markt nach Obertürkheim kam. Durch die beiden CAP-Märkte in Ober- und Untertürkheim werde die Nahversorgung gefördert. Er weist darauf hin, dass es noch das Kaufland und in Obertürkheim an der Markungsgrenze auch einen ALDI gibt. Er bittet, dies bei der Aufstellung des Masterplans zu berücksichtigen. Wichtig seien für Rotenberg und Uhlbach auch die Hauslieferungen, da es dort überhaupt keine Einkaufsmöglichkeiten gebe. Zur Verbesserung der Situation trage bei, dass es in Uhlbach seit zwei Jahren wieder einen Wochenmarkt gibt. Er halte das Konzept, das es seit einigen Jahren in Ober-/Untertürkheim gibt, für gut und bittet, dieses nicht zu zerstören.

StR Dr. Fiechtner (AfD) empfindet die Debatte als "reichlich skurril", da sie von planwirtschaftlichem Denken getragen sei. Der Bürgerwille reflektiere sich dort, wo der Bürger seine eigenen Wünsche umsetzen könne. Wenn es das entsprechende Angebot gäbe, könnten die Menschen entscheiden, ob sie weiterhin in die CAP-Märkte gehen, oder sie könnten eine andere Kaufentscheidung treffen. Dies sei freier Bürgerwille, der eigentlich auch gefördert werden sollte - dies sei die freie Marktwirtschaft, die Grundlage dafür, dass man überhaupt sozial tätig werden könne.


OB Kuhn stellt abschließend folgende Abstimmungsergebnisse fest:

Die Ziffer 3 des Antrags Nr. 226/2016 wird bei 3 Gegenstimmen und 4 Enthaltungen mehrheitlich beschlossen.

Der Gesamtantrag Nr. 226/2016 (fettgedruckter Text und die Ziffern 1 bis 4) wird bei 4 Enthaltungen einstimmig beschlossen.

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