Protokoll: Gemeinderat der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
TOP:
180
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VerhandlungDrucksache:
656/2014
GZ:
OB
Sitzungstermin: 16.10.2014
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Kuhn
Berichterstattung:-
Protokollführung: Frau Sabbagh
Betreff: Einführung des Stuttgarter Sozialtickets für den öffent-
lichen Personennahverkehr in der Landeshauptstadt

Vorgang: Sozial- und Gesundheitsausschuss vom 29.09.2014, öffentlich, Nr. 58
Ausschuss für Wirtschaft und Wohnen vom 10.10.2014, öffentlich,
Nr. 109

jeweiliges Ergebnis: mehrheitliche Zustimmung

Verwaltungsausschuss vom 15.10.2014, öffentlich, Nr. 292

Ergebnis: einmütige Zustimmung


Beratungsunterlage ist die Vorlage des Herrn Oberbürgermeisters vom 15.09.2014, GRDrs 656/2014, mit folgendem

Beschlussantrag:

1. Das Stuttgarter Sozialticket für Inhaberinnen und Inhaber der Bonuscard für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) in der Landeshauptstadt Stuttgart wird zum 1. Januar 2015 eingeführt.

2. Das Stuttgarter Sozialticket wird für das 9-Uhr-Umwelt-MonatsTicket, das MonatsTicket Jedermann (dort jeweils wahlweise für eine oder zwei Zonen), das Senioren-MonatsTicket und das 14-Uhr-Junior-MonatsTicket angeboten. Es wird an die Berechtigten mit einer Ermäßigung von 50 % auf den jeweiligen regulären VVS-Ticketpreis ausgegeben. Die Ermäßigung wird vom Sozialamt entsprechend des bisherigen Verfahrens an die SSB erstattet. 3. Der Zuschuss für drei und mehr Zonen beim 9-Uhr-Umwelt-MonatsTicket und beim MonatsTicket Jedermann wird auf den 50 %-Zuschuss für zwei Zonen des jeweiligen Tickets beschränkt (siehe auch Preistabelle im Anhang).

4. Die voraussichtlichen überplanmäßigen Aufwendungen von maximal 2,7 Mio. Euro im Jahr 2015 werden im Teilhaushalt 500 - Sozialamt (Amtsbereich 5003180 - Sonstige soziale Hilfen und Leistungen, Kontengruppe 43310, Soziale Leistungen) bereitgestellt. Die Deckung erfolgt durch Sperrung von Mitteln der Deckungsreserve Sachaufwand, Teilhaushalt 900 (Allgemeine Finanzwirtschaft, Amtsbereich 9006120, sonstige allgemeine Finanzwirtschaft, Kontengruppe 440, sonstige ordentliche Aufwendungen).

Ab dem Jahr 2016 werden die Mehraufwendungen im THH 500 (Amtsbereich 5003180, Kontengruppe 43310, Soziale Leistungen) veranschlagt. Der Zuschuss der Landeshauptstadt wird für das Jahr 2015 auf einen Betrag von 4,9 Mio. Euro begrenzt. Für die Folgejahre wird dieser Deckelungsbetrag zunächst entsprechend der Tarifentwicklung angepasst. In 2017 wird der Deckelungsbetrag auf der Grundlage der Evaluationsergebnisse überprüft und ggf. neu festgesetzt.


Mit Ausnahme der Fraktion Freie Wähler, die sich dagegen ausspricht, befürwortet der Gemeinderat das Sozialticket.

StR Fuhrmann (CDU) bedankt sich im Namen seiner Fraktion bei allen Beteiligten, insbesondere bei SSB und VVS für die Kostendeckelungszusage. Seine Fraktion bedauere sehr, dass OB Kuhn ihren Vorschlag, das Sozialticket in Bonusticket umzubenennen, nicht mittragen wolle. Die Voraussetzungen, die man für das Ticket erfüllen müsse, orientierten sich klar an denen für die Bonuscard, und da es sich bei dem Zuschuss nicht um eine gesetzliche Sozialleistung, sondern um eine freiwillige Zusatzleistung handle, hielte seine Fraktion es nur für konsequent, es als Bonus- ticket zu bezeichnen.

Stuttgart verfüge über einen recht teuren, aber auch sehr guten ÖPNV, merkt StR Stopper (90/GRÜNE) an. Die freiwillige und rein kommunale Finanzierung des Sozialtickets stelle eine große finanzielle Anstrengung für die Stadt dar, bedeute zugleich aber auch einen großen Schritt in Richtung eines sozialeren ÖPNV in Stuttgart. Auch seine Fraktion bedanke sich insbesondere bei den VVS-Gesell- schaftern, die einer gedeckelten Lösung zugestimmt hätten. Damit habe die Landeshauptstadt eine gewisse Sicherheit in Bezug auf die Bezuschussung. Im Übrigen sei der Begriff Sozialticket bundesweit etabliert, weshalb man das Ticket auch so nennen sollte.

Die Einführung des Stuttgarter Sozialtickets steht nach Ansicht von StR Körner (SPD) in einer sehr guten Tradition der Stadt, die sozialen Ausgleich und soziale Stabilität ganz hoch ansetze. 66.000 Bonuscardinhaberinnen und -inhaber könnten mit dem Sozialticket nun auch am ÖPNV teilhaben. Die Bezuschussung des Jeder- mann-Tickets sei wichtig, da dieses insbesondere auch den Schwellenhaushalten, die zwar keine Sozialleistungen bezögen, jedoch nur über ein sehr geringes Ein- kommen verfügten, genutzt werde. Auch die Dynamisierung des Zuschusses stelle einen sozialen Fortschritt dar. Er bedankt sich bei den Fraktionen, die das Ticket gemeinsam auf den Weg gebracht haben, und nicht zuletzt bei der politischen Mutter und dem politischen Vater dieses sozialen Fortschritts, Altstadträtin Küstler (SÖS und LINKE) und Altstadtrat Kanzleiter (SPD), für ihren Einsatz.

Das persönliche Verdienst von Altstadträtin Küstler würdigt auch StR Rockenbauch (SÖS-LINKE-PluS). Seine Fraktionsgemeinschaft stimme der Einführung des Sozialtickets mit Begeisterung zu, auch wenn sie sich darüber im Klaren sei, dass dies nur durch die Einführung des Jobtickets möglich geworden sei. Dennoch sehe seine Fraktionsgemeinschaft beim Sozialticket noch Verbesserungsbedarf. Der Beitrag der Bonuscardberechtigten müsse ebenfalls gedeckelt werden. Grundsätzlich sollte das Sozialticket nicht mehr kosten als die im Regelsatz für öffentliche Mobilität vorgesehene Summe. Diese nächsten Schritte seien nicht allein Sache der Kommune, sondern hieran müsse sich auch der VVS beteiligen. Analog dem Seniorenticket müsse auch ein verbandsweites Sozialticket im Tarif geschaffen werden. Ziel seiner Fraktionsgemeinschaft sei und bleibe der fahrscheinlose ÖPNV. Er regt an, dass zur Schwerpunktsitzung über die SSB im nächsten Frühjahr die Overheadkosten für Kontrollen, Ticketautomaten, Tarifsystematik und -verhandlungen vorgelegt werden sollen.

Gegen das Sozialticket spricht sich StRin von Stein (FW) im Namen ihrer Fraktion aus. In keiner anderen deutschen Stadt gebe es eine solche städtische Freiwillig- keitsleistung. Dort wo es Sozialtickets gebe, würden sie vom Land finanziert. Im Übrigen brauche man in Stuttgart kein Sozialticket, da es über die Bonuscard bereits gute Vergünstigungen gebe. Im Zusammenhang mit der Bonuscard wende die Stadt freiwillige Zuschüsse für den ÖPNV in Höhe von rund 2 Mio. € im Jahr auf. So viel zahle keine andere Stadt in Deutschland. Mit der Bonuscard seien vielfältige, z. T. enorme geldwerte Leistungen verknüpft. Aufgrund der Ausweitung von Sozialleistun- gen für Bonuscardinhaber werde es für Geringverdiener weniger attraktiv, Vollzeit zu arbeiten. Sozial Schwache seien nicht vom ÖPNV ausgeschlossen, weil im Regel- satz dafür nur knapp 20 € - pauschal, nicht zweckbestimmt - vorgesehen seien. Mit Blick auf Aufstocker, die Leistungen vom Jobcenter bezögen und die teilweise auch in den Genuss von Doppelzahlungen kämen, erklärt sie, es sei nicht Aufgabe der Landeshauptstadt, den Bund hier finanziell zu entlasten. Mit dem Hinweis, dass soziale Leistungen auch eine Bedürftigkeit voraussetzten, die ihre Fraktion beim Sozialticket nicht sehe, bekräftigt sie nochmals die Ablehnung der Vorlage.

StR Klingler (FDP) betont, im Zuge der Diskussion über das Jobticket sei seiner Fraktion wichtig gewesen, auch für sozial benachteiligte Menschen Verbesserungen zu schaffen, weshalb sie den Antrag bezüglich eines Sozialtickets mit initiiert habe. Auch er spricht nochmals seinen besonderen Dank an Altstadträtin Küstler und Altstadtrat Kanzleiter aus. Der Name Sozialticket weise darauf hin, dass die Stadt hier einen enormen Zuschuss - ca. 5 Mio. € - leiste, um benachteiligten Menschen mehr Teilhabe zu ermöglichen und sie mobiler zu machen. Das Ticket solle aber auch zum Umsteigen auf den ÖPNV motivieren, was ja oft nur über den Geldbeutel funktioniere. Deshalb müsse man im folgenden Jahr auch einmal diskutieren, inwie- fern die alljährliche Fahrpreiserhöhung der SSB sinnvoll sei. Dem Sozialticket, mit dem Stuttgart eine Vorreiterrolle bei den deutschen Städten einnehme, stimme seine Fraktion sehr gerne zu.

Die AfD, so StR Prof. Dr. Maier (AfD), erkenne an, dass das Sozialticket für die gut 10 % Stuttgarter Bürger, die besonders bedürftig seien, einen wesentlichen Fort- schritt darstelle und ihre Chancen für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben verbessere. Deshalb stimme sie der Vorlage zu. Allerdings sollte die Stadt die Kosten dafür nicht allein tragen, sondern das Land und gegebenenfalls der Bund sollten in die Finanzierung solcher Aktivitäten eintreten. Er würde es deshalb begrüßen, wenn der Stuttgarter Vorstoß als Modell dienen würde, und zwar nicht dafür, dass die Kommunen alles zahlten, sondern dass die Aktivität als solche gemeinschaftlich von Bund und Land finanziert werde.


OB Kuhn merkt abschließend an, selbstverständlich habe er beim Land sondiert, ob es das Sozialticket bezuschussen würde. Ein Zuschuss sei nicht direkt abgelehnt worden, aufgrund der finanziellen Verhältnisse des Landes aber auch nicht sehr wahrscheinlich. Die Stadt müsse die Entscheidung, ob sie das Sozialticket wolle, also alleine treffen.

Auf dem Begriff Sozialticket habe er bestanden, weil es sich um eine soziale Leis- tung handle, zu der die Stadt nicht verpflichtet sei. Im Übrigen sei für ihn "sozial" kein diskriminierendes, sondern ein schönes Wort, da es das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes erfülle. Es gebe ja auch sozial geförderten Wohnraum.

Er stellt fest:

Der Gemeinderat beschließt mit 55 Ja- und 4 Gegenstimmen mehrheitlich wie
beantragt.


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