Protokoll: Gemeinderat der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
TOP:
146
7
VerhandlungDrucksache:
1493/2019 Neufassung
GZ:
SWU
Sitzungstermin: 28.05.2020
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Kuhn
Berichterstattung:-
Protokollführung: Frau Faßnacht
Betreff: Städtische Vorgaben im Energiebereich
Aktualisierung des städtischen Energieerlasses und Anpassung an die Energieeinsparverordnung 2014

Vorgang: Ausschuss für Stadtentwicklung u. Technik v. 05.05.2020, öffentlich, Nr. 124
Ausschuss für Wirtschaft und Wohnen v. 08.05.2020, öffentlich, Nr. 21
jeweiliges Ergebnis: einmütige Zustimmung
Gemeinderat vom 14.05.2020, öffentlich, Nr. 122
Ergebnis: Zurückstellung
Ausschuss für Klima und Umwelt vom 15.05.2020, öffentlich, Nr. 12
Ergebnis: einmütige Zustimmung
Gemeinderat vom 28.05.2020, öffentlich, Nr.
Ergebnis: Vertagung wegen Beschlussunfähigkeit gem. § 37 Abs. 3 GemO


Beratungsunterlage ist die Vorlage des Referats Städtebau, Wohnen und Umwelt vom 20.05.2020, GRDrs 1493/2019 Neufassung, mit folgendem

Beschlussantrag:

Neufassung entsprechend der Vorberatung im Ausschuss für Klima und Umwelt am 15.05.2020. Die Änderungen im Beschlusspunkt 2 und 4, sowie der neue Beschlusspunkt 7 sind kursiv dargestellt. Das Beschlussdatum in der Anlage ist angepasst.

1. Der Aktualisierung des städtischen Energieerlasses vom 14.06.2005 und Umbenennung in Energierichtlinie wird zugestimmt.
2. Alle städtischen Neubauten und Neubauten der städtischen Eigenbetriebe (inkl. Klinikum) werden zukünftig klimaneutral errichtet mit dem Ziel den Plusenergiestandard zu erreichen. Dabei sind folgende Themen zu berücksichtigen:
- Bei allen Neubauten wird die Nutzung von Solarenergie in Verbindung mit Speichern vorgesehen (z. B. auch zur Förderung der E-Mobilität).
- Gebäude bis zu zwei Vollgeschossen werden soweit möglich in Holz- oder Holzhybridbauweise erstellt. Bei Gebäuden über zwei Vollgeschossen wird dies angestrebt und geprüft.
- Der Einsatz von Recyclingbaustoffen (z. B. RC-Beton) soll min. 30 % betragen.
- Mindestens 30 % der Gebäudehülle sind zu begrünen (insbesondere Dachbegrünung, Fassadenbegrünung).
- Sommerlicher Wärme- und Hitzeschutz ist vorzusehen.
- Bei der Wärmeerzeugung wird, wo immer es geht, auf Fern- und Nahwärme umgestellt.

3. Bei der Sanierung von städtischen Gebäuden wird ebenfalls die Klimaneutralität angestrebt. Es sollen bevorzugt ganzheitliche Sanierungen durchgeführt werden. Für die zu sanierenden Bauteile werden neue Höchstwerte der Wärmedurchgangskoeffizienten (U-Werte) festgelegt (siehe Tabelle 1). Neben der Einhaltung von Einzel-Wärmedurchgangskoeffizienten ist auch der Nachweis über das in der EnEV festgelegte Hüllflächenverfahren möglich: Anforderungen an Bauteile, die technisch nicht ausreichend ertüchtigt werden können, dürfen durch Übererfüllung an anderen Bauteilen kompensiert werden (sogenannte 140 %-Regel). Der Bau von Solaranlagen in Verbindung mit Speicher ist vorzusehen (z. B. auch zur Förderung der E-Mobilität).

Die städtischen Vorgaben im Energiebereich gemäß Beschlussziffer 2 und 3 gelten, soweit nicht wesentliche Gesichtspunkte der Stadtverwaltung oder Rechtsvorschriften entgegenstehen.

4. Die städtischen Vorgaben im Energiebereich (Beschlussziffer 2 und 3) werden im Rahmen der Einflussmöglichkeiten auch für die städtischen Tochtergesellschaften übernommen. Im Wohnungsbereich wird bei Neubauvorhaben an der mit dem Bündnis für Wohnen getroffenen Mindestanforderung kfW 55 festgehalten.

5. Die Verwaltung wird beauftragt, beim Verkauf von städtischen Grundstücken und beim Abschluss von städtebaulichen Verträgen bzw. vergleichbaren Verträgen mit dem Ziel zu verhandeln, die Anforderungen KfW 55 und EnEV 2016 -20 % sowie der Nutzung von Solarenergie im Vertrag zu verankern.

6. Bei der Bewertung von Energieeinsparmaßnahmen der Stadt werden neben den wirtschaftlichen Gesichtspunkten die CO2-Emissionen mit 50 Euro/t CO2 bepreist.

7. Bei Sanierungen und Neubau werden Nahwärmelösungen geprüft und wenn möglich umgesetzt. Über die vorangegangenen Punkte wird bei Neubau oder Sanierung jeweils in aller Kürze in der jeweiligen Vorlage eingegangen und/oder im Ausschuss für Klima und Umwelt berichtet.


Die Beratungsunterlage ist dem Originalprotokoll sowie dem Protokollexemplar für die Hauptaktei beigefügt.

Weitere Beratungsunterlage ist der gemeinsame Antrag Nr. 195/2020 der Gemeinderatsfraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN, der Fraktionsgemeinschaft Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei und der PULS-Fraktionsgemeinschaft vom 25.05.2020. Dieser ist ebenfalls dem Originalprotokoll sowie dem Protokollexemplar für die Hauptaktei beigefügt.

Bevor er zur Aussprache bittet, unterstreicht OB Kuhn die Bedeutung der Vorlage, die entscheidende Fortschritte für den Klimaschutz in Stuttgart darstelle.

StR Winter (90/GRÜNE) betont, seiner Fraktion sei es wichtig, vorbildhaft voranzugehen. Deswegen habe sie gemeinsam mit der Fraktionsgemeinschaft Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei und der PULS-Fraktionsgemeinschaft den Antrag Nr. 195/2020 gestellt. Er erläutert den die Vorlage ergänzenden Antrag und bittet herzlich um Zustimmung.

StR Kotz (CDU) hebt hervor, Stuttgart sei, was das Thema Klimaschutz angeht, immer schon ein Klassenprimus in Deutschland. So seien die Anforderungen an die Bauten, insbesondere solche, die als öffentliche Hand getätigt wurden, immer ambitionierter als es die jeweiligen Energieverordnungen des Landes oder des Bundes zugelassen haben. Auch für den Bestand im privaten Bereich habe man Energiesparprogramme und
-förderprogramme aufgelegt und damit viel erreicht zu einer Zeit, in denen andere Städte noch nicht einmal daran gedacht hätten. Es sei deswegen richtig, auch heute wieder weiterzugehen als andere und die Erfüllung dieser Anforderungen noch besser zu fördern - aber nur, wenn auch entsprechend höhere Ansprüche von den privaten Hausbesitzern bei den Sanierungen erfüllt werden. Nicht ausblenden dürfe man dabei, dass all diese Ansprüche und Forderungen zu deutlichen Mehrkosten führen was die Investition anbelangt, aber auch was den Betrieb angeht.


Auch was das Thema CO2-Steuer angeht, gehe Stuttgart in dieser Vorlage einen mutigen Weg, während auf Bundesebene der Kompromiss bei 25 € pro Tonne fixiert wurde. Mit dem Vorschlag des Oberbürgermeisters steige man ab 01.01.2021 rechnerisch bei 50 €/t ein und verdoppele die Ambition. Seine Fraktion sei der Meinung, dass dies ambitioniert genug ist, man dieses zwei, drei Jahre beobachten sollte, um dann selbstverständlich auch nachjustieren zu können in der Höhe, wenn es denn sinnvoll und richtig ist. Den Antrag Nr. 195/2020 lehne man daher ab, da er über das Ziel hinausschieße. Der Vorlage des Oberbürgermeisters stimme man hingegen sehr gerne zu und freue sich auf viele Detailentscheidungen in den entsprechenden Maßnahmen.

Für StR Rockenbauch (Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei) ist der Klimawandel die existenzielle Frage nicht nur der Menschheit, sondern generell der Frage, "ob es das Leben, wie wir es kennen, in Zukunft noch weiterhin geben wird". Deswegen sei es wichtig, dieses Ziel mit großen Ambitionen zu verfolgen. Mit der heutigen Vorlage - die man in der Richtung sehr begrüße - erreiche man nach aktuellem Stand der Wissenschaft das 1,5-Grad-Ziel jedoch nicht, weshalb deutlich mehr getan werden müsse.

Die energieneutrale Stadt, die Stuttgart nach Meinung der Fraktionsgemeinschaft als Vorbild bis 2030 braucht, um vielleicht bis 2035 als Gesamtstadt und bei den privaten Liegenschaften klimaneutral zu sein, lasse sich nicht über die Einzelgebäude erreichen. Dazu brauche es eine gesamtheitliche Energieleitplanung, eine Wärmeleitplanung, an der man sich strategisch für die Gebäudesanierung, für Effizienz- und Förderprogramme ausrichten könne, Energiepartnerschaften zwischen Gebäuden eingehen könne, und über erneuerbare Nahwärme auch mal ein Gebäude versorgen könne. Dass diese Strategie deutlich, schnell und ambitioniert kommt, dafür wolle man mit Nachdruck streiten. Auch solle noch die Strategie kommen, "dass, wenn wir dämmen und Effizienz machten", es ökologische Dämmstoffe braucht, die rückbaubar und entsorgbar sind.

Als Antragsteller hoffe er sehr auf eine Mehrheit für eine Dynamisierung der Energiekosten. Entscheidend werde sein, dass die CO2-Tonne jedes Jahr ein bisschen mehr kostet, denn damit werde jede Maßnahme, die man heute ergreift, über die Zeit immer wirtschaftlicher. Man werde der Vorlage heute zustimmen, bitte jedoch noch um folgende Änderung: Die Energierichtlinie solle auch dort gelten, wo die Stadt privatrechtliche Verträge, Pachtverträge, abschließt und nicht nur beim Verkauf städtischer Immobilien. Letzteres lehne die FrAKTION ohnehin ab.

StRin Schanbacher (SPD) sieht in der Corona-Krise eine Chance, Klimaschutz, Innovation und Arbeitsplätze zusammen zu denken. Daher sehe ihre Fraktion das beschlossene Klimapaket mit 200 Mio. € auch als eine Art Konjunkturpaket in diesem Bereich. Die Energierichtlinie der Landeshauptstadt Stuttgart sei die Basis des städtischen Energieverbrauchs, aber auch ganz entscheidend Basis der städtischen Energieinfrastruktur. Eine erfolgreiche Klimawende sei in erster Linie eine Energie- und noch genauer eine Wärmewende. Obwohl nur 2 % aller Gebäude in Stuttgart städtische Gebäude sind, so diene die Energierichtlinie doch als Vorbildfunktion für andere, und auch für eine verlässliche Planung und Prozesse in der Verwaltung. Sie habe eine entscheidende Lenkungswirkung, da städtische Gebäude und die Investitionen in deren Energieversorgung ganze Viertel mitversorgen und den Anstoß bieten können für Quartiere, die in Zukunft sogar CO2-frei mit Energie versorgt werden können. Deswegen habe man es für sehr wichtig erachtet, die Quartierskonzepte an zentraler Stelle hervorzuheben, und freue sich, dass dies in die Neufassung der Vorlage übernommen wurde.

Besonders wichtig sei ihrer Fraktion auch, beim Thema Sanierung so viel wie möglich zu machen, aber auch möglichst effizient zu handeln, sodass jeder eingesetzte Euro maximal viel CO2 einsparen kann. Weil es um Effizienz und um Sozialverträglichkeit gehe, begrüße man, dass das Bündnis für Wohnen einbezogen wurde und ein Ausgleich zwischen Wohnen und Klimaschutz getroffen wurde. Wichtig sei auch, dass die Fernwärme in der Richtlinie berücksichtigt ist und diese CO2-frei werden soll, vor allem, wenn man als Stadt die Fernwärme künftig selber betreiben will. Dem Antrag für eine Dynamisierung des CO2-Preises stimme man zu und begrüße auch, dass im Herbst 2022 das Ganze evaluiert werden soll.

StR Dr. Oechsner (FDP) schließt sich inhaltlich dem Wortbeitrag von StR Kotz an.

StR Zeeb (FW) weist darauf hin, dass die Energierichtlinie das Bauen im Allgemeinen verteuern werde, "und das muss es uns wert sein!" Man dürfe dann aber nicht erwarten, dass Wohnraummieten zwischen 6, 7, 8 €/m² erzielt werden.

StRin Köngeter (PULS) macht darauf aufmerksam, dass es im Hinblick auf Quartierskonzepte für eine klimaneutrale Stadt wichtig werden wird, die städtischen Gebäude in Zukunft immer als Anker für Quartierskonzepte mitzudenken. Der Vorlage wie auch dem Antrag Nr. 195/2020 stimme die Fraktionsgemeinschaft gerne zu.

Bevor der Vorsitzende zur Abstimmung aufruft, fragt er die Antragsteller, ob sie damit einverstanden sind, nur über die Beschlussantragsziffern 1 und 2 abzustimmen, da die Beschlussantragsziffer 3 mit der heutigen Behandlung als erledigt betrachtet werden könne. StR Winter ist damit einverstanden.


OB Kuhn lässt über den Antrag Nr. 195/2020, Beschlussantragsziffern 1 und 2, abstimmen und stellt fest, dass dieser mit 10 Ja-Stimmen und 6 Nein-Stimmen mehrheitlich angenommen ist.

Er stellt anschließend die GRDrs 1493/2020 Neufassung mit dem Zusatz - wie von StR Rockenbauch beantragt -, dass die Energierichtlinie nicht nur bei Verkäufen, sondern auch bei Pachtverträgen gilt, zur Abstimmung, und stellt fest:

Der Gemeinderat beschließt mit 15 Ja-Stimmen und 1 Enthaltung wie beantragt.

zum Seitenanfang