Protokoll: Gemeinderat der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
GZ:
Sitzungstermin: 02.06.2022
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Dr. Nopper
Berichterstattung:Frau Bosse (McKinsey & Company), Herr Kohlmeyer (S/OB Klimaschutz)
Protokollführung: Frau Faßnacht
Betreff: Klimafahrplan: Wie gelingt die Klimaneutralität 2035?
- mündlicher Bericht -

Die zu diesem Tagesordnungspunkt gezeigte Präsentation ist dem Protokoll als Dateianhang hinterlegt. Dem Originalprotokoll ist sie in Papierform angehängt.


Die einleitenden Worte von OB Dr. Nopper sind im leicht überarbeiteten Wortlaut wiedergegeben:

"Wir präsentieren Ihnen heute fristgerecht - wie versprochen Ende Mai/Anfang Juni - den Klimafahrplan für die Landeshauptstadt Stuttgart, den unsere Stabsstelle Klimaschutz mit Unterstützung des Beratungsunternehmens McKinsey entwickelt hat. Wir präsentieren Ihnen heute die Kurzfassung. Die Langfassung wird mit Ihnen im Ausschuss für Klima und Umwelt am 08.07.2022 erörtert. Nach weiteren Vorberatungen soll dann am 27.07. im Gemeinderat nach einer Generaldebatte die Beschlussfassung über unser neues Klimaneutralitätsziel erfolgen. Die Untersuchungen der Stabsstelle Klimaschutz und von McKinsey haben folgende Kernbotschaften ergeben:

1. Das Klimaneutralitätsziel 2035 ist sehr ambitioniert, aber dennoch mit einem gemeinsamen Kraftakt von Stadt, Stadtgesellschaft und Wirtschaft erreichbar.

2. Wir konzentrieren uns im Wesentlichen auf drei Sektoren: auf den Stromsektor, auf den Wärmesektor und auf den Verkehrssektor. Der Stromsektor ist mit 47 % der Treibhausgasemissionen der wichtigste, der Wärmesektor folgt mit 37 % an zweiter Stelle, der Verkehrssektor kommt mit 14 % erst an dritter Stelle.

3. Bis zum Jahr 2035 müssen zur Erreichung des Klimaschutzziels durch den öffentlichen Sektor und durch den privaten Sektor enorme Investitionen in Klimaschutzmaßnahmen erfolgen, insgesamt in Höhe von rd. 11 Mrd. €, und damit in Höhe von rd. 1,5 % des Bruttoinlandsprodukts in unserer Stadt. Aber diese Investitionen zahlen sich für den Wirtschaftsstandort Stuttgart aus, da sie sich bis Anfang der 40er-Jahre amortisieren. Die Investitionsmaßnahmen amortisieren sich, weil sie enorme Energieeinsparungen auslösen.

Der Klimafahrplan enthält insgesamt 13 Maßnahmenpakete. Die 11 wirkungsvollsten sind die Folgenden: Im Stromsektor, mit 47 % der Treibhausgasemissionen - bereits erwähnt - der Wichtigste, gibt es folgendes Effekt- und Wirkungsranking:

1. Der Ausbau von Photovoltaikanlagen,
2. die Umstellung der Energieimporte von fossilen Energieträgern auf nachhaltige Energieträger,
3. die Umstellung der beiden Stuttgarter Kraftwerke von Kohle und Gas auf grünen Wasserstoff und
4. Stromsparen.

Im Wärmesektor, der mit 37 % der Treibhausgasemissionen der zweitwichtigste Sektor ist, gibt es folgendes Effekt- und Wirkungsranking:

1 Die Sanierung von Bestandsgebäuden,
2. die Installation von Wärmepumpen,
3. der Ausbau von Wärmenetzen und
4. die Effizienzsteigerung bei der Wärmeerzeugung.

Im Verkehrssektor, der mit 14 % der Treibhausgasemissionen der drittwichtigste Sektor ist, gibt es folgendes Effekt- und Wirkungsranking:

1. Die Elektrifizierung von privaten Fahrzeugen und von Fahrzeugen des Öffentlichen Personennahverkehrs,
2. die Verkehrsverlagerung und
3. die Verkehrsreduktion.

Somit zeigt dieser Maßnahmenkatalog zum Klimafahrplan an, welche Maßnahmen zur Erreichung des Klimaneutralitätsziels für das Jahr 2035 notwendig sind, er zeigt an, welche Bedeutung die verschiedenen Sektoren für das Klimaneutralitätsziel für das Jahr 2035 haben und wie bedeutend die verschiedenen Maßnahmen innerhalb der Sektoren sind.

Wir präsentieren Ihnen heute die Einzelheiten der Maßnahmen nur abstrakt. Sie werden konkretisiert in der Langfassung des Gutachtens, die wir in der Juli-Sitzung des Ausschusses für Klima und Umwelt und abschließend in der letzten Sitzung des Gemeinderats vor der Sommerpause mit Ihnen beraten wollen.

Zusammengefasst: Unser Ziel ist die Erreichung des Klimaneutralitätsziels 2035. Unser Ziel ist, dass wir dieses Ziel sozial- und wirtschaftsverträglich erreichen. Und unser Ziel ist die Verbindung von Ökologie und Ökonomie.

Das Wort hat der Leiter unserer Stabsstelle Klimaschutz Jan Kohlmeyer, der heute seinen 42. Geburtstag feiert. Herzlichen Glückwunsch, Herr Kohlmeyer! Und das Wort hat darüber hinaus die Leiterin des Projekts Klimafahrplan bei McKinsey, Frau Ruth Bosse. Herzlich Willkommen, Frau Bosse."

Herr Kohlmeyer (S/OB Klimaschutz) stellt anschließend die Kurzform des Stuttgarter Klima-Fahrplans 2035 im Sinne der angehängten Präsentation vor und geht dabei auf die Kern-Botschaften ein, die Frau Bosse (McKinsey & Company) anschließend erläutert.

Zu den Seiten 10 und 11 der Präsentation weist Herr Kohlmeyer darauf hin, dass McKinsey einen sehr konservativen Ansatz zur Ermittlung der Zahlen gewählt habe. So wurde in der gesehenen Darstellung überhaupt kein CO2-Preis eingerechnet, wohingegen die Studie, die dem Gemeinderat im Vorfeld zugeschickt wurde, eine Variante enthalten hat, bei der ein CO2-Preis berücksichtigt wurde, der ebenfalls sehr konservativ angesetzt worden sei. "Nochmals zur Verdeutlichung: Wenn der CO2-Preis höher ist, rechnet sich dieser Weg für Stuttgart noch mehr!" Dies gelte auch für den Erdgaspreis, weil als Grundlage für diese Untersuchung der Erdgaspreis vor den Verschärfungen und vor den Preissteigerungen, die durch den Krieg zwischen Russland und der Ukraine ausgelöst wurden, angesetzt worden sei. "Wenn man den aktuellen Preis nehmen würde, würde sich der Wechsel weg von fossilen Energien noch stärker rechnen." Sein dritter Hinweis zielt auf die Fördermittel, die es auf EU-Ebene, auf Bundesebene und auf Landesebene gibt. "In diesen Berechnungen sind keine Fördermittel berücksichtigt." Aufgabe werde also sein, möglichst viele solcher Fördermittel für diese Aufgaben nach Stuttgart zu holen, die dann noch positiv dazukommen.

Weiter geht Herr Kohlmeyer ein auf die Seiten 12 bis 16 der Präsentationen. Abschließend betont er, es wäre ein gutes Signal, wenn der Gemeinderat die Entscheidung ja oder nein noch vor der Sommerpause treffen könnte, damit die Arbeit zur Operationalisierung, die Maßnahmensteckbriefe für diese Maßnahmenpakete, dann "mit Schmackes und Geschwindigkeit" umgesetzt werden kann. Klar müsse auch sein: "Es ist ein laufendes und auch lebendiges Paket. Insofern ist der Abschluss der Studie von McKinsey aus unserer Sicht auch kein Abschluss, sondern eigentlich ein Anfang, nämlich der Anfang eines Umsetzungsprojektes, bei dem - das hatte der Oberbürgermeister schon gesagt - wir sicherlich noch häufiger in die Gremien gehen werden, bei denen wir häufiger noch Diskussionen führen werden, vor allem in den einzelnen Sektoren die Diskussion auch führen werden und wahrscheinlich auch mehrere Ausschüsse dann noch beteiligt werden. Soviel von uns. Jetzt gebe ich das Wort an den Oberbürgermeister wieder zurück."

OB Dr. Nopper dankt den Vortragenden für ihre Ausführungen und erinnert an die Verständigung im Ältestenrat darauf, dass alle Fraktionen zwischen drei und fünf Minuten Gelegenheit haben, Stellung zu nehmen zu diesem Klimafahrplan. Dem Dank an die Berichterstatter, den Glückwünschen zum Geburtstag und dem Dank für die Einführung durch den Vorsitzenden schließen sich die Rednerinnen und Redner der Fraktionen und Fraktionsgemeinschaften an.

Für StR Winter (90/GRÜNE) wurde mit der heutigen Kurzvorstellung des Stuttgarter Klima-Fahrplans 2035 ein wichtiger Akzent gesetzt. Großartig sei die Überschrift "Wir können es erreichen, 2035 klimaneutral zu sein", doch dafür müsse man in alle identifizierten Maßnahmen hineingehen. Es brauche dabei einen hohen Grad an Verbindlichkeit, welche hergestellt werden könne, indem - wie bei den Haushaltsberatungen - immer ein Monitoring mitläuft, und wo die Währung dann CO2-Budget anstatt Euro und Cent heißt. Unter dieses Monitoring müsse man die Entscheidungen der Reihe nach überprüfen "und uns selber dieser Überprüfung stellen. Wir brauchen dafür die lang geforderte Beantwortung der Fragestellung Klimavorbehalt." Dies enthebe den Gemeinderat nicht, eine politische Entscheidung zu treffen, doch müsse man dafür wissen, was zu tun ist.

Es gebe hierbei durchaus Widersprüche. Beispielhaft führt er die Frage an, wie gehen wir mit Versiegelung und Entsiegelung nicht nur in der Klimaanpassung, sondern auch tatsächlich (Straßenbau, Schienenbau) in der CO2-Bilanz um? Um Verkehrsverlagerung auf den Umweltbund zu erreichen, müssten auch Investitionen erfolgen, die kurzfristig die CO2-Bilanz trüben, aber langfristig notwendig sind, um Verkehre zu vermeiden. Er denke weiter an Dinge wie Mobilitätspass oder auch Tempo 30, wo OB Dr. Nopper bisher eine ganz andere Meinung vertreten habe. Beim Thema Wärme habe man in den Haushaltsplanberatungen gute Pakete auf den Weg gebracht, die aber nicht reichen werden, um nun in der Hälfte der Zeit dieses Ziel zu erreichen. "Wir müssen in die Umsetzung kommen, in die tatsächliche Realisierung, das ist die Hauptaufgabe. Dazu brauchen wir eine gute Struktur!" In diesem Zusammenhang erinnert er an die aufgeschobene GRDrs 249/2022 und an das Angebot seiner Fraktion vom Montagabend für eine konsensuale Herangehensweise, um diesen Prozess vernünftig und gut aufzusetzen. Dies sei Chefsache.

Er bittet zuletzt, sich Stuttgart im Jahr 2035 vorzustellen, wenn die Einzelmaßnahmen umgesetzt sind: emissionsfreier Verkehr, leise, begrünte Fassaden. Er zeigt sich sicher, dass dann kein Mensch mehr zurück will auf das, was wir heute haben. Für dieses Ziel lohne es sich, gemeinsam zu kämpfen.

StR Kotz (CDU) wertet die Aussage, wonach es möglich zu sein scheint, 2035 klimaneutral zu sein, als grundsätzlich sehr positive Botschaft. Dennoch bleibe er bei seiner Aussage anlässlich der Beauftragung des Gutachtens, "dass wir als Stadträtinnen und Stadträte, als Oberbürgermeister, ganz wenig davon wirklich selber entscheiden und das allermeiste der Investitionen getätigt werden muss von den privaten Wohnungs- und Hausbesitzern und den Unternehmen in Stuttgart." Dies sehe er nun bestätigt: "Wenn die Menschen da draußen nicht mitmachen, dann stehen wir 2035 vor einem Scherbenhaufen." Es sei daher wichtig, die Menschen mitzunehmen, was aber nur möglich sei, wenn man den Menschen ganz konkret sagt, was das bedeutet.

Aus seiner Sicht sind die heute vorgestellten Dinge keine Maßnahmenpakete, weil die Menschen sich nichts dazu vorstellen können. Maßnahmen seien ganz konkrete Sachen, wie z. B. die Parkgebühren zu verdoppeln, eine Pförtnerampel zu installieren, die Straßenbahnen um das Doppelte auszubauen etc. Deswegen finde er auch die Aussage schwierig, dass der Klimaschutz sozialverträglich gestaltet werden kann. "Solange ich gar nicht weiß, welche Maßnahmen beim Bürger ankommen ganz konkret, kann ich doch überhaupt nicht sagen, ob das sozialverträglich ist oder nicht. Das, was wir da besprechen an Überschriften, ist die Meta-Ebene. Und das muss sich McKinsey natürlich auch ein Stückweit ans Revers heften: Von Maßnahmen habe ich heute noch relativ wenig gehört, ein paar Punkte." Ein Maßanzug für Stuttgart sei dies nicht, auch wenn Verbrauchswerte und andere anteilige Werte, die vom Amt für Umweltschutz erfasst wurden, übernommen worden seien. Die Beratungen und Diskussionen der nächsten Wochen müssten insofern sehr intensiv werden, um sich zu lösen von der Meta-Ebene. Dankbar sei er für die wichtige Botschaft, dass alle Technologien dabei eine Rolle spielen müssen.

Zweifel, wie viel Realität sie enthalten, habe er bei einigen der Prognosen. Dies betreffe z. B. die Sanierungsquote im Bestand, die von 1,5 % auf 4,3 % jährlich bis 2035 nahezu verdreifacht werden soll, denn es mangele an Handwerkern, die diese Verdreifachung der Sanierungsquote umsetzen können - "von den Materialströmen ganz abgesehen". Auch hätten zu manchen Stichworten im Papier bisher im Rat kaum Diskussionen stattgefunden, wie zum Abfallmanagement und zur CO2-Abscheidung. Was das Thema Kostenprognose angeht und die Aussage, man könne die Fördermittel davon noch abziehen, so halte er dies für schwierig, da es sich um Steuergelder handelt, die zunächst erst erarbeitet und gezahlt werden müssen. Eine weitere Frage, die seines Erachtens sehr schnell diskutiert werden müsse, sei die Frage der Preisstabilität. Das Beispiel der Opernsanierung zeige, dass es auch beim Klimathema einen Risikozuschlag brauche. "Sind die 11 Milliarden Euro auf Stand heute gerechnet oder haben Sie den 100 %igen Zuschlag von der Oper schon dabei? Oder werden es am Ende 22 Milliarden Euro?"

An seinen Vorredner gewandt weist er darauf hin, dass in dem Papier eine Projektstruktur im Amt für Umweltschutz vorgeschlagen werde mit einer Schnittstelle in den OB-Bereich. Dies aber habe StR Winter am Montagabend "totgemacht". Der zweite Vorschlag im Papier laute, als bestes Mittel eine Task Force einzusetzen. Eine "richtig gute Task Force" gab es seines Erachtens 2015/2016 in der Stadtverwaltung zur Erstellung, Planung, Umsetzung und Bau der Flüchtlingsunterkünfte, wo man bundesweit ein Benchmark gesetzt habe. Diese Task Force war nicht beim Oberbürgermeister angesiedelt, sondern im Referat WFB. Seine Fraktion sei deswegen immer noch der Überzeugung, dass es richtig ist, das Thema im zuständigen Fachreferat bei dem Bürgermeister zu verorten, der dafür verantwortlich ist. "Dort eine tolle Struktur aufzubauen geht einher mit dem Papier und wird mit Sicherheit erfolgreich sein. Da könnten wir heute schon einen Schritt weiter sein, wenn Sie nicht politische Ränkespiele machen würden!" Die CDU-Fraktion freue sich auf die Diskussionen der nächsten Wochen.

StR Dr. Jantzer (SPD) wertet die termingerechte Vorlage des McKinsey-Berichts als Meilenstein in der Klimaschutzdebatte in Stuttgart. Noch 2019 habe das Umweltreferat und der damalige OB Kuhn erklärt, dass eine Zielstellung im Jahr 2050 für eine energetische Klimaneutralität in Stuttgart ein angemessener städtischer Beitrag sei, um die Destabilisierung des Klimas aufzuhalten. Dieser große Irrtum werde nun korrigiert. Seit 2021 lägen für Deutschland wirtschaftlich fundierte Transformationspfade in Richtung Klimaneutralität vor. Beispielhaft nennt er den Bericht des Ariadne-Konsortiums und die große BDI-Studie. Letztere empfehle er StR Kotz zur Lektüre, denn sie helfe, über die Umsetzung positiver zu sprechen. Es sei daher wenig verwunderlich, wenn auch das McKinsey-Gutachten schlussfolgert, dass die Reduktion energiebedingter territorialer Treibhausemissionen zu 95 % bis ins Jahr 2035 erreichbar und ökonomisch sinnvoll ist. Die SPD-Gemeinderatsfraktion habe diese Zielstellung bereits im letzten Jahr vorgeschlagen und sehe sich nun bestätigt.

Man sei sich im Klaren darüber, dass mit diesem Bericht die Umsetzungsgeschwindigkeit beim Ausbau der Photovoltaik, der energetischen Sanierung der Gebäude und der Wärmewende noch nicht gesteigert ist. Aber es gebe nun eine detaillierte Beschreibung der Ausgangsposition und durchgerechnete Maßnahmenpakete zum Klimaschutz und der notwendigen Klimaanpassung in Stuttgart. Es liege nun am Gemeinderat, die richtige Ableitung auch für die Umsetzungsorganisation zu beschließen.

Eine neue, überarbeitete Strategie der Stadtwerke als Motor der Energiewende sei aus Sicht der SPD vielleicht der wichtigste Beitrag in den nächsten Wochen. Man erwarte vom neuen Geschäftsführer der Stadtwerke, dass er eng abgestimmt mit den Verantwortlichen der Stadtverwaltung eine ungeschönte Eröffnungsbilanz vorlegt, warum die SWS in den letzten Jahren nur so schleppend in Sachen Wärmewende vorangekommen ist. "Wo liegen die zentralen Roadblocks? Wie müssen wir Rollen und Verantwortlichkeiten zwischen den Stadtwerken, der Stadtverwaltung und auch der EnBW verändern? Wie muss das Vorgehen aussehen, damit eine ganzheitliche Verantwortung für eine klimaneutrale Energiebereitstellung bei den Stadtwerken möglich wird? Und zuletzt, in welcher Weise muss der Gemeinderat die finanziellen und personellen Rahmenbedingungen und Randbedingungen verändern, damit wir die neue Zielstellung auch erreichen können?"

Abschließend hebt er zwei Aspekte aus dem Bericht hervor, die nicht ausführlich besprochen worden seien. Dies sei zum einen der Vorschlag, einen bindenden Klimavertrag mit allen beteiligten Stakeholdern der Stadtgesellschaft zu erarbeiten. Eine transparente Kommunikation und eine breite Debatte zum noch im Detail zu erarbeitenden Klimafahrplan sehe man unabdingbar für das Gelingen der Ziele. Das Zweite sei die sozial gerechte Ausgestaltung. Hier sei seiner Fraktion wichtig, einen Expertenrat unter Einbindung des Sozial- und Gesundheitsausschusses einzurichten, der über die soziale Ausgestaltung aller Maßnahmen wacht. "Jede Bürgerin und jeder Bürger unserer Stadt muss davon überzeugt sein und überzeugt werden, dass Klimaschutz und Klimaanpassung auch ihr und ihm persönlich eine gute Zukunft verspricht." Im Namen seiner Fraktion dankt er Jan Kohlmeyer und dessen Team für den geleisteten Einsatz und die gute Arbeit.

Auch StR Rockenbauch (Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei) kritisiert, dass man nicht längst schon auf Baustelle ist, denn seit Jahren wisse man um die Notwendigkeit, Stuttgart anzupassen an den Klimawandel und vorzubereiten auf die klimagerechte Transformation. Dafür habe man in den letzten Doppelhaushalten Mittel eingestellt. Seine Fraktionsgemeinschaft habe bereits beim Beschluss des Klima-aktionsplans gefordert, die Stadt bis 2035 klimaneutral zu machen und im letzten Jahr aufgrund des galoppierenden Klimawandels nachgelegt auf 2030. Nun habe man erneut ein Jahr verloren und Papier produziert, obwohl Handeln angesagt wäre. Insofern fühle man sich bestätigt, diesem Gutachten nicht zugestimmt zu haben. "Der Auftrag dieses Gutachtens wäre das Machbare. Was für eine Kategorie ist denn die Machbarkeit bei der Frage, wenn es ums Überleben des Planeten geht?" Wer erst Zeit damit verliert, ob etwas machbar ist, anstatt sich den Notwendigkeiten zu stellen, der habe nicht erkannt, in welcher katastrophalen Klimakrise die Menschheit bereits steckt und welche Folgen auf unserer Erde schon zu erleben sind.

Wirtschaftsfreundlich zu sein, sei McKinsey hingegen gelungen in einem Gutachten, das von Technologie durchdrungen sei und das Fazit ziehe, "wir haben die Chance, Technologievorreiter zu werden. Denn fast alle der Maßnahmen setzen nur auf Technologie, wohingegen zum zweiten Prüfauftrag, der sozialen Verträglichkeit, nichts ausgesagt werde. Es werde nicht über Klimagerechtigkeit geredet und darüber, "dass eigentlich eine der klügsten Umweltschutzmaßnahmen ist, diejenigen zur Kasse zu bitten, die diesen Planeten seit Jahren ausgeplündert haben, ausgeraubt haben, und unsere Gesellschaft arm machen. Diejenigen zur Kasse zu bitten, um den Klimawandel zu retten, macht das Programm und machen die Maßnahmen möglich, die wirklich alle mitnehmen, weil sie die Teilhabe garantieren. Egal, was da draußen für Transformation unserer Wirtschaft möglich wird. Darüber lesen Sie natürlich hier nichts, weil, das wäre nicht wirtschaftsfreundlich. Aber es wäre sozial gerecht."

Wenn alles so leicht sei und für alles bereits ein Business Case vorliege bis 2035, dann ließe sich das Ziel doch auch bis 2030 schaffen, wenn man ein bisschen nachlegt und die Struktur wählen würde, wie es in diesem Gutachten nahelegt wird, "mit dem größten Beitrag für die Dekarbonisierung unserer Gesellschaft." Die nämlich sei nicht eine Projektgesellschaft oder dergleichen, sondern ein Klimareferat mit jemandem an der Spitze, der für den Klimaschutz mit Überzeugung kämpft, und unterlegt mit Personal. Dann sei über Suffizienz zu reden, über Energievermeidung, wo man keine Technologien braucht und intelligent etwas steuern muss. "Weniger ist mehr!" Auch ein kostenloser Nahverkehr trage dazu bei, die Ziele zu erreichen. Stuttgart könne als eine der reichsten Städte und reichsten Regionen Deutschlands nicht hintenanstehen und bei 2035 bleiben, weil man nun zwar weiß, dass es sich rechnet, aber nicht weiß, "wie wir es machen. Lasst uns nachlegen, endlich handeln und 2030 Stuttgart klimaneutral machen!"

StR Dr. Oechsner (FDP) schickt voraus, es eigne sich politisch nicht, sich hier über das Thema Neuzuschneidung der Geschäftskreise bzw. die Veränderung zu ärgern, "denn tatsächlich wäre es für alle sehr sinnvoll, dem Klima-Stabsstellen-Menschen, in dem Fall Herrn Kohlmeyer, mehr Kraft und mehr Recht und mehr Durchschlag zu verleihen anstatt ihn nur als strategischen Denker hier zu bringen. Und das hätten Sie nicht geändert, hätten Sie ihn verschoben ins Umweltamt, sondern Sie brauchen eine Stelle bis hin zu einem Referat, das kräftig auch Durchsetzung machen kann, wenn wir es ernstnehmen wollen, dieses Gutachten am Schluss 2035 umgesetzt zu haben."

Es gebe natürlich noch unzählige Fragezeichen, z. B. in der Frage, wer setzt es um? Das vorgelegte Kurz-Gutachten enthalte im ersten Teil nichts, was nicht schon jeder gewusst hätte. Der zweite Teil enthalte viele Zahlen, die zusammengetragen wurden, um zu sehen, was alles gemacht werden kann. Was jedoch absolut fehle sei, dass Maßnahmen hinterlegt wurden. Somit fange man jetzt damit an, die Maßnahmen und wie sie umgesetzt werden können, herauszufinden. Er als Liberaler müsste sich eigentlich freuen, dass sich alles rechnet und die Wirtschaft davon profitieren wird, sodass am Ende alle viel Geld damit verdienen - was tatsächlich auch passieren werde. Dennoch sei darauf zu verweisen, dass man es als Stadt nicht geschafft hat, die 200 Mio. € aus dem Klimapaket, das vor zweieinhalb Jahren im Doppelhaushalt beschlossen wurde, auszugeben - obwohl das Personal theoretisch dafür da sei. Nun verlange man im Prinzip von anderen, innerhalb eines Jahres 1 Milliarde € auszugeben, und dies über die nächsten zwölf Jahre. Daran setze er das größte Fragezeichen.

Das gemeinsame Ziel müsse sein, Stuttgart klimaneutral zu machen und da sei es völlig egal, ob das 2030, 2032, 2033 oder 2035 ist. Die größte Frage sei: "Wie transportieren wir das in die Zivilgesellschaft, dass es eine Notwendigkeit ist, hier auch wirklich zu investieren aus privatem Geld? Wie wollen wir das denn schaffen, dass das Geld fließt?" Bei aller Liebe zu Visionen müsse es auch ein wenig realistisch zugehen, adressiert er an seinen Vorredner. Denn wenn man Maßnahmen erzwingen will, so müsse man dafür auch bezahlen. Er rufe dazu auf, gemeinsam daran zu arbeiten, um Maßnahmen zu finden, das Ziel 2035 zu schaffen, anstatt heute schon zu fordern, das Ziel in nur sieben Jahren zu schaffen. "Aufgabe: die Ziele in die Zivilgesellschaft zu bringen, Aufgabe: dem Herrn Kotz Azubis zu bringen, damit das Handwerk das auch machen kann, und Aufgabe: gemeinsam am gleichen Strang ziehen - Verwaltung, Gemeinderat und Gesellschaft -, dann können wir es schaffen." Die Möglichkeiten dafür seien da, die Wirtschaft werde es schon richten. Technologien seien dabei wichtig und auch, technologieoffen zu sein und offen für neue Technologien für die Wissenschaft, für die Entwicklung und für die Wirtschaft.

Unverzeihlich sei jeder verlorene Monat, der unnötigerweise seit der Debatte um das Klimaziel im Januar ins Land gegangen ist, klagt StR Ozasek (PULS). Wäre der Gemeinderat den Anträgen der Fraktionsgemeinschaft PULS im Januar 2022 sofort gefolgt, so könnte man heute bereits auf einer soliden Beschlussgrundlage über Ressourcen-Erfordernisse und Organisationsstrukturen debattieren. Auch für die Ämter bestünde Klarheit, Strategieprozesse in den städtischen Beteiligungsunternehmen könnten zielgerichtet mit einem Klimaneutralitätsziel 2035 aufgesetzt und Maßnahmen entsprechend skaliert werden. Die Bevölkerung wäre für den klimapolitischen Notstand sensibilisiert, "anstatt mit einer Wohlfühl-Klimakampagne mehr sediert als aktiviert zu werden".

Zufriedenheit und Zuversicht stelle sich bei PULS nach dem Kurzbericht zum Klimafahrplan von McKinsey noch nicht ein, denn weder habe die zugesagte Beteiligung der Fraktionen stattgefunden, noch sei die Mehrzahl der Maßnahmen aus den 23 Paketen sinnvoll operationalisierbar für die Stadtpolitik. Es liege ein technologie-lastiges Top-down-Werk vor, das für wirksamen Klimaschutz aus Sicht von PULS eher hinderlich sei, da es die Menschen auf Technologien fokussiere, die angeblich diese Probleme lösen, anstatt das eigene Handeln, die Suffizienz, ins Zentrum zu rücken. Mit dem Masterplan 100 % Klimaschutz sei man schon deutlich weiter und deutlich konkreter gewesen.

Ernsthaften Korrekturbedarf sehe PULS in folgenden Punkten:

"1. Kritische Technologiepfade wie die Wasserstoffagenda im Strom-, Wärme- und Mobilitätssektor können wir von PULS so nicht abnicken. Denn das Risiko ist hoch, die Gesellschaft in einen Erdgas-Login hineinzumanövrieren. Die zeitnahe Verfügbarkeit von riesigen Mengen grünem Wasserstoff, das ist ein ungedeckter Scheck, der mit höchster Wahrscheinlichkeit platzt. Wasserstoff ist und bleibt der Champagner der Energiewende, und er sollte in seiner Nutzung auf industrielle Kernsektoren begrenzt sein, wo die Substitution fossiler Energieträger alternativlos ist.

2. Im Wärmesektor ist die Abhängigkeit von fossilen Energien in Stuttgart immens. PULS fordert einen konsequenten Ausstieg aus dem Klimakiller Erdgas und den Einstieg in grüne Wärmetechnologie. Dazu liegt Ihnen ein Antrag mit mehreren Beschlusspunkten vor. Das gilt für uns auch für die Kohlekraftwerke in der Wärmeachse des Neckars, die die Fernwärme bespeisen. Die Brücke Erdgas in die Klimaneutralität ist spätestens mit dem völkerrechtswidrigen brutalen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine eingestürzt. Erdgas ist Nährstoff für diktatorische und kriegführende Regime. Und es ist unseres Erachtens unverzeihlich, dass wir als Stadt Stuttgart aus Steuergeldern weiterhin mit bis zu 10.000 € den Einbau von Erdgasheizungen fördern.

3. Die Bauwende und der Klima-Footprint der Bauwirtschaft sowie der technischen In-frastrukturen, das ist in der Kurzfassung unseres Erachtens nicht hinreichend beleuchtet in seiner Konsequenz. Da findet keine Konkretisierung statt, da gibt es kein Maßnahmenpaket, das wir erkennen und herauslesen können. Und dabei wäre es sehr wichtig, hier Akzente zu setzen. Aus unserer Sicht ist unklar, ob die wichtige, von PULS beantragte Konzeption für die Kreislaufökonomie beispielsweise Teil dieses Klimafahrplans ist. Denn wenn wir so was konsequent angehen wollen, bedarf es vor allem auch Flächen, z. B. Flächen für Baustoffrecycling. Und wir benötigen einen Technologiepfad aus der kritischen Müllverbrennung und keine CO2-Pipeline für das in der Fachwelt sehr kritisch diskutierte CCS.

4. Herr Oberbürgermeister, der auf Druck der Fraktionen zurückgezogene Vorschlag von Ihnen zur Restrukturierung des OB-Geschäftskreises, das war wenig zielführend, um die Klima-Agenda zu dynamisieren. Aus unserer Sicht ist Klimaschutz und Klimaanpassung eine Querschnittsaufgabe, die Auswirkungen auf alle Entscheidungen in allen Referaten haben und haben müssen. Es braucht eine übergeordnete Struktur, die analog der Stadtkämmerei als Klimakämmerei kompetent die Verwaltung unseres CO2-Restbudgets wahrnimmt, dessen Verwaltung letztendlich verantwortet und die Umsetzung des Klimafahrplans innerhalb der Verwaltung koordiniert und voranbringt. Und diese Strukturen müssen wir schnell schaffen und nicht noch mehr Zeit an dieser Stelle verlieren."

Man freue sich über die Bestätigung durch McKinsey, dass ein Klimaneutralitätsziel 2035 möglich ist. Nun müsse es darum gehen, in die Tiefe zu gehen. Die Kurzfassung der Studie bringe wenig neue Erkenntnisse, setze leider stark auf Technologisierung, auf Externalisierung von Klimakosten und einen nahezu vollständigen Erhalt des konsumgeprägten Lebensstils der Menschen in Stuttgart. Dies seien aus Sicht von PULS die entscheidenden Fehler, weshalb man Vorschläge unterbreiten werde, wie das anders geht. "PULS möchte 2035 klimaneutral sein, aber auf Basis einer belastbaren Roadmap, die wir im Übrigen mit den Bürgerinnen und Bürgern unserer Stadt entwickeln sollten. Und da bauen wir auf den Klima-Bürger*innenrat und seine wichtigen Impulse!"

StR Zaiß (FW) erklärt, er halt es zwar für wünschenswert, dass Stuttgart klimaneutral wird, setze aber ein Fragezeichen, ob dies bis 2035 auch umsetzbar ist. Nach seinem Eindruck ist noch nicht überall in der Bevölkerung angekommen, dass das Thema Klima wichtig ist, insbesondere dann, wenn es an die Annehmlichkeiten für die Bürgerinnen und Bürger geht - und auch angesichts zahlloser offener Fragen: So werden die Mieten steigen müssen, um die Mehrkosten an der Energie in den 2040er-Jahren wieder einsparen zu können. "11 Milliarden € müssen wir laut Studie in die Hand nehmen, ob wir sie haben oder nicht. Sind wir dazu bereit? Funktioniert unsere Wirtschaft in Zukunft weiter so gut wie heute? Die Inflationsrate liegt derzeit bei 8 % - bleibt die so? Was passiert mit den Zinsen? Werden die steigen? Verkraftet unsere Wirtschaft dies? Was passiert, wenn es noch eine Ukraine-Krise gibt? Die Stadt sollte einen Appell an alle Schulen ausgeben: 'Kinder, geht ins Handwerk, denn das Handwerk hat goldenen Boden!' Wir brauchen Handwerker, wir brauchen Hände, die diese Klimawende auch erarbeiten und bewältigen wollen. Und wir brauchen neue und moderne Technologien, denn mit der heutigen Technologie kommen wir 2035 noch nicht dort heraus, wo die Klimastudie hinmöchte."

Es werde daher wichtig sein, in der Bevölkerung Aufklärung zu betreiben, dass die Klimaneutralität wichtig ist und die Bevölkerung dafür auf viele Annehmlichkeiten verzichten muss. Jede*r Einzelne müsse bereit sein, Klimaneutralität zu wollen.

StR Köhler (AfD) dankt den Erstellern der Studie sehr herzlich für die viele Arbeit. Seine Fraktion schließe sich einigen Kritikpunkten ausdrücklich an, insbesondere der angesprochenen Ressourcenproblematik in Form des Fachkräftemangels im Handwerk. Auch könne man kritisieren, dass die Zahlen "bis zu einem gewissen Grad auf tönernen Füßen stehen", wobei er davon ausgehe, dass in den nächsten Wochen dem Rat noch genauer erklärt wird, wie man auf die Summe von 11 Milliarden € gekommen ist.

Bauchschmerzen bereite außerdem die gewählte Form des Preiskonzepts im Hinblick auf die CO2-Bepreisung - einmal mit, einmal ohne. Denn grundsätzlich habe man das Problem, dass Energiepreise durch Steuern künstlich erhöht werden. Die Kommune sei Teil der öffentlichen Hand, sodass, wenn der Bund, der ebenfalls Teil der öffentlichen Hand sei, steuerlicherseits die Energiepreise z. B. verdoppelt, sich die Amortisierungsraten halbieren. Wenn es tatsächlich so klar umsetzbar wäre mit diesen Energieersparnissen und dieser Amortisierung innerhalb eines relativ überschaubaren Zeitraums, dann müssten sich eigentlich die Banken um dieses Geschäftsmodell reißen bzw. auch arme Kommunen müssten weltweit sagen, ja, das machen wir. Er sehe aber nicht, dass sich dieses Geschäftsmodell jetzt durchsetzt oder ankündigt, sich durchzusetzen. Gespannt sehe er den Diskussionen in den nächsten Wochen entgegen und freue sich darauf.


OB Dr. Nopper hält abschließend Kenntnisnahme zum Bericht fest.

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GR-2022-06-02 Entwurf Klima-Fahrplan_v8.pdf