Protokoll: Gemeinderat der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
65/2022 Neufassung
GZ:
T
Sitzungstermin: 07.04.2022
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Dr. Nopper
Berichterstattung:
Protokollführung: Frau Faßnacht
Betreff: Zielsetzung für die Forsteinrichtungsplanung
2023 - 2032

Vorgang: Ausschuss für Klima und Umwelt vom 25.02.2022, öffentlich, Nr. 3
Ergebnis: Vorberatung
Gemeinderat vom 10.03.2022, öffentlich, Nr. 49
Ergebnis: Zurückverweisung an den AKU
Ausschuss für Klima und Umwelt vom 25.03.2022, öffentlich, Nr. 8
Ergebnis: Beratung/Neufassung der Vorlage


Beratungsunterlage ist die Vorlage des Technischen Referats vom 16.02.2022, GRDrs 65/2022 Neufassung, mit folgendem

Beschlussantrag:

1. Den in der nachfolgend bzw. in der Anlage dargestellten Forsteinrichtungszielen als Grundlage für die Erstellung der nächsten Forsteinrichtungsplanung (2023 -2032) für den Stuttgarter Stadtwald wird zugestimmt.

2. Vom künftigen Leitbild des Stuttgarter Stadtwaldes wird Kenntnis genommen.

3. Für die Bewirtschaftung der Stadtwaldflächen auf der Schwäbischen Alb (Betreuung durch das Landratsamt Reutlingen) sind die Zielsetzungen - angepasst an die örtlichen Verhältnisse - analog umzusetzen. Das Garten-, Friedhofs- und Forstamt wird beauftragt, die dortigen Forsteinrichtungsplanungen entsprechend zu begleiten.

4. Die Forsteinrichtungsplanung wird nach Vorliegen der Bestandsaufnahme / Inventur und Formulierung des Entwurfs der Forsteinrichtungsplanung in schriftlicher Form im Beirat für den Stuttgarter Wald und im Ausschuss für Klima und Umwelt beraten.


Die Beratungsunterlage ist dem Originalprotokoll sowie dem Protokollexemplar für die Hauptaktei beigefügt.


StRin Munk (90/GRÜNE) dankt der Bürgerinitiative Stuttgarter Wald für die gemeinsame Arbeit in den vergangenen Sitzungen für deren Beiträge und die breit geführte Diskussion. Der Verwaltung dankt sie dafür, dass man sich aufeinander zubewegt und einen Kompromiss gefunden habe, der in der GRDrs 65/2022 Neufassung einen sehr breiten Konsens gefunden habe. Den Kolleg*innen im Rat dankt sie dafür, heute eine breite Mehrheit für diese Vorlage zu bekommen.

Der Stuttgarter Wald habe das Bemühen und Miteinander-Ringen verdient. Es sei eine große Aufgabe unserer Zeit, dem Klimawandel zu begegnen und die Klimaresilienz des Stuttgarter Waldes wesentlich zu verbessern. Es genüge angesichts der rasanten Geschwindigkeit des Klimawandels nicht, das bisherige Wissen einzusetzen, sondern man müsse parallel andere Entwicklungsmethoden versuchen. Auch im Sinne der Risikostreuung sei es ein großes Anliegen, diese Forsteinrichtungsziele zu entwickeln. Es sei daher gut, dass die Ziffer 4 der Vorlage modifiziert wurde, sodass nun auch der Ansatz des Lübecker Modells gefahren werden kann - vorausgesetzt, es lassen sich geeignete Standorte dafür finden. Auch bei den Baumarten setze man künftig nicht nur auf eine Karte und die Prozessschutzflächen werden von 8 % auf künftig 10 % erhöht.

StR Currle (CDU) erinnert an den früheren Slogan "Stuttgart - Großstadt zwischen Wald und Reben", der ersetzt wurde durch den nichtssagenden Slogan "Partner der Welt". Angesichts von ca. 5.000 Hektar Wald und 4.200 Hektar Weinbau auf Stuttgarter Gemarkung entspreche der frühere Slogan den Tatsachen. Weinberge an vielen Hängen bis in die Innenstadt seien ein Sinnbild der Freude, Lebenslust und Kultur - der Wald, der Ort der Ruhe, Erholung und Entspannung, Stuttgarts großer Wasserspeicher und Sauerstofflieferant vor der Haustüre, diene der Klimaregulierung und der Rohstoffgewinnung. Diesen Schatz hätten bereits frühere Generationen erkannt. Nachhaltige Forstwirtschaft heiße, dem Wald nur so viel zu entnehmen, wie jährlich nachwächst. Grundlage der heutigen Vorlage sei das Landeswaldgesetz, welches vorschreibt, dass alle zehn Jahre eine Forsteinrichtungsplanung für die Bewirtschaftung des Waldes gemacht wird, heute für den Zeitraum 2023 bis 2032.

Verschiedene Fehlbewirtschaftungen im Stuttgarter Wald, insbesondere in den Jahren 2018/2019 hätten dazu geführt, dass Bürgerinitiativen gegründet wurden und der NABU sich eingeschaltet hat, sodass 2019 der Holzeinschlag gestoppt wurde und der Waldbeirat gegründet wurde, wo eine intensive Diskussion über die zukünftige Waldstrategie geführt wurde. Bedingt durch den Klimawandel habe Klimastabilität, die Schutzwirkung und der Erholungswert des Waldes Vorrang vor der Nutzfunktion. Verstärkt durch die Corona-Pandemie und neue Sportarten sei der Wald neu entdeckt und stärker benutzt worden und drei Trockenjahre seien hinzugekommen.

Im vorliegenden Papier habe man gemeinsam die Schwerpunkte der zukünftigen Waldbewirtschaftung dargestellt und festgehalten. Stichwortartig zu nennen seien die Schutzvorsorge, Erhöhung der Stillegungsfläche mit Habitaten auf 10 %, Naturverjüngung, Vorrang von heimischen Gehölzen, standortbedingte lichte Waldbewirtschaftung, erhöhte Verkehrssicherheit von Wanderwegen, Straßen und Schienen durch Waldgebiete. Nach den Angaben des Forsteinrichters könne ein moderater Holzeinschlag für die nächsten zehn Jahre vorgenommen werden. Man hoffe nun, dass die Zielsetzung für die neue Forsteinrichtungsplanung vom Regierungspräsidium genehmigt wird, damit die Verwaltung sich an den neuen Richtlinien orientieren kann und die Bevölkerung ihren Wald in den vielfältigen Möglichkeiten schätzen und nutzen kann.

StRin Schanbacher (SPD) wirft die Frage auf: Was ist ein Wald? Die Antwort scheine zunächst einfach, doch befasse man sich näher mit dem Wald, so erkenne man, wie schwierig die Antwort darauf ist, denn der Wald sei ein Öko-System. Er sei gleichzeitig Klimaschützer, CO2-Senker, ein Ort zum Spielen, Wandern, Sport treiben und Naherholungsgebiet vor allem für diejenigen, die keinen eigenen Balkon oder Garten haben. Die Parks und Wälder seien ein Ort der Ruhe und Erholung, und nebenbei müsse die Stadt auch dafür sorgen, dass keine Gefahr von herunterstürzenden Ästen für die Besucherinnen und Besucher des Waldes ausgeht. An dieser Aufzählung lasse sich ablesen, dass diese Flächen nicht nur viele Bedarfe, sondern auch ganz viele Akteure hat und wie viele in diesem Wald berechtigte Interessen haben. Der Stuttgarter Wald müsse für alle da sein, was einen Interessenausgleich erfordere. Deswegen sei die Anregung eines Waldbeirats so wichtig gewesen und sei gerne von ihrer Fraktion befürwortet und mit vorangetrieben worden. Man freue sich, dass seitdem in knapp zehn Sitzungen die Bürgerinnen und Bürger und verschiedene Initiativen in musterhafter Art und Weise beteiligt wurden. Anders als in der Presse dargestellt empfinde ihre Fraktion diese Beteiligung als sehr demokratisch, betont sie. "Und hier wurde der Interessensausgleich auch gemeinsam mit der Stadtverwaltung gemacht!"

Es gehe heute um die Ziele für ein Leitbild für den Stuttgarter Stadtwald und es gehe um verschiedene Nutzungen, welche die Ziele der Forsteinrichtungsplanung nachher definieren sollen. Der heutige Beschluss sei ein Paradigmenwechsel. Es gehe um Klimastabilität, um Schutz, um Erholung, und zwar vor der Nutzfunktion. Deshalb sei es schön, wenn heute mit breiter Mehrheit dem so zugestimmt werde. "Lassen Sie uns gemeinsam für eine Zukunft des Stuttgarter Walds sorgen und dass es auch zukünftig ein Ort für alle Stuttgarterinnen und Stuttgarter bleibt!"

StR Gottfried (FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei) begrüßt ebenfalls sehr, dass die Nutzfunktion nun den anderen Funktionen untergeordnet wurde. Zu betonen sei dennoch, dass die Alternativen, die jetzt ermöglicht wurden, nur im kleinen Bereich seien, aber insgesamt Alternativen mehr als notwendig seien. Der Wald habe eine ganz besondere Bedeutung, er sei die Lebensgrundlage der Menschen. Er sei aber nicht nur unser Wald, denn er sei der Lebensraum von Tieren und Pflanzen und insofern auch für die Menschen ganz wichtig, weil man von manchen Arten abhängig sei. Seine Fraktionsgemeinschaft könne der Vorlage insgesamt zustimmen, wobei er als Tierschutzrechtler und Vertreter der Tierschutzpartei dem 12. Ziel, wo es um den Transport von Holz durch Pferde geht, nicht zustimmen könne. Er bitte daher darum, über das Ziel 12 separat abstimmen zu lassen.


StR Dr. Oechsner (FDP) kann sich nicht mehr an die Diskussionen im Gemeinderat zum Wald erinnern, die geführt wurden, als 2012 die erste Forsteinrichtungsplanung beschlossen wurde. Die nun geführte breite Debatte liege zum einen sicherlich an dem starken Eingriff von 2018, der manchen Bürgerinnen und Bürgern sauer aufgestoßen sei, aber es liege auch an einem neuen Bewusstsein gegenüber dem Wald und seiner Funktion an sich. Dieses Bewusstsein, das früher nicht vorhanden war, sei im Laufe der Jahre immer stärker gewachsen. Es sei daher richtig und gut, 2019 den Waldbeirat eingerichtet zu haben mit verschiedenen Ansätzen zum Bewirtschaften des Stuttgarter Waldes. Die Gesamtdiskussion mit den Bürgerinnen und Bürgern, mit diesem Beirat und mit dem Gemeinderat habe dazu geführt, "dass die Verwaltung eine erst mal ganz gute Vorlage mit leichtem Nachbesserungsbedürfnis vorgelegt hat. Diesem leichten Nachbesserungsbedarf sind wir per Antrag entgegengetreten. Es wurde nun so gemacht. Vielen Dank, Herr Thürnau, dass Sie dem auch nachgekommen sind zusammen mit Frau Dr. Kenntner." Die GRDrs 65/2022 Neufassung bediene nicht nur den politischen Kompromiss, sondern bringe einen großen Konsens hervor. Man sei stolz, zu diesem gemeinsamen Werk von Verwaltung, der Bürger und auch des Gemeinderats gekommen zu sein und stimme der Vorlage heute sehr gerne zu.

StR Ozasek (PULS) hofft, dass es mit dem heutigen Beschluss gelingt, vor allem jungen Menschen die Bedeutung des Waldes zu vermitteln. Es sei keine Selbstverständlichkeit, diesen Wald zu haben und dass er erhalten bleibt für die Zukunft. Er verweist auf eine Analyse des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, wonach bundesweit ein Verlust von 500.000 Hektar Wald zu verzeichnen ist durch irreparable Schäden in den letzten Jahren, die bedingt sind durch klimawandel-bedingte Effekte, die auf den Wald einwirken. Vor allem das Nadelholz sei betroffen. Das System Wald könne sich auf natürliche Weise nur noch bedingt mit den Entwicklungen - Sturmereignisse, Dürren, Schädlingsbefall - arrangieren. Es gebe Klimaprognosen, die aufzeigen, dass der Schwarzwald künftig eine große Weinbauregion sein wird. Mit dieser Zukunftsprognose müsse man sich auseinandersetzen und Antworten geben auf die nationale und globale Waldkrise.

Weil der Wald ein Generationenvertrag sei, müsse man ihn hegen und pflegen, um ihn künftigen Generationen intakt zu übergeben - vor allem in Stuttgart müsse man das tun, weil der Wald ein identitätsstiftendes Element für die Stadt zwischen Wald und Reben sei. Er habe sich 2018, als er den Antrag "Stuttgart auf dem Weg zur nachhaltigen Pflege des Waldes" eingebracht habe, nicht vorstellen können, dass es gelingt, gemeinschaftlich eine partizipative Waldentwicklung auf den Weg zu bringen für die kommende Dekade mit einer Forsteinrichtungsplanung, die den Herausforderungen in besonderer Weise Rechnung trägt. Heute vollziehe man den Paradigmenwechsel und könne nun ein gemeinsam formuliertes Leitbild dem Forsteinrichter übergeben. Die Nutzfunktion werde zurückgestellt, man werde künftig Holz für hochwertigere Nutzungen entnehmen und es regional vermarkten. Weil man die richtige Waldbaumethode für die Zukunft noch nicht kennt, wolle man waldbauliche Konzepte konkurrieren lassen und unterschiedliche Waldpopulationen zulassen, unterschiedliche Baumarten erproben und sehen, ob und wie sie sich bewähren. Man werde einen Wald haben, der in Teilen ruht und der sich auf natürliche Weise diesen Entwicklungen anpassen darf.

Es sei eine besondere Wertigkeit, dass es gelungen ist, einen Konsens herzustellen, um mit breiter Mehrheit dieses neue Leitbild auf den Weg zu bringen. Damit zeige man, dass man einer gemeinsamen Verantwortung nachkommt, "die uns alle bindet, für die künftigen Generationen diesen Wald zu erhalten. Es ist in diesem Sinne ein guter Tag für die Stadt Stuttgart!"

Auch StR Zaiß (FW) zeigt sich erfreut, heute an einem Punkt angelangt zu sein, an dem es eine Einigkeit gibt über eine Vorlage, die sehr lange strittig war. Er hebt hervor, dass Stuttgart heute über mehr Waldfläche verfügt als nach dem Zweiten Weltkrieg. Man wolle Stadtwald auf einer möglichst zusammenhängenden Fläche haben, der zusammenhängende Biotope darstellt und eine Klimaschutzwirkung hat. Gleichzeitig wolle man eine Forsteinrichtung, die Erholungs- und Freizeitsuchenden die Möglichkeit gibt, sich dort aufzuhalten. Darauf hinzuweisen sei auch, dass die Sicherheit entlang von Straßen ein wichtiger Punkt sei, den es im Wald ebenfalls zu berücksichtigen gelte. Die Zielsetzung für die Forsteinrichtungsplanung ergebe nun ein gutes Ergebnis. Mit Blick auf die geforderte getrennte Abstimmung über das Ziel 12, das Rücken mit Pferden, merkt er an, er rechne nicht damit, dass dies im Stuttgarter Wald passieren wird. Jedoch sollte sich mancher Freizeitsuchende darauf besinnen, dass er mit seinem Mountainbike nicht quer durch den Wald fährt, sondern sich möglichst auf den Wegen bewegt, um die Schutzwirkung des Waldes nicht zu beeinträchtigen. Abschließend dankt er BM Thürnau, der sich sehr intensiv mit der Thematik befasst und sicherlich manches Gespräch geführt habe, was zunächst nicht erbaulich war. Dennoch konnte am Schluss ein guter Kompromiss erzielt werden, dem seine Fraktion sehr gerne zustimmen werde.

StR Dr. Mayer (AfD) schickt voraus, auch seine Fraktion werde der Vorlage gerne zustimmen. Diese sei gut ausgearbeitet und auch der Beirat habe gute Arbeit geleistet. In Bezug auf Klimastabilität, Schutzwirkung und Erholungswert angeht, die Vorrang haben sollen vor der Nutzfunktion des Waldes habe er zunächst gedacht, dies solle ein Argument sein, um im Stadtwald Windräder aufzubauen. Er begrüße es, dass dem nicht so ist, sondern der Wald selbst klimastabil gemacht werden soll durch die Auswahl entsprechender Arten. Zu bedenken gebe er auch, dass die verschiedenen Funktionen des Waldes schon von jeher in Wechselwirkung stehen mit der Nutzung des Waldes. So habe es auch nie einen reinen Urwald gegeben, der nur dem Wirken oder Wüten der Natur überlassen worden wäre. Dies dürfe man auch künftig nicht tun. Unseriös finde er, den Schädlingsbefall im Stuttgarter Stadtwald der Klimaveränderung in die Schuhe zu schieben.

Weiter müsse man beachten, dass bei Bauprojekten zunehmend der Bau mit Holz favorisiert werde und Wälder wichtige Funktionen als Rohstofflieferanten haben. Die Nutzfunktion des Waldes sollte man daher nicht ganz hintenanstellen. An StR Gottfried gewandt betont er, die Pferde, die zum Holzrücken eingesetzt werden, machten dies gerne, "denen gefällt das!" Dort, wo man nicht mit schweren waldwirtschaftlichen Maschinen arbeiten kann, um den Boden nicht dauerhaft zu verdichten, seien Rückepferde eine tolle Möglichkeit für die Waldarbeit. Falls es in Stuttgart genügend solcher Pferde geben sollte, spreche er sich ganz klar für deren Einsatz aus.

StR Gottfried hält seinen Antrag aufrecht, das Ziel Nr. 12 zu streichen.


Der Vorsitzende lässt zunächst über den mündlichen Antrag von StR Gottfried (Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei) auf Streichung des Forsteinrichtungsziels 12 abstimmen, wonach "in Beständen, die einen Rückeeinsatz mit dem Pferd zulassen, eine Verrückung des Holzes mit dem Pferd angestrebt wird". Er stellt fest, dass dieser Antrag bei 1 Ja-Stimme und 4 Enthaltungen mehrheitlich abgelehnt ist.

Abschließend stellt OB Dr. Nopper fest:

Der Gemeinderat beschließt die GRDrs 65/2022 Neufassung einstimmig wie beantragt.

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