Protokoll: Gemeinderat der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
GZ:
Sitzungstermin: 03.02.2022
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Dr. Nopper
Berichterstattung:
Protokollführung: Frau Schmidt
Betreff: "Beitritt zur Städteinitiative 'Tempo 30'"
- gemeinsamer Antrag Nr. 1396/2021 vom 22.12.2021
(90/GRÜNE, SPD, Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN
Tierschutzpartei, PULS)

Vorgang: Ausschuss für Stadtentwicklung und Technik vom 01.02.2022, öffentl., Nr. 25
Ergebnis: vorberatende Empfehlung an den Gemeinderat: mehrheitliche Zustimmung zu beiden Antragsziffern bei 7 Gegenstimmen und 9 Ja-Stimmen

Der Antrag Nr. 1396/2021 vom 22.12.2021 (90/GRÜNE, SPD, FrAKTION, PULS) ist dem Originalprotokoll sowie dem Protokollexemplar für die Hauptaktei beigefügt.

Der Antrag Nr. 22/2022 vom 02.02.2022 der CDU-Gemeinderatsfraktion liegt den Sitzungsteilnehmenden vor.


Zu Beginn des Tagesordnungspunktes schlägt OB Dr. Nopper vor, zunächst selbst ein Eingangs-Statement abzugeben, danach erteile er das Wort den Antragstellern und im Anschluss an die restlichen Fraktionen. Gegen diesen Vorschlag erhebt sich kein Widerspruch.

Die Eingangs-Statements der Redner*innen sind im überarbeiteten und leicht gekürzten Wortlaut wiedergegeben.

OB Dr. Nopper:
"Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Städteinitiative Tempo 30, der 70 der 3.200 Mitgliedskommunen des Deutschen Städtetags und damit etwas über zwei Prozent der Mitgliedskommunen des Deutschen Städtetags beigetreten sind, will zum einen mehr kommunale Handlungs- und Entscheidungsfreiheit in Sachen Tempo 30 und zum anderen Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit auf allen innerörtlichen Straßen. Ein Mehr an kommunaler Autonomie kann man durchaus gutheißen, aber den Schritt hin zur Regelgeschwindigkeit Tempo 30 auf allen innerörtlichen Straßen halte ich für einen Irrweg, weil er flächendeckendes Tempo 30 über die Hintertür bedeutet.

Wir raten Ihnen von einem Beitritt zur Städteinitiative Tempo 30 aus folgenden fünf Gründen ab:

1. Die bisher vorliegenden Studien machen keine abschließende Aussage darüber, ob Tempo 30 eine klimaschützende Wirkung, eine positive Wirkung für den Klimaschutz hat. Eine Untersuchung der Landesanstalt für Umweltmessungen und Naturschutz Baden-Württemberg aus dem Jahr 2012 besagt, dass Tempo 30 oder Tempo 40 auf Hauptverkehrsstraßen nicht zwangsläufig zu einer Verringerung der Fahrzeugemissionen und zu einer Verbesserung der Luftqualität führt. Der Verkehrsökologe Udo Becker von der Technischen Universität Dresden stellt fest, ich zitiere, 'je nachdem, wie und wo gefahren oder gemessen wird, ist der CO2-Ausstoß bei Tempo 30 höher oder niedriger als bei Tempo 50.' Die wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags stellten im Jahr 2019 fest, dass es nur sehr wenige aussagekräftige Studien gibt. Es spricht nach den bisher vorliegenden Studien viel dafür, dass nicht die Höchstgeschwindigkeit, sondern vor allem die Optimierung des Verkehrsflusses maßgebend ist für die Luftschadstoffemissionen, nicht nur für Feinstaub und NOx, sondern auch für die CO2-Emissionen. Da die Studien per heute keine eindeutige Bewertung vornehmen, können wir zudem bei der Bevölkerung - vorsichtig formuliert - nicht von einer breiten Akzeptanz für ein flächendeckendes Tempo 30 ausgehen. Im Übrigen verliert diese Frage bei einer täglichen Zunahme von emissionsfreien Fahrzeugen an Bedeutung, anders formuliert, ein emissionsfreies Fahrzeug ist bei Tempo 30 genauso klimaschonend unterwegs wie bei Tempo 50. Schon jetzt haben rund 40 Prozent der neu zugelassenen Kraftfahrzeuge elektrischen Antrieb.

2. Auf rund 70 Prozent der Stuttgarter Straßen gilt, vor allem aus Gründen der Verkehrssicherheit, schon heute Tempo 30, insbesondere in Wohnstraßen. Und das ist auch gut so. Auf den Bündelungs- und Vorbehaltsstraßen gilt Tempo 40 oder Tempo 50. Bei einer flächendeckenden Einführung von Tempo 30 ist zu befürchten, dass sich die Verkehre zumindest teilweise als Ausweich- und Schleichverkehre auf die Wohnstraßen verlagern, weil die Bündelungsstraßen keine Reisezeitvorteile mehr bieten.

3. Ein flächendeckendes Tempo 30 würde auch für die Busverkehre gelten und die Busverkehre langsamer und teurer machen. Nach Einschätzung von ÖPNV-Experten, auch von Experten der SSB, würde dies entweder zu Angebotsverschlechterungen im Busverkehr führen oder - bei Beibehaltung der bisherigen Vertaktung - zu deutlich höheren Kosten, weil dann mehr Fahrzeuge und damit auch mehr Personal benötigt würden. Der ganze Widersinn zeigt sich darin, dass in Brüssel sich die Nahverkehrsgesellschaft nunmehr dafür einsetzt, dass Tempo-30-Straßen eine Tempo-50-Busspur bekommen, damit die Busse schnell genug vorwärtskommen.

4. In einer so stark von Industrie- und Produktion geprägten Stadt wie der unsrigen hätte ein flächendeckendes Tempo 30 ganz enorme Auswirkungen auf die Wirtschaftsverkehre und auf die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes.
5. Für ein Mehr an kommunaler Autonomie für Tempo 30, für Situationen wie etwa beim Schwabtunnel, ist ein Beitritt zur Städteinitiative nicht mehr notwendig. Der neue Verkehrsminister Wissing hat nämlich vor wenigen Tagen in einem Interview klar signalisiert, dass er in der Frage der Anordnung von Tempo 30 den Kommunen mehr Entscheidungs- und Handlungsrechte geben will.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, statt einem Beitritt zur Städteinitiative Tempo 30 und der damit verbundenen Regelumkehr schlagen wir Ihnen einen eigenen Stuttgarter Weg vor. Wir schlagen Ihnen vor, Ihren Antrag zum Anlass zu nehmen, ein Stadt-geschwindigkeitskonzept für die einzelnen Stuttgarter Vorbehaltsstraßen zu erstellen. Mit einem solchen Stadtgeschwindigkeitskonzept würde geprüft, welche Konsequenzen ein flächendeckendes Tempo 30 konkret für uns in Stuttgart hätte und welche Höchstgeschwindigkeit für die verschiedenen Vorbehaltsstraßen im Einzelfall unter Abwägung aller Aspekte tatsächlich die angemessene und optimale ist.

Zusammengefasst: Meines Erachtens wäre der Beitritt zur Städteinitiative Tempo 30 der Einstieg zum flächendeckenden Tempo 30. Mit der von der Initiative befürworteten Regelumkehr mit einer Regelgeschwindigkeit Tempo 30 würde ein flächendeckendes Tempo 30 auf allen innerörtlichen Straßen durch die Hintertür kommen. Die Stadt München, auf die bei anderer Gelegenheit das ein oder andere Mitglied des Stuttgarter Gemeinderats bewundernd blickt, hat sich der Regelumkehr und der Städteinitiative Tempo 30 ganz bewusst nicht angeschlossen, weil OB Dieter Reiter, Sozialdemokrat wie Sie, Herr StR Martin Körner, gesagt hat, dass er für Ideologien nicht zu haben sei. Ich kann mich dem uneingeschränkt anschließen, auch ich bin für Ideologien nicht zu haben. Und ich wende mich ganz entschieden gegen Ideologie in der Verkehrspolitik. Übrigens hat der SPD-Fraktionsvorsitzende im Münchner Gemeinderat mit folgenden Worten überdeutlich und sehr energisch sich gegen Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit gewandt. Ich zitiere: 'Wir unterstützen keine Anti-Auto-Ideologie, die Verkehrssicherheit, Lebensqualität, Mobilität und Mobilität der Bevölkerung gegeneinander ausspielt. Der Vorstoß ist eher von blindem Autohass als von einer konstruktiven Mitwirkung an einer zeitgemäßen Verkehrspolitik geprägt.' Zitat Ende. Dem kann auch ich nichts mehr hinzufügen. Herr StR Körner, Sie sehen es mir sicher nach, wenn ich mir in diesem Zusammenhang Entwicklungshilfe durch die Münchner Rats-SPD für die Stuttgarter Rats-SPD wünsche.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt keine Erkenntnisse und keine sachlichen Gründe, die für ein flächendeckendes Tempo 30 sprechen. Ich plädiere deshalb für Differenzierung und für abgewogene Einzelfallentscheidungen. Ich plädiere gegen eine Anti-Auto-Symbolpolitik und für verkehrspolitischen Pragmatismus."

StRin Rühle (90/GRÜNE):
"Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, nach mehrmaligem Nachfassen können wir jetzt heute endlich unseren interfraktionellen Antrag beschließen und damit den Beitritt der Stadt Stuttgart zu der Tempo-30-Städteinitiative 'Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten'. Und das erklärt ja schon einiges, zum einen zum Thema 'Was ist besser fürs Klima?', zum anderen aber auch zur Klarstellung, dass es eben mitnichten um die flächendeckende Einführung von Tempo 30 geht. Viel zu oft werden derzeit durch diverse Regelungen der Straßenverkehrsordnung die ganzheitlichen Aspekte einer angepassten Geschwindigkeit nicht berücksichtigt, gerade was die schwächeren Verkehrsteilnehmer*innen wie Radfahrende oder Fußgänger*innen, aber auch die Bedürfnisse von Kindern, Älteren oder mobilitätseingeschränkten Menschen angeht. Der ÖPNV wird nicht durch eine niedrige Regelgeschwindigkeit - auch nicht in Brüssel, da war ich lange genug -, sondern durch ungünstige Regelungen des Verkehrs bzw. eben durch den motorisierten Individualverkehr und dessen Staus behindert und damit unattraktiver.

Und zur selbsterklärenden Straße: Wir haben allerorts durch diverse Bundesregelungen erzeugte Flickenteppiche aus verschiedensten Tempozonen, je nach Streckenabschnitt. Hier wäre eine Vereinheitlichung für alle Verkehrsteilnehmenden deutlich besser verständlich, denn die Vorgaben aus Berlin stimmen oftmals nicht mit den Notwendigkeiten und Gegebenheiten vor Ort in den Kommunen überein. Das hat auch der Deutsche Städtetag - so wie von Ihnen erwähnt, mittlerweile schon über 70 Städte und Kommunen - deutschlandweit erkannt, die alle diese Initiative unterstützen. Auch als Stadt Stuttgart wollen wir uns dafür einsetzen, dass Städte und Kommunen mehr Handlungsspielraum erhalten und neue Modelle erproben können und dass für solche Konzepte entsprechende Programme des Bundes aufgelegt werden, um für diese große Aufgabe auch Fördergelder und Unterstützung auf Bundesebene zu nutzen. Wir wollen den Verkehr in der Stadt effizienter, klimaschonender und sicherer machen. Dafür brauchen wir aber vor Ort mehr Entscheidungsspielräume, denn in der Kommune können wir am besten entscheiden, welche Geschwindigkeiten an welchen Straßen angemessen sind. Wir wollen keine pauschale Regelung für alle Städte, wir wollen keine pauschale Temporegelung für die ganze Stadt, aber wir wollen, dass die Städte selbst entscheiden und neue Geschwindigkeitsmodelle erproben können, ohne Scheuklappen, ohne unnötige Vorgaben und ohne Ideologie. Es ist positiv zu vermerken, dass sich der Bundesverkehrsminister aufgeschlossen gezeigt hat gegenüber dieser Initiative, aber das ist noch lange kein Beschluss. Herr Oberbürgermeister, wir haben bisher eine vom Bund vorgegebene Regelgeschwindigkeit, nämlich Tempo 50. Das bedeutet aber mitnichten, dass wir überall Tempo 50 haben, denn in vielen Teilen konnten wir zum Glück bereits verträglichere Geschwindigkeiten umsetzen. Aber wir brauchen eine Regelumkehr. Tempo 30 als Regel, andere Tempi als Ausnahme, und endlich die Möglichkeit, die jeweils beste Lösung für differenzierte Verkehrssituationen und Problemstellungen zu finden. Natürlich unter Einbeziehung der Bündelungsfunktion mancher Straßen, natürlich unter Einbeziehung des ÖPNVs, aber eben auch von Fuß- und Radverkehr, von Lärm- und Klimaschutzaspekten und vor allem von der Verkehrssicherheit für alle.

Daher unterstützen wir die Idee eines gesamtstädtischen Geschwindigkeitskonzepts. Aber damit ein solcher Modellversuch auch unter Realbedingungen starten kann, muss eben die Straßenverkehrsordnung geändert werden. Erst dann kann es losgehen mit mehr Entscheidungsspielraum und Modellversuchen vor Ort, ohne realitätsferne Regelungen aus Berlin, sondern mit guten und verträglichen Lösungen auf allen Stuttgarter Straßen. Die von Ihnen, Herr Oberbürgermeister, erneut vorgebrachten Bedenken und Befürchtungen, man muss schon sagen das Misstrauen gegenüber mehr Kommunalentscheidungsspielraum, weisen wir entschieden zurück. Die kommunale Verwaltung genauso wie das gewählte Hauptorgan des Gemeinderats sind mitnichten verdächtig, undifferenzierte und populistische Entscheidungen ungeachtet der Notwendigkeit und Bedarfe vor Ort zu treffen. Das Gegenteil hat der Gemeinderat in den letzten Jahren und Jahrzehnten durch seine Beschlüsse immer wieder bewiesen. Genau damit möchten wir weitergehen, und da passen die Punkte nämlich auch wieder zusammen: ein gesamtstädtisches Geschwindigkeitskonzept entwickeln, aber damit dieses auch umgesetzt werden kann, sich gemeinsam mit Städtetag und vielen anderen Städten und Kommunen dafür einsetzen, dass die StVO entsprechend geändert wird. Damit es auch umgesetzt werden kann, mit den Erfahrungen, den Sach- und Ortskenntnissen in der Kommune, brauchen wir ein Stadtgeschwindigkeitskonzept. Aber auch hierfür - passt wieder zusammen - ist es besonders wichtig, dass sich die Stadt Stuttgart initiativ für ein Modellprojekt einsetzt auf Bundesebene, denn bisher haben wir zur Erarbeitung eines Stadtgeschwindigkeitskonzepts ja nur eine grobe Idee erhalten, wir haben noch keine Finanzierung, wir haben noch kein Personal, deswegen auch bedauerlich, dass es erst nach den Haushaltsberatungen kommt und nicht davor, wo es sinnvoller gewesen wäre.

Natürlich müssen hier auch Berücksichtigungen sozialer, ökologischer, baukultureller Art kommen. Der ÖPNV, der Rad- und Fußverkehr und natürlich auch das Hauptverkehrsstraßennetz muss mit einbezogen werden. Aber wir wollen ein Konzept ohne Vorfestlegung auf fixe Tempi auf vorgelegten Strecken, unter Hinzuziehung aktueller Studien - die erwähnte von 2012 ist, mit Verlaub, mittlerweile ziemlich überholt. Daher beantragen wir als mündliche Ergänzung unseres vorliegenden interfraktionellen Antrags folgenden zusätzlichen dritten Punkt: Wie am 01.02.2022 vorgeschlagen berichtet die Verwaltung noch vor Ostern im Ausschuss für Stadtentwicklung und Technik mündlich über die Eckpunkte des zu erarbeitenden Stadtgeschwindigkeitskonzepts und legt einen Zielbeschluss dafür vor."

StR Körner (SPD):
"Sehr verehrter Herr Oberbürgermeister, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine nicht sehr zahlreichen Damen und Herren, was wir wollen, gemeinsam mit vielen Kolleginnen und Kollegen hier im Rathaus und auch vielen in Stuttgart, ist, dass die Landeshauptstadt Stuttgart mehr Möglichkeiten bekommt, Tempo 30 in Stuttgart anzuordnen. An ganz vielen Stellen in der Stadt würde uns das helfen, es würde die Stadt sicherer machen, es würde sie leiser machen, ruhiger und auch die Luft besser machen. An ganz vielen Stellen in der Stadt wollen wir das eigentlich, beim Schwabtunnel hätte uns das geholfen bei der sehr schwierigen Diskussion zwischen Stuttgart-Süd und Stuttgart-West. Bei der Osterbrunnstraße in Vaihingen würde uns das helfen, wo wir einen Kompromiss mit den Radfahrenden und den Anwohnerinnen und Anwohnern finden wollten. Ich als Anwohner in Gablenberg würde mir das auch wünschen für die Vorbehaltsstraße der Gablenberger Hauptstraße. Das wollen wir. Und wir wollen das gemeinsam voranbringen. Ich bin froh, dass der Rat das in seiner Mehrheit hier ganz deutlich so sieht.

Wir wollen kein flächendeckendes Tempo 30. Auch das haben wir in unserem Antrag sehr deutlich beschrieben. Deswegen unterstützen wir die Städteinitiative, die nämlich genau auch das möchte: mehr Spielräume für die Städte und Gemeinden in Deutschland. Genau das wird auch kommen, weil es im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP so vorgesehen ist, dass die Städte mehr Handlungsspielraum bekommen sollen.

Die CDU-Fraktion hat mit dem heutigen Antrag und mit der Diskussion noch mal deutlich gemacht, was eine wirklich konservative Haltung ist. Es möge doch bitte alles so bleiben, wie es heute ist. Das ist zu wenig, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir wollen mehr Möglichkeiten für ein sichereres, saubereres und ruhigeres Stuttgart mit Tempo 30. Herr Oberbürgermeister, abschließend: Haben Sie das wirklich nötig zu suggerieren, hier würde eine Mehrheit ein flächendeckendes Tempo 30 in ganz Stuttgart haben wollen und dann diese Haltung zu kritisieren, die gar nicht vorhanden ist? Sie haben Christian Müller zitiert. Mein Fraktionsvorsitzendenkollege aus München hat gesagt, der Vorstoß ist eher von blindem Autohass als von einer konstruktiven Mitwirkung an einer zeitgemäßen Verkehrspolitik geprägt. Hat Christian Müller da die Städteinitiative Tempo 30 gemeint? Er hat gemeint, dass er den Vorstoß, flächendeckend in München Tempo 30 vorzuschreiben, für falsch hält, und diese Haltung teile ich. Ich möchte Sie eindringlich bitten, Herr Oberbürgermeister, mit solchen Unterstellungen und Suggestionen, die in keiner Weise dem entsprechen, was wir hier vortragen, in Zukunft zurückhaltender zu sein.

Ich bedanke mich bei der Kollegin Rühle, die einen ergänzenden Satz noch mal vorgetragen hat. Wir finden das sehr gut, Herr Oberbürgermeister und Herr Dr. Maier, dass Sie ein Stadtgeschwindigkeitskonzept ausarbeiten. Wir unterstützen das, wir werden das brauchen. Der Bund wird neue Regeln erlassen, und mit denen können wir dann an mehr Stellen in Stuttgart Tempo 30 machen. Daran arbeiten wir gerne mit. Wir hoffen, Sie auch. Cool bleiben, konstruktiv kritisch."

StR Pantisano (Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei):
"Ich bin ein großer Freund vom Lesen, Herr Oberbürgermeister. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich würde gerne ansetzen an den Beispielen und den Meinungen, die vorherrschen in der deutschen Bundespolitik. Im Jahr 2020 hat der damalige Verkehrsminister Scheuer, nicht eine Ausgeburt des ideologischen Fahrradverkehrs, im Bundestag einen Gesetzentwurf vorgelegt, in dem es darum ging, Radwege sicherer zu machen. Dazu gab es einen Presseartikel, in dem dieser wie folgt kommentiert wird: 'Die Koalitionsfraktionen aus CDU/CSU und SPD (große Koalition) wünschen sich von Minister Scheuer noch ein paar Ergänzungen zu seinem Gesetzesentwurf. Unter anderem soll getestet werden, wie der Verkehr aussehen würde, wenn innerorts generell nur noch Tempo 30 erlaubt wäre und Tempo 50 auf Hauptverkehrsstraßen eigens angeordnet werden müsste.' Und ich zitiere weiter, 'der Kollege Ulrich Lange, Verkehrspolitiker der CDU, klopft sich auf die Schulter und sagt übrigens, auch Tempo-30-Zonen in Wohngebieten gingen auf ein Modellprojekt der CDU zurück.' Ich zitiere noch etwas anderes, was noch entscheidender ist für die Debatte. Das Umweltbundesamt auf Datum 2021 schreibt in dem Fazit und in der Zusammenfassung zur Debatte von Temporeduzierungen, ich zitiere, auf desen Seite nachlesbar für alle: 'Tempo 30 verbessert überwiegend Umweltqualität, Sicherheit sowie Verkehrsfluss, und Anwohnende nehmen die Entlastung wahr. Die Erfahrungen mit diesem Tempolimit zeigen, dass Tempo 50 für einen bedeutenden Teil des Straßennetzes nicht mehr stadtverträglich ist. Die Einführung von 30 km/h als neue Regelgeschwindigkeit ist daher geboten.'

Das sind die Fakten, belegt durch sehr viele Studien der letzten 25, 30 Jahre, nicht gestern erst. Tempo 30 ist nicht nur gut für die Luftqualität, für weniger Lärm. Es ist gut fürs Klima mit weniger CO2-Ausstoß, und es ist vor allem auch gut für die Mobilitätswende, für die Stadtentwicklung und die Sicherheit. Wichtig für die Mobilitätswende ist es aus dem ganz einfachen Grund: Indem das Auto auf 30 km/h reduziert wird, gleicht sich dessen Geschwindigkeit an die eines Radfahrenden an. Dadurch fühlen sich Radfahrer*innen sicherer, und sogar Autofahrer*innen bestätigen in Studien, dass sie sicherer überholen und es zu weniger Unfällen und brenzligen Situationen zwischen Autos und Fahrrädern kommt. Was auch durch Studien belegt ist: Eltern trauen sich mit ihren Kindern - und das ist der Maßstab, wann ist ein Radweg oder wann ist die Straße sicher zum Radfahren - aufs Fahrrad, auf die Straße. Das wollen wir doch alle hier erreichen in unserer Stadt, dass Menschen sicher mobil sein können mit dem Rad und am besten mit ihren Kindern unterwegs sind. Dazu gibt es zahlreiche wissenschaftliche Studien, die Sie lesen könnten, lesen müssten.

Wichtig ist auch Tempo 30 für die Stadtentwicklung, weil bei Tempo 30 die Fahrspuren kleiner sein können. Sie können eine andere Dimensionierung der Fahrspuren betreiben in der Stadt. Das führt wiederum dazu, dass wir mehr Platz kriegen für Fußwege, Radwege, Bäume und andere Dinge, die wir dringend benötigen im öffentlichen Raum. Auch für die Wirtschaft ist das gut. Studien belegen dies, Herr Oberbürgermeister. Es ist nachgewiesen, dass im Einzelhandel in Innenstädten Radfahrende diejenigen sind, die für den höheren Umsatz sorgen im Einzelhandel, danach Fußgängerinnen und Fußgänger und dann erst das Auto. Die Vorstellung vom vollen Kofferraum ist überholt, ist 70er. Lesen Sie sich die Studien durch. In Städten, die den Radverkehr fördern, florieren die Wirtschaft und der Handel. Es ist genau andersrum, als Sie das hier behaupten.

Die STVO muss auch deswegen geändert werden, das ist ja das Ansinnen des neuen Verkehrsministers und der Ampel. Ich hoffe ja darauf, dass das wirklich passiert wie angekündigt und man sich zumindest an dem Punkt einig ist und umsetzt, was im Koalitionsvertrag steht, dass die Vorstellung, Städte aus der Perspektive der Windschutzscheibe heraus zu planen, geändert wird in Richtung, Städte aus der Perspektive der Schwächsten - Kinder, ältere Menschen, die gehbehindert sind, die eingeschränkt sind im Straßenverkehr - zu planen. Aus deren Perspektive müssen wir planen. Ich möchte, dass meine vierjährige Tochter sich sicher auf den Straßen bewegen kann, ohne Angst haben zu müssen, dass ein SUV oder ein anderes Auto sie überfährt.

Es ist wichtig für die Sicherheit, weil Städte in Frankreich nachgewiesen haben, dass überall dort, wo Tempo 30 eingeführt worden ist, im Verhältnis zu Tempo 50 danach die Zahl der Verkehrstoten um 70 Prozent gesunken ist. Da ja der CDU die Sicherheit so wichtig ist, erleben wir ja in den letzten Tagen in vielen Kommentaren; Sicherheit, Law and Order, die Menschen müssen sich sicher durch die Stadt bewegen können. Die müssen sich nicht nur sicher über den Schlossplatz bewegen können, die müssen sich auch sicher über die Theodor-Heuss-Straße, über die Konrad-Adenauer-Straße bewegen können. Deswegen ist es wichtig, dass dort auch Tempo 30 möglich ist. Alle Fraktionen und wir als FrAKTION haben seit 2004 fast 20 Anträge zu dem Thema Regelgeschwindigkeit Tempo 30 in der Stadt Stuttgart gestellt. Deswegen freuen wir uns besonders, heute diesem Antrag zuzustimmen. Weil es ein Schritt mehr ist, um die Stadt, um den Verkehr, um die Mobilitätswende in Stuttgart zu fördern, den Verkehr sicherer zu machen und da voranzukommen.

Ich möchte eine Sache sagen zur Ideologie und zu mir persönlich, weil das ja immer ein Vorwurf ist an diejenigen, die sich für eine andere Mobilität einsetzen, sie seien ideologisch getriebene Autohasser. Das ist falsch. Ich fahre gern Auto, Herr Oberbürgermeister. Wir haben ein Auto, ich fahre gerne Auto. Ich fahre auch gern schnell. Leider bin ich auch schon öfter zu schnell gefahren und wurde geblitzt. Wenn ein schönes Auto vorbeifährt, bleibe ich an der Straße stehen und kucke dem Auto hinterher, vor allem wenn es ältere Oldtimer sind. Ich war am letzten Wochenende erst mit meinen Kindern im Mercedes-Museum und habe mir das angeschaut, diese wunderbare Technik, die in Stuttgart entwickelt und entstanden ist und bis heute fortgeführt wird. Ich habe als Architekturstudent in einem Architekturbüro gearbeitet, das die Ausstellungsgestaltung gemacht hat im Mercedes-Museum und im Porsche-Museum. Und ich habe als Jugendlicher gern Formel 1 geschaut, ich habe viele Käppis von Michael Schumacher bei mir zuhause, und ich habe bei Formel-1-Rennen zugeschaut. Nur weil das ja immer so vehement beteuert wird, es sei eine ideologisch getriebene Debatte. Ist es nicht. Einer der für mich wichtigsten Radaktivisten in unserer Stadt, der den Radentscheid mit hauptsächlich befördert hat in Stuttgart, arbeitet zu den Motoren bei Porsche, ist ein Ingenieur. Deswegen hören Sie auf damit, das zu betreiben, wie Sie das gemacht haben auf Ihrer Facebook-Seite, denn damit betreiben Sie eine Schürung von Ängsten und einen Gegensatz in dieser Stadtgesellschaft, der nicht gut ist. Kucken Sie sich die Kommentare an auf Ihrer Seite und von wem Sie Jubel bekommen: vom hinteren Teil hier dieses Saals und von der rechtesten Ecke in unserer Stadt. Herzlichen Glückwunsch, Herr Oberbürgermeister. Straßenverkehrs- oder alternative Mobilitätspolitik ist keine Frage von Ideologie, sondern von Vernunft und Wissenschaft. Es ist an der Zeit, dass wir als Stadt Stuttgart diesen Weg gehen."

StR Ozasek (PULS):
"Paris, Amsterdam, Brüssel, London, Zürich, alles Metropolen im Niedergang. Verwaiste Straßenzüge, eingeworfene Fensterscheiben, Industriebrachen, Massenarbeitslosigkeit und Armut allenorts. Weil die Politik Tempolimits gesetzt hat, deswegen. Herr Oberbürgermeister, werte Kolleg*innen, Sie merken es, an dieser Erzählung stimmt nichts. Die Städte erfahren umgekehrt eine neue Blüte, eine Transformation hin zu mehr Urbanität. Handel und Tourismus florieren, der Wirtschaft geht es gut. Die Renaissance der europäischen Stadt beginnt mit der Bändigung des Autoverkehrs. Sie beginnt damit, die Idee der autogerechten Stadt abzuwerfen und sie nach menschlichem Maß neu zu erfinden. Liest man die reißerischen Beiträge der CDU Stuttgart auf Facebook und lauscht man Ihnen heute, Herr Oberbürgermeister, man gewinnt den Eindruck, Stuttgart stünde am Abgrund. An der Seite einiger offensichtlich geistig umnachteter CDU-Bürgermeister aus Ulm, Konstanz, Augsburg, Münster, Saarbrücken will das ökosoziale Lager in ideologischer Verblendung Stuttgart kaputtmachen. So Ihre reißerische Botschaft an die besorgten Autofahrer. Ich finde es bedenklich, wie der Merz'sche Geist die CDU Stuttgart beseelt. Es gilt, Debatten dieser Art auf einer soliden Faktenbasis zu führen und nicht mit Fake News und billiger Polemik.

Die Regelgeschwindigkeit von Tempo 50 hat gravierend negative Auswirkungen auf die Qualität der Stadträume, auf die Unfallstatistik, auf die menschliche Gesundheit und erzeugt letztlich immense Kosten für die Allgemeinheit. Die Metastudie des Umweltbundesamtes widerlegt Ihre Argumentationsfigur in allen zentralen Punkten, Herr Oberbürgermeister. Die Regelgeschwindigkeit Tempo 50 führt zu mehr Aggressivität auf unseren Straßen und erzeugt ein Klima, in dem sich schwächere Verkehrsteilnehmer*innen wie Radfahrende und Kinder nicht wohl und sicher fühlen können. Aus Sicht von PULS ist der heutige Beschluss zum Beitritt der Städteinitiative für Regelgeschwindigkeit Tempo 30 innerorts ein Gebot der Vernunft. Wir wollen eine Stadt, in der öffentlicher Raum mit Leben gefüllt wird, nicht mit Verkehrslärm. Eine Stadt, in der Eltern ihre Kinder ohne Begleitung Fahrradfahren lassen können, ohne Angst um deren Sicherheit haben zu müssen. Deshalb begrüßen wir die Überlegungen der Verwaltung zu grundsätzlichen konzeptionellen Studien, wie die Netzebenen und Netzabschnitte künftig ausgestaltet werden können. Aus Sicht von PULS gilt es, lebendige Quartiere mit hoher Wohnumfeldqualität zu schaffen. Anwohnerstraßen, die einen Großteil des Straßennetzes in Stuttgart ausmachen, die müssen Räume sein, die sich Kinder selbstbestimmt aneignen können, in denen Menschen gerne verweilen, sich austauschen, die sie als Lebensraum empfinden. Tempo 30 im Anwohnerstraßennetz ist Gift für diese Lebensräume. PULS will diese Netzebene so herstellen, dass sie die Lebensqualität der Menschen fördert. Deshalb Ausweisung von Spielstraßen, verkehrsberuhigte Bereiche in Verbindung mit einem flächigen Fahrradstraßennetz, das wir im Zuge der echten Fahrradstadt auch auf den Weg gebracht haben. Dazu sollen auch das Modell 'Barcelona Superblock' und das Designkonzept 'Healthy Streets' aus London einfließen. Diesen Gedanken wollen wir in die Fortschreibung des Verkehrsentwicklungskonzepts einbringen und bitten, diese Anregung im Zuge der Berichterstattung im Sommer, den Kollegin Rühle mit unserer Unterstützung mündlich beantragt hat, mit einzubeziehen.

PULS will kein vollflächiges Tempo 30, auch wenn Sie uns dies noch so oft fälschlich unterstellen. Wir wollen Regelgeschwindigkeit Tempo 30 innerorts, weil es zu einem anderen Straßendesign führt, weil es eine neue Planungsphilosophie nach sich zieht und damit zu einem anderen Klima auf unseren Straßen. Ihre Autoideologie ist völlig aus der Zeit gefallen, Herr Oberbürgermeister, genauso wie Ihre Rhetorik am heutigen Tag. Sie klammern sich vergeblich an die autogerechte Stadt der Nachkriegsära, deshalb machen wir heute ohne Sie Politik. Für die Mobilitätswende und für die Rückbesinnung zum Leitbild der europäischen Stadt."

StR Dr. Vetter (CDU):
"Sehr verehrter Herr Oberbürgermeister, liebe Bürgermeisterbank, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich dachte, wir wollten heute Nachmittag nicht über Ideologien sprechen, aber wir tun es die ganze Zeit. Konservativ heißt, meine Damen und Herren, Innovatives mit Bewährtem zu verbinden, und dafür stehen wir heute. Wenn ich die Redebeiträge hier höre, Herr Pantisano, gehen Sie mit Ihren Kindern in ein Automobilmuseum, da hätten Sie am liebsten gern die Autos dieser Stadt. Ich hätte mich gefreut, wenn Sie heute gesagt hätten, Sie waren beim letzten Formel-1-Rennen, und zwar nicht e-betrieben, sondern richtig Motorsport. Dann hätte ich Ihnen abgenommen, dass Sie nicht hier ideologisch sprechen. Herr Körner, Sie sagten eindrücklich, Tempo 30, das ist nicht unsere Sache, wir wollen durchaus auch Tempo 50 weiterhin in dieser Stadt. Wenn ich mir aber die Unterzeichner des Antrags anschaue, da gibt es einige, die wollen nur Tempo 30 und am besten gar nicht für Autos, sondern nur noch für Radfahrer und Radfahrerinnen.

Herr Ozasek, Sie sprachen über Fakten. Ich spreche gerne mit Ihnen mal über Fakten. Für uns ist der Beitritt zur Städteinitiative Tempo 30 gleichbedeutend mit einer faktischen Einführung von Tempo 30 in der gesamten Stadt. Es stellt sich die Frage, ist das notwendig? Heute verfügt die Stadt bereits über ein großes Instrumentarium, um Geschwindigkeiten zu reduzieren. Stuttgart ist bereits Modellstadt und muss nirgendwo als Modellstadt kreiert werden, weil wir die Straßenverkehrsordnung und den Luftreinhalteplan haben, um Maßnahmen zur Reduzierung von Geschwindigkeiten zu erzielen. Wir haben insgesamt 1.500 km Straße in dieser Stadt, das ist gar nicht diskutiert worden, davon sind 70 Prozent mit Tempo 30 belegt in Wohnstraßen. Von den 500 km im Hauptverkehrsstraßennetz sind wiederum 20 Prozent mit Tempo 40 bereits versehen, weitere Einschränkungen mit lokal Tempo 30 vor Schulen oder sozialen Einrichtungen reduzieren die Zahl der mit 50 km/h gefahrenen Wege weiter. Und - was gar nicht beachtet wurde - bereits beschlossen, Herr Pantisano, was ist Tempo 30? Tempo 20 ist die neue Zukunft. Innerhalb des City-Rings werden wir Tempo 20 einführen, die 'Lebenswerte Stadt' hat das beschlossen. Wollen Sie das wieder aufheben und Tempo 30 dann einführen an dieser Stelle? Weitere Planungen gibt es im Kontext zur Radverkehrsförderung. Und, lieber Martin Körner, durch die städtebauliche Aufwertung können wir in der Osterbronnstraße bereits jetzt Tempo 30 einführen, wenn wir das wollen. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen sind dafür da. Die Verkehrsstrukturpläne in Mühlhausen und Hallschlag mit Tempo 30 nachts unter anderem möchte ich gar nicht erwähnen. Nach dieser Aufzählung fehlt eigentlich nur noch eine Möglichkeit, wie wir im Schwabtunnel die Tempo-30-Regelung einführen können. Dafür sind die Änderungen des Bundes gut. Aus den genannten Gründen macht es keinen Sinn, das Konzept des Verkehrsstraßen- und Vorbehaltsstraßennetzes abzuschaffen. Die Geschwindigkeit, die passend ist zur Umgebung und zu den Anforderungen der Straße, ist die richtige; das Prinzip der selbsterklärenden Straße. Um dem Rechnung zu tragen, stellen wir heute den Antrag 22/2022, damit an diesem sinnvollen Konzept festgehalten wird. Wir hoffen, lieber Herr Körner, dass es heute eine Mehrheit auch für diesen Antrag gibt, und da bin ich mal gespannt darauf, denn Lärm und Abgase, das muss uns bewusst sein, sind durch die voranschreitende Elektrifizierung der Pkw kein Argument mehr. Eines möchte ich klarstellen an dieser Stelle, Herr Pantisano, Sie werden Mercedes nicht aus dieser Stadt kriegen. Es ist so, dass Mercedes bis 2030 60 Mrd. investieren wird in die Elektrifizierung des Modellprogramms, und das ist auch gut so.

Noch ein paar Punkte zum Thema Statistik. Ich hatte es angesprochen im Ausschuss für Stadtentwicklung und Technik. Wir haben 2020 in dieser Stadt 20.400 Unfälle gehabt, davon waren 236 aufgrund überhöhter Geschwindigkeit. Wenn ich mir die anderen Unfallzahlen ankucke, zum Beispiel für das Abbiegen, Wenden und Rückwärtsfahren, das war das Vierfache, über 900. Was müssen wir daraus lernen, sollten wir das dann auch untersagen? Nicht mehr abzubiegen, zu wenden oder gar rückwärts zu fahren in dieser Stadt? Das, was heute hier stattfindet, ist die Umsetzung einer Ideologie, die aus unserer Sicht nicht notwendig ist. Dass Autos - sogenannte Waffen - aus dieser Stadt müssen, Herr Pantisano, das ist pure Demagogie. Die Sprache der Bürgerinnen und Bürger, wir sind ja alles Vertreter von diesen, ist übrigens eine andere. In Stuttgart hat von 2008 mit 271.400 Pkw bis 2019 eine Steigerung auf 304.400 Pkw stattgefunden. Das ist eine eindeutige Sprache der Wählerinnen und Wähler in dieser Stadt. Sie wollen Automobilität und sie haben sich dafür entschieden. Der Versuch von OB Kuhn, den Individualverkehr in seiner Zeit um 20 Prozent zu reduzieren, ist damit gescheitert. Die SPD will also weiterhin Tempo 50 in dieser Stadt, zumindest versagt sie sich nicht dafür. Die GRÜNEN, so richtig geoutet haben sie sich aus meiner Sicht eigentlich nicht, ob das Thema 50 auch gestorben ist. Die linke Fraktion möchte Tempo 30 flächendeckend und PULS genauso mit partiellen Ausnahmen. Vorwärts immer, rückwärts nimmer, habe ich mal gehört. Auch hier ist es wichtig, wenn Sie Paris ansprechen als Modellstadt für Tempo 30, Herr Ozasek, es gibt Ausnahmen, zum Beispiel am Ring, an den Ausfallstraßen und an großen Verkehrsachsen, sogar der Champs Élysées, da ist kein Tempo 30. Aber Teil der Wahrheit ist auch, dass die durchschnittliche Geschwindigkeit in Paris bei 12 km/h liegt. Damit wären die Leute, die dort Wohnen und Arbeiten mit 30 km/h sicherlich glücklich. Die Einführung eines Straßenverkehrskonzeptes, wie die Verwaltung es vorschlägt, halten wir für sachlich und zielorientiert und ist übrigens in seiner Umsetzung viel schneller, als auf den Bund zu warten.

Stuttgart ist keine Stau-Hochburg, und da sind wir auch stolz drauf, dass wir das erreicht haben. Und woran liegt es? Weil der Verkehr fließt. Das ist klasse und gut so. Wir sind jetzt auf Platz 5, und das Ziel muss sein, dass wir mal auf Platz 25 sind. Nicht das Ziel, wieder Staus zu generieren, weil wir Geschwindigkeiten reduzieren. Das Thema Kosten bei der SSB hat der Herr Oberbürgermeister angesprochen, genauso wie den ausweichenden Verkehr in Wohngebiete, deswegen lehnen wir den Antrag heute von Ihnen ab und hoffen auf breite Zustimmung dann bei unserer bescheidenen Bitte, diesem Thema Vorbehaltsstraßennetz weiter zuzustimmen."

StR Dr. Oechsner (FDP):
"Ein bisschen verwirrt bin ich ja schon, dass ich mich jetzt in einer Generaldebatte 'Geschwindigkeit in Stuttgart' wiederfinde, obwohl wir ja eigentlich über den Antrag Nr. 1396/2021 debattieren wollten und ob wir diesem zustimmen oder nicht. Grundlegend ist es etwas sehr Gutes, wenn die Kommune mehr Einfluss auf die Geschwindigkeitsregelung bekommt. Das ist grundlegend etwas völlig Korrektes. Grundlegend ist es aber auch so, dass es interessant ist, dass die vier Ratsfraktionen sich offensichtlich nicht ganz einig sind, was eigentlich in dieser Initiative Tempo 30 drinsteht. Ich habe mir heute also auch mal die Mühe gemacht zu lesen, was da alles drinsteht, und tatsächlich ist das schwierig. Da steht tatsächlich nicht hundertprozentig drin, dass man ein flächendeckendes Tempo 30 will, was die Ratsfraktion Die FrAKTION grundlegend gerne hätte. Das steht da nicht drin. Was allerdings auch nicht drinsteht, ist, dass man ein Vorbehaltsstraßennetz braucht. Das steht auch nicht drin. Die Frage ist: was steht da eigentlich überhaupt drin, und warum sind das nur 70 Kommunen von 3.200, die dem jetzt beigetreten sind? Dazu haben wir uns schon Gedanken gemacht. Und die Frage: Wäre das tatsächlich vielleicht im Juli eine Diskussion gewesen, um daraus vielleicht für die Haushaltsberatungen einen Antrag auf Finanzierung eines Stadtgeschwindigkeitskonzepts zu entwickeln? Warum ist das nicht erfolgt, weil der Vorgänger-Antrag ja schon deutlich älter ist? Warum kommt das jetzt heute? Und warum kommt das jetzt, nachdem der Bundesverkehrsminister, und sehen Sie es mir nach, ich habe hohes Vertrauen in den Mann, jetzt vorgelegt hat, dass er genau das machen möchte, nämlich mehr Kompetenz in die Hände der Kommunen legen. Welchen Sinn macht es dann, noch unabhängig von der Streitigkeit, ob wir Tempo 30 brauchen, ob wir Barcelona Superblock, übrigens eine tolle Sache, brauchen oder nicht, wenn wir weniger Verkehr auf den Straßen, weniger individuell gefahrene Kilometer in der Stadt brauchen, was übrigens nichts mit der Zahl der Autos in der Stadt zu tun hat. Es kann 2.000 Autos geben, die viel mehr fahren als 20.000 Autos. Da hat das eine mit dem anderen nichts zu tun.

Natürlich ist es eine Verbesserung für die Stadt, wenn man in vielen Bereichen langsamer fahren darf, nur - Sie haben sich ja sicherlich schon die Zahlen angekuckt - 70 Prozent sind schon 30 km/h, wir würden gern auch noch mehr machen. Wir verstehen bloß nicht, warum muss man dieser Initiative beitreten? Und das steht in diesem Antrag, nur das. Außer, Frau Rühle hat uns jetzt ein bisschen ins Schleudern gebracht. Ganz sauber, und das muss man schon mal sagen, ist die Formulierung in diesem Antrag auch nicht, weil, da steht nämlich drin, 'die vom Deutschen Städtetag mitgetragen'. Das stimmt halt so nicht. In der Initiative wird flächendeckend Tempo 30, zumindest, wenn ich das jetzt vorlesen würde, 'auf Hauptverkehrsstraßen' gefordert. In der Stellungnahme des Deutschen Städtetags steht: 'Ein Tempo 30 außerhalb der Hauptverkehrsstraßen wäre wünschenswert'. Das sind zwei verschiedene Paar Stiefel, und somit ist diese Argumentation im Antrag nicht ganz sauber. Alleine deswegen muss man den ablehnen, weil es so halt auch nicht geht. Jetzt ist natürlich der Punkt 3, den Frau Rühle gebracht hat, das ist natürlich eine Selbstverständlichkeit, dass man das fordert. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass diese bewundernswerte Stadt ein Straßengeschwindigkeitskonzept vorlegt und das möglichst schnell, auf dessen Basis man dann, wenn Herr Wissing mit seinen Leuten das geändert hat, auch wirklich reagieren kann.

Was allerdings Unsinn ist, sich für ein Modell zu bewerben, das es überhaupt nicht gibt. Das verstehe ich nicht, bei aller Liberalität. Einer Initiative beizutreten, die selbst nicht ganz genau weiß, was sie eigentlich will, das verstehe ich auch nicht. Wären das nun viel, viel mehr Kommunen, könnte man ja darüber nachdenken, aber insofern sage ich jetzt mal: Inhaltlich gebe ich ganz viel recht, was hier gesagt wurde, inhaltlich zu Regulierung und Geschwindigkeit, zur Selbstkontrolle der Kommune, wie die Autos hier fahren dürfen, inhaltlich völlig richtig. Aber eine Schaufensterdiskussion über den Beitritt zu einer Initiative, die einen Bart hat bis nach Berlin, weil es selbst dort schon angekommen ist, dass da was geregelt werden muss, das unterstützen wir beim besten Willen nicht. Wir sollten das getrennt abstimmen, und dem Punkt 3 sehe ich zumindest sehr positiv entgegen."

StR Schrade (FW):
"Vielen Dank, Herr Oberbürgermeister. Nach Ihrer leidenschaftlichen Rede traue ich mich ja kaum noch ans Rednerpult. Wir Freien Wähler können Ihren Argumenten in allen Punkten zustimmen, auch dem Vorredner Dr. Vetter von der CDU sind wir Freien Wähler inhaltlich nahe. Trotzdem möchte ich ein paar kurze Bemerkungen machen zu den Anträgen, die jetzt auf dem Tisch liegen. Auch wir Freien Wähler meinen, dass viel mehr Tempo 30, vor allem auf den Hauptverkehrsstraßen, in der Bevölkerung nicht auf Akzeptanz stoßen wird, und es wird zu Schwierigkeiten führen. Es wird zu Schwierigkeiten führen beim ÖPNV, es wird zu Schwierigkeiten führen im Verkehrsfluss, und deshalb meinen wir, dass das riskant ist, wenn man damit sozusagen großzügig umgeht.

Stuttgart ist nach wie vor eine Autostadt, das zeigt das Monatsheft Nr. 7/2021 des Statistischen Amtes, aus dem hervorgeht, dass die Pro-Kopf-Zulassungen bei privaten Pkw im Jahr 2020 erstmals seit Jahren wieder gestiegen sind. Der Gesamtbestand an Pkws ist auch 2020 konstant geblieben, man könnte auch sagen, konstant hoch geblieben. Ein Zitat aus der Pressemitteilung zu diesem Monatsheft ist mir wichtig, weil es immer heißt, dass jüngere Menschen aufs Auto eher verzichten und gar kein Auto brauchen. Da heißt es wortwörtlich, ich zitiere: 'Vor allem die Gruppe der unter 30-Jährigen besitzt vermehrt ein Auto'. Wir Freien Wähler meinen, dass die Stadtverwaltung schon jetzt gut, vernünftig und verantwortungsvoll mit den Fragestellungen rund um Höchstgeschwindigkeiten im Straßennetz umgeht. Deshalb begrüßen wir den Vorschlag der Verwaltung, ein Stadtgeschwindigkeitskonzept auszuarbeiten. Den ökosozialen Antragstellern trauen wir hingegen nicht. Es geht nämlich um eine Regelumkehr. Bisher gilt die Regelgeschwindigkeit 50, und alles andere ist Ausnahme. Diese Regelumkehr wird auch beschrieben in diesem Papier, das diese Kommunen, die dieser Initiative beigetreten sind, herausgegeben haben. Da heißt es, auch ein Zitat: 'Deshalb muss das Straßenverkehrsrecht zulässige Höchstgeschwindigkeiten innerorts neu regeln (30 km/h als Regel, andere Geschwindigkeiten je nach örtlichen Gegebenheiten und Erfordernissen als Ausnahme.)' So steht es drin. Man hat in der Debatte am Dienstag im Ausschuss für Stadtentwicklung und Technik gesehen, dass die antragstellenden Fraktionen da durchaus unterschiedlicher Meinung sind oder diesen Text, diese Formulierung unterschiedlich auslegen. Wir wollen keinen Freibrief für flächendeckendes Tempo 30, das Sie dann jeweils mit Ihrer Mehrheit beliebig durchsetzen können und für jede beliebige Straße beantragen können. Selbst Stuggi TV schreibt in einem Bericht über diese Debatte, die wir hier führen, auch ein Zitat: 'Bei einer ökosozialen Mehrheit im Gemeinderat ist es aber nicht unwahrscheinlich, dass die eine oder andere Hauptverkehrsader in der Landeshauptstadt nur noch mit 30 km/h befahren werden darf.'

Den Antrag Nr. 22/2022 der CDU begrüßen und unterstützen wir natürlich auch. Bei der Abstimmung über den Antrag wird sich zeigen, wie ernst es der ökosozialen Gemeinderatsmehrheit mit einem abgestuften Geschwindigkeitskonzept in unserer Landeshauptstadt ist."

StR Dr. Mayer (AfD):
"Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, die antragstellenden Fraktionen müssten eigentlich schon zugeben, dass der Verdacht nicht ganz von der Hand zu weisen ist, sie verfolgten auf mehreren Ebenen unterschiedliche Absichten, dass sie also, obwohl sie beteuern, dass sie kein flächendeckendes Tempo 30 in Stuttgart möchten, diesen Beitritt zur Städteinitiative eigentlich 'als Trojanisches Pferd' einführen möchten, um letztlich dieses Ziel zu erreichen. Die unterschiedlichen Auffassungen bei den antragstellenden Fraktionen sind ein gewisses Indiz dafür. Es liegt auch der Verdacht nahe, dass sie tatsächlich ideologische Gründe haben, das Auto immer mehr aus der Stadt drängen zu wollen. Aber ich will Ihnen das heute gar nicht unterstellen, sondern ich gehe einfach mal davon aus, dass Sie die löbliche Absicht haben, den Verkehr in der Stadt leiser, angenehmer zu machen, Unfälle zu vermeiden und die Luft womöglich zu verbessern.

Wie soll man da vorgehen, wenn man das möchte? Wenn man solche Ziele hat, muss man - insbesondere bei so komplexen Systemen wie dem Verkehr einer Stadt - eine Systembetrachtung anstellen. Nur, da gibt es unterschiedliche Ansätze. Es gibt einmal zumindest grundsätzlich einen Ansatz mit einer zentralen Planung und Steuerung. Man erlegt dem System Regelungen von außen auf. Man muss es ständig überwachen und muss es aktiv - sozusagen manuell - steuern. Ein anderer grundsätzlicher Ansatz ist der der Selbstorganisation des Systems, die auf wenigen, aber klaren und eindeutigen Regeln beruht. Das Problem ist nun, wenn Sie ein von außen gesteuertes, beeinflusstes, geregeltes System haben, dann ist man darauf angewiesen, dass man viele, oft differenzierte Regeln hat, dass man Eingriffe von außen vornehmen muss, dass man dieses System ständig überwachen muss, aufpassen muss, dass nichts passiert, dass man Sanktionen verhängen muss gegen Regelverstöße usw., usw. Ich will Ihnen jetzt nicht unterstellen, dass das ein System ist, das Ihren zumindest zeitweise autoritären Bestrebungen vielleicht eher vorschwebt. Der Ansatz 2, den ich genannt habe, ist aber wesentlich günstiger aus meiner Sicht, denn das System Verkehr optimiert sich selbstorganisierend selber. Wie ist das zu verstehen? Das kann man leicht erklären am Beispiel eines Kreisverkehrs. Sie können eine Kreuzung mit drei, vier oder gar fünf oder noch mehr einmündenden Straßen mit einer Ampelanlage, mit einem Verkehrspolizisten in der Mitte, mit vielen Verkehrsschildern, mit Überwachung mit Radaranlagen usw. organisieren. Sie können aber auch einen Kreisverkehr einrichten. Und interessanterweise braucht der Kreisverkehr nur ganz wenige Regeln, und er funktioniert hervorragend, weil nämlich die Verkehrsteilnehmer gegenseitig aufeinander Rücksicht nehmen und weil sie ihr Verhalten immer der aktuellen Verkehrssituation anpassen. Kreisverkehre funktionieren in der Regel sehr gut. Das wissen wir in Stuttgart ja übrigens auch.

Unser Plädoyer ist klar, wir sind für die Lösung Nummer 2, Selbstorganisation. Das heißt natürlich viel Entscheidungsfreiheit für die Stadt Stuttgart, was die Verkehrsregeln angeht, aber gegen eine Regelungsumkehr, die letztlich, Stichwort Trojanisches Pferd, nach unserer Befürchtung auf ein flächendeckendes Tempo 30 hinauslaufen würde. Also für das Vertrauen in die Fähigkeit, dass die Bürger sich auch im Straßenverkehr selbst organisieren können und aufeinander Rücksicht nehmen. Wir brauchen ein paar wenige, klare, gut verständliche Regeln, aber wenige. Wir brauchen keine Eingriffe von außen. Wir brauchen keine autoritären Vorschriften. Wir sind gegen ein flächendeckendes Tempo 30 - damit auch gegen den Beitritt zu dieser ominösen Städteinitiative - und für eine differenzierte, unideologische Verkehrspolitik in Stuttgart."

Im Anschluss an die Eingangs-Statements stellt OB Dr. Nopper klar, er hätte den Beitritt zur Initiative empfohlen, wenn diese lediglich mehr kommunale Autonomie und mehr Entscheidungsfreiheit für die Kommunen bei Tempo 30 zum Ziel hätte. Allerdings bedeute diese Initiative die Regelumkehr und führe über die Hintertür zur Einführung von Tempo 30. Gegenüber StR Körner merkt er an, dieser sei "der wandelnde Widerspruch". Er müsse sich entscheiden, ob er nur für mehr kommunale Autonomie plädiere, denn dann dürfe er der Initiative nicht beitreten, oder ob er auch die Regelumkehr und damit flächendeckendes Tempo 30 wolle. Die von StR Pantisano vorgetragene "herzzereißende Autobeichte" täusche nicht darüber hinweg, dass dieser in seinem tatsächlichen Handeln das Auto aus der Autostadt Stuttgart vertreiben wolle. Die Politik von StR Ozasek sei aus der Zeit gefallen, denn diese spalte die Stadtgesellschaft und versöhne nicht.

Die Kritik von OB Dr. Nopper will StR Körner nicht akzeptieren und erklärt, der Oberbürgermeister sei derjenige, der die Stadtgesellschaft spalte, indem er Behauptungen aufstelle, die nicht der Wahrheit entsprächen. Er stelle sich die Frage, wer überhaupt für die Landeshauptstadt Stuttgart spreche, und zitiert diesbezüglich aus einer Pressemitteilung der LHS zum Beschluss im Ausschuss für Stadtentwicklung und Technik: "Der Ausschuss für Stadtentwicklung und Technik hat am Dienstag, 01.02.2022 mehrheitlich empfohlen, dass sich die Landeshauptstadt Stuttgart der Städteinitiative Tempo 30 anschließt, die für mehr Gestaltungsfreiheit der Städte bei innerstädtischen Tempolimits eintritt." Im zweiten Abschnitt der Pressemitteilung zum Thema Modellkommune schreibe die Landeshauptstadt Stuttgart weiter: "Dem fraktionsübergreifenden Antrag auf Beitritt zur Initiative wurde mit einer Mehrheit von 9 zu 7 Stimmen zugestimmt. Zudem wurde mehrheitlich empfohlen, dass die Landeshauptstadt dem Bundesverkehrsministerium signalisiert, im Falle eines entsprechenden Programmes als Modellkommune für die Ziele der Städteinitiative zur Verfügung zu stehen." Im letzten Absatz der Pressemitteilung heiße es: "Die Städteinitiative Tempo 30 trägt auch den Namen 'Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten - eine neue kommunale Initiative für stadtverträglichen Verkehr'. Bislang sind ihr bundesweit etwa 70 Kommunen beigetreten. Diese setzen sich für mehr stadtverträglichen Verkehr durch angemessene Höchstgeschwindigkeiten ein; sie fordern zudem mehr rechtlichen Handlungsspielraum dafür, innerorts Tempo 30 als Höchstgeschwindigkeit auch auf Hauptverkehrsstraßen anordnen zu können". Wenn am selben Tag auf der Facebook-Seite des Oberbürgermeisters mehrfach von flächendeckendem Tempo 30 zu lesen sei, sei es der Oberbürgermeister, der spalte. Unter Nennung verschiedener beigetretener Städte erklärt der Stadtrat, man hätte einfach im Juli 2021 der Initiative beitreten können "und der Fall wäre erledigt gewesen". Die Oberbürgermeister*innen dieser Städte kämen aus allen Parteien und "haben wahrscheinlich nicht einen Büroleiter, der gleichzeitig Kreisvorsitzender der CDU ist". Dies sei die dritte Kommunikationsschiene, über die die Antragsteller*innen in unangemessener Weise angegangen würden. Dies sei nicht akzeptabel und müsse vom Oberbürgermeister dringend geändert werden. Abschließend betont StR Körner, an keiner Stelle sei von flächendeckendem Tempo 30 die Rede, und dafür gebe es auch keine Mehrheit im Gemeinderat. OB Dr. Nopper müsse klären, wer bei derartigen Fragestellungen für die Landeshauptstadt Stuttgart spreche.

OB Dr. Nopper verweist auf die Unterlagen der Städteinitiative, in denen ausdrücklich eine Regelgeschwindigkeit von Tempo 30 herausgestellt werde. Diese Regelumkehr führe letztendlich zu Tempo 30. Die Mehrheit der Initiative bildeten kleine Städte mit Durchgangsstraßen, wofür es noch keine Möglichkeit gebe, Tempo 30 anzuordnen. Ein Oberbürgermeister dürfe seine politische Meinung herausstellen, auch wenn der Gemeinderat eine andere Meinung habe. Selbstverständlich werde er einen Beschluss des Gemeinderates vollziehen.

OB Dr. Nopper habe in seinem Wahlkampf regelmäßig von Verkehrsfrieden gesprochen, so StRin Köngeter (PULS). Daher sei es für sie verwunderlich, wenn der OB den antragstellenden Fraktionen regelmäßig "Autohass" unterstelle. Dies sei keine angemessene Wortwahl, um Verkehrsfrieden herzustellen. Die antragstellenden Fraktionen - mit Ausnahme von Die FrAKTION - hätten deutlich gemacht, dass zwar eine Regelumkehr als Ziel bestehe, aber nicht auf allen Straßen Tempo 30 angestrebt werde. Auch in Paris gelte nicht auf jeder Straße Tempo 30. Bezüglich der Unfallstatistik merkt sie gegenüber StR Dr. Vetter an, wenn jemand in Regelgeschwindigkeit 50 km/h fahre und einen Unfall verursache, sei überhöhte Geschwindigkeit nicht die Unfallursache. Außerdem sei die Durchschnittsgeschwindigkeit in Stuttgart mit 17 km/h nur unwesentlich höher als in Paris. Wer freie Straßen haben wolle, dürfe nicht weiter ausbauen, sondern müsse mehr Menschen zur Nutzung des Fahrrades animieren. Der heutige Antrag sei der kleinste gemeinsame Nenner zwischen den antragstellenden Fraktionen; ein abgestuftes Geschwindigkeitskonzept sei in Ordnung, aber es dürfe nicht alles bleiben, wie es sei. In manchen Straßen müsse die Geschwindigkeit weiter gesenkt werden. Abschließend greift die Stadträtin den Aspekt der Kreisverkehre auf, die leider zu viel Platz verbrauchten, um in einer Großstadt umgesetzt werden zu können.

StR Goller (AfD) spricht die Argumente für einen Beitritt zur Städteinitiative Tempo 30 an und führt aus, ein Verbrennungsmotor habe sein Optimum im Kraftstoffverbrauch zwischen 60 und 90 km/h. Auch im Vergleich zwischen 40 und 50 km/h verbrauche eine Fahrt mit 50 km/h weniger Sprit als mit 40 km/h. Somit sei dieses Argument widerlegt. Dies gelte auch für das Argument der Sicherheit, denn in einer Großstadt könne man Kinder nicht alleine über die Straße gehen lassen aufgrund der Autos. Andere Vorstellungen zeigten "vollständigen Realitätsverlust" auf. Gegenüber StR Körner bezweifelt er dessen Aussage, nicht für alle Straßen Tempo 30 einrichten zu wollen. Das Abstimmungsverhalten der SPD-Ratsfraktion habe in den vergangenen Jahren anderes gezeigt. Die Antragsteller wollten die Gestaltungsmacht auf die Kommune holen, um Tempo 30 für alle vorzuschreiben.

Von einem stadtweiten Tempo 30 als Ziel geht StRin Bulle-Schmid (CDU) bei den Antragstellern aus. Alles andere werde dann die Ausnahme darstellen, die dann beschlossen werden müsse. Ihre Fraktion schlage stattdessen ein Stadtgeschwindigkeitskonzept vor und bitte um entsprechende Zustimmung zum Antrag Nr. 22/2022.

Nachdem sich keine weiteren Wortmeldungen mehr ergeben, lässt OB Dr. Nopper über die vorliegenden Anträge abstimmen. Dazu formuliert er zunächst die von StRin Rühle (90/GRÜNE) mit Unterstützung aller antragstellenden Fraktionen mündlich vorgetragene Ergänzung zum Antrag Nr. 1396/2021 unter Ziffer 3:

3. Wie am 01.02.2022 vorgeschlagen, berichtet die Verwaltung noch vor Ostern im Ausschuss für Stadtentwicklung und Technik mündlich über die Eckpunkte des zu erarbeitenden Stadtgeschwindigkeitskonzeptes und legt einen Zielbeschluss für selbiges vor.

Zu den einzelnen Ziffern des Antrages 1396/2021, die getrennt abgestimmt werden, stellt OB Dr. Nopper fest:

Der Ziffer 1 wird bei 32 Ja- und 21 Gegenstimmen mehrheitlich zugestimmt.

Der Ziffer 2 wird ebenfalls bei 32 Ja- und 21 Gegenstimmen mehrheitlich zugestimmt.

Der von StRin Rühle mündlich beantragten Ziffer 3 wird bei 4 Gegenstimmen mehrheitlich zugestimmt (0 Enthaltungen).

Im Anschluss stellt der Vorsitzende den Antrag Nr. 22/2022 zur Abstimmung und stellt fest:

Der Antrag Nr. 22/2022 wird bei 16 Ja-Stimmen mehrheitlich abgelehnt (5 Enthaltungen).
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