Protokoll: Gemeinderat der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
GZ:
Sitzungstermin: 05.05.2022
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Dr. Nopper
Berichterstattung:
Protokollführung: Frau Faßnacht
Betreff: "500 Euro Arbeitsmarktzulage für die Pflege im Klinikum Stuttgart" - gemeinsamer Antrag Nr. 81/2022 vom 21.03.2022 (Die FrAKTION, PULS), hier ausschl. Buchstabe C: Finanzierung der Zulage

Vorgang: Verwaltungsausschuss vom 06.04.2022, öffentlich, Nr. 124
Ergebnis: Beratung/Vertagung
Gemeinderat vom 07.04.2022, öffentlich, Nr. 78
Ergebnis: Vertagung
Verwaltungsausschuss vom 04.05.2022, öffentlich, Nr. 151
Ergebnis: Verweisung ohne Votum in den Gemeinderat


Aufgerufen ist außerdem der gemeinsame Antrag Nr. 147/2022 von Bündnis90/DIE GRÜNEN und SPD vom 03.05.2022.

BM Fuhrmann kommt zurück auf seine gestrige Aussage im Verwaltungsausschuss die Organzuständigkeit betreffend, wonach für die Beschlussfassung einer Zulage für Beschäftigte im Klinikum Stuttgart der Verwaltungsrat des Klinikums Stuttgart sachlich zuständig sei, für die Frage der Finanzierung hingegen sei der Gemeinderat zuständig. Diese Reihenfolge gelte es einzuhalten. Eine zweite gestern angesprochene Problematik betreffe das Thema unterjährige überplanmäßige Ausgaben, die es im Auge zu behalten gelte. Um das Ganze wieder in die richtige Reihenfolge zu bringen, werde man seitens der Verwaltung einen Antrag zur Geschäftsordnung stellen, das Thema Zulagen für die Pflegekräfte des Klinikums zuerst im Verwaltungsrat diskutieren, dort einen Sachbeschluss treffen, um danach im Gemeinderat über das Thema Finanzierung zu diskutieren. Er bitte folglich darum, dem nachstehenden Geschäftsordnungsantrag zu folgen:

1. Die grundsätzliche Bereitschaft aus der Mitte des Gemeinderats zur Finanzierung von Zulagen für die Mitarbeitenden der Pflege des Klinikums Stuttgart in Form einer Stufenvorweggewährung wird zur Kenntnis genommen.

2. Die Sachentscheidung über deren städtische Finanzierung und entsprechende Deckung wird bis nach deren inhaltlicher Beratung und der Feststellung der Erforderlichkeit im Verwaltungsrat des Klinikums, der über die grundsätzliche Bereitschaft des Gemeinderats informiert wird, vertagt.

StRin Tiarks (FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei) merkt an, die Beschäftigten des Klinikums hätten bereits im November 2021 fast 2.000 Unterschriften für eine dauerhafte Lohnzulage von 500 EUR gesammelt. Man diskutiere nun bereits seit Monaten über die Umsetzung dieser wichtigen Maßnahme, sodass es nun an der Zeit sei, den Pflegenden ein Signal zu geben für die Wertschätzung ihrer Arbeit in Form einer besseren Bezahlung. Der gemeinsame Antrag von SPD und GRÜNEN sei dem Druck geschuldet und "ein etwas verklausulierter Kompromissvorschlag", in dem sich aber alles wiederfinde. Man zeige einerseits die Bereitschaft, eine Stufenvorweggewährung zu unterstützen, und trotzdem lasse die Formulierung noch offen, dass statt einer Gehaltsstufe auch zwei Gehaltsstufen vorweggewährt werden können. Damit komme man näher an die Forderungen heran, die die Pflegenden gestellt haben. Deswegen werde man dem Geschäftsordnungsantrag, den BM Fuhrmann gestellt habe, heute auch zustimmen und werbe für die Annahme des Kompromissantrages.

Damit bestehe für die Beschäftigten die Zeit, mit den anderen Parteien zu reden und sich zu überlegen, wie hoch die Vorweggewährung denn tatsächlich sein soll. Sie gehe weiterhin davon aus, dass die Krankenkassen die Stufenvorweggewährung grundsätzlich gegenfinanzieren müssen. Eine faire Bezahlung spiele für Pflegende eine wichtige Rolle und trage wesentlich dazu bei, dass sie den Beruf nicht verlassen. Beim Robert-Bosch-Krankenhaus habe sich gezeigt, dass die Leasingkosten aufgrund der besseren Bezahlung fast um die Hälfte reduziert werden konnte, sodass - übertragen auf das Klinikum Stuttgart - eine Stufenweggewährung fast schon gegenfinanziert wäre.

Für StRin Schumann (PULS) ist neben den guten Gründen, die StRin Tiarks ausgeführt hat, entscheidend, im Rahmen des Fachkräftemangels, der die Stadt vor allem im erzieherischen und sozialen Bereich besonders trifft, ein politisches Zeichen zu setzen. Auch in Anbetracht der Corona-Pandemie, die im nächsten Winter mit Sicherheit wieder zu mehr Krankheitsfällen führen werde, sei es nur richtig, jetzt für die Pflegekräfte im Klinikum positiv weiterzugehen.

StRin Nuber-Schöllhammer (90/GRÜNE) merkt an Ihre Vorrednerinnen gewandt an, der Gemeinderat habe bereits vor über zwei Jahren schon mal eine Stufenvorweggewährung beschlossen, die dann im Rahmen der regulären Tarifverhandlungen wieder eingeflossen sei. Wichtig ist ihr außerdem der Hinweis, dass es ein Erfolg für die Mitarbeitenden des Klinikums ist, wenn diese Maßnahme hier gemeinsam durchgebracht wird. "Denn unser Klinikum gehört zu den führenden Kliniken im Land, und zwar nicht nur hier in Baden-Württemberg, sondern als kommunales Klinikum können wir uns in der ganzen Bundesrepublik vergleichen. Wir liegen teilweise auf den Spitzenplätzen in den Rankings mit den Universitätskliniken dieses Landes!"

Dies sei nicht nur der Arbeit des medizinischen Personals und der Geschäftsführer zu verdanken, es sei auch zum großen Teil die Arbeit des pflegerischen Personals, das diese Arbeit trotz eines hohen Ausmaßes an Personalknappheit leistet. Die Personalknappheit habe schon vor der Pandemie bestanden und die Arbeitsbelastung habe sich durch Corona noch weiter verstärkt. Es sei daher wichtig, ein Zeichen zu setzen und zu sagen, "wir können uns vorstellen, hier mehr Geld reinzugeben". Man sei sich darüber klar, dass nur mit Geld nicht zu erreichen ist, dass man sich besser fühlt an seinem Arbeitsplatz. Nichtsdestotrotz sei es so, dass je angestrengter Menschen arbeiten, desto mehr fallen aus und desto schwieriger wird es, im Team gut zusammenzuarbeiten. Erschwerend hinzu komme die gegenwärtige hohe Inflation.

Ihre Fraktion habe sich die Entscheidung nicht leichtgemacht, weil es eine Aufgabe der Tarifparteien und von Tarifverhandlungen sei, dies miteinander auszuhandeln, und nicht die Aufgabe der kommunalen Träger, hier vornewegzulaufen. Trotzdem habe man sich dafür entschieden, weil man finde, dass eine Tarifstufenerhöhung auch in eine Tarifverhandlung passt - anders als ein gegriffener Festbetrag. Dem Vorgehensvorschlag von BM Fuhrmann und dem Geschäftsordnungsantrag stimme man ebenfalls zu, weil die Detailausverhandlung im Verwaltungsrat des Klinikums stattfinden müsse. Dennoch spreche man sich deutlich dafür aus, dass das Pflegepersonal eine Gehaltsstufenerhöhung auch erhält.

StR Dr. Jantzer (SPD) ergänzt, grundsätzlich habe der Verwaltungsrat über diese Frage schon mehrfach beraten, doch sei eine Debatte im Rat wichtig und notwendig wegen der Auswirkungen auf den Haushalt. Darüber hinaus halte seine Fraktion es für sehr gut, wenn große Entscheidungen, die viele Menschen betreffen, auch im Rat eine Resonanz finden. Man sollte sich überlegen, ob auch andere wichtige Beratungsvorgängen in den Aufsichtsräten im Rat entsprechend behandelt werden.

Zum Thema Anfechtung eines Schiedsspruchs weist er darauf hin, ein Richter des Sozialgerichts Baden-Württemberg, habe nach Recht und Ordnung geurteilt. Dieser habe festgestellt: "Bei der Gewährung der Arbeitsmarktzulage kann ein sachlicher Grund unter Berücksichtigung der Entscheidung der Schiedsstelle - das ist die Zusammenfassung vom 25.06.2021 - wohl bereits dann angenommen werden, wenn allgemein hohe Lebenshaltungskosten in Stuttgart vorherrschen und deshalb gerade auch im Anblick des angespannten Arbeitsmarkts im Vergleich zu Kliniken im ländlichen Raum ein struktureller Nachteil für die Personalgewinnung vorherrscht." Somit mache man mit dieser Maßnahme Zukunftsvorsorge. Es gehe darum, die gute Arbeit, die im Klinikum Stuttgart stattfindet, auch in den nächsten Jahren sicherzustellen. Dies sei "unsere Aufgabe als kommunaler Träger für dieses Krankenhaus", wohlwissend, dass die Arbeitsmarktsicherung nicht leichter wird in den nächsten Jahren. Er hoffe, auch im Verwaltungsrat eine gemeinsame Linie zu finden, die einstimmig getragen wird.

StR Kotz (CDU) schickt voraus, unstrittig sei ein großes Dankeschön und große Anerkennung für die Pflegenden im Klinikum Stuttgart, aber auch in vielen anderen Krankenhäusern und Kliniken. Über die vorliegenden Anträge und die Dinge, die mit dieser Thematik einhergehen, habe man viel diskutiert. Aus Sicht seiner Fraktion sei es zwar tarifkonform, gehe aber deutlich über den Tarifvertrag hinaus und läge somit in der Autonomie der Tarifpartner dieses auch zu verhandeln - "zumal die Chance für die Beschäftigtenvertreter nie so groß war, ihr Ziel zu erreichen". Hinzu komme, dass der Gemeinderat momentan weder in den Doppelhaushaltsplanberatungen der Landeshauptstadt Stuttgart stehe noch in Wirtschaftsplanberatungen des Klinikums. Es mache jedoch Sinn, dieses Thema im Vergleich zu anderen Themen zu betrachten. Er wendet weiter ein, das Thema Einkommen sei nicht der einzige Faktor, der für die Beschäftigten zählt und der entscheidet, ob jemand bleibt, den Arbeitgeber wechselt oder gar die ganze Branche verlässt. Dies seien viele Dinge, wie Arbeitszeitmodelle, Ausstattung des Arbeitsplatzes, die bauliche Situation, Mobilitätsangebote usw. Alle Umfragen und Ergebnisse zeigen, dass die zuletzt genannten Kriterien an Gewicht gewonnen haben, während der finanzielle Teil in den letzten Jahren eher abgenommen habe.

Eine Stufenvorweggewährung bringe zwar monetär den angestrebten Erfolg, jedoch habe dies eigentlich mit Arbeitserfahrung zu tun. Er fände es daher viel besser, wenn die Tarifverhandlung die Eingruppierung verändert, weil dies die eigentliche Wertschätzung sei. In Abwägung dieser Dinge und vor dem Hintergrund, dass der Fokus nur auf eine Gruppe von Beschäftigten gerichtet wird, halte man es nicht für richtig, dieses Thema herausgehoben anzugehen. Deswegen wolle man zunächst die Diskussion im Verwaltungsrat abwarten. Was die Abstimmung seiner Fraktion in Bezug auf den Geschäftsordnungsantrag angeht, schlage er vor, in Ziffer 1 die Worte "aus der Mitte" (des Gemeinderats) zu ersetzen durch "die Mehrheit" (des Gemeinderates).

Nach Meinung von StR Dr. Oechsner (FDP) bedarf die Pflege insgesamt, also auch die Kinder-, Altenpflege und alle weiteren einer grundsätzlichen Neustrukturierung - auch in den Entgeltgruppen, nicht nur in den Stufen. Es sei die Aufgabe der Landes- oder Bundespolitik und der Tarifparteien, dies zu erkennen und nicht die Aufgabe des Gemeinderates. Dann sei es Aufgabe der Krankenkassen, dies zu finanzieren, denn wenn es einen gesellschaftlichen Konsens gibt, dass die Pflege mehr wert ist, als sie heute bezahlt wird, dann müsse die Gesellschaft auch bereit sein, dies zu finanzieren. Diese Finanzierung dürfe nicht einseitig über kommunale Steuern erfolgen, sondern durch die Solidargemeinschaft über die Einnahmen aus den Krankenkassen. Dies könne natürlich evtl. eine höhere Aufwendung in den Krankenkassenbeiträgen bedeuten, so der Stadtrat.

Weiter hält er fest, "wir als Stadt Stuttgart besitzen ein Klinikum und haben damit Verantwortung gegenüber unseren Mitarbeitern". Diese Verantwortung werde zuallererst vom Verwaltungsrat des Klinikums wahrgenommen. Daher sei der Verfahrensvorschlag von BM Fuhrmann richtig. Natürlich müsse man sich im Klaren darüber sein, dass es eine Risikoabfederung sein soll, die der Gemeinderat für eine Zeit, bis die Tarifparteien sich geeinigt haben, gewährt. Zu bedenken gebe er jedoch auch, dass die Krankenkassen trotz des gesetzlichen Auftrags und trotz der Herausnahme aus den DRGs eventuell nicht bezahlen. Dennoch sei man grundsätzlich bereit, dieses Risiko zu tragen. Er unterstreicht gleichzeitig, seine Fraktion sei nicht grundsätzlich bereit, dauernd aus kommunalem Geld Zusatzleistungen für das Personal des Klinikums zu bezahlen, weil man dann dies auch beim ELW machen müsste, bei der AWS und überall dort, "wo unserer Meinung nach die Entgeltgruppen tariflich nicht richtig eingesetzt werden". Wenn heute dennoch ein entsprechender Beschluss gefasst wird, so sollte dies ein starkes Zeichen an ver.di sein, stärker darüber nachzudenken, ihren Flächentarifvertrag endlich anzupassen auf die Bedürfnisse großer Kommunen. Es müsse eine tarifrechtliche Möglichkeit geschaffen werden, um eine Zulage zahlen zu können, die tarifkonform über die Krankenkassen finanziert wird.

Er bedauere, "dass wir jetzt dem Verwaltungsrat letztlich doch wieder Schellen anlegen", indem man diesem die Stufenvorweggewährung vorgibt. Denn möglicherweise tauchen in dessen Diskussion noch andere Arbeitsmarktzulagen auf, die gewährt werden könnten, für deren Finanzierung er aber keine Zusage vom Gemeinderat hat.

Auch StR Zaiß (FW) weist darauf hin, dass die Stufenvorweggewährung eigentlich die Aufgabe der Tarifparteien ist und nicht die des Gemeinderates. Höhere Löhne seien immer wünschenswert, jedoch müsse die Finanzierung geregelt sein. Im Verwaltungsrat müsse das Thema daher noch ganz genau diskutiert und geklärt werden. Seine Fraktion stimme dem Vorschlag von BM Fuhrmann heute zu bzw. werde sich teilweise der Stimme enthalten.

StR Köhler (AfD) teilt die genannten Bedenken seiner Vorredner. Er sieht darüber hinaus durch eine entsprechende Beschlussfassung andere Kliniken - Konkurrenzunternehmen - unter Druck, die nicht die Möglichkeiten haben, auf die kommunale Absicherung zurückgreifen zu können. "Und dass man diese Tarifstufenerhöhung als Teil der Tarifautonomie darstellt, das mag man formal ja können, aber vom ganzen Grundcharakter dieses Vorgangs ist es unseres Erachtens kein tarifautonomisch begründeter Vorgang." Seine Fraktion werde einer Stufenvorweggewährung daher nicht zustimmen.




Abschließend stellt OB Dr. Nopper den nochmals von BM Fuhrmann verlesenen Geschäftsordnungsantrag zur Abstimmung und hält fest:

Der Gemeinderat beschließt bei 2 Enthaltungen einstimmig:

1. Die grundsätzliche Bereitschaft aus der Mitte des Gemeinderats zur Finanzierung von Zulagen für die Mitarbeitenden der Pflege des Klinikums Stuttgart in Form einer Stufenvorweggewährung wird zur Kenntnis genommen.

2. Die Sachentscheidung über deren städtische Finanzierung und entsprechende Deckung wird bis nach deren inhaltlicher Beratung und der Feststellung der Erforderlichkeit im Verwaltungsrat des Klinikums, der über die grundsätzliche Bereitschaft des Gemeinderats informiert wird, vertagt.

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