Protokoll: Gemeinderat der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
140/2022
GZ:
0300
Sitzungstermin: 24.03.2022
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Dr. Nopper
Berichterstattung:
Protokollführung: Frau Faßnacht
Betreff: Satzung zur Änderung der Hauptsatzung - 1. Änderung

Vorgang: Verwaltungsausschuss vom 23.03.2022, öffentlich, Nr. 98
Ergebnis: Verweisung ohne Votum an den Gemeinderat


Beratungsunterlage ist die Vorlage des Referats Allgemeine Verwaltung, Kultur und Recht vom 17.03.2022, GRDrs 140/2022, mit folgendem

Beschlussantrag:

Die Satzung zur Änderung der Hauptsatzung der Landeshauptstadt Stuttgart (Hauptsatzung, HS) vom 03.12.2020 (Amtsblatt Nr. 50 vom 10.12.2020; Stadtrecht 0/1) wird gemäß Anlage 1 erlassen.


StR Urbat (Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei) geht zunächst ein auf Beispiele in anderen Kommunen und Gremien, wie durch Anhebung der Fraktionsgröße zu verhindern versucht wurde und noch werde, kleine Parteien aus dem Rat oder Parlament - einschließlich dem Europaparlament - zu halten. Er leitet anschließend über auf die Bezirksbeiräte, die in Stuttgart nur die halbe Größe an Sitzen haben wie eine Gemeinde dieser Größe eigentlich hätte. Das Quorum, um Sitze zu bekommen, sei folglich relativ hoch und somit sei es für kleine Parteien und Gruppen besonders schwierig, dort vertreten zu sein. Aus diesem Grunde habe man gemeinsam mit der PULS-Fraktionsgemeinschaft im Antrag Nr. 83/2022 beantragt, diese Änderung in der Hauptsatzung nicht vorzunehmen, sondern es beim Alten zu belassen. Um es scharf zu formulieren, "könnte man auch von Machtmissbrauch der großen Fraktionen sprechen an der Stelle".

StR Puttenat (PULS) ergänzt, die GRÜNEN hätten ihren Antrag "Stärkung der Demokratie" betitelt, was für ihn nicht nachvollziehbar sei, denn Demokratie sei Vielfalt und auch das Engagement der Leute vor Ort. Weil Bezirksbeiräte der Einstieg in die Kommunalpolitik seien, sei es gut, dass die vielfältigsten Leute sich dort engagieren, und nicht richtig, diesen Leuten Steine in den Weg zu legen. Er fordert die GRÜNEN dazu auf, sich an ihre eigenen Anfänge zu erinnern, anstatt selbst zu einem Rasenmäher zu werden, der die Graswurzeln abrasiert. Es gebe Gründe, warum sich Stuttgarter*innen nicht großen und größeren Parteien anschließen wollen, und dennoch Politik im Kleinen machen wollen, für die Nachbarschaft, für die Vielfalt ihrer Stadt. Dies sei legitim und sei Demokratie vor der eigenen Haustür.

StR Pitschel (90/GRÜNE) unterstreicht gegenüber den Antragstellern: "Wir nehmen niemandem etwas weg!" Die Debatte dazu habe man bereits im Zuge der Hauptsatzungsreform vor anderthalb Jahren geführt und diesen Antrag besprochen, positiv beschlossen. Man mache nur jetzt nochmals eine Änderung, weil man nicht in die bestehenden Bezirksbeiräte eingreifen wolle, sondern alle Änderungen nach der Kommunalwahl 2024 gelten werden. Niemand heute wisse, wie der Gemeinderat nach der Kommunalwahl 2024 zusammengesetzt sein wird und welche Fraktionszusammenschlüsse es geben wird. Deswegen mache es keinen Sinn zu diskutieren, wer profitiert, wer verliert, sondern man sollte hier nur darüber diskutieren, was ist demokratisch und was ist gerecht.

Zum Antrag Nr. 83/2022 merkt er an, es sei für jeden offenkundig, dass im aktuellen Rat die maßgeblichen Profiteure dieser Zusatzregelung die ehemals zweitstärkste und die drittstärkste Fraktion in diesem Gemeinderat sind. Durch das Auszählverfahren gingen innerhalb der Fraktionszusammenschlüsse praktisch alle Sitze in den Bezirksbeiräten an die größere Partei oder Liste des Zusammenschlusses. Beispielhaft führt er die CDU/Kein Fahrverbot an, wo alle Zusatzsitze an die CDU gegangen seien und keine einzige an "Kein Fahrverbot". An diesem Beispiel sei erkennbar, dass Fraktionszusammenschlüsse auch innerhalb einer Wahlperiode eine relativ volatile Sache sind. Diese schließen sich am Anfang zusammen und danach werden die Bezirksbeiräte besetzt. Dann aber werde auch gerne munter gewechselt oder verändert. So habe man aktuell den Fall, dass die Stadträte der LINKEN sich auf mehrere Fraktionen verteilen, während die Stimmen, die die LINKE gewonnen hat, alle bei der Fraktionsgemeinschaft SÖS-LINKE bei der Berechnung der Zusatzsitze landen. Dies sei für ihn und auch für viele Bürgerinnen und Bürger kein nachvollziehbares Verfahren.

Zum Thema Direktwahl der Bezirksbeiräte verweist er auf die zahlreichen dazu geführten Diskussionen. Es gebe gute Gründe dafür, aber es gebe auch gute Gründe dagegen. Weil es im Antrag jedoch um die kleinen Wählervereinigungen gehe, so sei ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass eine Direktwahl der Bezirksbeiräte für kleine Listen absolut fatal wäre. Diese hätten viel Mühe und Aufwand, ihre 60 Kandidatinnen und Kandidaten für eine Gemeinderatswahl aufzustellen. Wenn sie eine Liste nicht voll bekommen, so gehen überproportional viele Stimmen verloren: "Wenn wir die Bezirksbeiräte direkt wählen, muss jede Liste, jede Wählervereinigung, um vollständig anzutreten, 386 Kandidatinnen und Kandidaten in dieser Stadt aufstellen! Bei 20 Listen, die wir zur letzten Kommunalwahl hatten, würde das bedeuten, wir brauchen in dieser Stadt, um vollzählig anzutreten, 7.720 Kandidatinnen und Kandidaten, die sich für so ein Amt zur Verfügung stellen!"

Was die Aussage im Antrag angeht, die kleinen Listen würden durch diese Änderung der Hauptsatzung im Vergleich zum Gemeinderat in den Bezirksbeiräten unterrepräsentiert sein, so zeige diese, "dass Sie das Wesen unserer kommunalen Demokratie und der Bezirksbeiräte nicht verstanden haben. Denn unsere Bezirksbeiräte sind keine lokalen Dependancen vom Gemeinderat, sondern es ist die gewählte Bürger*innen-/
Einwohner*innen-Vertretung der Menschen, die dort wohnen in den Stadtbezirken gegenüber Gemeinderat und Verwaltung. Und deswegen bestimmen auch nur die Einwohnerinnen und Einwohner der Stadtbezirke mit ihrer Stimme bei der Kommunalwahl, wie die Bezirksbeiräte zusammengesetzt sind, und niemand sonst." Den eingebrachten Änderungsantrag werde man daher ablehnen und die Vorlage wie eingebracht beschließen.


StR Kotz (CDU) schließt sich den Ausführungen seines Vorredners an. Er halte den Änderungsantrag Nr. 83/2022 für ziemlich vermessen und begründet dies mit der Betrachtung des Wählerwillens bei der letzten Kommunalwahl 2019. Dort habe StR Urbat von den Wählerinnen und Wählern 16.721 Stimmen bekommen, StR Gottfried 14.229, StR Puttenat "eine Ecke mehr, aber immer noch nicht wirklich viele". Von der CDU-Liste hätten hingegen alle 60 Kandidatinnen und Kandidaten mehr als doppelt so viele Stimmen jeweils auf sich vereinigt und von den Wählerinnen und Wählern bekommen wie jeder der gerade Genannten. Bei den GRÜNEN und bei der SPD verhalte es sich ebenso. Folglich erfahren die kleinen Listen und Gruppierungen eine ungeheure Bevorzugung durch das Kommunalwahlrecht und keine Benachteiligung. "Und deswegen muss es nicht auf diese unglaubliche Bevorzugung der kleinen Listen, die so ist und die wir akzeptieren, dann nochmal eine Bevorzugung oben draufgeben, falls Ihr Euch zu irgendwelchen Gruppierungen zusammenschließt. Und natürlich muss man solche Entscheidungen auch machen losgelöst von der Frage, ob man jetzt irgendwann mal selber davon profitiert oder nicht, sondern was demokratisch und grundsätzlich richtig ist. Und deswegen ist die CDU-Fraktion dafür, die Vorlage heute zu beschließen."

Nach Meinung von StR Perc (SPD) gibt die heutige Diskussion "Anlass zu emotionaler Vergewisserung, was Demokratie eigentlich bedeutet". Er begrüße daher, darüber außerhalb von Wahlen zu diskutieren, weil solche Debatten wichtig seien dann zu führen, wenn man nicht vor Augen hat, ob das einem persönlich oder der eigenen Gruppierung Vor- oder Nachteile verschafft. Ihm falle es schwer zu sagen, dass Baden-Württemberg eine Benachteiligung von kleineren Listen hat. Vielmehr habe die Landesregierung eine Änderung des Auszählungsverfahrens beschlossen, die kleinere Listen stärker zum Tragen kommen lasse. Die Konsequenzen habe StR Kotz soeben dargestellt. Er befürworte es, nicht eine reine Mehrheitswahl zu haben, sondern dass die Pluralität, die sich in einer Stadtgesellschaft abbildet, auch ihren Niederschlag in einem Gremium wie dem Gemeinderat findet. Es sei gut, dass es die Möglichkeit gibt, dass Wählervereinigungen sich zu Fraktionen zusammenschließen können, um besser arbeiten zu können. Daraus jedoch abzuleiten, dass dieser Zusammenschluss sich wiederfinden muss in den Bezirksbeiräten, verkenne die lokalen Bedingungen der Wahl der Bezirksbeirätinnen und Bezirksbeiräte, die die Vertretung der Einwohnerinnen und Einwohner vor Ort seien, aber nicht das Spiegelbild des Gemeinderats vor Ort abbilden sollen. Deswegen werde mit der Änderung der Hauptsatzung wie in der GRDrs 140/2022 vorgeschlagen der Wille der Wählerinnen und Wähler am Wahlabend möglichst genau abgebildet. Alles, was danach vollzogen wurde - der nachträgliche Zusammenschluss von Listen - finde keine Berücksichtigung.

Aus seiner Sicht arbeiten die Stuttgarter Gemeinderätinnen und Gemeinderäte sehr gut miteinander zusammen. Es sei eine enorme Vielfalt verschiedener Positionen, Ideen, Visionen, auch was die Zukunftsfähigkeit und die Ausrichtung der Stadt angeht. Er würde es daher sehr bedauern, wenn nun ein Zungenschlag hineinkäme, man wollte dies irgendwie aufkündigen und die Macht der Großen missbrauchen. "Wenn wir wollen, dass sich der Wählerwille manifestiert in der Zusammensetzung des Bezirksbeirats, dann ist es die Respektierung dessen, was die Wählerinnen und Wähler gesagt haben. Und das ist Demokratie und nicht Machtmissbrauch!"

"Völlig unverständlich" sei dieser Antrag Nr. 83/2022 für seine Fraktion - die bekanntlich nicht zu den großen Fraktionen gehöre -, erklärt StR Dr. Oechsner (FDP). Dass die Anzahl der Sitze nach einem Schlüssel verteilt wird, sei die Form der Demokratie. So hatte in der Vergangenheit die FDP in der Hälfte der Stadtbezirke keinen Sitz, obgleich sie eine Fraktion hatte. Derzeit lasse die Landesregierung nach Sainte-Laguë/Schepers auszählen, weshalb die FDP genauso wie andere kleine Gruppierungen schon beim Auszählverfahren deutlich profitiere. Wenn nun auch noch Zusatzsitze im Nachgang obendrauf gelegt werden sollen, wenn man sich nach der Wahl zu einer Fraktionsgemeinschaft zusammenschließt, so sei dies eine Verfälschung des Wahlergebnisses und eine Neuauslegung der Demokratie. Weiter weist er darauf hin, dass die beiden antragstellenden Fraktionen aus sieben Wahlvorschlägen bestehen. "Sieben mal 60 Leute sind angetreten und haben das Ergebnis eingefahren. Im Gegensatz zu allen anderen anwesenden Fraktionen, die mit jeweils 60 Leuten angetreten sind." Der Antrag sei getrieben von eigenen Interessen und habe aus seiner Sicht nichts damit zu tun, dass man die Demokratie stärken will.

StRin von Stein (FW) teilt die Ausführungen ihrer Vorredner. Es gehe bei Kommunalwahlen auch darum, das Wahlverhalten in den Stadtbezirken deutlich zu machen. Unterschiedliche Mehrheitsverhältnisse dort sollten respektiert werden. Wenn man dieses nun verändert, weil es Überhangmandate gibt, so wäre dies aus Sicht der Freien Wähler eindeutig, den Wählerwillen in den Stadtbezirken zu verfälschen und dem Wahlwillen der Bevölkerung nicht Rechnung zu tragen. Auch sie betont, das neue Auszählverfahren habe dazu geführt, dass viele kleine Wählervereinigungen zum Zuge kommen und die Chancen gerade für kleinere Parteien und Listen sich deutlich erhöht haben. Den Antrag lehne man daher ab und stimme der Änderung der Hauptsatzung im Sinne der Vorlage gerne zu.

StR Köhler (AfD) konstatiert, man könne sich als kleine Partei eigentlich nicht beklagen, was das grundsätzliche Verfahren angeht. Insofern habe man großes Interesse daran, dass "diese merkwürdigen hybriden Vereinigungen, die sich da gebildet haben, nicht derartig profitieren." Den Änderungsantrag Nr. 83/2022 werde man folglich ablehnen.

Aus Sicht von StR Urbat hat der Gesetzgeber vor einigen Jahren mit Sainte-Laguë/Schepers das einzig gerechte Zuteilungsverfahren eingeführt. Es führe durchaus dazu, dass kleinere Gruppierungen bessere Chancen haben, Sitze zu gewinnen, sei aber die einzige mathematisch korrekte Abbildung des Wählerwillens. Zu hoffen sei, dass der Gesetzgeber hier standhaft bleibt und dieses Verfahren beibehält. Dies sei aber klar zu unterscheiden von den Bezirksbeiräten, die zurzeit nicht direkt gewählt werden. Bei einer direkten Wahl würde es zutreffen, dass die Kleinen eindeutig im Nachteil sind. "Wir würden das aber in dem Fall in Kauf nehmen, weil wir das als eine echte Stärkung der Demokratie empfinden würden an der Stelle." Heute sei es so, dass künstlich die Bezirksbeiräte kleiner gehalten werden als es sonst bei Ortschaften üblich wäre, sodass das Quorum, das entsteht, höher ist. Dadurch sei es für kleinere Vereinigungen schwieriger hineinzukommen. Deswegen sei es auch völlig egal, welche kleinen Gruppen antreten werden bei der nächsten Wahl, denn für jede kleine Gruppe werde die Chance, beim nächsten Mal Sitze zu bekommen, wenn sie sich mit anderen zusammenschließt, geringer gegenüber heute.

Mit Blick auf die Konstanz von Fraktionsgemeinschaften warnt er davor, den Wechsel eines Stadtrats während zwei Amtsperioden aufzubauschen und zu verallgemeinern. Vielmehr seien sieben Stadträte von drei Gruppierungen der FrAKTION wiedergewählt worden, sodass von Volatilität nicht gesprochen werden könne. Auch gebe er zu bedenken, dass - wollte man dem Argument, man würde den Wählerwillen verfälschen, folgen - dann die Parteien auf Landes- und Bundesebene auch vorher schon sagen müssten, mit wem sie koalieren.


Nachdem die Rednerliste abgearbeitet ist, lässt OB Dr. Nopper zunächst über den Antrag Nr. 83/2022 abstimmen. Er stellt fest, dass dieser Antrag mit 9 Ja-Stimmen und 44 Nein-Stimmen mehrheitlich abgelehnt ist.

Weiter informiert er, dass nach § 4 Abs. 2 der GemO für Baden-Württemberg die absolute Mehrheit aller Mitglieder des Gemeinderates für die Beschlussfassung über einen Satzungsbeschluss gebraucht werde. Dies seien - unabhängig von der Zahl der tatsächlich anwesenden Mitglieder - 31 Stimmen. Abschließend stellt er fest:

Der Gemeinderat beschließt mit 44 Ja-Stimmen und 0 Nein-Stimmen einstimmig wie beantragt (9 Enthaltungen).

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