Protokoll: Gemeinderat der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
853/2014 Neufassung
GZ:
StU
Sitzungstermin: 26.03.2015
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Kuhn
Berichterstattung:-
Protokollführung: Frau Gallmeister
Betreff: Stuttgarter Konzeptverfahren
Grundsatzbeschluss für eine neue Verfahrensweise
bei der Ausschreibung und Vergabe städtischer Grund- stücke an Bauträger mit Vorrang der Konzeptqualität

Vorgang: Ausschuss für Umwelt und Technik vom 24.02.2015, öffentlich, Nr. 53

Ergebnis: Vertagung

Ausschuss für Umwelt und Technik vom 17.03.2015, öffentlich, Nr. 79

Ergebnis: einmütige Zustimmung

Ausschuss für Wirtschaft und Wohnen vom 20.03.2015, öffentlich, Nr. 24

Ergebnis: einmütige Zustimmung bei 3 Enthaltungen mit Ergänzungen, die bis zur Sitzung des Gemeinderats am 26.03.2015 in schriftlicher Form vorliegen werden


Beratungsunterlage ist die Vorlage des Referats Städtebau und Umwelt vom 25.03.2015, GRDrs 853/2014 Neufassung, mit folgendem

Beschlussantrag:

Zur Schaffung bezahlbaren Wohnraums, zur planerischen Qualifizierung des innerstädtischen Wohnens und zur Sicherung einer nachhaltigen Programmatik in neuen Stadtquartieren sollen bei der Vergabe öffentlicher Grundstücke an Bauträger Konzeptverfahren zur Anwendung kommen.
Das Konzeptverfahren sieht eine Ausschreibung und Vergabe städtischer Grundstücke mit Vorrang der Konzeptqualität vor. Die von Bietern eingehenden Gebote umfassen Konzepte und Kaufpreise. Bei der Bewertung konkurrierender Gebote sollen

Konzeptqualität zu 70 % und der Kaufpreis zu 30 %

ins Verhältnis gesetzt werden.

Die Anwendung erfolgt auf städtischen Grundstücken ab ca. 80 Wohnungen (Prüfpflicht nach vorläufiger Potenzialeinschätzung der Zeitstufenliste Wohnen). Ausgenommen sind Verfahren gemäß § 45 BauGB (Umlegungsgebiete). Das Konzeptverfahren wird umfassend bei den Pilotstandorten NeckarPark in Bad Cannstatt, Schoch-Areal in Feuerbach und Bürgerhospital in Stuttgart-Nord angewendet. Nach Abschluss dieser Verfahren wird eine Evaluierung durchgeführt.


Die Beratungsunterlage ist dem Originalprotokoll sowie dem Protokollexemplar für die Hauptaktei beigefügt.

Zu diesem Tagesordnungspunkt liegen die folgenden zwei Anträge, jeweils mit der Stellungnahme des Herrn Oberbürgermeisters, vor: Antrag Nr. 48/2015 der Gemeinderatsfraktionen von CDU und SPD und Antrag Nr. 52/2015 der Fraktionsgemeinschaft SÖS-LINKE-PluS.


OB Kuhn erläutert, bei der Vergabe öffentlicher Grundstücke sollten in Zukunft in Stuttgart Konzeptverfahren dominieren. Dadurch würden weniger Einnahmen beim Verkauf städtischer Grundstücke erzielt, die Qualität eines Konzeptes werde aber ein wesentlicher Faktor sein. Bei der Bewertung von Angeboten werde zu 30 % der Preis und zu 70 % das Konzept ins Verhältnis gesetzt.

StR Hill (CDU) erklärt, seine Fraktion unterstütze grundsätzlich den Leitgedanken der Vorlage, dass in Zukunft bei der Vergabe größerer Grundstücke ein Konzept- verfahren vorgeschaltet wird, in dem ein potenzieller Investor darlegt, welche Vorstellungen er bezüglich der architektonischen, stadtgestalterischen, aber auch sozialen Einbindung in das Umfeld hat. Dass dies gestärkt werden solle, dokumentiere sich darin, dass der Konzeptqualität 70 % und dem Gebotspreis 30 % in der Entscheidung zugemessen werden. Er halte es auch für gerechtfertigt, dass der Gebotspreis auch in Zukunft eine Rolle spielt.

An den Vorsitzenden gewandt weist StR Hill darauf hin, dass in der Vergangenheit bei entsprechend großen Flächen der Verkauf mit dem Zwang zu einem entsprechenden Wettbewerb verbunden gewesen sei. In den Wettbewerben seien auch konzeptionelle Dinge eingefordert worden. Insofern sei das Konzeptverfahren eine Weiterentwicklung des bisherigen Verfahrens.

Zu den von der Verwaltung als Pilotvorhaben ausgewählten drei Flächen - Neckarpark, Olga-Areal und Schoch-Areal - erwarte seine Fraktion, dass Evaluationen durchgeführt werden, um im weiteren Verfahren zu bestimmen, ob die angesprochenen Mindereinnahmen sich auch wirklich in der Qualität dessen, was dort realisiert werde, umsetzen. Sollte sich herausstellen, dass das, was umgesetzt wird, sich nicht von dem unterscheide, was in der Vergangenheit gemacht wurde, bräuchte man nicht auf Einnahmen zu verzichten.

Die Preisrichtervorbesprechung zum Olga-Areal habe gezeigt, dass das in der Ursprungsvorlage formulierte Korsett zu eng gewesen sei und die Flexibilität der Gesamtbeurteilung verloren gegangen sei. Es sei deshalb positiv, dass diese Starrheit herausgenommen wurde. Er dankt an dieser Stelle StR Pätzold (90/GRÜNE) für dessen Einsatz.

Kritisch merkt StR Hill gegenüber OB Kuhn an, dass Mitglieder des Gemeinderats ursprünglich nicht im Auswahlgremium hätten vertreten sein sollen. Dies hätte zur Folge gehabt, dass der Gemeinderat mit der Entscheidung der Verwaltung konfrontiert worden wäre und diese hätte umsetzen müssen. Dass Mitglieder des Gemeinderats jetzt im Auswahlgremium vertreten sind, halte seine Fraktion für sehr gut und sie freue sich auf die Mitarbeit im Auswahlgremium.

Der heutige Beschluss sei sicher ein Schritt zu einer besseren städtebaulichen Qualität und auch zu einer Änderung in der Grundstückspolitik, bemerkt StR Pätzold (90/GRÜNE). Es gehe jetzt mehr um den Wettbewerb der Ideen, wie die Stadt aussehen solle. An manchen Stellen sei dies bereits beim Thema Baugemein- schaften praktiziert worden. Wichtig sei es, solche Prozesse immer wieder zu reflektieren, weshalb es richtig sei, das Konzeptverfahren als Pilot durchzuführen und die Erfahrungen dann auch in eine geänderte Variante umsetzen zu können. Ziel des Konzeptes sei die Gesamtheit aller Dinge und nicht die Einzelheiten. Die Herausnahme der einzelnen Unterpunkte führe dazu, dass der Gemeinderat die Möglichkeit habe, auf die verschiedenen Projekte detailliert zu reagieren und die Detailbepunktung auf das jeweilige Projekt und die Ziele, die der Gemeinderat habe, anzupassen und entsprechend zu reagieren.

Seine Fraktion sei gespannt auf die Ergebnisse und die Umsetzungen, die daraus entstehen werden, da die sich bewerbenden Investoren jetzt auch einen Aufwand hätten. Seine Fraktion sei sicher, dass sich daraus aber auch ein Mehrwert für alle ergeben wird; der Vorlage werde daher gerne zugestimmt.

Für seine Fraktion sei das Kriterium der bezahlbaren Mietwohnungen das wichtigste Kriterium, wenn es darum gehe, Wohnungspolitik in Stuttgart zu machen, betont StR Körner (SPD), da die Mieten und Preise im Bestand und im Neubau sehr stark steigen und immer mehr Menschen Probleme hätten, die Mieten bezahlen zu können. Um Mietwohnungen bezahlbar zu machen, gebe es verschiedene Möglich- keiten, z. B. öffentliche Subventionen, die Vorgabe bei städtischen Grundstücken, dass ein bestimmter Anteil neuer Wohnungen geförderte Wohnung sein müssen; auch die SWSG habe die Aufgabe, bezahlbare Mietwohnungen zur Verfügung zu stellen. Außerdem kämen aus Sicht seiner Fraktion in der bisherigen städtischen Wohnungspolitik die Wohnungsbaugenossenschaften noch zu kurz, die einen sehr wichtigen Beitrag für bezahlbaren Mietwohnraum in Stuttgart leisteten. Das Modell der Wohnungsbaugenossenschaften unterscheide sich fundamental von anderen Wohnungsgesellschaften. Im Konzept zum Wohnen des Herrn Oberbürgermeisters sei ausgeführt, dass die Wohnungsbaugenossenschaften bei der Vergabe städtischer Grundstücke angemessen zu berücksichtigen seien. Diese Auffassung teile seine Fraktion und erwarte, dass dies auch bei den Konzeptverfahren entsprechend umgesetzt wird.

Besonders positiv hervorheben wolle er die Änderungen, auf die von seinen Vorrednern hingewiesen wurde. Seine Fraktion hoffe auf die weiteren Diskussionen bis zum 30.06. und dass man bezüglich der Wohnungsbaugenossenschaften noch weiter vorankommen werde. Seine Fraktion sei der Auffassung, dass dies dringend erforderlich sei, um auf dem schwierigen Stuttgarter Wohnungsmarkt zu Erfolgen zu kommen.

StR Ozasek (SÖS-LINKE-PluS) legt dar, der Umgang der Stadt Stuttgart und des Gemeinderats mit kommunalem Grund und Boden habe aus Sicht seiner Fraktionsgemeinschaft erheblichen Anteil daran, dass sich seit Jahren die soziale Spaltung in Stuttgart sukzessive verstärke. Erhebliche Teile der Bevölkerung könnten sich nicht mehr am "völlig überhitzten" Wohnungsmarkt versorgen. Seit dem Jahr 2000 habe die Verwaltung durch die Privatisierung städtischer Flächen nach dem Höchstpreisprinzip im Regelfall ca. 800 Mio. € erlöst. Dem stünden zwar Flächenkäufe - Gleisvorfeld und Güterbahnhof in Bad Cannstatt - im Gegenwert von knapp 500 Mio. € gegenüber, jedoch stünden diese Areale größtenteils heute nicht zur Verfügung. Ohne eine juristische Klärung der Entwidmung sei dies möglicher- weise auch in Zukunft der Fall. Auf dem A1-Areal, wo gebaut werde, sehe man die städtebaulichen Auswirkungen eines nicht integrierten, abgeschotteten Quartiers für Konsum und luxuriöses Wohnen; diese Quartiere bringe der unregulierte Markt nach dem Höchstpreisprinzip hervor und dies heile auch kein Wettbewerbsverfahren, an dem der Gemeinderat beteiligt sei.

Aufgrund der hohen Bodenpreise stiegen die Baukosten für die Bauträger immer weiter an. Preisgünstiger Wohnraum, insbesondere geförderter Wohnraum, sei so selbst für Bauträger mit niedriger Renditeerwartung - wie manchen Genossen- schaften - eigenwirtschaftlich nicht mehr darstellbar. Nur aufgrund von Zwängen wie dem Stuttgarter Innenentwicklungsmodell entstünden überhaupt noch geförderte Wohnungen. Die Vorlage zum Konzeptverfahren sei ein deutlicher Fortschritt, da Defizite in der Quartiersentwicklung durch qualitative Vergabekriterien gemindert würden. Dies finde die volle Zustimmung seiner Fraktionsgemeinschaft. Jedoch fehle eine langfristige Strategie, um Boden den Marktkräften zu entziehen und die soziale Spaltung beim Wohnen in Stuttgart zu überwinden. Die Verwaltung habe den Antrag Nr. 52/2015 seiner Fraktionsgemeinschaft, in dem beantragt werde, dass die Flächenvergabe an Bauträger ausschließlich in Form von Erbpachtver- trägen erfolgt, als optionale Variante in die Neufassung der Vorlage aufgenommen. Damit sei ein symbolisches Signal gegenüber seiner Fraktionsgemeinschaft gegeben worden, faktisch bleibe es aber beim Ausverkauf städtischen Bodens, da davon auszugehen sei, dass die Bauträger diese Option, die ihre Renditeziele mindere, nicht nutzen werden.

Der Stadtrat wirbt beim Vorsitzenden und dem Gemeinderat um Zustimmung zum Antrag seiner Fraktionsgemeinschaft für die ausschließliche Vergabe von Grundstücken nach dem Konzeptverfahren in Erbpacht. Ebenso wirbt StR Ozasek um Zustimmung zur Ziffer 4 des Antrags Nr. 52/2015, als Qualitätsmerkmal bei der Vergabe den Erhalt erhaltenswerter Bausubstanz festzuschreiben.

Seine Fraktion stehe der Grundidee der Konzeptvergabe positiv gegenüber, äußert sich StR Zeeb (FW). Das Verfahren sollte aber trotzdem stets mit Augenmaß angewendet werden. Jedes Projekt habe seine Eigenheiten und andere Rahmen- bedingungen, weshalb das Verfahren nicht zu starr angewendet werden sollte, da man sonst nicht oder nur wenig erfolgreich sein werde. Außerdem müsse darauf geachtet werden, dass das Bauen insgesamt nicht durch weitere Reglementie- rungen noch teurer wird. Die Freien Wähler würden es begrüßen, wenn über dem Konzeptverfahren als Grundlinie eine gesunde Mischung in Stuttgart stehen würde, mit möglicherweise einem Drittel Eigentumsbildung, einem Drittel gefördertem Wohnungsbau und einem Drittel Sozialwohnungen.

Zur Rolle des Gemeinderats schließt sich StR Zeeb seinen Vorrednern an. Der Gemeinderat müsse in Stuttgart den Städtebau und auch die Mindereinnahmen vertreten. Deshalb sei es gut, dass der Gemeinderat in die Entscheidungen eingebunden sei. Seine Fraktion sei gespannt, welche Erfahrungen gemacht werden; stets sei es positiv, wenn Pilotprojekte durchgeführt und erst dann endgültige Weichenstellungen getroffen würden. Seine Fraktion stimme dem Konzeptverfahren zu.

Angesichts der bisher "selten und im Ganzen nicht erreichten Ziele" der Wohnungsbaupolitik in Stuttgart sei die Vorlage nach Meinung seiner Fraktion auf jeden Fall den Versuch an den drei genannten Standorten wert, so StR Klingler (AfD). Seine Fraktion gehe davon aus, dass man mit dem Konzeptverfahren den Zielen im Wohnungsbau näher komme. In der Vergangenheit habe der Gemeinderat keine Wohnungsbaupolitik zum Nachteil der Stadt gemacht. Aber dennoch müsse angestrebt werden, neue Wege zu gehen, um die Ziele zu erreichen, vor allem in den Bereichen Städte- und Wohnungsbau; bezahlbarer Wohnraum sei ein sehr wichtiges Anliegen seiner Fraktion. Es müsse eine Mischung hinbekommen werden mit den Themen demografische Entwicklungen, Mobilität und Bauökologie. Seine Fraktion werde daher der Vorlage zustimmen.

Auch die FDP könne der Neufassung der GRDrs 853/2014 zustimmen, erklärt StR Dr. Oechsner (FDP). Es stelle sich aber die Frage, ob es im Zuge der Konzeptver- gabe tatsächlich mehr geförderten und sozialen Wohnungsbau geben wird. Eine Frage sei auch, ob der Sozialwohnungsbau überhaupt noch zeitgemäß sei, oder ob umgedacht werden müsse, weg von der Objekt-, hin zur Subjektförderung, um dadurch den Wohnungsbau vielleicht wieder anzukurbeln.

Er sei auch für die Vergabe von Flächen in Erbpacht. Nachdem es aber ein Wunschgedanke sei, dass nach einer gewissen Zeit der Heimfall automatisch angewendet werden könne, sei eine solche Variante wohl doch nicht zielführend. Die FDP sei deshalb der Meinung, dass mit der GRDrs 853/2014 der richtige Weg eingeschlagen werde und stimme der Vorlage gerne zu.

StR Dr. Schertlen (STd) hält den Antrag bezüglich der Erbpacht für positiv, geht aber davon aus, dass dieser nicht angenommen wird. Er werde in der Folge der Gemeinderatsdrucksache zustimmen, kündigt er mit der Anmerkung an, dass er die Konzeptvergabe grundsätzlich für richtig halte.


OB Kuhn stellt sodann folgende Abstimmungsergebnisse fest:

Die Ziffern 1 und 2 des Antrags Nr. 52/2015 der Fraktionsgemeinschaft SÖS-LINKE-PluS lehnt der Gemeinderat bei 9 Ja-Stimmen mehrheitlich ab.

Die Ziffern 3 und 4 des Antrags Nr. 52/2015 werden bei 8 Ja-Stimmen mehrheitlich abgelehnt.

Die GRDrs 853/2014 Neufassung beschließt der Gemeinderat bei 7 Nein-Stimmen und 1 Enthaltung mehrheitlich wie beantragt.

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2_Stuttgarter Konzeptverfahren_mit StN Rückfragen UA Wohnen.pdf