Protokoll: Gemeinderat der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
GZ:
Sitzungstermin: 28.04.2016
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Kuhn
Berichterstattung:-
Protokollführung: Frau Gallmeister
Betreff: Verhinderung der VVS-Fahrpreiserhöhung 2017
- Antrag Nr. 50/2016 der Fraktionsgemeinschaft
SÖS-LINKE-PluS vom 21.02.2016 -

Vorgang: Gemeinderat vom 17.03.2016, öffentlich, Nr. 44

Ergebnis: Zurückstellung

Verwaltungsausschuss vom 27.04.2016, Nr. 155

Ergebnis: mehrheitliche Ablehnung des Antrags (2 Ja-Stimmen, 11 Gegen- stimmen, 1 Enthaltung)


Zu diesem Tagesordnungspunkt liegen der obengenannte Antrag sowie die Stellungnahme des Herrn Oberbürgermeisters hierzu vom 10.03.2016 vor.

OB Kuhn verweist auf den genannten Antrag und das Abstimmungsergebnis im Verwaltungsausschuss (s. oben).

StR Urbat (SÖS-LINKE-PluS) erläutert im Sinne des Antrags Nr. 50/2016 seiner Fraktionsgemeinschaft. Eine Erhöhung der Fahrpreise durch den VVS sei u. a. aus Gründen der S-Bahn-Qualität nicht gerechtfertigt. Außerdem gebe es Einschränkungen bei den Stadtbahnen durch die S 21-Baustelle, die Unterbrechungen zwischen Staatsgalerie und Charlottenplatz stünden bevor. Die Kostendeckung und das Preisniveau in der Region Stuttgart seien rekordverdächtig. Bereits im Jahr 2010 habe es eine Studie gegeben, die aufgrund von Entfernungen die Höhe der Fahrkosten verglichen habe. Die Region Stuttgart lag dabei bundesweit auf Platz 2, woran sich sicherlich nichts geändert habe. Angebotsverbesserungen seien derzeit ebenfalls nicht geplant.

Für die Preiserhöhung des VVS seien diesmal ca. 2,5 % geplant. Dies sei weniger als beim letzten Mal, aber Preissteigerungen von 2 bis 3 % gebe es jedes Jahr, und diese lägen deutlich über der Inflationsrate, die zurzeit recht niedrig sei. Die Preiserhöhungen des VVS seien letztlich eine echte Belastung derjenigen, die öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Das Problem bestehe darin, dass mit einer Nutzerfinanzierung die Kostensteigerungen aufgefangen werden, d. h. die öffentliche Hand zahle real jedes Jahr weniger, da durch die Geldentwertung das Geld weniger wert sei. Eigentlich ziehe sich so die öffentliche Hand ganz unauffällig immer mehr aus der Finanzierung des ÖPNV zurück. Würden die Kosten immer nur angehoben, wäre es möglich, dass die Fahrgastzahlen zurückgehen, wie dies in Nordrhein-Westfalen festzustellen gewesen sei. Auch habe es Einbrüche bei den Öl- und Spritpreisen gegeben, die aber nur den Individualverkehr begünstigten, während im ÖPNV die Preise nur nach oben gingen. Die Zonentarifstruktur im VVS mit 52 Zonen, gegenüber drei Zonen z. B. in Nordrhein-Westfalen, sei nicht akzeptabel.

Auf Dauer könne die generelle Finanzierung nicht mehr über die Nutzerfinanzierung erfolgen, da dies viel zu teuer sei, betont StR Urbat. Benötigt würde eine Nahverkehrsabgabe; abgewartet werden müsse, ob das Land die Möglichkeit hierfür schafft. Die Hilfsfinanzierungen der Gesetzgeber in Bund und Land seien ebenfalls zurückgegangen und erschwerten den Bestandserhalt von Verkehrsmitteln. Keine Preiserhöhung und ein stärkerer Anstieg der Fahrgastzahlen wirkten sich positiv aus, da der VVS daran interessiert sei, dass mehr Menschen mit dem ÖPNV fahren. Beim Jobticket habe sich gezeigt, dass günstigere Preisangebote durchaus die Nachfrage erhöhen.

Nach Meinung seiner Fraktion sei der Antrag Nr. 50/2016 zum falschen Zeitpunkt gestellt worden, da die für 2017 geplante Fahrpreiserhöhung noch nicht bekannt ist, erklärt StR Sauer (CDU). Im Übrigen dürften sich die Aufsichtsräte von SSB und VVS auch nicht in Form eines imperativen Mandats, wie es der Antrag intendiere, vorschreiben lassen, wie sie entscheiden werden. Der Antrag sei aber auch aus mehreren Gründen inhaltlich falsch. Das Thema spiele in den Aufsichtsgremien von SSB und VVS bisher keine Rolle, sei dort seiner Meinung nach auch nicht umsetzbar, da auch die im VVS beteiligten Landkreise einer solchen Forderung nicht folgen werden. Hierfür bestehe auch kein Grund, da die geäußerte Befürchtung, dass höhere Preise zu weniger Fahrgästen führen würden, de facto nicht zutreffe. Dies belege beispielsweise das vergangene Jahr, in dem 4,9 % mehr ÖPNV-Kunden gewonnen werden konnten. Dies sei 1 % mehr, als von den SSB für 2015 prognostiziert wurde. Die höheren Kosten allen Stuttgarter Bürgerinnen und Bürgern aufzubürden, obwohl nur diejenigen etwas davon hätten, die das ÖPNV-Angebot nutzen, wäre ein falsches Signal. Im Übrigen gleiche die Stadt Stuttgart bereits heute das jährliche Defizit der SSB in einer Größenordnung von 18 bis 20 Mio. € jährlich aus dem Topf ihrer SVV-Tochter aus.

Es sei auch wichtig, dass die Fahrgäste die Kostensteigerungen zum Teil durch höhere Fahrpreise übernehmen, fährt StR Sauer unter Hinweis auf das zu berücksichtigende Mengenwachstum fort. Es gebe neue Angebote - wie das Sozialticket, Azubi-Abonnement und Jobticket oder das Seniorenticket, das mittlerweile netzweit und ohne Sperrzeit gilt -, Taktverdichtungen und neue Streckenverbindungen. Am 13. Mai werde die U 12-Verlängerung nach Dürrlewang eingeweiht, im Jahr 2019 folge die U 6-Verlängerung zum Flughafen. Die Kosten für die 1,6 km Verlängerung nach Dürrlewang betragen 22 Mio. €, für die Verlängerung an den Flughafen und die Messe mehr als 70 Mio. €.

Die CDU-Fraktion werde auch in Zukunft konsequent den Weg fortsetzen, immer mit Fahrpreiserhöhungen zusätzliche konkrete Verbesserungen im ÖPNV-Angebot zu erreichen, und sie strebe an, noch in diesem Jahr mit der übernächsten Fahrplanumstellung die Taktverdichtung der Innenstadtbuslinien bis Betriebsschluss von 30 auf 15 Minuten zu verkürzen. Weiterhin sollten auch in Zukunft Pilotprojekte umgesetzt werden, wie z. B. die zunächst zeitlich befristete Verlängerung der Buslinie 64 vom Frauenkopf über die Stelle und Geroksruhe bis zur Waldebene Ost und zum Buchwald in Stuttgart-Ost.

Gegen eine Diskussion über den Antrag Nr. 50/2016 bzw. die VVS-Fahrpreise sei im Prinzip nichts einzuwenden, meint StR Stopper (90/GRÜNE), da im Gemeinderat und den Ausschüssen sehr selten über dieses Thema diskutiert wird. Allerdings sollte dann mit Klarheit über die Zielsetzung des Antrags und die Argumente diskutiert werden. Zum Antrag, dass der Gemeinderat den Oberbürgermeister und die anderen Vertreter der Stadt und der SSB im Aufsichtsrat des VVS auffordert, den Tariferhöhungen zum 01.01.2017 nicht zuzustimmen, sei anzumerken, dass die Tariferhöhungen noch nicht feststehen bzw. beantragt oder im Tarifausschuss diskutiert wurden. Das Anliegen des Antrags sei durchaus berechtigt, da es Fahrpreise im VVS gebe, die sehr hoch seien. Es gebe aber auch andere Fahrpreise und Tarife im VVS, die durchaus attraktiv seien und sehr gut angenommen würden.

Richtig sei auch, dass die Nutzerfinanzierung im Vergleich der Verbünde und im Vergleich der Verkehrsunternehmen sehr hoch ist, gerade auch bei den SSB. Im Großstadtvergleich zeige sich, dass Stuttgart als Großstadt sich in vergleichsweise geringem Umfang an den Kosten des ÖPNV beteiligt. Dies gelte es bei weiteren Diskussionen im Hinterkopf zu haben. Die Qualitätsmängel und die Einschränkungen, auch durch die Stadtbahnunterbrechungen infolge von Stuttgart 21-Baumaßnahmen, seien Themen, die auch seine Fraktion beschäftigten, wenn es um weitere Preiserhöhungen gehe.

Die Aussage im Antrag, dass die Aussetzung der Tariferhöhungsrunde ein erster Schritt wäre, den ÖPNV in Stuttgart voranzubringen, halte er für den völlig falschen Ansatz, so StR Stopper, da durch diese Maßnahme zunächst einmal den Verkehrsunternehmen erforderliche Einnahmen entzogen würden. Dass die nachgewiesenen Kostensteigerungen über öffentliche Mittel zu erstatten seien, sei ein nachvollziehbarer Ansatz, aber die VVS-Finanzierungsregelungen seien kompliziert, weil die ÖPNV-Finanzierung insgesamt kompliziert sei. Mit dem Antrag käme man im VVS-Aufsichtsrat überhaupt nicht weiter und am Ende bestünde sogar die Gefahr, dass etwaige Kostensteigerungen durch die Landeshauptstadt allein zu tragen wären.

Was das Preisniveau betreffe, sollte man ehrlich sein, so der Stadtrat. Beim ÖPNV in der Region Stuttgart habe man insgesamt einen hohen Nachfragezuwachs und hohe Ziele für die nächsten Jahre. Dies bedeute vor allem, dass kräftig investiert werden müsse, zunächst einmal in den Erhalt des Bestandes und des Angebotes, aber auch in den Ausbau. Und hierfür würden Mittel benötigt. In dieser Situation zu suggerieren, es könne auf Fahrgeldeinnahmen in irgendeiner Weise verzichtet werden, halte er für unehrlich. Hierzu werde es in den nächsten Jahren auch nicht kommen, sondern es werde zu weiteren Preiserhöhungen kommen, allerdings müssten diese moderat und angemessen sein. Hierfür werde bei den entsprechenden Beschlüssen in den Aufsichtsräten gekämpft. So sei es in der Vergangenheit gehandhabt worden und so werde es auch weiterhin gehandhabt. Allerdings müsse sich die öffentliche Hand insgesamt stärker an der ÖPNV-Finanzierung beteiligen. Hier spreche er das Land, den Bund, aber auch die Landeshauptstadt an. Im Juni werde ein ganztägiger Workshop des SSB-Aufsichtsrats stattfinden, bei dem man sich u. a. mit dem Kapazitätsausbau und der Finanzierung beschäftigen werde. Es würden geeignete Instrumente untersucht und unter Umständen beschlossen, um den ÖPNV weiterhin attraktiv zu halten und noch attraktiver zu machen.

StR Körner (SPD) kündigt an, dass sich seine Fraktion bei der Abstimmung über den Antrag der Stimme enthalten wird, weil Stand heute noch nicht gesagt werden könne, ob dem noch gar nicht bekannten Tarifvorschlag für 2017 zugestimmt werden könne oder nicht. Seine Fraktion mache ihre Zustimmung oder Ablehnung auch davon abhängig, ob es ihr gelinge, im Fahrplan 2017 Angebotsverbesserungen durchzusetzen. Wie von StR Sauer angesprochen, wolle seine Fraktion, dass die Innenstadtbuslinien abends länger im 15-Minuten-Takt fahren als bisher. Dies sei ein sehr wichtiger Entscheidungsgrund bei der möglichen Fahrpreiserhöhung für 2017.

Zur Finanzierung generell merkt der Stadtrat an, dass es seiner Fraktion immer wichtig gewesen sei, dass das Fahren mit Bussen und Bahnen in Stuttgart auch für Leute bezahlbar bleibt, die es sich nicht so einfach leisten könnten. Ein Stück weit stolz sei seine Fraktion darauf, dass sie das Sozialticket, das sich sehr erfolgreich entwickle, mit auf den Weg bringen konnte, und dass das Azubi-Ticket im Herbst dieses Jahres kommen wird. Für die Zukunft rege seine Fraktion an, über die Einführung eines 365 €-Jahrestickets ab 09:00 Uhr nachzudenken. Dies müsse aufgrund von Nachfragen geprüft werden; seine Fraktion habe aber den Eindruck, dass die Stadt Wien mit einem ähnlichen Angebot sehr gute Erfahrungen gemacht hat.

Zum Schluss seiner Ausführungen lädt StR Körner den Gemeinderat zur Abschlussveranstaltung einer Veranstaltungsreihe seiner Fraktion zum Thema ÖPNV ein. Die Veranstaltung findet am 03.05.2016 um 18:00 Uhr im Stuttgarter Rathaus statt. Er halte dieses Thema für eine ganz zentrale Zukunftsfrage der Stadt, und es müsse noch etwas mehr getan werden als bisher.

Selbstverständlich habe auch seine Fraktion informative Gespräche zu diesem Thema geführt und die tariflichen Forderungen der Gewerkschaft ver.di angeschaut, da dies beim Thema ÖPNV dazugehöre, legt StR Zeeb (FW) dar. Bevor die Datensammlung nicht fertig sei und eine genaue Kostenermittlung vorliege, wolle seine Fraktion nicht darüber entscheiden, was richtig wäre. Die Freie Wähler-Gemeinderatsfraktion werde sich hinsichtlich der Richtigkeit der Fahrpreise daran orientieren, welche Angebotsverbesserungen darin enthalten sind. Die Beratung des Antrags halte seine Fraktion zum jetzigen Zeitpunkt für total verfrüht und könne deshalb den Antrag nicht weiter mittragen.

StR Klingler (AfD) weist zum Antrag Nr. 50/2016 darauf hin, dass Aufsichtsratsmitglieder (Oberbürgermeister, Vertreter/-innen der Stadt) kein Weisungsrecht vom Gemeinderat bekommen können. Deswegen werde der Antrag schon von der Sache her als unzulässig angesehen. Im Antrag seien Vergleiche mit Inflationssteigerung vorgenommen worden. Es sollten aber Kosten und Angebote, was in den letzten Jahren investiert wurde und jetzt sowie in der Zukunft investiert wird, verglichen werden. Man habe in Qualität und bessere Taktzeiten investiert und man habe hohe Investitionen in Netz und Fahrzeuge, und dies bei vollkommen ungeklärten Fördersätzen. Er hoffe, dass die neue Landesregierung wieder zu besseren Förderungen komme, was die Fahrzeugneuanschaffung anbelange. Bevor diese Dinge nicht bekannt seien, den Öffentlichen Personennahverkehrs-Anbietern weitere Kosten zumuten zu wollen, sei unverantwortlich. StR Klingler verweist auf die hohen Kosten für Tunnelbaumaßnahmen für die Verlängerung der Stadtbahn über den Hallschlag ins Neckartal sowie auf die Anschaffungskosten für 40 Stadtbahnzüge zur Verbesserung der Taktzeiten. Die Antragsteller müssten darlegen, woher das Geld für den ÖPNV kommen soll. Da die Stadt in vielen Bereichen vor sehr großen Herausforderungen stehe, könne der Antrag Nr. 50/2016 nur abgelehnt werden, was seine Fraktion heute auch tun werde.

StR Dr. Oechsner (FDP) hält es für gut, dass sich der Gemeinderat mit dem ÖPNV und dessen Finanzierung beschäftigt, insbesondere in einer Zeit, in der die Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs "an allen Ecken und Enden" beschnitten, unsicherer und daher auch eine Kalkulation immer schwieriger wird. Auf der anderen Seite müsse auch die Frage gestellt werden, wie viel die Nutzer am öffentlichen Nahverkehr bezahlen sollen und wie viel die öffentliche Hand, und damit die gesamte Gesellschaft, aus Steuergeldern mit einbringen soll. Über diese Fragen müsse diskutiert werden und hierzu müsse die Stadt Stuttgart auch ihren Teil beitragen. Der Gemeinderat müsste entscheiden, wie er dies für die Stadt Stuttgart gerne hätte, und dann in die Diskussion mit allen Beteiligten im VVS gehen, was den Öffentlichen Personennahverkehr angehe. Ein starker Nahverkehr sei sehr wichtig für eine urbane Struktur, aber auch für den ländlichen Bereich, damit Städte, in denen man arbeitet, besser erreicht werden könnten. Den Antrag Nr. 50/2016 werde die FDP ablehnen, da er besonders auf die Verhinderung der Tariferhöhung abziele, von der bisher noch nichts bekannt sei.

StR Dr. Schertlen (STd) erinnert an den Antrag/die Anfrage Nr. 1032/2015 "Mehr Stabilität für den S-Bahn-Betrieb" vom 07.12.2015 von der Fraktionsgemeinschaft SÖS-LINKE-PluS und von ihm. Die Antwort hieraus sei extrem ausweichend gewesen, und vor diesem Hintergrund sehe er durchaus die Möglichkeit, über den Antrag Nr. 50/2016 ein Signal an den VVS zu geben, dass die möglicherweise kommende Fahrpreiserhöhung nicht gerechtfertigt wäre, da die zu erbringende Leistung nicht stimme. Vor diesem Hintergrund könne er nur zustimmen, dass man aus dem Gemeinderat heraus ein Signal sendet, dass die nächste Tariferhöhung unter diesen Randbedingungen nicht stattfindet.


Abschließend stellt OB Kuhn fest:

Der Gemeinderat lehnt den Antrag Nr. 50/2016 bei 9 Ja-Stimmen und 8 Enthaltungen mehrheitlich ab.

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