Protokoll: Gemeinderat der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
693/2012
GZ:
WFB 9011-00.00
Sitzungstermin: 11.10.2012
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Dr. Schuster
Berichterstattung:-
Protokollführung: Frau Gallmeister
Betreff: Bürgerhaushalt Stuttgart
Verfahren zur Beteiligung der Bürger an der Aufstellung des Doppelhaushaltes 2014/2015

Vorgang:

Verwaltungsausschuss vom 26.09.2012, öffentlich, Nr. 287
Gemeinderat vom 27.09.2012, öffentlich, Nr. 167
jeweiliges Ergebnis: Zurückstellung

Verwaltungsausschuss vom 10.10.2012, öffentlich, Nr. 317
Ergebnis: mehrheitliche Zustimmung (2 Gegenstimmen)


Beratungsunterlage ist die Vorlage des Referats Wirtschaft, Finanzen und Beteiligungen vom 18.09.2012, GRDrs 693/2012, mit folgendem

Beschlussantrag:

1. Dem vorgeschlagenen Verfahren zur Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger bei der Aufstellung des Doppelhaushaltes 2014/2015 wird zugestimmt.

2. Vom Gesamtaufwand in Höhe von 160.000 Euro wird Kenntnis genommen.

Der überplanmäßig zu finanzierende Anteil in Höhe von 110.000 Euro wird im Teilhaushalt der Stadtkämmerei, Amtsbereich 201112 Finanz- und Beteiligungsverwaltung bei der Kontengruppe 44310 Geschäftsaufwendungen zusätzlich bereitgestellt. Die Deckung erfolgt aus der Deckungsreserve.

Der Anteil für die Bereitstellung und Weiterentwicklung der Online-Plattform inklusive Moderation in Höhe von etwa 50.000 Euro wird über die veranschlagten IuK-Mittel für eGovernment-Maßnahmen finanziert.


StRin Münch (90/GRÜNE) erinnert an das im Rahmen der Haushaltsberatungen 2012/2013 erstmals durchgeführte Bürgerhaushaltsverfahren. In diesen Haushaltsberatungen sei beschlossen worden, für den Bürgerhaushalt 2014/2015 einen Fortführungs- und einen Finanzierungsbeschluss zu treffen, soweit eine Evaluation durchgeführt werde und der Gemeinderat mit den Ergebnissen einverstanden sei; das Bürgerhaushaltsverfahren solle entsprechend angepasst werden.

Zu beachten seien beim Bürgerhaushalt zwei „Fixpunkte“, und zwar erstens, dass nur der Gemeinderat Entscheidungen treffe, und zweitens, dass es nur ein Haushaltsvolumen gibt, über das der Gemeinderat entscheide. Die Bürgervorschläge könnten zu einer anderen Priorisierung führen, als sie die Fraktionen in ihren Vorschlägen vorgesehen hätten, aber es würden immer die gleichen Mittel verteilt.

Die Evaluation habe als Ergebnis aufgezeigt, dass sich zu wenig Bürger am Bürgerhaushaltsverfahren beteiligt haben, so die Stadträtin. Es sei eine Parallelstruktur zu den Bezirksbeiräten und eine Entwertung von deren Arbeit befürchtet worden. Auch sei kritisiert worden, inwieweit Vorschläge, die von nur wenigen Bürgern gemacht wurden, überhaupt repräsentativ sein könnten. Durch die Umstellung des Verfahrens werde versucht, mehr Bürger über Bürgerversammlung und über Mediatoren in die Vorschlagsdiskussion einzubeziehen. In der Öffentlichkeitsarbeit und in den Bezirken solle mehr für die Beteiligung am Bürgerhaushaltsverfahren geworben werden. Auch die Bezirksbeiräte würden insofern einbezogen, als Vorschläge, die in den jeweiligen Bezirken umgesetzt werden sollen, zunächst vom örtlichen Bezirksbeirat bewertet und diese Bewertungen dann auch den Gemeinderäten vorgelegt werden.

Ihre Fraktion stimme dem Finanzierungs- und Fortführungsbeschluss des Bürgerhaushaltsverfahrens 2014/2014 zu, kündigt StRin Münch abschließend an.

Seine Fraktion sei erfreut darüber, dass mit dem Bürgerhaushalt neben vielen anderen Möglichkeiten der Bürger - z. B. über persönliche Gespräche, Initiativen, Mitgliedschaft in Vereinen - ein zusätzliches Instrument geschaffen wurde, mit dem Menschen Vorschläge für die Haushaltsberatungen einbringen können, erklärt StR Kotz (CDU). Deutlich gemacht werden müsse allen Beteiligten dabei, dass die Entscheidung und Verantwortung für den Stadthaushalt der Gemeinderat habe. Erfreulich sei es, dass mit dem Bürgerhaushaltsverfahren eine weitere Möglichkeit bestehe, in den Dialog mit den Bürgern zu treten und deren Anliegen zu gewichten und aufzunehmen. Dass dies für den Doppelhaushalt 2014/2015 mit geringeren Kosten möglich sei, da die einmalige Investition bereits bei den letzten Haushaltsberatungen getätigt wurde, freue seine Fraktion ebenfalls, da hierdurch der Haushalt entlastet werde. Seine Fraktion sei gespannt, wie sich das gemeinsam erarbeitete Konzept entwickeln wird und stimme der Vorlage zu.

StR Reißig (SPD) bedankt sich bei den anderen Gemeinderatsfraktionen, dass in den letzten Monaten die Optimierung des Bürgerhaushalts gemeinsam konstruktiv vorwärtsgebracht worden ist. Der eingeschlagene Weg sollte seiner Meinung nach weiterverfolgt werden. Positiv bewertet der Stadtrat die vorgesehene frühzeitigere Öffentlichkeitsarbeit und den Einsatz von Multiplikatoren. Ein gutes Signal sei hierbei, dass seines Wissens bereits mehr Interessenten sich gemeldet haben als Plätze für Schulungen zur Verfügung stehen. Sehr wichtig sei seiner Fraktion die stärkere Einbeziehung der Stadtbezirke und insbesondere der Bezirksbeiräte. Seiner Fraktion sei es sehr wichtig, dass eine breite Beteiligung der Bürger stattfinde und dass dabei eine sozial strukturelle Ausrichtung stattfindet, die gewährleiste, dass keine Abhängung gewisser Bevölkerungsschichten stattfindet. Seine Fraktion sehe der Entwicklung des nächsten Bürgerhaushalts mit Erwartung entgegen.

StR Zeeb (FW) weist auf die ablehnende Haltung seiner Fraktion zum Bürgerhaushalt hin. Im Unterausschuss arbeite seine Fraktion zwar konstruktiv und kritisch mit, eine grundsätzliche Zustimmung sei seitens seiner Fraktion zum Bürgerhaushalt aber nie geäußert worden. Die Ablehnung komme daher, dass durch das Bürgerhaushaltsverfahren bei den Bürgerinnen und Bürgern völlig falsche Vorstellungen erweckt werden könnten. In Stuttgart bestehe eine funktionierende Basisdemokratie bis in die Bezirke hinein und es gebe vorbildliche und ausgeprägte Stadtteilstrukturen; jede Bürgerin und jeder Bürger könne sich an die Mitglieder des Bezirksbeirats wenden, die für seine Belange zuständig seien. Die Bezirksbeiräte könnten dann die Wünsche begutachten und priorisieren und in Prioritätenlisten an den Gemeinderat weitergeben, der dann in einer Gesamtabwägung entscheide, was im Haushalt angestrebt werden sollte.

Da die Verantwortung für den Haushalt beim Gemeinderat liege, würde er die für das Bürgerhaushaltsverfahren benötigten Mittel lieber an anderer Stelle investieren. Den Bürgern sollte nicht mehr versprochen werden, als nachher gehalten werden könne, schließt der Stadtrat seine Ausführungen ab.

Seiner Fraktion habe der Bürgerhaushalt einiges an Erkenntnis gebracht, bemerkt StR Klingler (FDP). Es gehe darum, die Bürgerinnen und Bürger mit ihren Wünschen stärker mit einzubeziehen. Bedauerlich sei es, dass nur 8.983 Bürgerinnen und Bürger sich am Bürgerhaushalt beteiligt hätten. Hier sehe seine Fraktion einen wichtigen Ansatzpunkt, nämlich die Bürgerinnen und Bürger mehr zu informieren und zu motivieren, dass sie sich noch stärker am Bürgerhaushaltsverfahren beteiligen. Bedanken müsse man sich auch beim Leiter der Stadtkämmerei, Herrn Schaible, und dessen Team, die gute Arbeit geleistet haben.

Positiv bewertet StR Klingler, dass bereits im Dezember 2012 mit der Öffentlichkeitsarbeit begonnen werden soll, dass mehr Werbung gemacht und die Bezirksbeiräte stärker mit einbezogen werden. Die Fraktionen würden dann rechtzeitig über die Wünsche der Bürgerinnen und Bürger Bescheid wissen und könnten sich damit auseinandersetzen.

Da sich die FDP seit langer Zeit für mehr direkte Demokratie einsetze, sehe seine Fraktion den Bürgerhaushalt als einen sehr wichtigen Faktor, um künftig die Stuttgarter Bürgerschaft noch mehr an den Planungen der Stadt zu beteiligen. Seine Fraktion werde daher der Beschlussvorlage „mit Freude zustimmen“.

StRin Küstler (SÖS und LINKE) kündigt die Zustimmung ihrer Fraktionsgemeinschaft zur Vorlage an. Nach Meinung von SÖS und LINKE habe man Fortschritte gemacht zum einen deshalb, weil bei den letzten Haushaltsberatungen mit dem Bürgerhaushalt begonnen worden sei, und zum anderen durch die Evaluation und die gemachten Erfahrungen. Der Bürgerhaushalt trage dazu bei, dass die Stuttgarter Bevölkerung daran mitwirken könne, wie die Stadt gestaltet wird. Da dies über den Haushalt geschehe, sei die Einflussnahme auf den Haushalt deswegen nach Meinung ihrer Fraktionsgemeinschaft ein ganz zentrales Anliegen. Die Zahl der Bürgerinnen und Bürger, die am Bürgerhaushalt mitgewirkt haben, erscheine zwar nicht sehr hoch, im Vergleich mit anderen Städten schneide Stuttgart aber nicht schlecht ab. Es handle sich um einen guten Anfang, der mit einer relativ kurzen Vorbereitungsphase erzielt worden sei.

Wichtig sei ihrer Fraktionsgemeinschaft beim Bürgerhaushaltsverfahren, dass auch die dezentrale Organisation der Stadt weiter gefördert und gestärkt wird. Von Bedeutung sei die Zusammenarbeit mit den Bezirksbeiräten und den Bezirksvorsteherinnen und Bezirksvorstehern, die auch weiterentwickelt werden sollte. Ebenso wichtig sei die Zusammenarbeit mit den engagierten Bürgerinnen und Bürgern. Die Stadträtin verweist hierzu auf einen Antrag ihrer Fraktionsgemeinschaft, dass der Arbeitskreis, der sich bei der Volkshochschule gebildet hat, zur weiteren Beratung über die Auswertung und über die Fortentwicklung eingeladen wird. Ihre Fraktionsgemeinschaft wünsche, dass der Arbeitskreis weiterarbeitet; für die Zukunft werde erwartet, dass das Bürger-haushaltsverfahren in den Stadtbezirken gut durchgeführt werden könne und dass der Gemeinderat sich bei den nächsten Haushaltsberatungen auf zahlreiche gute Vorschläge aus den Bezirken stützen könne.

Zur Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger hält es StRin Küstler für notwendig, dass der Internetauftritt „barrierefrei“ gemacht wird und dass auf Veranstaltungen den Menschen, die sich mit der Formulierung von Anträgen schwertun, Formulierungshilfen gewährt werden.

Der Bürgerhaushalt ist nach Meinung von StR Dr. Schlierer (REP) im Hinblick auf eine verstärkte Bürgerbeteiligung wünschenswert, da die Chance bestehe, dass dadurch auch die Akzeptanz der Gemeinderatsentscheidungen wächst. Die Anregungen aus dem Kreis der Personen, die sich an den Vorschlägen beteiligt haben, stellten für die Gemeinderatsmitglieder eine gewisse Anregung, Orientierung, vielleicht auch eine gewisse Kontrolle der eigenen Vorschläge dar. Insoweit werde der Bürgerhaushalt sicherlich insbesondere dann, wenn der zeitliche Ablauf früher einsetze und entsprechend entzerrt werde, einige Wirkung haben können. Ob die vorgesehenen Maßnahmen zu einer wesentlich höheren Beteiligung führen werden, müsse abgewartet werden. Nachdem es beim ersten Bürgerhaushaltsverfahren auch Bürger gegeben habe, die enttäuscht waren, dass ihre mit viel Energie eingebrachten Vorschläge nicht berücksichtigt wurden, müsse darauf geachtet werden, dass beim Bürgerhaushalt keine Erwartungshaltung hervorgerufen wird, die nachher nicht bedient werden kann.

Da es beim ersten Bürgerhaushalt eine ganze Reihe sachfremder und zum Teil auch ideologischer Anregungen allgemeinpolitischer Art gegeben habe, hielte es StR Dr. Schlierer für wünschenswert, wenn eine Möglichkeit gefunden würde, diese Vorschläge im Vorfeld zu kanalisieren, um zu verhindern, dass Anregungen kommen, die ganz offensichtlich nichts mit dem Haushalt zu tun haben oder unter Umständen Kostenträger berühren, die mit der Kommune nichts zu tun haben.

Der Bürgerhaushalt diene gewissermaßen der Orientierung und der Anregung, aber es könne auch die Frage aufgeworfen werden, ob er die entsprechenden Haushaltsmittel wert sei, da es sich nicht um unwesentliche Kosten handle. Bei aller Begeisterung über Bürgerbeteiligung werde man bei der künftigen Entwicklung auch die Frage stellen müssen, ob es sinnvoll ist, einen Bürgerhaushalt stetig auch vom Mittelansatz und vom Aufwand her auszubauen, wenn die Beteiligung dann nicht in einer entsprechenden Weise wachse.

Er werde der GRDrs 693/2012 zustimmen, erklärt der Stadtrat mit der offenen und kritischen Anmerkung, dass es sich für ihn nicht um eine Entscheidung in dem Sinne handle, dass „das sozusagen ein selbstfahrender Zug ist“, sondern dass vor jeder Haushaltsberatung sehr genau darauf geschaut werden müsse, ob die Entwicklung tatsächlich das bringe, was jetzt auch an Investitionen notwendig sei.


Abschließend stellt OB Dr. Schuster fest:

Der Gemeinderat beschließt bei 6 Gegenstimmen mehrheitlich wie beantragt.

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