Protokoll: Gemeinderat der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
397/2022 Neufassung Ergänzung zur Neufassung (Tischvorlage)
GZ:
OBM
Sitzungstermin: 27.07.2022
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Dr. Nopper
Berichterstattung:
Protokollführung: Frau Faßnacht
Betreff: Klimaneutralität 2035

Vorgang: Ausschuss für Klima und Umwelt vom 08.07.2022, öffentlich, Nr. 25
Ergebnis: ohne Votum mit Maßgabe der Einarbeitung der Anregungen in die GRDrs 397/2022 und Veränderung Beratungsverlauf

Ausschuss für Stadtentwicklung und Technik vom 19.07.2022, öffentl., Nr. 229
Ergebnis: Zurückstellung bedingt durch das Ergebnis des AKU

Verwaltungsausschuss vom 20.07.2022, öffentlich, Nr. 249
Ergebnis: Zurückstellung bedingt durch das Ergebnis des AKU, veränderter Beratungslauf

Ausschuss für Stadtentwicklung und Technik vom 26.07.2022, öffentl., Nr. 271
Ergebnis: Einbringung der GRDrs 397/2022 Neufassung

Verwaltungsausschuss vom 27.07.2022, öffentlich, Nr. 287
Ergebnis: mehrheitliche Zustimmung (1 Nein-Stimme) zum modifizierten
Beschlussantrag (GRDrs 397/2022 Ergänzung zur Neufassung (Tischvorlage)




Beratungsunterlage ist die Vorlage des Herrn Oberbürgermeister vom 27.07.2022, GRDrs 397/2022, Ergänzung zur Neufassung (Tischvorlage) mit folgendem

Beschlussantrag:

1. Mehr Ehrgeiz beim Klimaschutz

Die als Tischvorlage im Sitzungssaal ausliegende Beratungsunterlage ist dem Originalprotokoll sowie dem Protokollexemplar für die Hauptaktei beigefügt.

Der Vorsitzende schickt seiner inhaltlichen Stellungnahme voraus, man habe sich auf eine Redezeit von jeweils 7 Minuten für die Verwaltung, für die Fraktionen und Fraktionsgemeinschaften sowie für den Jugendrat verständigt.

Mit dem heutigen Beschluss zum neuen Klimaneutralitätsziel 2035 wolle man einen riesigen Schritt in Sachen Klimaneutralität nach vorne machen, so OB Dr. Nopper weiter. Vor kurzem habe das Ziel für die Landeshauptstadt Stuttgart noch 2050 gelautet. Beim Land Baden-Württemberg liege das Ziel beim Jahr 2040, beim Bund beim Jahr 2045. Das Klimaneutralitätsziel der Landeshauptstadt Stuttgart sei sehr ambitioniert und erfordere Höchstleistungen im Klimaschutz in und für Stuttgart. Frei nach Hermann Hesse gelte: "Man muss das Unmögliche versuchen, um das Mögliche zu erreichen." Das neue Klimaneutralitätsziel erfordere nicht nur Einigkeit im Rat. Es erfordere, dass die ganze Stadtgesellschaft und die Wirtschaft für dieses große Ziel gewonnen werden. Dies gelinge nur, "wenn wir nicht polarisieren, sondern überzeugen. Es wird nur funktionieren, wenn wir versöhnen statt spalten. Es wird nur funktionieren, wenn wir Klimaschutz nicht mit Verbissenheit und mit moralischem Imperativ betreiben. Es wird nur funktionieren, wenn wir die Bedürfnisse, die Sorgen und Nöte der Menschen ernst nehmen. Das wird nur funktionieren, wenn wir sozial- und wirtschaftsverträglich handeln."

Man habe eine Gesamtverantwortung für Klima und Umweltschutz und für eine florierende Wirtschaft mit sicheren Arbeitsplätzen. Die Leistungsfähigkeit der Stadt für viele Aufgabenbereiche - gerade auch für den Klima- und Umweltschutz - hänge an der Leistungsfähigkeit der Wirtschaft. Deswegen dürfe man die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft gerade auch im Interesse des Klima- und Umweltschutzes nicht aus dem Auge verlieren und müsse alles dafür tun, um wirtschaftlich stark zu bleiben.

Die Entscheidung für ein neues Klimaneutralitätsziel sei verbunden mit einer Kapitaleinlage an die Stuttgarter Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft (SVV) in Höhe von 100 Mio. EUR aus Mitteln des städtischen Haushalts in Anbetracht des guten Haushaltsergebnisses 2021. Damit wolle man im Wesentlichen erreichen, dass die Stadtwerke Stuttgart (SWS) weit mehr als bisher investieren können in erneuerbare Energien. Die SWS sollen Motor der Energiewende sein und noch mehr werden. Das Amt für Umweltschutz und das Beratungsunternehmen McKinsey seien sich einig, dass Stuttgarts Weg zur Klimaneutralität vor allem bei Strom und Wärme stattfindet, denn 84 % der CO2-Emissionen entstehen im Wärme- und Stromsektor. Mit dieser Kapitaleinlage und mit zusätzlichen Fremdmitteln können bis zu rund 300 Megawatt Leistung aus erneuerbaren Energien aufgebaut und damit bis zu 100.000 Stuttgarter Haushalte mit Strom aus erneuerbaren Energien versorgt werden. Sie bedeute auf dem Weg zur Klimaneutralität einen Meilenstein, und sie bedeute auch eine Kurskorrektur, weil die Stadtwerke seit 2016 nur 13 Mio. EUR in erneuerbare Energien investiert haben. Dies sei zu wenig, um das neue Klimaneutralitätsziel erreichen zu können. Gleichzeitig wolle und dürfe man das Klimaschutzengagement bei der SSB nicht aus dem Auge verlieren, "denn beide - Stadtwerke und SSB - sind wichtig für den Klimaschutz, und beide sitzen in einem Finanzierungsboot, das den Namen SVV trägt".

Klimaschutz dürfe nicht nur gut gedacht und gut gemeint sein, Klimaschutz müsse vor allem auch gut gemacht und konkret umgesetzt werden bei der Stadtverwaltung, bei den städtischen Eigenbetrieben und ihren Beteiligungsgesellschaften, aber auch in der Wirtschaft und durch die Wirtschaft, gerade auch durch das Handwerk. Deswegen sollen gemeinsam mit den Organisationen des Handwerks in Stadt und Land mehr Fachkräfte für die klimaschutzrelevanten Handwerksberufe begeistert werden. Das klimaschutzrelevante Handwerk habe ein enormes Potenzial für lokale Wertschöpfung, es sorge für Energiesicherheit und auch für die energetische Unabhängigkeit des Landes.

Um Stuttgart bis 2035 klimaneutral zu machen, seien gewaltige Investitionen erforderlich. Nach den vorliegenden Prognosen seien es 11 Mrd. EUR in 13 Jahren. Es sei extrem viel Geld, welches die Stadt samt ihren Eigenbetrieben und Beteiligungsgesellschaften, vor allem mitsamt SSB und Stadtwerken, investieren müssen. Es sei vor allem aber viel Geld, das die Bürgerinnen und Bürger sowie die Unternehmen in Stuttgart investieren müssen, damit dieses große Klimaschutzziel erreicht werden kann. Nach Einschätzung des von der Stadt zur Erstellung eines Klimafahrplans beauftragten Beratungsunternehmens McKinsey rechnen sich diese Investitionen. Sie amortisieren sich bereits um das Jahr 2040 herum. Die Investitionen seien darüber hinaus vor allem Investitionen für einen starken Klimaschutzbeitrag in und für Stuttgart sowie für eine gute Zukunft der Stadt. Klimaschutz sei eine große kommunale Gemeinschaftsaufgabe von Stadt, Wirtschaft und Stadtgesellschaft. "Stuttgart kann, soll und muss einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Lassen Sie uns zur Tat schreiten für mehr Klimaschutz und für deutlich mehr Tempo in Sachen Klimaneutralität - nicht gegen die Stadtgesellschaft, sondern mit vereinten Kräften gemeinsam mit Wirtschaft und Stadtgesellschaft!"

Aus Sicht von StRin Rühle (90/GRÜNE) kann die Absicht, sich heute im Rat darauf verständigen zu wollen, Stuttgarts Klimaneutralität von 2050 auf 2035 vorzuziehen und dies voraussichtlich mit einer übergroßen Mehrheit beschließen zu können, durchaus als Meilenstein bezeichnet werden. Es sei das Bekenntnis, in einer großen Mehrheit deutlich mehr für den Klimaschutz und gegen den Klimawandel tun zu wollen. Dies sei alternativlos, und dafür kämpfen die GRÜNEN seit über 40 Jahren. So habe man 2019 unter OB Fritz Kuhn ein 200 Mio. EUR schweres Programm "Weltklima in Not" beschlossen und mit Finanzmitteln hinterlegt, von denen jedoch bisher leider zu wenig abgeflossen seien. Mit diesem Paket habe man auch beschlossen, dass die damaligen Ziele bei neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen überprüft werden. Dies sei mittlerweile der Fall, Hitzesommer und Energiekrise tun ihr Übriges. Die erneute Anpassung mit dem Ziel, 15 Jahre früher die Klimaneutralität zu erreichen, sei daher nur folgerichtig, ambitioniert und richtig wichtig.

Das Problem der Vorlage sei, dass ihr die dringend notwendige Verbindlichkeit fehle, vor allem aber fehle der Mut, deutlich zu machen, worum es geht, was auf dem Spiel steht und was jetzt - nicht irgendwann - dringend notwendig ist. Zudem sei der Oberbürgermeister auf die große Bedeutung dieses Beschlusses schon mit einer Pressemitteilung letzte Woche eingegangen, ohne dass diese Vorlage vorher in den Rat eingebracht worden wäre. Die Vorlage sei "allerdings nicht eine, die die Stadtgesellschaft mitnimmt oder mitreißt", weil zentrale Aussagen zur Notwendigkeit des Klimaschutzes fehlen, zur großen Aufgabe der Transformation und zu zentralen Themenkomplexen, die es noch abzuarbeiten gelte. Auch in der dritten Überarbeitung mute die Vorlage
eher an "wie ein Gemischtwarenladen". Die Stadträtin übt Kritik an den Vorgängerversionen und hebt hervor, dass die nun zur Beschlussfassung vorliegende Ergänzung zur GRDrs 397/2022 Neufassung dank eines gemeinsamen Antrags der GRÜNEN, FDP, FrAKTION und PULS neue Impulse, vor allem aber eine Verbindlichkeit bekommen habe. Denn die Investitionssumme von rund 500 Mio. EUR für die klimagerechte Sanierung städtischer Gebäude sei bereits im Haushalt finanziert. Die im letzten Haushalt getroffene Entscheidung, die städtischen Liegenschaften in den nächsten zehn Jahren energetisch auf Vordermann zu bringen, bestätige sich angesichts der Energiekrise und Russlands Krieg gegen die Ukraine als umso richtiger und wichtiger. Jedoch müsse man dringend ins Tun kommen: "Wir haben eine Vorlage, die auch schon Priorisierung gesetzt hat, was wir auch gleich sofort noch dieses Jahr umsetzen können. Da brauchen wir nicht auf den Herbst zu warten!"


Nur mit einem sehr großen finanziellen Einsatz und nur wenn die gesamte Stadtgesellschaft auf diesem Weg mitgenommen werden kann, könne man es erreichen, 2035 klimaneutral zu sein. Daher begrüße ihre Fraktion sehr, dass die meisten Punkte des oben genannten Antrags komplett oder modifiziert in die Vorlage übernommen wurden. Eine wichtige Stellschraube sei der Wohnungsbestand in der Stadt. Angesichts der steigenden Energiekosten sei eine klimagerechte Sanierung auch eine soziale Notwendigkeit. Private Wohnungseigentümer*innen, Hauseigentümer*innen, Hauseigentümergemeinschaften stellen einen großen Teil des Wohnungsbestandes in Stuttgart. Daher sei es, um wirklich klimaneutral zu werden, besonders wichtig, hier mit der EBZ zusammenzuarbeiten und mit den Stadtwerken zusammen als Stadt diese privaten Eigentümer darin zu unterstützen.

Als ganz entscheidend für den Erfolg des Beschlusses erachte man die Verbindlichkeit, die man sich selber setzt in dieser Frage. Es brauche daher ein Monitoring wie bei den Haushaltsberatungen mit einem CO2-Budget anstatt mit einem Euro- und-Cent-Budget, um damit die Entscheidungen zu überprüfen. Es brauche die Angabe der Prüfung und die transparente Darstellung der CO2-Emissionen auch auf den Drucksachen analog zu den finanziellen Auswirkungen. Nur dadurch werden die Auswirkungen der Beschlüsse auf das Klima im Entscheidungsprozess transparent und dem Klimaschutz werde ein größerer Stellenwert im Verwaltungshandeln eingeräumt. Dies enthebe nicht, eine Abwägung und eine politische Entscheidung zu treffen, doch wisse man dann auch, was es bezogen auf das Klima kostet. Mit dem Beschluss zur Vorlage "Weltklima in Not" habe der Gemeinderat 2019 bereits beschlossen, dass die Angabe der Auswirkungen auf den Klimaschutz verpflichtend eingeführt wird. Diesbezüglich sollte es eine Vorlage geben mit Bewertungsmodell und Leitfaden für die Anwendung. Diese sei dem Gemeinderat jedoch trotz mehrfacher Nachfrage noch nicht vorgelegt worden. Ihre Fraktion erwarte diese gespannt für den Herbst.

Auch das Thema CO2-Restbudget sei zentral, um sich an den verbleibenden Restmengen zu orientieren. Dank des Antrags werde ebenfalls im Herbst dies noch mal genau beziffert und im Zusammenhang mit den Klimaneutralitätszielen der Stadt besetzt. Natürlich müssen bis zum Herbst weitere Umsetzungskonzepte für die Maßnahmen der Studie ausgearbeitet werden. Es brauche Zielvorgaben für den Beitrag der Stadtwerke zur Klimaneutralität, es brauche konkrete Angebotsverbesserungen bei der SSB nach Darstellung der jeweiligen verkehrlichen Wirkungen und der finanziellen Bedarfe. Ihre Fraktion erwarte gerade bei der Verkürzung der Abendtakte eine spürbare Verbesserung. Der ÖPNV sei das Rückgrat der Verkehrswende und damit elementar grundlegend auch für den Klimaschutz.

Auf den großen Schritt heute müssen weitere folgen und die Zeit laufe. Zum Schluss malt die Stadträtin ein Bild "Stuttgart im Jahre 2035, wenn die Maßnahmen umgesetzt sind" und zeigt sich überzeugt, dass dann kein Mensch sich zurück in die heutige Zeit wünschen wird.

StR Kotz (CDU) äußert sein absolutes Unverständnis zum vorausgegangenen Wortbeitrag. Er betont, es sei nicht der Ansatz seiner Fraktion, diese größte Aufgabe der Menschheit mit so wenig Begeisterung und mit so wenig Freude anzugehen. Auch hält er fest, dass die GRÜNEN gemeinsam mit anderen Fraktionen aufgrund ihrer Kritik an der Ursprungsvorlage einen umfassenden Änderungsantrag formuliert haben. Zu verweisen sei außerdem auf die heute Morgen stattgefundene Sitzung des Verwaltungsausschusses, wo gerade Elemente der Verbindlichkeit bei den vom Oberbürgermeister konkret vorgeschlagenen Maßnahmen zum Ausbau und zur Stärkung des ÖPNV auf Antrag der GRÜNEN aus der Vorlage gestrichen wurden. Im Änderungsantrag fänden sich zudem keine Vorschläge zu mehr Elan und Weitsicht, die durchaus darin hätten formuliert werden können.

Was das große Ziel der Klimaneutralität 2035 angeht, so schlagen zwei Herzen in seiner Brust. Die heutige Beschlussfassung bedeute nicht weniger, als die Energieversorgung der Stadt um 180 Grad zu drehen von fossilen Energieträgern auf 100 % regenerativ. "Man fragt sich einerseits, schafft man das? Haben wir genug Argumente? Sind die Pläne detailliert genug, dass wir zustimmen können?" Andererseits könne man eine so große Aufgabe niemals angehen und werde sie auch niemals schaffen, wenn man nicht einmal mutig vorangeht im Sinne, wie es der Oberbürgermeister beschrieben hat. Eine weitere Besonderheit bei der heutigen Entscheidung sei, dass man, anders als sonst, wo der Gemeinderat es selber in der Hand hat, wofür er Geld ausgibt, heute einen flammenden Appell an die Stadtgesellschaft richtet: "Geht mit uns diesen Weg, packt es mit uns an!" Man wolle das tun, was man als Gemeinderat tun kann, doch von den 11 Mrd. EUR, die investiert müssen in Stuttgart, könne die Stadt selber nur einen kleinen Bruchteil leisten. Man wolle ein guter Dienstleister für die Privaten sein, ein guter Motivator für die Unternehmen, ein begeisternder Mitnehmer für die Verbände und Organisationen in dieser Stadt, um das miteinander hinzubekommen.

Der Stadtrat weist auch darauf hin, dass der Gemeinderat auf dem Weg bis 2035 weitere Projekte beschließen wird, die für sich gesehen nicht unbedingt klimafreundlich oder klimaverbessernd sind, sodass eine Abwägung getroffen werden muss. Man werde gut daran tun, dann nicht jedes Mal gesagt zu bekommen, dies widerspricht dem Beschluss zur Klimaneutralität 2035, weil dies der Thematik nicht gerecht werde.

47 % der großen Aufgabe, welcher man sich heute stelle, liegen im Strombereich. Deswegen müsse ein kräftiger Ausbau in Windenergie und in Photovoltaik folgen. Der Großteil davon müsse, weil es an Möglichkeiten auf Stuttgarter Gemarkung fehle, außerhalb Stuttgarts sein. Weitere 37 % lassen sich im Wärmebereich erreichen. Die Stadt müsse die privaten Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer an die Hand nehmen, Vertrauen aufbauen und viel besseren Service bieten. Die Botschaft müsse lauten: "Wir machen das mit euch gemeinsam". Wenn man die Menschen in dieser Stadt mitnehmen und sie begeistern will für den Klimaschutz und für diese große Aufgabe, der man sich im Rat heute verschreiben werde, und weil nur 14 % im Verkehr liegen, mache es keinen Sinn, den Menschen gleich in den ersten Stunden zu sagen, diese 14 % im Verkehr sind am Wichtigsten. Die Mobilität sei das Thema, wo die unterschiedlichsten Meinungen am stärksten sind. "Jetzt lasst uns erst mal Schwung bei über 84 % aufnehmen. Und dann werden wir auf dem Weg zu 2035 auch noch diese 14 % leisten!"

Zum Thema Wetterextreme vertritt StR Kotz die Meinung, man müsse Stuttgart natürlich schützen vor klimatisch bedingten Gefahren, die trotz aller Anstrengungen in dieser Stadt bestehen bleiben. Das Klima sei ein weltweites Phänomen, und Stuttgart wolle seinen Beitrag leisten. Dennoch sei ein klarer Appell an Länder wie China, wie Brasilien und wie Indien zu richten, dass auch diese ihre Hausaufgabe machen müssen. Die CDU-Fraktion freue sich in aller Form darauf, diese Aufgabe, bei der auch ganz viel Technik zum Einsatz kommen werde, anzugehen. "Wir freuen uns auf einen heute großen und einstimmigen Beschluss und auf die nächsten Jahre, damit Stuttgart seinen Beitrag dazu leisten kann!"

Auch StR Dr. Jantzer (SPD) betont die Bedeutung des heutigen Beschlusses, der den Rat hinsichtlich notwendiger Investitionen in den nächsten 10 bis 15 Jahren in hohem Maße binden werde. Die SPD-Gemeinderatsfraktion freue sich, dass der Gemeinderat die von ihr schon lange gestellten Anträge zum Klimaziel 2035 und zur Stärkung der Stadtwerke mit dem heutigen Beschluss aufgreift.

Bezugnehmend auf die McKinsey-Studie und die beschriebene Herausforderung geht er ein auf die nur 2 % der in Stuttgart verbrauchten Endenergie, die im Stadtgebiet erzeugt werden. Somit überrasche es nicht, dass McKinsey hier ein großes Handlungsfeld identifiziert und eine Verhundertfachung der Photovoltaikflächen in Stuttgart bis 2035 vorschlägt. Dies sei eine riesige Aufgabe angesichts der Schwierigkeiten, überhaupt Handwerker zu finden. Die Maßnahme trage aber unmittelbar dazu bei, die Abhängigkeit von Energieimporten zu reduzieren. Dazu brauche es die Mitwirkung der gesamten Stadtgesellschaft. So brauche es zum Beispiel die privaten Dächer von Gebäuden und Industriehallen in Stuttgart zur Erzeugung von Solarstrom und -wärme. Insbesondere für ältere Eigentümer*innen seien hierfür Unterstützungsangebote der Stadt notwendig, die ein Mitwirken möglich machen. Darüber hinaus brauche es viele junge Menschen, die sich als Klima-Azubis an der Umsetzung beteiligen wollen. "Elektriker, Solarteure, Heizungsbauer, Dachdecker, Stuckateure, Baufacharbeiter und viele mehr sind Berufe mit Zukunft, die uns helfen, die Energiekrise zu überwinden. Herr Oberbürgermeister, wir erwarten von Ihnen, dass Sie bei den vielen öffentlichen Auftritten in unserer Stadt wo immer möglich junge Menschen motivieren, bei der Umsetzung des Klimafahrplans zu helfen und diese Berufe zu ergreifen!"

Die noch größere Herausforderung liege aber in der klimaneutralen Bereitstellung von Heizenergie und Wärme und warmem Wasser. Die Menschen in Stuttgart müssen wissen, ob und wann in ihrem Quartier ein klimaneutrales Nah- und Fernwärmenetz möglich sein wird. Gemäß der aktuellen Planung der Bundesregierung werde bereits 2024 ein 1:1-Austausch fossiler Heizanlagen nur noch mit Ausnahmeregelungen oder Leasingmodellen möglich sein. Somit stehe man im Bereich der Wärmeplanung unter einem gewaltigen Zeitdruck. Laut Maßnahmenpaket 7 der McKinsey-Studie soll der Aufbau neuer klimaneutraler Wärmenetze angegangen werden. Die Stadtwerke müssen dafür mithilfe des 100 Mio. EUR-Pakets regenerative Wärmequellen, vor allem Wärme aus dem Neckar, aus Abwasserleitungen und Erdwärme in großem Maßstab erschließen und den Haushalten mittels Wärmenetzen zuführen. Vor allem für verdichtete Quartiere in der Stadt brauche es kollektive Lösungen für die klimaneutrale Wärmeversorgung.

Seine Fraktion werde besonders auf eine sozial gerechte Ausgestaltung aller Maßnahmen achten und habe Vorschläge dazu in einem Antrag formuliert. Wichtigster Baustein sei die Einrichtung eines sozialpolitischen Expert*innenrats mit Vertretern der Liga der Wohlfahrtspflege und des Mietervereins. Unter den Folgen der Wetterextreme leiden vor allem die ärmeren Bevölkerungsschichten in verdichteten Wohnquartieren, in kleinen Wohnungen, ohne Garten. Genau diese Menschen sorgen sich vor den zusätzlichen Belastungen durch diesen Klimafahrplan. Man sei daher überzeugt, dass eine breite Akzeptanz dieses Handelns Voraussetzung ist für einen gelingenden Klimafahrplan. Die McKinsey-Studie zeige auch, dass insbesondere die Wärmewende und die Sanierung von Gebäuden ohne staatliche Zuschüsse zu verteuerten Mieten führen werden. Nicht nur der Bund, sondern auch die Stadt müsse daher ihren finanziellen Beitrag leisten, um unzumutbare Mietsteigerungen und Belastungen von Vermietern zu verhindern. Jede Bürgerin und jeder Bürger dieser Stadt müsse davon überzeugt sein und überzeugt werden, dass Klimaschutz und Klimaanpassung auch persönlich eine gute Zukunft verspricht.

In der Beschlussvorlage werde die Verwaltung beauftragt, eine geeignete Umsetzungsstruktur vorzulegen. Der Oberbürgermeister sei persönlich darin gefordert. Die SPD-Fraktion empfehle die Nutzung externer Berater und Prozessbegleiter, um eine schlagkräftige Organisation zu schaffen mit klaren Verantwortlichkeiten, mit konkreten Mitwirkungspflichten der Ämter und mit einer klaren Aufgabenabgrenzung der einzelnen Projekte und Maßnahmen. Auch die Information und Einbindung der Stadtgesellschaft und der Unternehmen sei laut McKinsey eine Kernvoraussetzung für das erfolgreiche Gelingen und Erreichen der Klimaziele. Sobald die detaillierten Maßnahmenpakete abgestimmt und ausdiskutiert vorliegen, erwarte man einen bindenden Klimavertrag mit allen beteiligten Stakeholdern der Stadtgesellschaft. Hierzu seien auch Einwohnerversammlungen erforderlich. Für heute freue man sich auf das förmliche Unterzeichnen des neuen Klimaneutralitätsziels.

StR Rockenbauch (FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei) hebt hervor, die FrAKTION unterscheide sich in ihrer heutigen Freude darin, dass sie tatsächlich Grund dafür habe, weil man als Fraktionsgemeinschaft wie keine andere in diesem Rat für diesen Tag gearbeitet habe. Sie habe 7 Anträge gestellt seit 2019 und jedes halbe Jahr die Nivellierung des Klimaneutralitätsziels auf die Tagesordnung gezwungen. Heute nun endlich beschließe man ein Klimaneutralitätsziel, wie es die Wissenschaft seit Jahren schon fordert, dass 2035 der Minimalkonsens sein muss. Man freue sich, dass heute auch der CDU-Oberbürgermeister für die Klimaneutralität 2035 plädiert, wohingegen Alt-OB Kuhn die Latte niedriger gehalten habe. Wenn nachher dann alle dieses Klimaneutralitätsziel 2035 unterschreiben, so mute dies aus Sicht der CDU "ein bisschen an wie der Pakt mit den roten Teufeln hier im Rathaus". Natürlich werde man als ökologisches und soziales Gewissen bei jeder Entscheidung zum Prüfstein machen, ob es einzahlt auf die Klimaneutralität und ob es sozial gerecht stattfinden wird. Man freue sich bereits diebisch darauf, die CDU und manchmal vielleicht auch die SPD daran zu erinnern, dass weniger mehr ist: weniger Beton, weniger Tunnel, weniger Straßen und weniger Parkplatz. Die FrAKTION habe bereits Anträge in Vorbereitung, wonach künftig auf 5 % der Parkplatzflächen Bäume stehen müssen, weitere 5 % müssen Abstellfläche für Fahrräder sein und weitere 5 % Abstellplätze für Lastenfahrräder.

Nach der heutigen Beschlussfassung werde es darum gehen, die Verwaltung in die Lage zu versetzen, dass sie die Klimaneutralität auf die Straße, in die Häuser und zu den Menschen bringt. Den Nachtragshaushalt dürfe man deswegen nicht einfach nur im Eindruck des Krieges beschließen, sondern er müsse als Chance begriffen werden, um damit jetzt schon das Klimaneutralitätsziel umzusetzen. Der Stadtrat kündigt an, für die Verwaltung mehr Ressourcen zu beantragen und ein starkes Klimareferat, "das auf der Bürgermeisterbank mit breiter Schulter sitzt und nicht gleichzeitig mehrere Themen wie Stadtentwicklung, Verkehr und Wohnen bearbeiten muss, sondern allein für Klima und Klimaanpassung dort sitzen wird". Die FrAKTION werde auch dafür kämpfen, dass in den Haushaltsberatungen nicht nur Geld der Maßstab ist, sondern dass bei jeder Entscheidung die Klimafolgekosten transparent aufgelistet werden und man dann auch das eine oder andere Großprojekt nicht nur wegen den Kosten streicht, sondern auch wegen seiner Klimafolgekosten.

Er wirbt dafür, die Menschen gemeinsam für die schnellere Umsetzung des Fußverkehrskonzepts zu begeistern, für den schnelleren Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur, für die Lebenswerte Innenstadt und für den Ausbau des ÖPNV. All dies müsse vor 2035 geschehen. Er sei überzeugt davon, dass sich die Menschen für die Verkehrswende begeistern lassen, wenn die Ticketpreise nicht erhöht werden, sondern der Nahverkehr in Zukunft perspektivisch kostenlos ist. In der Energiewende könne man die Menschen begeistern, wenn dafür gesorgt wird, dass sie kostengünstigere Energien haben. Ein Großteil der Energiewende sei die Wärmewende. Die Stadtwerke müssen befähigt werden, schnell jegliches Erneuerbare-Energie-Potenzial anzugehen und von dort Wärmenetze zu den Haustüren der Menschen zu legen, damit die dann kostengünstige Energie beziehen können - und auch eine Energie, für die nicht Kriege geführt wird. Darüber hinaus werde man die Menschen auch gewinnen müssen in den Bereichen Konsum und Ernährung. Ein weiteres To-do für den Herbst sei, über die Bauwirtschaft zu reden.

OB Dr. Nopper habe in seinem Redebeitrag einen Wirtschaftsvorbehalt vor dem Klima gemacht. Solange man jedoch eine solche Politik macht, habe man es mit dem Klima letztlich nicht begriffen. "In dieser Stadt und in diesem Land ist genug für alle da. Wir müssen es nur umverteilen. Und da verbindet sich die Klimagerechtigkeit mit der sozialen Umverteilung. Wenn wir das ernsthaft in unserer Stadt angehen, dann gehört es dazu, dass die Nahverkehrspreise sinken, dass die Preise bei den Kitas sinken, dass die Preise bei den Bädern sinken. Und dafür dann an anderer Stelle die Menschen, die wirklich groß einzahlen im Energieverbrauch mit ihren Viert-, Fünftautos auch mal ordentlich Parkplatzgebühren in unserer Stadt zahlen." Entsprechende Anträge lägen bereits vor. Die FrAKTION freue sich auf die kommende Zeit, denn die eigentliche Arbeit, gemeinsam am Klimaziel 2035 zu arbeiten, beginne ab heute.

StR Dr. Oechsner (FDP) zieht angesichts der heutigen Beschlussfassung den Vergleich zu Harry Potter, "weil es schon eine Art Zauberei ist, die wir heute machen. Es ist deshalb eine Art Zauberei, weil es ab heute nur noch 13 Jahre, 5 Monate und 4 Tage sind bis zu dem Ziel, welches man heute beschließen will". Es sei wie eine Achterbahn, bei der man am Anfang immer weiter und weiter hochfährt und dann die Notwendigkeit besteht, wieder herunterzufahren - hier den CO2-Ausstoß. Dabei habe man bereits einen Weg zurückgelegt, doch werde es - wie bei einer Achterbahnfahrt - auch wieder dazu kommen, dass man mal wieder hochfährt - hier das CO2-Budget. Er warne davor, zu sagen, wir müssen jetzt alles lassen auf diesem Weg. Sondern der Rat müsse entscheiden können, auch wenn es zu viel CO2 ist, wenn notwendig z. B. ein Schulgebäude bauen zu lassen. Gut und richtig sei es daher, die Antragspunkte 1 b und 1 c in den Beschlussantrag aufgenommen zu haben.

Er halte die Vorlage für viel besser, als StRin Rühle sie dargestellt hat, so der Stadtrat. Man habe sie mit dem interfraktionellen Antrag noch deutlich nachgeschärft. Das, was mit der Tischvorlage heute vorliege, sei die Grundlage, auf welcher alle gemeinsam die Diskussion aufbauen können und man sich gemeinsam auf den Weg machen kann - trotz unterschiedlicher Meinung zum Weg, zu Parkplätzen und Autos. Die CDU freue sich zu Recht darüber, dass die Wirtschaft in Stuttgart gut läuft, denn ohne die finanziellen Mittel könne man nicht den ÖPNV besser ausbauen. Natürlich sei es immer sehr einfach zu sagen, "es gibt genug Geld", wenn man es nicht aus dem eigenen Geldbeutel zahlen muss.
Abschließend weist er darauf hin, dass die FDP schon viel früher ein Umweltprogramm hatte als die GRÜNEN, nur habe man es nicht erreicht, es durchzuziehen. Sein Dank gehe an die GRÜNEN, "an Martin Körner, dass er die Geduld hat, diese Vorlage so aufzubauen", an den Oberbürgermeister, weil er dies angegangen hat. Jetzt müsse es darum gehen, die zur Verfügung stehenden 225 Mio. EUR ganz schnell auf die Straße zu bringen, um in 13 Jahren, 5 Monaten und 4 Tagen tatsächlich klimaneutral zu sein.

StR Ozasek (PULS) lenkt den Blick auf den durch viele Feuer und Dürre derzeit besonders dramatischen Zustand der Erde und auf die dadurch bedingte Not vieler Menschen sowie auf die daraus resultierenden Folgen. Weltweit könne man beobachten, "wie multiple Krisen ineinandergreifen, wie Regionen und Demokratien beginnen, sich zu destabilisieren, weil die Energiesystemwende zu lange aktiv blockiert wurde … Fossile Energie ist eine politische Waffe und Erdgas keine Brücke in eine Erneuerbare-Energie-Welt". Aus dieser Perspektive heraus sei es ein unverzeihlicher Fehler, dass die EnBW Lieferverträge für US-Fracking-Gas bis zum Jahr 2046 abgeschlossen habe und ihre Kraftwerke entlang des Neckars auf Erdgas umrüstet. Gasheizungen seien ein veritables Armutsrisiko in Stuttgart geworden, denn explodierende Energiekosten treffen die Schwächsten der Gesellschaft mit voller Wucht.

Heute nun aber sei ein kleiner Funke Hoffnung da, weil sich der Gemeinderat der Landeshauptstadt Stuttgart zum Klimaabkommen von Paris bekennt und sich verpflichtet zur Klimaneutralität 2035. Dies sei fürwahr ein symbolischer und ein historischer Beschluss. Man habe ein gemeinsames Ziel, aber einen zweifelhaften Fahrplan. Um diesen Plan, die erforderlichen Maßnahmen und Ressourcen und über die Frage, wieviel Stahlbeton, wieviel Versiegelung fruchtbarer Böden, wie viele politische Wunschprojekte des Straßenbaus, Tunnel, Konzerthäuser oder Sportstadien als Klima-Hypothek noch vererbt werden dürfen, werde man weiter gemeinsam streiten müssen. Die Bauwirtschaft, auf die fast 40 % der globalen Emissionen entfallen, werde von McKinsey kaum erwähnt. Ohne die Bauwende jedoch - das zirkuläre Bauen, die Kreislaufökonomie - und ohne den Kulturwandel hin zu klimagerechtem, klimasensiblem Planen und Bauen werde globaler Klimaschutz scheitern.

Bis heute Vormittag habe der Gemeinderat um die Beschlussvorlage gerungen. Das Ergebnis sei ein politischer Kompromiss, der trägt. Entscheidend sei die Ausstattung der Stadtwerke mit einer Kapitaleinlage von 100 Mio. EUR, die kombiniert mit Fremdkapital Investitionen in Erneuerbare-Energie-Projekte und urbane Energiesysteme in der Größenordnung von bis zu 400 Mio. EUR auslösen könne. Dies sei eine vielversprechende Anschubfinanzierung, wenngleich deutlich mehr nötig sein werde. Auch die SSB werde deutlich mehr Geld benötigen, weswegen man zum Jahreswechsel intensiv ringen müsse um die Frage einer solidarischen Nahverkehrsabgabe.

Künftig werden bei allen klimarelevanten Ratsentscheidungen die Klimafolgen bemessen und im Rahmen eines CO2-Restbudgets einem Monitoring unterzogen. Zugesagt sei außerdem die Prüfung der vor- und nachgelagerten sogenannten Scope 3-Emis-sionen bei Infrastrukturvorhaben. Diesen CO2-Fußabdruck der Infrastrukturen sichtbar zu machen, sei für PULS ein entscheidendes Anliegen. Auch die soziale Verträglichkeit im Sinne der Klimagerechtigkeit müsse zwingend Berücksichtigung finden. So seien insbesondere mit der Wohnungswirtschaft Vereinbarungen zu treffen, um wirtschaftliche Härten abzuwenden, die aus der energetischen Gebäudesanierung resultieren können. Dabei sollte das Ziel der Warmmietenneutralität angestrebt werden und der KfW 40-Standard. Darüber hinaus werde man über serielle fabrikmäßige Gebäudesanierung sprechen müssen, um die Sanierungsquote auf 4,3 % zu steigern. Als gutes Beispiel verweist er auf das "Energiesprong"-Prinzip der Niederlande.

Klar sei auch, dass Stuttgart ein neues Gesicht erhalten werde. Ziel müsse die grünblaue Schwammstadt sein: ein schützendes Blätterdach über den Plätzen, offene Bachläufe, eine grüne Gebäudehaut und entsiegelte Flächen. Die vielen leeren Dächer müssen Solaranlagen und Dachgärten aufnehmen, Windenergieanlagen und Wärmespeicher werden weithin sichtbar sein, und die vielen Stadtgeländewagen müssen den Radfahrenden Platz machen. Stuttgart benötige zudem endlich einen Hitzeaktionsplan, für den er seit bereits fünf Jahren werbe, um vor allem vulnerable Gruppen zu schützen.

"Klimaschutz ist ein Generationenvertrag, den wir einlösen müssen. Ohne die Dekarbonisierung aller Lebensbereiche wird Stuttgart mit gigantischen Klimarisiken konfrontiert sein. Unsere Lebensweise und die Produkte unserer hiesigen Industrie dürfen nicht kommenden Generationen die Grundlage für ein gutes Leben entziehen. Stuttgart muss im globalen Maßstab gerechtigkeitsfähig werden, deshalb wird es nicht ohne Suffizienz gelingen. Heute fassen wir ein historisches Ziel, aber den Mut, den Weg zur klimagerechten Stadt zu beschreiten, müssen wir in der kommenden Dekade aufbringen. Ich hoffe, alle, die heute unterzeichnen, haben dies auch verstanden."

Für die Freien Wähler erinnert StR Zaiß daran, dass der Beschluss des Gemeinderats für die Erstellung eines Klimafahrplans gefasst wurde, bevor Russland die Ukraine überfallen hat. Auch Deutschland bekomme die drastischen Auswirkungen dieses Kriegs zu spüren. Gaslieferungen aus Russland seien unsicher. Mit Blick auf den nächsten Winter stelle die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern, insbesondere die Abhängigkeit von Erdgas, Politik und Gesellschaft vor große Herausforderungen. Gleichzeitig führe der diesjährige Sommer die Klimaveränderungen deutlich vor Augen. Die aktuelle Situation mahne, unabhängig von fossilen Energieträgern und anderen Staaten zu werden. Zudem sollte man mehr in den Klimaschutz und in die Anpassung an die Klimafolgen investieren. Vor diesem Hintergrund wolle man heute das sehr ambitionierte Ziel beschließen, Stuttgart bis zum Jahr 2035 klimaneutral zu machen.

Es handle sich um eine gewaltige gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die nicht einfach nur an die Stadtverwaltung delegiert werden könne und bei der alle nach ihren Möglichkeiten mitziehen müssen. Angesichts der Dimension dieser Aufgabe seien die Freien Wähler skeptisch, ob es gelingen wird, das hochgesteckte Ziel zu erreichen. Jedoch fange man nicht bei null an: Viele Immobilieneigentümer, Wohnungsbaugesellschaften und Wohnungsbauträger, Einwohner und Einwohnerinnen, Unternehmen, Gewerbetreibende und Institutionen leisten schon seit Jahren gute Beiträge zum Ausbau der erneuerbaren Energien, bei der Energieeinsparung und beim Klimaschutz. Hierfür sage man herzlichen Dank. Dass die Bemühungen verstärkt werden müssen, zeige das eingangs Gesagte. Die Neufassung der GRDrs 397/2022 biete hierfür eine gute Grundlage und finde die Zustimmung seiner Fraktion. Besonders wichtig erscheine dabei, dass man noch mehr ins Tun kommt und dass das viele Geld, was die Stadt investieren will, dort eingesetzt wird, wo am meisten damit bewirkt werden kann. Folglich müssen bei der Auswahl der Maßnahmen, die umgesetzt werden, die effizientesten Maßnahmen an erster Stelle stehen.

Vieles werde davon abhängen, ob die Verwaltung und die Stadtwerke genügend Personal finden, um die anstehenden Aufgaben zu erledigen. Noch entscheidender werde es sein, genügend Ingenieure und Handwerker zu finden, um die nötigen Maßnahmen umzusetzen. Es sei deshalb sehr gut und extrem wichtig, dass die Stadtverwaltung zusammen mit den Stuttgarter Handwerkern neue Konzepte zur Gewinnung von Nachwuchs in den klimarelevanten Handwerksberufen entwickeln will. Gerade den jungen Leuten, die bei Fridays for Future auf die Straße gehen, rufe er zu: "Werden Sie Teil einer Praktika, die den Klimaschutz in die Tat umsetzen, werden Sie Klima-Azubi!"

Ein weiterer wichtiger Punkt sei es, die Bevölkerung auf dem Weg zur Klimaneutralität mitzunehmen und sie nicht zu überfordern. In diesem Zusammenhang verweist der Stadtrat auf seinen Redebeitrag anlässlich der Generaldebatte zum Klimaschutz vom Januar 2022 und bekräftigt seine Aussagen. Er weist darüber hinaus auf die Bedeutung einer guten Zusammenarbeit zwischen der Stadt und allen Akteuren, die zum Gelingen der Energiewende und zum Klimaschutz beitragen, hin. Seine Fraktion sei sich sicher, dass der Ausbau des Fernwärmenetzes auch wegen des lähmenden Streits mit der EnBW um das Netz nicht vorankommt. "Warum überlassen wir nicht der EnBW das Netz, um es gegebenenfalls mit Unterstützung der Stadt auszubauen?"

Er dankt der Stadtverwaltung abschließend für die Vorarbeit und für den intensiven Austausch der letzten Tage. Vor dem Hintergrund der seit Ende Februar deutlich veränderten Lage im Energiesektor müsse man bei der Energiewende schneller vorankommen. Die 100 Mio. EUR an die SVV für den Ausbau der erneuerbaren Energien seien gut angelegtes Geld. Nicht aus den Augen verlieren dürfe man bei alldem jedoch die Sehnsucht der Menschen nach Stabilität und hoher Lebensqualität. Viele Menschen scheuen Erneuerungen und Veränderungen.

StR Köhler (AfD) weist darauf hin, dass der Gemeinderat mit der heutigen Beschlussfassung zur Vorlage ohne Beteiligung seiner Fraktion an die McKinsey-Studie andockt. Die wesentlichen Inhalte der Studie befänden sich auf etwa 80 Seiten einer Power-Point-Präsentation und seien "eine Mischung aus von uns durchaus auch anerkannten Wahrheiten, teilweise Spekulationen, teilweise auch Fehlinformationen". Man könne die Studie im Detail umfangreich kritisieren, man könne sich aber auch fragen, in welchem Umfeld das Ganze stattfindet und wie realistisch die Rettung des Weltklimas auf Basis der Umgebungsbedingungen dieses Umfelds ist. Dies sei nämlich ein internationales Problem. Nicht einmal Brüssel gelinge es, eine Ausstiegslinie aus dem schlimmsten CO2-Produzenten, der Kohle, zu schaffen. Auch sei nicht davon auszugehen, dass Großstaaten wie Indien, Russland oder China durch Stuttgart ihren energiepolitischen Standortvorteil in irgendeiner Form aufs Spiel setzen lassen. Bereits auf EU-Ebene sei Deutschland relativ alleine mit seinen Rettungsbemühungen. Auch was die Atomkraft angeht zeige sich, dass die Zukunft anders kommt, als man es erwartet hatte.

Wissenschaft sei auch, "dass die Zahl der Katastrophen trotz der ausgemalten Katastrophenszenarien eben nicht zugenommen hat". In gleicher Weise habe auch die Zahl der Katastrophentoten nicht zugenommen. Auch die Märkte reagierten nicht auf den neuesten Klimabericht. Auch daran sei zu merken, dass diese ganzen Schreckensszenarien "ausschließlich politmedial heißgekocht werden. Nichts zeigt die Allianz von Medien, Politikern und einer gewissen gedanklichen Trägheit deutlicher an, als dass ausgerechnet die Protagonisten einer verfehlten Energiepolitik durch die Welt reisen und um Gas betteln, deren Ausstieg aus Kohle, Öl und Kernkraft uns genau dahin gebracht haben, wo wir heute sind". Er frage sich daher, wie man so an den Problemen vorbeireden kann in einer Bundesrepublik, in der sich die Leute ernsthafte Sorgen machen, wie sie durch den Winter kommen. Es müsse jetzt darum gehen, Deutschland schnell mit günstiger Energie zu versorgen. Dazu setze die AfD auf bewährte Techniken, die zudem mehr oder weniger CO2-neutral seien. Das eine sei die Kernenergie, das andere - die Gewinnung von Gas aus eigenen Reserven - sei nicht möglich. Stuttgart dürfe kein Experimentallbor für grünbewegte Ingenieure werden. Man sollte in Stuttgart zudem "nicht auf ein politmedial inszeniertes Amortisierungsversprechen hereinfallen, für das am Ende niemand geradestehen muss".

OB Dr. Nopper übergibt anschließend das Wort an den Vertreter des Stuttgarter Jugendrates, Herrn Mehmet Ildes. Dieser dankt für die Möglichkeit, heute als Vertreter des Stuttgarter Jugendrats im Gemeinderat zum Beschluss der Klimaneutralität 2035 zu sprechen und den Pakt später zu unterzeichnen. Er beklagt, dass viel passiert und doch nichts passiert sei, seitdem sein Jugendratskollege Leo Staritzbichler das letzte Mal im Gemeinderat gesprochen habe. "Der brutale Angriffskrieg Putins hat unser Verständnis von einem friedlichen Europa zerstört und die Verwundbarkeiten und Abhängigkeiten aufgezeigt, gefolgt von Sanktionen unbekannten Ausmaßes und notwendigen Waffenlieferungen für die Selbstverteidigung." Es sei schnell und konsequent gehandelt worden. Was den Umgang mit der Klimakrise angeht, so zitiert er António Guterres nach der Veröffentlichung des 6. Internationalen Klimawandelberichts: "Wir sind auf der Überholspur Richtung Klimadesaster unterwegs".

Die Landeshauptstadt Stuttgart sei daran nicht unbeteiligt, wurde doch ein halbes Jahr lang analysiert, wie sehr Stuttgart unter dem Klima leiden wird und wie sehr es sich lohnt, Klimaschutzmaßnahmen durchzusetzen. Letzteres lohne sich laut Prognose. Davor sei jedoch bereits klar gewesen, dass es keine andere nationale Möglichkeit gibt, als vor 2035 klimaneutral zu werden. Trotzdem seien wertvolle sechs Monate verschwendet worden. Für den Jugendrat stellten sich nun folgende Fragen: "Werden wir jetzt in Stuttgart richtig aktiv gegen die Klimakrise? Werden mit dem heutigen Beschluss des Gemeinderats die dringenden Taten und Maßnahmen auch zeitnah und konsequent umgesetzt? Werden die Maßnahmen ausreichen, um die Klimaneutralität 2035 zu erreichen?"

Es müsse der Anspruch sein in Stuttgart, auch beim Klimaschutz erstklassig zu sein. Dafür stünden nun schwierige, aber notwendige Entscheidungen an. Nach Meinung des Jugendrats gehören so viele Autos nicht zu einer lebenswerten Innenstadt. Die Innenstadt könne so viel schöner sein ohne Autos. Der ÖPNV müsse attraktiver gestaltet werden, damit die Menschen umsteigen. Hierzu habe es in letzter Zeit schon gute Entwicklungen in diese Richtung gegeben. Dazu passe auch der Antrag des Stuttgarter Jugendrats, zukünftig den ÖPNV für unter 18-Jährige kostenlos anzubieten. Auch die Umstellung von Energie und Wärme werde keine leichte sein, aber eine sehr notwendige. Man dürfe sich nicht auf nicht ausgereifte Technologien wie Wasserstoff und E-Fuels verlassen, solange sie noch nicht marktfähig sind. Deshalb dürfe man nicht mit ihnen planen, klimaneutral zu werden. Sollten sie in den nächsten Jahren reif für die Zukunft sein, so könne die Klimaneutralität sogar noch schneller erreicht werden.

Im Namen des Stuttgarter Jugendrats bittet Herr Ildes OB Dr. Nopper und die Mitglieder des Gemeinderates darum, ihren Einfluss zu nutzen, um mehr Bewegung auf Bundes- und Landesebene zu schaffen, damit ganz Deutschland bis 2035 klimaneutral ist. Ein wichtiges Thema dabei sei die soziale Gerechtigkeit. Leider seien Betroffene dieser Gruppe in der Politik unterrepräsentiert. Aus seiner Sicht ist die Frage zu bejahen, ob man überhaupt das Klima schützen kann, wenn man wenig Geld zur Verfügung hat. Dies falle den Betroffenen in einigen Situationen natürlich schwer, trotzdem kann und müsste es geschehen. Folglich sei zu berücksichtigen, dass Menschen mit weniger Einkommen beim Thema Klimaschutz unterstützt werden, z. B. indem man den ÖPNV günstiger macht und klimafreundlichere Alternativsubventionen anbietet.

Abschließend dankt er stellvertretend für den gesamten Jugendrat OB Dr. Nopper und allen Gemeinderät*innen dafür, bei diesem wichtigen Prozess, Stuttgart klimaneutral zu machen, frühzeitig beteiligt worden zu sein. Doch die Beteiligung der Jugend an wichtigen politischen Themen müsse weitergehen: Der Jugendrat sollte ein Besuchsrecht in den Gremien haben. Auch wolle man ein Rederecht im Gemeinderat haben, um nachhaltig bei politischen Entscheidungen mitwirken zu können. "Deswegen bitte ich Sie, dass wir alle zusammen jetzt handeln. Jede*r Einzelne von uns kann das Klima schützen. Aber die Stadt muss durch Gesetze und Änderungen eine Grundlage schaffen, damit wir bis 2035 klimaneutral werden. Lasst uns der Welt zeigen, dass es auch anders geht, und sie werden uns folgen. Ich will nicht, dass mein Kind irgendwann fragt: 'Papa, wieso haben die Menschen damals nichts dagegen gemacht?' Es geht um unsere Zukunft und um die Zukunft unserer Kinder. Wir vertrauen auf Sie und hoffen, dass wir in Zukunft die Welt zu einem besseren Ort machen können. Dankeschön."

StR Goller (AfD) verliest die Kernaussage einer Stuttgarter Erklärung von dieser Woche, die verfasst worden sei von einer Gruppe von 20 Professoren deutscher Universitäten, die auf einen Stopp und eine völlige Umkehr der deutschen Energiewende drängen. Er wirft dem Stuttgarter Gemeinderat vor, "inzwischen zu Gegnern des wissenschaftlichen Konsenses und zu Geisterfahrern gegen den internationalen Verstand" geworden zu sein. Er führt dies weiter aus und wirbt für eine Autarkität ausschließlich mit Kernenergie. Er warne davor, "diesen ideologisch begründeten Beschluss, der das Weltklima zu null Prozent beeinflussen wird, zu unterstützen".

Anschließend stellt OB Dr. Nopper fest:

Der Gemeinderat beschließt die GRDrs 397/2022 Ergänzung zur Neufassung (Tischvorlage) mit 51 Ja- bei 4 Nein-Stimmen (0 Enth.) mehrheitlich wie beantragt.

Im Anschluss an die Beschlussfassung, auf die ein lang anhaltender Beifall folgt, unterzeichnen

OB Dr. Nopper,
die Fraktionsvorsitzenden
StRin Rühle und StR Winter (90/GRÜNE),
StR Kotz (CDU),
StRin Meergans und StR Conzelmann (SPD),
StR Rockenbauch und StRin Halding-Hoppenheit (FrAKTION)
StR Dr. Oechsner und StRin Yüksel (FDP)
StR Puttenat und StRin Schumann (PULS)
StRin von Stein und StR Zaiß (FW) sowie
Herr Mehmet Ildes (Jugendrat Stuttgart)

folgende, von OB Dr. Nopper verlesene Erklärung:

Gemeinsam für das Klima und für Stuttgart

Stuttgart soll bis zum Jahr 2035 klimaneutral werden. Das hat der Gemeinderat der Landeshauptstadt Stuttgart am 27.07.2022 beschlossen. Gemeinsam mit allen anderen Akteuren der Stadtgesellschaft will die Landeshauptstadt Stuttgart die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um bis zum Jahr 2035 in Stuttgart Klimaneutralität zu erreichen. Die Unterzeichnenden bekennen sich zum Ziel der Klimaneutralität 2035.
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