Protokoll: Gemeinderat der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
TOP:
233
7
VerhandlungDrucksache:
749/2022
GZ:
T, WFB
Sitzungstermin: 17.11.2022
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Dr. Nopper
Berichterstattung:
Protokollführung: Frau Faßnacht fr
Betreff: Beschluss über die Errichtung einer Containeranlage zur Unterbringung von Flüchtlingen auf der Waldau, Guts-Muths-Weg 8, 70597 Stuttgart

Vorgang: Ausschuss für Stadtentwicklung u. Technik v. 15.11.2022, öffentlich, Nr. 361
Verwaltungsausschuss vom 16.11.2022, öffentlich, Nr. 422
jeweiliges Ergebnis: einmütige Zustimmung


Beratungsunterlage ist die gemeinsame Vorlage des Technischen Referats und des Referats für Wirtschaft, Finanzen und Beteiligungen vom 10.11.2022, GRDrs 749/2022, mit folgendem

Beschlussantrag:

1. Der Errichtung einer Containeranlage zur Unterbringung von geflüchteten Menschen auf der Waldau, Guts-Muths-Weg in Stuttgart-Degerloch, auf Grundlage der Darstellung in Anlage 1 wird zugestimmt. Insgesamt umfasst die Anlage ca. 110 Wohncontainer zuzüglich der erforderlichen Sanitär-, Küchen-, Aufenthalts-, Büro- und Lagermodule. Abhängig von den geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen nach dem Flüchtlingsaufnahmegesetz (FlüAG) und der damit möglichen Belegungsdichte wird Platz für 220 bzw. 330 Personen geschaffen.

2. Die Baukosten der Containeranlage (Anlage 2) in Höhe von insgesamt bis zu 9,0 Mio. EUR brutto werden im Haushaltsjahr 2023 im Teilfinanzhaushalt 230 - Liegenschaftsamt, Projekt-Nr. 7.233127 Flüchtlingsunterkünfte, Container, Guts-Muths-Weg, Ausz.Gr. 7871 - Hochbaumaßnahmen, gedeckt.

3. Der konkrete Finanzierungsmittelbedarf wird im Rahmen des voraussichtlich notwendigen Nachtragshaushaltsplans 2023 berücksichtigt. Die Verwaltung wird aufgrund der Unabweisbarkeit der Maßnahme ermächtigt die notwendigen Verpflichtungen einzugehen.

4. Das Hochbauamt wird ermächtigt alle erforderlichen Planungs- und Bauleistungen zu beauftragen. Die Ausschreibung erfolgt systemoffen und die Bauausführung wird überwiegend aus einer Hand (Generalübernehmer) erfolgen. Soweit die Kostenobergrenze aus Beschlussziffer 2 eingehalten wird, wird aus Dringlichkeitsgründen auf den Projektbeschluss und den Baubeschluss verzichtet.


StR Pantisano (Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei) äußert Sorge hinsichtlich des Umgangs mit Geflüchteten in Stuttgart und erkennt Tendenzen seitens der Stadtverwaltung, den seit vielen Jahren bewährten so genannten Stuttgarter Weg verlassen zu wollen. Er ruft zwei elementare Aussagen des Beschlusses zum Stuttgarter Weg in Erinnerung, nämlich alles daran zu setzen, um Flüchtlinge menschenwürdig unterzubringen, dezentral, möglichst in allen Stadtbezirken, in neu gebauten Unterkünften ebenso wie in angemieteten oder städtischen Wohnobjekten und soweit irgend möglich Massenunterkünfte zu vermeiden. Momentan gebe es bei dieser Frage eindeutig einen massiven Überhang im Stuttgarter Norden in der Unterbringung von Geflüchteten im Vergleich zu der Verteilung in der gesamten Stadt. Auch gebe es einen Unterschied zum Vorgehen zu 2015, als dort fast wöchentlich in Vorlagen darüber informiert wurde, wie die Menschen verteilt sind. Hinzu komme, dass die Unterbringung von Geflüchteten so sein sollte, dass eine Teilhabe am städtischen Leben möglich ist und die Unterkunftsart menschenwürdig, damit beispielsweise Flüchtlingsfreundeskreise diese Bereiche gut erreichen können. Dies bedeute Standorte eben nicht auf Parkplätzen irgendwo am Stadtrand, im Industriegebiet oder in Bereichen, wo es kein Leben gibt. Weiter kritisiert er die hier vorgesehene Unterbringung in Containern, dass weiter auf Hallen gesetzt werde und die nicht erfolgte Kommunikation mit den Nachbarinnen und Nachbarn sowie sonstigen Betroffenen, wie z. B. in diesem Fall der Sportverein. Dieser habe erst über die Presseberichterstattung erfahren, dass ein seit Jahren versprochener Sportplatz nun nicht realisiert wird. Auch dies führe dazu, dass das Zusammenleben zwischen Geflüchteten und Einheimischen dann nicht so gut klappt, wie es in den letzten Jahren erreicht wurde.

Mit Blick auf die Kosten von 9 Mio. EUR um 110 Wohncontainer aufzustellen, kommt er zurück auf den heutigen Tagesordnungspunkt 1 und seine dort gemachten Aussagen. An die Stadtverwaltung gewandt fragt er: "Warum haben wir den Weg aufgegeben, auf Systembauten zu setzen?" Selbst wenn man diese Systembauten jetzt nicht sofort aufstellen kann, erwarte er zumindest, dass die Verwaltung ein Konzept vorlegt, wie man an solche Systembauten kommt, wenn weitere solcher Orte entstehen müssen. Man wisse bereits heute, dass Geflüchtete wahrscheinlich noch über Jahre nach Stuttgart kommen werden und man angewiesen sei auf Unterbringungsmöglichkeiten. Die
FrAKTION werde der Vorlage zustimmen, weil man keine Alternative vorgelegt bekommen habe. Man erwarte aber von der Stadtverwaltung, dass sie wieder auf den Stuttgarter Weg geht und aufzeigt, wie sie in den nächsten Monaten und Jahren zu diesem Beschluss zurückkehrt.


OB Dr. Nopper macht darauf aufmerksam, dass dieser Standort keine Abweichung vom Stuttgarter Weg ist, weil sich der Standort seit 2016 bewährt habe. Auch liege der Standort nicht im Norden von Stuttgart, sondern im Süden.

StRin Rühle (B90/GRÜNE) erklärt, ihre Fraktion stimme der Vorlage selbstverständlich zu, denn man brauche dringend gute Unterbringung für geflüchtete Menschen, die nach Stuttgart kommen und möchte soweit wie möglich keine Turnhallen und andere Hallen belegen. Dafür sei dies eine weitere gute Möglichkeit. Selbstverständlich müsse man trotzdem schauen, wie mittel- und langfristig bestehende Systembauten, die es bereits in Stuttgart gibt, verlängert werden und auch, welche davon mit dauerhaftem Baurecht ausgestattet werden können. Auf der Waldau habe die Stadt genau diese Anlage kurz vor Beginn des Ukraine-Kriegs verkauft - jetzt erstelle man hier eine neue. Auch ihrer Fraktion ist wichtig, in Stuttgart langfristige Lösungen, auch solche auf Dauer zu finden. Diesbezüglich laufe bereits einiges, auch z. B. was angemietete Objekte angeht. Genau dasselbe Problem gebe es bei Menschen, die in Sozialhotels unterkommen müssen und auch dafür sei dieser Standort sehr gut geeignet. Weil der Bedarf also bleiben werde, könne ein Abbau der Plätze nicht im Sinne der Stadt sein. "Wir müssen jetzt schauen, wie können wir kurzfristig, aber auch mittel- und langfristig aufbauen, aber auch erhalten und hier Möglichkeiten in der ganzen Stadt schaffen. Denn das ist der Stuttgarter Weg. Und da müssen wir weiter vorangehen, vor allem auch mit einer mittel- und langfristigen Perspektive, aber natürlich auf jeden Fall auch kurzfristig konsequent handeln."

StRin Bulle-Schmid (CDU) ist der Verwaltung dankbar, hier eine schnelle Lösung gefunden zu haben für die Menschen, die aus den Kriegsgebieten flüchten müssen, die um Leib und Leben fürchten mussten. Sie findet nicht, dass man es als menschenunwürdig betrachten kann, wenn die Verwaltung Container entsprechend einrichtet, in denen die Menschen zu zweit leben können. Dies sei allemal besser, als wenn sie in der Schleyer-Halle leben müssen oder in anderen Hallen, wo sie nur durch Tücher von anderen Menschen getrennt sind und keine Privatsphäre haben. Auch habe keiner damit gerechnet, dass die Situation sich so verschärfen wird, wie es geschehen ist. Aus Sicht ihrer Fraktion sind die Grausamkeiten von Putin anzuprangern, der absichtlich zivile Ziele attackiert, und nicht das Containerdorf auf der Waldau. Man halte dies nicht für eine menschenunwürdige Unterbringung und auch nicht für ein Verlassen des Stuttgarter Weges. Vielmehr werde eine Unterkunft für 300 Menschen geschaffen und die Verwaltung sei auf dem Wege, weitere Unterkünfte im ganzen Stadtgebiet zu finden.

StRin Meergans (SPD) pflichtet dem Wortbeitrag ihrer Vorrednerin zu. Diese Containerunterbringung sei deutlich besser als in der Schleyer-Halle und auch deutlich besser als die ein oder andere Unterbringung, die man in der Stadt aktuell hat oder in der Vergangenheit hatte, beispielsweise in alten, heruntergewohnten Schulinterims-Containern. An der Kritik von StR Pantisano sei aber schon etwas dran: Denn Fluchtbewegungen gab und gebe es immer wieder und immer wieder wurde die Infrastruktur zur Unterbringung Geflüchteter in Stuttgart wieder zurückgebaut. Diesen Fehler dürfe man nicht wiederholen. So sei angesichts der Klimakrise damit zu rechnen, dass Fluchtbewegungen noch aus anderen Gründen als Kriege zunehmen werden. Somit müsse sich Stuttgart darauf einstellen, dass perspektivisch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten immer wieder auch viele Geflüchtete untergebracht werden müssen. Deswegen werde man Unterbringung vorhalten müssen, die auch dezentral in einer qualitätsvollen Art und Weise ist und auch in ausreichender Zahl. Dies werde gegebenenfalls viel Geld kosten, sodass man sich phasenweise fragen werde, warum halten wir das jetzt vor? Man werde es langfristig aber einfach vorhalten müssen, um nicht wieder in dieselbe Situation zu geraten, in der man jetzt gerade ist. Deswegen erwarte ihre Fraktion gespannt die Unterbringungskonzeption, welche die Verwaltung vorlegen möchte. In diesem Zug soll auch ein erster Ausblick auf eine langfristige Perspektive gegeben werden, wie wir in Stuttgart mit der Unterbringung Geflüchteter umgehen. "Was ist der Stuttgarter Weg in der heutigen Situation? Was ist der Stuttgarter Weg auch langfristig? Wie gestalten wir die Unterbringung und Integration der Geflüchteten in der Stadt gut?"

Auch StRin Yüksel (FDP) erklärt die selbstverständliche Zustimmung ihrer Fraktion zu dieser Vorlage. Sie kann die von StR Pantisano geäußerten Sorgen in diesem Zusammenhang absolut nicht nachvollziehen. Vielmehr müsse man sehen, vor welcher Herausforderung Verwaltung und Stadt angesichts der aktuellen Flüchtlingszahlen stehen und folglich schauen, dass man auch pragmatische Ansätze verfolgt. "Wir können und sollen die Verwaltung durchaus kritisch begleiten bei ihrem Handeln. Ganz ehrlich, wir sind der Verwaltung im Hinblick auf die Geflüchteten wirklich dankbar für die gute Arbeit, die sie derzeit in dieser Notlage leistet. Wir sehen auch insgesamt nicht, dass wir hier irgendwie vom Stuttgarter Weg abkommen. Ich glaube, das ist langfristig gesehen hier im Gemeinderat Konsens, dass wir an diesem Weg festhalten werden."

StR Pantisano räumt ein, natürlich seien Container besser als Hallen. Aber Hallen seien auch besser als Zelte, und Zelte noch besser, als dass Menschen gar kein Dach über dem Kopf haben. Jedoch sei dies nicht der Maßstab, den man gemeinsam mit dem Stuttgarter Weg gelegt habe, wo es darum gehe, klug zu handeln. Dies bedeute, dass Menschen, die als Geflüchtete nach Stuttgart kommen, betrachtet werden als Menschen, die lange hier leben werden und die nicht nach einem Jahr gehen werden. Lange hier leben bedeute auch, Strukturen zu haben, die so wohnlich sind, dass Geflüchtete auch mehrere Jahre dort leben können und sich angenommen und willkommen fühlen. 2015 habe man genau diese Debatte geführt "und wir haben uns alle gelobt dafür, dass Systembauten, wie wir sie gewählt haben, anders als andere Städte, uns auszeichnen im Unterschied zu den anderen". Er könne nachvollziehen, dass man unter einem Zeitdruck steht. Daher brauche es langfristige Planung, wie man mit weiteren Flüchtlingen umgehen will. Erneut kommt er zurück auf den heutigen TOP 1 und seine dort getroffenen Aussagen. Er bittet darum, zu Systembauten zurückzukehren, die sich ins Umfeld einfügen wie Wohnbauten und damit auch ein Zusammengehörigkeitsgefühl entstehen könne. Sollte die Verwaltung nicht über Systembauten verfügen können, müsse der Rat mit Anträgen nachlegen und fordern, dass wieder eine Konzeption erstellt wird für Systembauten, um Geflüchtete unterzubringen.

StRin Meergans gibt ihrem Vorredner im Grunde recht. Dennoch habe es auch 2015/2016 Menschen gegeben, die in Containern in Stuttgart gelebt haben und es habe Unterkünfte gegeben, wie zum Beispiel das ehemalige Bürgerhospital, die eigentlich nicht unter die Kriterien des Stuttgarter Weges gefallen sind. In einer Ausnahmesituation passiere das. Sie verstehe daher nicht, weshalb StR. Pantisano so unterschiedliche Maßstäbe zwischen damals und heute anlege. Gleichwohl habe er was das Ziel angeht völlig recht. Diesbezüglich werde sich der Rat gemeinsam mit der Verwaltung bemühen, dass langfristig eine bessere Unterbringung in dem beschriebenen Sinne stattfindet.

StRin von Stein (FW) erklärt selbstverständlich Zustimmung zur Vorlage. Sie bringt anschließend ihre Verärgerung zum Ausdruck, dass "ausgerechnet die Fraktion, die immer dann, wenn es um das Thema Wohnungsbau geht - egal wo -, sich verweigert, den Stuttgarter Weg mit ganz normalem Wohnraum fordert". Sie hält dieses Verhalten für äußerst widersprüchlich und heuchlerisch.

StR Rockenbauch (Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei) fordert StRin von Stein dazu auf, nachzuweisen, "in welchen dieser Projekte, in dem Wohnraum vernichtet und hinterher wieder gebaut wurde, am Ende dann eine geflüchtete Familie untergekommen ist". Seit vielen Jahren fordere seine Fraktion eine konsequente Bodenvorratspolitik und städtische Investitionen in den Wohnungsbau in städtischer Hand. An StRin Meergans gewandt betont er, auch 2015 sei nicht alles optimal im Sinne des Stuttgarter Weges gelaufen. Der Unterschied zu jetzt sei aber, dass seit damals genug Zeit bestanden hätte, dazuzulernen, um nicht wieder in die Situation zu kommen. Von der Unterbringung in Systembauten damals zum Containerdorf heute sei ein Rückschritt und nicht ein Lernerfolg. Eine langfristige Perspektive sehe man nicht.

OB Dr. Nopper stellt fest, es brauche die unterschiedlichsten Unterbringungsarten. Er könne keine Abkehr vom Stuttgarter Weg, vom Grundsatz der dezentralen Unterbringung feststellen und erst recht nicht erkennen bei dem Vorschlag, auf der Waldau diese Containeranlage zu etablieren.

BM Fuhrmann ist der Auffassung, man könne die Situation von 2014, 2015 und 2016 nicht mit der heutigen vergleichen, denn seit März dieses Jahres sei man mit einer Situation konfrontiert, die nicht absehbar war. Es mussten kurzfristig Lösungen gefunden werden und man arbeite jetzt an mittel- und langfristigen Optionen. Dies sei keine Abkehr vom Stuttgarter Weg. Natürlich wolle man jetzt versuchen, die Hallen wieder frei zu räumen. Bei der Halle in Münster sei man bereits dabei, damit sie wieder dem Schul- und dem Vereinssport zur Verfügung stehen kann. Auch dafür brauche es solche Lösungen. Wie gestern im Verwaltungsausschuss dargestellt, werde man ein Konzept für eine nachhaltige Lösung erarbeiten und diese dem Rat vorstellen. Denn die Systembauten seien keine nachhaltigen Lösungen, da die Bau- und Nutzungsgenehmigungen auf fünf oder maximal zehn Jahre befristet sind. Man stehe vor dem Problem, geeignete Flächen dafür zu finden. Demnächst werde die Verwaltung ein Projekt im Ausschuss für Stadtentwicklung und Technik und im Ausschuss für Wirtschaft und Wohnen vorstellen, wie sie es sich vorstellen könnte: Temporäres Wohnen, Modulbauweise, in Gewerbegebieten, wo es zulässig ist nach § 246 Abs. 10 BauGB. Außerdem arbeite die Verwaltung mit Hochdruck auch an langfristigen Lösungen. Man wolle auch die Hotelunterbringung letztendlich wieder beenden, um die Menschen in geregeltem Wohnraum unterzubringen. Auch dies werde man dem Rat vorstellen. Er bittet jedoch um Verständnis dafür, "dass das, was wir früher in Jahren erarbeitet haben, nicht jetzt in wenigen Monaten realisieren können."


Abschließend stellt OB Dr. Nopper fest:

Der Gemeinderat beschließt einstimmig wie beantragt (1 Enthaltung).
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