Landeshauptstadt Stuttgart
Referat Allgemeine Verwaltung/Kultur und Recht
Gz: AKR
GRDrs 259/2020
Stuttgart,
03/23/2020



Vergabe des Johann-Friedrich-von-Cotta-Literatur- und
Übersetzerpreises der Landeshauptstadt Stuttgart




Beschlußvorlage
Vorlage an
    zur
SitzungsartSitzungstermin
Verwaltungsausschuss
Gemeinderat
Ausschuss für Kultur und Medien
Beratung
Beschlussfassung
Kenntnisnahme
öffentlich
öffentlich
öffentlich
13.05.2020
14.05.2020
30.06.2020



Beschlußantrag:

1. Die Landeshauptstadt Stuttgart verleiht den von ihr gestifteten Johann-Friedrich-von-Cotta-Literatur- und Übersetzerpreis 2020 an

den Schriftsteller Thomas Stangl

und die Übersetzerin Claudia Steinitz.

2. Der Preis ist mit insgesamt 20.000 EUR dotiert. Die Preisträgerin und der Preisträger erhalten je 10.000 EUR.



Kurzfassung der Begründung:
Ausführliche Begründung siehe Anlage 1

Nach den Bestimmungen des Cotta-Literatur- und Übersetzerpreises (GRDrs 394/2003) wird dieser alle drei Jahre verliehen. Die letzte Preisverleihung erfolgte 2017. Die Fachjury schlägt aufgrund ihrer Beratungen die oben Benannten als Preisträger und Preisträgerin für 2020 vor.


Finanzielle Auswirkungen

Der Aufwand wird im Teilergebnishaushalt 2020 THH 410 – Kulturamt, Kontengruppe 420 – Aufwendungen für Sach- und Dienstleistungen, gedeckt.




Beteiligte Stellen

keine

Vorliegende Anträge/Anfragen

keine

Erledigte Anträge/Anfragen

keine



Dr. Fabian Mayer
Erster Bürgermeister


Anlagen

Anlage 1: Ausführliche Begründung




Ausführliche Begründung


Unter dem Vorsitz des Ersten Bürgermeisters für Allgemeine Verwaltung, Kultur und Recht, Herrn Dr. Fabian Mayer, hat die Fachjury in ihrer Sitzung am 31. Januar 2020 die im Beschlussantrag genannten Persönlichkeiten als Preisträgerin und Preisträger vorgeschlagen.

Der Jury gehörten neben dem Vorsitzenden die Mitglieder des Gemeinderats Dr.
Christine Lehmann, Jürgen Sauer, Guntrun Müller-Enßlin sowie die Mitglieder der Fachjury Monique Schwitter (Literatur), Dr. Stefan Kister (Literaturkritik), Christian Hansen (Übersetzung) und Juliane Schindler (Lektorat) an. Herr Sauer war für die Sitzungen entschuldigt. Er teilte sein Votum schriftlich mit.


Nach den Bestimmungen über die Verleihung des Cotta-Literatur- und Übersetzerpreises erhalten die Preisträgerin und der Preisträger zu gleichen Teilen die Auszeichnung.



1. Begründung

Thomas Stangl, Schriftsteller

Thomas Stangl, 1966 in Wien geboren, hat in den letzten fünfzehn Jahren ein höchst eigenständiges, beeindruckendes Werk geschaffen; es umfasst bereits fünf Romane und zwei Bände mit Essays und Erzählungen.
Stangls Thema ist das Fließen von Orten, Zeiten und Menschen, seine Aufmerksamkeit gilt dem Dazwischen: Zwischen Raum und Zeit, Vergangenheit und Zukunft, Leben und Tod, Erzählen und Nichterzählen. Zur Beschreibung des Nichterzählbaren lässt er den Leser auf dem (radikal subjektiven) Bewusstseinsstrom seiner Protagonisten surfen. Kompromisslos gegenüber Erzählkonventionen ist seine Literatur immer in Bewegung. Ein mächtiger Bilder- und Sprachfluss; manchmal eine wahre Bilder- und Sprachflut. Plot oder Story sind keine festen Größen, sie sind Teil dieser Fließbewegung. Eine erklärende, ordnende Erzählinstanz gibt es nicht. Raum und Zeit entstehen im Blick der Figuren durch ihre Wahrnehmung.
Sie alle sind im Wandel, im Übergang. Es sind Reisende und Fremde, immer und überall. Fremd sind sie auch sich selbst. Nichts an (und in) ihnen ist psychologisch fassbar oder motiviert. Ihre Identitäten sind in Bewegung, ihre Grenzen sind fließend. Es vermischen sich innere und äußere Landschaften.
Immer wieder spürt Thomas Stangl verborgenes Terrain auf und legt neue Welten frei. Sein Schreiben hat Expeditionscharakter. Es ist eine fortwährende Suche nach Neuland. Für diese unvertrauten Gebiete jenseits klassischer Gegensätze wie Körper und Geist, Gedanke und Tat oder Erfahrung und Traum findet (und erfindet) Stangl eine höchst kunstvolle, sinnliche, dichte Sprache. Selbst die Erfahrungen des Unmittelbaren, Ungeordneten, des Ungereimten und Ungeschliffenen treten in einer formbewussten, elaborierten Sprache zutage. Diese Sprache ist präzise, auch noch im größten Rauschen, in der


größten Auflösung, auch in vagen Gefilden und auf unbekanntem Terrain. Sie ist vielschichtig und voller Anspielungen, voller politischer, ästhetischer und moralischer Bezüge. Stangls Exkursionen ins ungesicherte Gelände sind gleichzeitig kluge Exkurse. Stets aufs Neue schafft er ein Spannungsverhältnis zwischen Zeit und Zeitlosigkeit. Das Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit gerät durcheinander. Aus den Beschreibungen entwickelt sich Bedeutung. Tänzelnd stellt die Sprache neue Zusammenhänge her und schafft Erkenntnis. Die Jury gratuliert Thomas Stangl zum Johann-Friedrich-von-Cotta-Literatur- und Übersetzerpreis der Landeshauptstadt Stuttgart.
Monique Schwitter | Jurymitglied


Claudia Steinitz, Übersetzerin

Seit mehr als dreißig Jahren verleiht die aus Berlin stammende Übersetzerin Claudia Steinitz der Literatur französischer Sprache im Deutschen Stimme und Gewicht; der Preis würdigt ausdrücklich auch ihr Lebenswerk. Von ihren mittlerweile über hundert übersetzten Werken seien stellvertretend die Romane von Véronique Olmi erwähnt, deren deutschsprachige Fassungen fast alle aus ihrer Feder stammen, sowie die großartigen Neuübertragungen der gerade wiederentdeckten Albertine Sarrazin. Besondere Berücksichtigung seitens der Jury fand ihre Übersetzung der „Subutex“-Romane von Virginie Despentes: In ihrer Trilogie Das Leben des Vernon Subutex treibt die Autorin die Handlung durch unterschiedlichste Schichten und Milieus der französischen Hauptstadt und wurde dafür von der Kritik schon als „weiblicher Balzac“ des 21. Jahrhunderts gefeiert; ständig wechselnde Erzählstimmen aus bürgerlichen und Künstlerkreisen, Subkultur und Unterwelt lassen ein Sittengemälde spätkapitalistischer Gesellschaften entstehen, dessen Polyphonie allerhöchste Ansprüche an die Übersetzung stellt. Mit hohem sprachlichem Einfühlungsvermögen und großer Stilsicherheit trifft Claudia Steinitz hier in jedem Moment den richtigen Ton und vermag den Texten der französischen Erfolgsschriftstellerin die authentische Prägung eines zweiten Originals zu verleihen.
Christian Hansen | Jurymitglied



2. Angaben zu dem ausgewählten Preisträger und der Preisträgerin

Thomas Stangl

Thomas Stangl, 1966 in Wien geboren, studierte Philosophie sowie Hispanistik und lebt in Wien. Für sein Werk erhielt er u. a. den Aspekte-Preis 2004, den Literaturpreis der deutschen Wirtschaft 2007, den Telekom-Austria-Preis beim Bachmann-Preis 2007, den Alpha-Literaturpreis 2010, den Erich-Fried-Preis 2011, den Wortmeldungen-Literaturpreis und den Schillerpreis (beide 2019).
Er veröffentlichte bisher die Romane
Der einzige Ort (2004), Ihre Musik (2006), Was kommt (2009) Regeln des Tanzes (2013) und Fremde Verwandtschaften (2018) sowie die Essaybände Reisen und Gespenster (2012) und Freiheit und Langeweile (2016) und den Band mit Erzählungen Die Geschichte des Körpers (2019).



Claudia Steinitz

Claudia Steinitz, 1961 in Berlin geboren, erklärte ihren Eltern mit sechzehn Jahren, sie habe außer dem Französischen (der Sprache ihrer Großmutter) und der Literatur keine Interessen, auf denen sich ein Leben aufbauen lasse. Folgerichtig studierte sie Romanistik und ging einen ungewöhnlich geradlinigen Weg zum Beruf der Literaturübersetzerin, den sie inzwischen seit mehr als dreißig Jahren ausübt. Überwogen anfänglich noch Filmdrehbücher, Romane und Kinderbücher aus dem Italienischen, verschob sich der Schwerpunkt bald zur französischen Literatur. Mit dem Umzug in die Schweiz (2005) eröffnete sich mit „innerschweizer“ Übersetzungen von Lausanne und Genf nach Zürich
(u. a. Olivier Sillig, Cathérine Safonoff), ein neues Betätigungsfeld. Ein haitianischer Autor, Lyonel Trouillot, weitete den Blick in die Welt. Zu den ihr wichtigsten Autorinnen und Autoren aus Frankreich gehören Yanick Haenel, Nancy Huston und Véronique Olmi. In den letzten Jahren teilten sich zwei wunderbare, starke und sprachmächtige Schriftstellerinnen den Platz auf ihrem Schreibtisch und in ihrem Übersetzerinnenherz, Albertine Sarrazin (1937-1967) und Virginie Despentes. Vor, neben, zwischen der Neuübertragung der drei Romane von Sarrazin übersetzte sie Despentes‘ Trilogie
Das Leben des Vernon Subutex 1-3.




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