Protokoll: Gemeinderat der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
46/2016
GZ:
OB 7831-10.00
Sitzungstermin: 08.12.2016
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Kuhn
Berichterstattung:Herr Prof. Dr. Kirchberg (Kanzlei Deubner & Kirchberg)
Protokollführung: Frau Gallmeister
Betreff: Bürgerbegehren "Ausstieg der Stadt Stuttgart aus S 21
aufgrund des Leistungsrückbaus durch das Projekt"
- Abhilfeprüfung im Widerspruchsverfahren -

Vorgang: Verwaltungsausschuss vom 13.04.2016, öffentlich, Nr. 91
Gemeinderat vom 14.04.2016, öffentlich, Nr. 51
Verwaltungsausschuss vom 06.07.2016, öffentlich, Nr. 258
Gemeinderat vom 07.07.2016, öffentlich, Nr. 130

jeweiliges Ergebnis: Zurückstellung

Verwaltungsausschuss vom 07.12.2016, öffentlich, Nr. 502

Ergebnis: mehrheitliche Zustimmung (14 Ja-Stimmen, 2 Gegenstimmen, 1 Enthaltung)


Beratungsunterlage ist die Vorlage des Referats Recht, Sicherheit und Ordnung vom 06.04.2016, GRDrs 46/2016, mit folgendem

Beschlussantrag:

1. Den Widersprüchen von Herrn Joris Schoeller, Marc Braun und Hans Heydemann gegen den Bescheid der Landeshauptstadt Stuttgart vom 29.07.2015 über die Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens "Leistungsrückbau" gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 wird nicht abgeholfen.

2. Die Widersprüche werden dem Regierungspräsidium Stuttgart zur Entscheidung vorgelegt.

Die Verwaltung wird beauftragt, die Widerspruchsführer darüber zu unterrichten, dass die Stadt den Widersprüchen nicht abgeholfen hat.


Die zu diesem Tagesordnungspunkt gezeigte Präsentation ist dem Protokoll als Dateianhang hinterlegt. Aus Datenschutzgründen wird sie nicht im Internet veröffentlicht. Dem Originalprotokoll und dem Protokollexemplar für die Hauptaktei ist sie in Papierform angehängt.

In seiner Einleitung in den Tagesordnungspunkt macht OB Kuhn darauf aufmerksam, dass die heutige Entscheidung keine Ermessensentscheidung sei, die über politische Gründe zu fällen sei, sondern es gehe um die Frage, ob der Gemeinderat rechtliche Argumente sehe, warum eine Abhilfe geleistet werden müsste. Wenn der Gemeinderat diese Frage verneine und das Bürgerbegehren weiterhin für unzulässig halte, gehe die Angelegenheit an das Regierungspräsidium. Wenn dort der Beschluss des Gemeinderats bekräftigt würde, könnten die Vertrauensleute den Rechtsweg einschlagen.

StR Rockenbauch (SÖS-LINKE-PluS) beantragt, wie in der gestrigen Sitzung des Verwaltungsausschusses angekündigt, dass für die Vertrauensleute für das Bürgerbegehren, die beim ersten Mal, als es um das Bürgerbegehren ging, kein Rederecht erhalten haben, heute Herr Joris Schoeller sprechen darf und ihre Sicht der Dinge und ihre Begründung, warum das Bürgerbegehren zulässig ist, darstellen kann. Die Entscheidung hierüber müsse der Gemeinderat treffen, so OB Kuhn.

In einer sich anschließenden Diskussion erinnert StRin Deparnay-Grunenberg (90/GRÜNE) daran, dass ihre Fraktion bereit wäre, die Vertrauensleute anzuhören, obwohl sie die gleiche juristische Einschätzung habe wie die Stadtverwaltung. Der Ältestenrat und auch der Verwaltungsausschuss hätten sich aber gegen die Anhörung der Vertrauensleute ausgesprochen. StR Körner (SPD) kündigt an, dass seine Fraktion dem Antrag von StR Rockenbauch nicht zustimmen wird; er verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass man sich gemeinsam darauf geeinigt habe, zweimal eine öffentliche Sitzung des Unterausschusses durchzuführen. Er bedaure es sehr, dass die Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN diese gemeinsame Verständigung heute verlasse. StRin Deparnay-Grunenberg geht kurz auf die Sicht ihrer Fraktion ein und bittet um Abstimmung über den von StR Rockenbauch gestellten Antrag. StR Rockenbauch plädiert nochmals für ein Rederecht der Vertrauensleute. Nachdem StR Prof. Dr. Maier (AfD) für seine Fraktion kein Rederecht der Vertrauensleute fordert, lässt OB Kuhn abstimmen und stellt fest:

Der Gemeinderat lehnt das von StR Rockenbauch namens der Fraktionsgemeinschaft SÖS-LINKE-PluS beantragte Rederecht der Vertrauensleute für das Bürgerbegehren bei 22 Ja-Stimmen, 34 Gegenstimmen und 2 Enthaltungen mehrheitlich ab.


Herr Prof. Dr. Kirchberg erinnert an die Diskussionen im S 21-Ausschuss, in denen die Fragen des "angeblichen" Leistungsrückbaus nochmals kontrovers diskutiert und vorgestellt wurden. Für die Entscheidung, die der Gemeinderat zu treffen habe - Abhilfe des Widerspruchs ja oder nein - wolle er im Prinzip nur zwei Dinge zu bedenken geben und sich im Übrigen dem anschließen, was aus der GRDrs 46/2016 entnommen werden könne.

Die Frage der Zugfrequenz bzw. der Leistungsfähigkeit sei grundsätzlich keine Frage des gemeindlichen Wirkungskreises. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg habe in seinem Urteil vom April vergangenen Jahres, bei dem es um das Bürgerbegehren "Mischfinanzierung" ging, ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Beteiligung der Stadt Stuttgart an den entsprechenden Kosten für das Projekt Stuttgart 21 nur in dem Umfang auch monetär gerechtfertigt war, also nur insoweit eine gemeindliche Aufgabe darstellte, als es um die städtebauliche Überplanung der frei werdenden Flächen des Gleisvorfeldes gehe. Die Befassung mit der Zugfolge als solcher sei vom Grundsatz her keine Angelegenheit des gemeindlichen Wirkungskreises und könne deshalb nicht zum Gegenstand eines Bürgerbegehrens gemacht werden.

Auf eine Zwischenfrage von StR Rockenbauch zu einer möglichen Nichtigkeit der Finanzierungsvereinbarung antwortet Herr Prof. Dr. Kirchberg, dass der Verwaltungsgerichtshof im Verfahren "Mischfinanzierung" sämtliche Projektverträge zum Vorhaben Stuttgart 21 "unter die Lupe" genommen habe, um festzustellen, ob sich daraus eine unzulässige Befassung der Stadt Stuttgart mit Angelegenheiten ergibt, die nicht von ihr bearbeitet werden können. Der Verwaltungsgerichtshof sei im Ergebnis dazu gekommen, dass das, was die Stadt an Kosten hier investiert habe, deshalb gerechtfertigt sei, weil es insbesondere auch vom monetären Umfang her den Vorteilen in städtebaulicher Hinsicht entspreche, die die Stadt aufgrund des Projekts Stuttgart 21 haben solle. Dementsprechend sei damals das Bürgerbegehren "Mischfinanzierung" bis in die letzte Instanz für unzulässig erklärt worden. Sämtliche Verträge seien zum Gegenstand dieses Bürgerbegehrens gemacht und auch alle abgehandelt worden.

Ein weiterer Punkt sei, dass die Landeshauptstadt Stuttgart sich mit dem Ergebnis des Planfeststellungsverfahrens, insbesondere auch mit dem Planfeststellungsbeschluss, einverstanden erklärt habe und ihre städtischen Belange im Übrigen auch über den engeren gemeindlichen Wirkungskreis hinaus durch den entsprechenden Planfeststellungsbeschluss als gewahrt angesehen habe. Überlegungen, die dazu führen könnten, dass die dem Planfeststellungbeschluss zugrunde gelegenen Grundlagen gegenstandslos seien oder sich in einer Art und Weise relativiert haben, seien nach Einschätzung der Landeshauptstadt im Ergebnis nicht erkennbar. Er wisse, dass es im Widerspruchsverfahren insbesondere einen Sachverständigen gibt, der eine davon abweichende Meinung hat. Herr Prof. Dr. Kirchberg erinnert daran, dass diese Auffassung ebenfalls von den Gerichten bereits zurückgewiesen worden ist in dem Verfahren, in dem es darum gegangen sei, den Planfeststellungsbeschluss wegen veränderter Verhältnisse rückgängig zu machen, weil der neue Bahnhof nicht die Leistungsfähigkeit enthalte, die ihm zugrunde gelegt worden sei. Sogar das Bundesverwaltungsgericht habe in letzter Instanz festgehalten, solange eine Tatsache nicht allgemein wissenschaftlich erwiesen sei, sondern es nur die Einzelmeinung eines Einzelnen gehe, seien diese Tatsachen nicht so erwiesen, dass man deswegen die Planfeststellung rückgängig machen oder modifizieren müsste. Das gleiche gelte auch für dieses Bürgerbegehren.

StR Kotz (CDU) merkt an, es gehe mit der GRDrs 46/2016 um die Frage, ob der Gemeinderat weiterhin zu der hier getroffenen Entscheidung und der rechtlichen Einschätzung bei der ersten Befassung mit dem Bürgerbegehren steht. Die CDU-Gemeinderatsfraktion stehe weiterhin dazu und sei auch sehr sicher, dass die Entscheidung tragfähig sei. Gestern im Verwaltungsausschuss habe man sich darüber ausgetauscht, dass durchaus einmal ein Bürgerbegehren gut vorstellbar sei, das dann zu einem Bürgerentscheid führe, der rechtlich akzeptiert werden könnte, oder dass vielleicht der Gemeinderat ein Bürgerbegehren selbst initiiert. Es müsse dann aber auch in einer rechtlich zulässigen Fragestellung sein, was im vorliegenden Fall nicht so sei. Bei den vergangenen Fällen, in denen eine Ablehnung durch den Gemeinderat erfolgen musste, hätten die darauf folgenden Rechtsstreitigkeiten und Gerichtsurteile gezeigt, dass sowohl die Verwaltung mit ihrer Einschätzung als auch Herr Prof. Dr. Kirchberg mit seiner Einschätzung richtig gelegen haben. Deswegen sehe seine Fraktion in dieser Frage keinen Grund, warum die Verwaltung und Herr Prof. Dr. Kirchberg gerade dieses Mal in einem der beiden Bürgerbegehrensanliegen falsch liegen sollten. Wenn der Vorlage heute zugestimmt werde, könnten die Vertrauensleute für das Bürgerbegehren sich an das Regierungspräsidium und an die Gerichte wenden, wenn sie mit der Entscheidung des Regierungspräsidiums nicht einverstanden seien. Es sei das Wesen eines Rechtsstaates, dass nicht politische Gremien darüber entscheiden, welche Rechte Bürger haben, sondern dass in einem Rechtsstaat die unabhängige Justiz dies kläre. Diesen Weg wolle seine Fraktion frei machen, weshalb sie der Verwaltungsvorlage zustimmen werde.

StRin Deparnay-Grunenberg bestätigt die Meinung ihrer Fraktion vom Juli 2015, dass das Bürgerbegehren wegen eines rechtswidrigen Zieles unzulässig ist. Diese Bewertung sei für ihre Fraktion schwer gewesen, weil sie inhaltlich ebenso Zweifel habe, dass die sehr große Summe, die die Stadt im Bau des Projekts Stuttgart 21 zu verbuchen haben werde, zu einer angemessenen Leistungssteigerung führen wird. Ihre Fraktion habe das Bürgerbegehren auch mit der Begründung der Stadt als unzulässig befunden, und sie werde heute bei dieser Meinung bleiben und der GRDrs 46/2016 zustimmen.

Bei der Abhilfeprüfung könne sich seine Fraktion der juristischen Auffassung der Verwaltung anschließen, äußert sich StR Körner. Die SPD-Gemeinderatsfraktion habe dem Projekt zugestimmt, da sie sich städtebaulich davon verspreche, dass die Stadtbezirke Nord und Ost z. B. näher zueinander rücken. Auch wohnungspolitisch verspreche sich seine Fraktion vom Projekt einiges - es sollten dort viele neue Wohnungen gebaut werden, was auch preiswert möglich sei, da der Stadt die Grundstücke gehören. Die Zustimmung seiner Fraktion sei auch deshalb erfolgt, weil sie sich auch für den Nah- und den Schienenverkehr in und um Stuttgart etwas verspreche. Dabei spielten Züge und Zugfahrten eine große Rolle.

StR Körner zitiert eine Tabelle aus der Stellungnahme der Bahn zur Einwendung des BUND. Dort würden im bestehenden Bahnhof 37 ankommende Züge mit Reisenden zur Spitzenstunde genannt. Im neuen Hauptbahnhof würden es 49 Züge sein, was eine Steigerung um 30 % bedeuten würde. Aus dem heutigen Hauptbahnhof fahren 20 Züge mit Reisenden ab, im neuen Hauptbahnhof würden es 33 Züge sein - dies wäre eine Steigerung um 60 %. Würden die Ankünfte und Abfahrten in der Spitzenstunde zusammengezählt, komme man auf einen Zuwachs von 40 %. Es könnten auch Ankünfte und Abfahrten mit ehemaligen Vorortzügen und heutigen S-Bahnen gezählt werden: im Jahr 1970 seien es 72 Züge gewesen, in Zukunft hätte man 178 Züge, also einen Zuwachs von 145 %.

Er habe den Ausschuss "Stuttgart 21" als lohnend empfunden, weil das Verkehrsministerium nochmals bestätigt hat, dass die Leistungsfähigkeitssteigerung des neuen Hauptbahnhofs vorhanden sei und die Züge in der morgendlichen Spitzenstunde im Vergleich zum Status quo deutlich ansteigen werden. Dies bedeute aus Sicht seiner Fraktion, dass der neue Bahnknoten leistungsfähiger sei als der heute bestehende.

Für die S-Bahn verspreche sich seine Fraktion z. B. etwas von der neuen S-Bahn-Haltestelle Mittnachtstraße sowie eine Entlastung für die S-Bahn, da der Regionalverkehr sehr stark ausgebaut und verbessert werden könne. Ebenso verspreche sich die Fraktion etwas davon, weil der Mischverkehr von S-Bahn und regionalem Fernverkehr zwischen Bad Cannstatt und Hauptbahnhof der Vergangenheit angehöre. Seine Fraktion sei froh, dass das Projekt sich im Bau befinde, da sie erwarte, dass sich die Lebensqualität in Stuttgart mit einem stärkeren Nah- und Schienenverkehr sehr deutlich verbessern könne.

StR Rockenbauch erläutert im Sinne der Präsentation. Es sei keineswegs so, dass der Gemeinderat heute nicht zu einem anderen Schluss kommen könne als die von der Landeshauptstadt bezahlten Rechtsgutachten. Ein zentraler Punkt von Herrn Prof. Dr. Kirchberg sei, dass der Leistungsrückbau bei Stuttgart 21 nicht gegeben sei. Dabei sei sogar planfestgestellt, dass der neue Bahnhof eine Leistungsfähigkeit von 32 Zügen haben wird, was eindeutig weniger als die heutigen 38 Züge sind. Die Geschäftsgrundlage der Stuttgart 21-Verträge sei entfallen, da der Leistungsrückbau objektiv gegeben sei. In den Argumenten von Herrn Prof. Dr. Kirchberg zur Rechtswidrigkeit des Bürgerbegehrens seien zahlreiche Falschbehauptungen enthalten. Dies sei nicht verwunderlich, da Herr Prof. Dr. Kirchberg, gerade was die Beurteilung der Leistungsfähigkeit betreffe, stets nur das Stuttgart 21-Befürworter-Material gesehen habe. Es treffe auch nicht zu, dass Herr Prof. Dr. Kirchberg mit seinen Argumenten immer wieder Recht bekommen habe, sondern diese seien ihm auch genommen worden, insbesondere das Argument, dass die Anforderungen des Bürgerbegehrens nicht auskömmlich formuliert seien, explizit was die Anforderung einer Begründung angehe, und dass das Bürgerbegehren verfristet sei.

Die Aussage von Herrn Prof. Dr. Kirchberg, dass im Endeffekt der Wirkungskreis der Kommune überhaupt nicht betroffen sei, was die Zugzahlen angehe, sei eine interessante These, da er in seinem Gutachten ausführe, dass die Stuttgart 21-Verträge nicht gekündigt werden könnten, selbst wenn es einen Leistungsrückbau gäbe, weil die Stadt aus anderen Gründen noch am Projekt mitmache. Dies würde bedeuten, dass diejenigen, die als Vertragspartner für die Leistungsfähigkeit zuständig seien, z. B. Land und Bund, einen Vertragskündigungsgrund hätten, die Stadt sich aber, weil sie sich städtebauliche Vorteile verspreche, "auf ewig" an Verträge binden würde, die im Endeffekt trotz Leistungsrückbau aufrechterhalten würden. Dies sei aber Unsinn, denn wenn es den Leistungsrückbau objektiv gebe, seien insgesamt die Verträge und die Vertragsgrundlage entfallen und die Rolle der Stadt sei nicht mehr erheblich. Die Finanzierungsvereinbarung wäre nach Meinung seiner Fraktionsgemeinschaft und der Projektgegner überhaupt nicht zulässig bzw. sie wäre nichtig, da an keiner Stelle der Vereinbarung auf die Nebeneffekte städtebaulicher oder wirtschaftlicher Vorteile eingegangen wird.

Seine Fraktionsgemeinschaft habe erhebliche Zweifel an der Leistungsfähigkeit angemeldet, die in den letzten Sitzungen nicht hätten ausgeräumt werden können. Die 49 Züge seien im Gegenteil nach Meinung seiner Fraktionsgemeinschaft im Stresstest nicht regelkonform gelaufen, was die Deutsche Bahn AG inzwischen an bestimmten Stellen sogar selber eingeräumt habe.

Zuletzt thematisiert StR Rockenbauch zur Thematik Brandschutz und Leistung die Diskussion um die Kapazität von 49 Zügen, die im Tiefbahnhof möglich sein sollen, und dass aber nur 32 Züge planfestgestellt seien mit 4.000 Personen auf dem Bahnsteig. Es gebe keinen Nachweis, dass die zur Leistungsfähigkeit von 49 Zügen unterstellten 6.000 Menschen, die sich im Bahnhof aufhalten, im Brandfall sicher den Gefahrenbereich verlassen könnten. Hier werde gezeigt, dass die Leistungsfähigkeit des Stresstests nicht gegeben sei.

Zusammenfassend hält StR Rockenbauch fest, dass der Leistungsrückbau objektiv gegeben sei. Die von Herrn Prof. Dr. Kirchberg genannten Gründe, warum das Bürgerbegehren auf ein rechtswidriges Ziel gerichtet sei, seien damit falsch und das Bürgerbegehren sei zulässig. Heute bestehe die Möglichkeit anzuerkennen, was der Gemeinderat inzwischen an Wissen und Kenntnis über das Projekt habe. StR Rockenbauch fordert deshalb den Gemeinderat auf, das Bürgerbegehren zuzulassen.

StR Zeeb (FW) erinnert daran, dass die Ablehnung erfolgt sei, weil das Bürgerbegehren wegen unzureichender Begründung abgelehnt wurde und weil rechtswidrige Ziele verfolgt wurden, die einfach unzulässig seien. Seiner Meinung nach seien die S 21-Gegner schlecht beraten, wenn sie immer wieder Bürgerbegehren stellten, die "nicht rechtskonform formuliert und mit handwerklichen Fehlern behaftet" seien. Dieses Vorgehen zeige keinen Respekt vor der Rechtsstaatlichkeit in Deutschland. Die Freie Wähler-Gemeinderatsfraktion bleibe aber auf rechtlich sicherem Terrain und stimme deshalb der GRDrs 46/2016 zu.

Nach Meinung von StR Prof. Dr. Maier ist es interessant und auch bezeichnend, dass die Zweifel an der Gültigkeit der Geschäftsgrundlage der Verträge inzwischen auch beim Gutachter, Herrn Prof. Dr. Kirchberg, angekommen seien. Im Verwaltungsausschuss gestern sei die Rede von der Vertragsanpassung gewesen. Diese sei aber anscheinend nur so zu interpretieren, dass die Kosten auf die jeweils Beteiligten am ganzen Projekt anders verteilt werden sollen, nicht aber, dass eine Modifikation auch der Vertragsziele ins Auge gefasst werden solle. Es sei sehr wohl so, dass nur eine solche Modifikation, die auf eine Vereinfachung des Projektes ziele, etwa auch eine Kombination von Tief- und Kopfbahnhof, in der Lage sein würde, die Kosten wieder unter Kontrolle zu bringen. Was die Bürgerbegehren im engeren Sinne angehe, sei es so, dass die AfD solche Bürgerbegehren als eine Form der direkten Demokratie grundsätzlich befürworte. Seine Fraktion sympathisiere daher auch mit den beiden Bürgerbegehren, sehe aber auch, dass die Betreiber der beiden Bürgerbegehren bestimmte taktische und handwerkliche Fehler gemacht haben. StR Prof. Dr. Maier kündigt an, dass seine Fraktion der Vorlage nicht zustimmen, sondern sich bei der Abstimmung der Stimme enthalten wird.

StR Dr. Oechsner (FDP) sieht keinen Grund für eine Meinungsänderung der FDP-Gemeinderatsmitglieder zur rechtlichen Bewertung der Angelegenheit. Er habe auch Schwierigkeiten bei der Beurteilung der Details, weshalb er sich auf die Vorlage, die seiner Meinung nach gut argumentiere und offensichtlich richtig sei, verlassen müsse. Der nächste Schritt gehe in Richtung Regierungspräsidium und Gerichte. Da werde sich entscheiden, welche Rechtsauffassung die richtige sei. Er meine, dass die der Stadt die richtige sei. Die FDP stimme deshalb der GRDrs 46/2016 gerne zu.

StR Dr. Schertlen (STd) hält allein aus inhaltlichen Gründen die Zulassung des Bürgerbegehrens für notwendig, weshalb er ankündigt, die Verwaltungsvorlage abzulehnen.

Auf die Diskussionsbeiträge eingehend, legt Herr Prof. Dr. Kirchberg dar (leicht überarbeiteter Wortlaut):

"Ich möchte erstens darauf hinweisen, was ich ja bei meinem einleitenden Statement bereits getan habe, dass Gründe, die ausnahmsweise diese vertraglichen Bindungen, die die Stadt Stuttgart eingegangen ist bzw. die dem Planfeststellungsbeschluss zugrunde lagen, nur dann als gewissermaßen obsolet betrachtet werden können, wenn es allgemein wissenschaftlich bestätigte Erkenntnisse darüber gibt, dass die entsprechenden Annahmen fehlerhaft oder untauglich waren. So etwas gibt es nicht. Im Gegenteil.

Zweitens: Es ist mir vorgehalten worden, ich hätte mich auch schon mal geirrt in dem Verfahren, Mischfinanzierung wäre das Argument, das ich für die Stadt vorgetragen habe. Das Bürgerbegehren sei verfristet und unzureichend begründet zurückgewiesen worden. Dazu möchte ich nur zur Klarstellung feststellen: Die Unzulässigkeit eines Bürgerbegehrens kann sich aus mehreren Gründen ergeben. Diese beiden Gründe haben, wenn ich so sagen darf, nicht gezogen. Wobei die Frage der Verfristung in diesem konkreten Fall sogar offengelassen worden ist, weil hier nach der Vorstellung des Verwaltungsgerichtshofs überhaupt gar keine Frist lief.

Und was die Frage der sogenannten 180 Grad-Wende betrifft, so möchte ich klarstellend dazu anmerken, dass ursprünglich, als wir die Entscheidung getroffen haben am 02.07.2015, man noch vergleichsweise großzügig, wenn Sie so wollen, davon ausgegangen ist, dass dieses Bürgerbegehren tatsächlich den gemeindlichen Wirkungskreis betrifft. Aufgrund der Lektüre des Urteils des Verwaltungsgerichtshofs in Sachen Mischfinanzierung und des Vortrags im Revisionsverfahren sind wir aber nach gründlicher Prüfung zur Erkenntnis gekommen, dass eben, um einen Satz aus dem Bürgerbegehren zu zitieren, 'es würden schwerwiegende Einschränkungen des Bahnverkehrs zu befürchten sein, aufgrund der gegenteiligen Annahme', dass das in der Tat mit dem gemeindlichen Wirkungskreis grundsätzlich nichts zu tun hat. Das nur zur Klarstellung."

An Herrn Prof. Dr. Kirchberg gewandt macht StR Rockenbauch erneut darauf aufmerksam, dass in der Planfeststellung für den Tiefbahnhof 32 Züge Bestandteil waren. Dies seien weit weniger, als der Kopfbahnhof laut Verkehrsministerium heute schon bewältigen könnte. Die Argumentation von Herrn Prof. Dr. Kirchberg sei "irgendwie krass", wenn behauptet werde, dass die Leistungsfähigkeit eines Bahnhofs nichts mit dem Wirkungskreis einer Kommune zu tun hätte. Aus städtebaulicher Sicht bestehe, wie von StR Körner vorhin ausgeführt, die Hoffnung, dass es eine Verbesserung des Modal Split geben wird; bei 32 Zügen werde es diese Verbesserung nicht geben, sondern Stuttgart 21 werde zum Schaden des Nah-, Pendler- sowie des Wirtschaftsverkehrs sein und damit zu Verkehrs-, Luft- und vor allem zu wirtschaftlichen Belastungen zum Schaden der Landeshauptstadt führen. Die Leistungsfähigkeit sei Kernelement städtebaulicher Gründe und des Wirkungsfeldes. Anders könnten sonst auch Beteiligungen an Flughäfen etc. nicht begründet werden.

Nachdem StR Rockenbauch auf die Argumentation des Bundesverwaltungsgerichts eingeht, dass es Mischfinanzierung nur gebe, wenn illegale Zuschüsse zu einem Projekt des Bundes kommen, es sich bei Stuttgart 21 aber nicht um ein Projekt des Bundes, sondern der Deutschen Bahn AG handle, zitiert StR Körner aus der im Ausschuss "Stuttgart 21" gezeigten Präsentation des Verkehrsministeriums den Vergleich der Zugzahlen, der für Stuttgart 21 deutlich besser ausfällt. OB Kuhn erinnert daraufhin an die Beratungen in den zwei Sitzungen dieses Ausschusses, in denen er die von StR Körner genannten Zahlen ebenfalls dargestellt habe. Ebenso habe er dargestellt, dass eines der wesentlichen Probleme der Auseinandersetzung darin liege, ob man den bestehenden Kopfbahnhof als Referenzgröße nehme oder einen evtl. ertüchtigten Kopfbahnhof, wie es Vieregg-Rössler in ihrer Studie getan haben. Wer einen Rückbau behaupte, müsse dies gegenüber dem bestehenden Bahnhof tun. Dies sei die Vergleichsgröße für die Frage, ob es später mehr oder weniger Züge gibt. StR Rockenbauch verweist hieran anschließend auf die Darlegungen des Vertreters des Verkehrsministeriums im Ausschuss "Stuttgart 21", dass es bei dem fiktiven Szenario, das mit dem heutigen Kopfbahnhof gezeigt werde, u. a. keine Zugverspätungen über 5 Minuten gebe; man könne Züge nicht länger als 5 Minuten aufeinander warten lassen. Der fiktive Test habe deutlich gemacht, dass ein integraler Taktfahrplan nicht funktionieren werde, dieser sei aber das Erfolgsmodell für den Nahverkehr.


Abschließend stellt OB Kuhn fest:

Der Gemeinderat beschließt die GRDrs 46/2016 mit 42 Ja-Stimmen bei 9 Gegenstimmen und 6 Enthaltungen mehrheitlich wie beantragt.

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