Protokoll: Gemeinderat der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
1120/2018
GZ:
OB 0322-01, 6233-02.00
Sitzungstermin: 21.02.2019
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Kuhn
Berichterstattung:die Herren Lucas, Zühlke (Radentscheid Stuttgart), Dr. Hangst (Dolde Mayen & Partner)
Protokollführung: Frau Sabbagh
Betreff: Bürgerbegehren "für ein fahrradfreundliches Stuttgart" der Initiative "Radentscheid Stuttgart", Entscheidung über die Zulässigkeit und Zielbeschluss zum Radverkehr ...
(vollständiger Betreff siehe unten)

Da aus technischen Gründen der Betreff nicht in ganzer Länge im oberen Feld wiedergegeben werden kann, wird er hier vollständig aufgeführt:

Betreff: Bürgerbegehren "für ein fahrradfreundliches Stuttgart"
der Initiative "Radentscheid Stuttgart", Entscheidung
über die Zulässigkeit und Zielbeschluss zum Radverkehr
a) Anhörung der Vertrauenspersonen gem. § 21 Abs. 4, Satz 1 GemO
b) Bericht zum weiteren Vorgehen
c) Entscheidung über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens und Zielbeschluss zum Radverkehr

Vorgang: Verwaltungsausschuss vom 20.02.2019, öffentlich, Nr. 66
Ergebnis: ohne Votum Verweisung an den Gemeinderat

Beratungsunterlage ist die Vorlage des Herrn Oberbürgermeisters vom 12.02.2019, GRDrs 1120/2018, mit folgendem

Beschlussantrag:

1. Dem Ziel, Stuttgart zu einer echten Fahrradstadt zu machen, wird zugestimmt.

2. Die Verwaltung wird beauftragt, in den kommenden Haushaltsberatungen einen Vorschlag zur Umsetzung dieses Ziels, zur Erhöhung des Radetats und zu weiteren Projekten zum Ausbau der Radinfrastruktur zu machen.

3. Die für 2019/20 in der Umsetzung befindlichen Projekte und die dargestellten weiteren Projekte im Sinne der Ziele des Radentscheids werden unterstützt.

4. Der Antrag auf Zulassung eines Bürgerentscheids "für ein fahrradfreundliches Stuttgart" der Initiative "Radentscheid Stuttgart" wird zurückgewiesen. Das Bürgerbegehren wird für unzulässig erklärt.

5. Die Verwaltung wird beauftragt, den Vertrauenspersonen des Bürgerbegehrens die Feststellung der Unzulässigkeit des Antrags durch Bescheid bekanntzugeben.


Die Anträge Nr. 74/2019 vom 19.02.2019 (CDU) und Nr. 76/2019 vom 21.02.2019 (90/GRÜNE, SPD, SÖS-LINKE-PluS, STd) sind dem Originalprotokoll sowie dem Protokollexemplar für die Hauptaktei beigefügt.


OB Kuhn begrüßt die Referenten. Zunächst stellen die Herren Lucas und Zühlke den Radentscheid anhand einer Präsentation vor. Ihr Vortrag ist nachfolgend im redigierten Wortlaut wiedergegeben:

"Einen wunderschönen guten Tag, vielen Dank, dass Sie da sind, vielen Dank, dass wir da sein dürfen. Wir stellen Ihnen jetzt den Radentscheid vor und das, was dahintersteckt, was wir uns dabei gedacht haben. Die erste Folie sagt gleich, worum es uns geht - es soll jeder Mensch in Stuttgart Fahrrad fahren können. Ausnahmslos.

Hier sieht man eine ziemlich typische Situation für Stuttgart. Wir haben eine sehr große breite Straße, die Autofahrer haben viel Platz, und die Radfahrer haben einen vergleichsweise schmalen Weg, den sie sich mit Fußgängern teilen müssen. Und außerdem sieht man auch, die Oberfläche auf dem Geh- und Radweg ist deutlich rauer, als der superneue Belag auf der Straße nebendran. Und es wird zwar dafür geworben, wegen Feinstaubalarms das Auto stehenzulassen, aber es ist nicht einmal aufgeführt, dass das Fahrrad eine mögliche Alternative ist.

Das ist so ein bisschen die Allgemeinsituation in Stuttgart. Wir wissen, es gibt wenig Radinfrastruktur, es gibt wenig Platz zum Fahrrad fahren. Wenn es diesen Platz gibt, ist er meistens sehr schlecht gestaltet. Das führt dazu, dass Menschen nicht gerne Fahrrad fahren, und die, die fahren, müssen sich durchbeißen. Dies führt eher zu einer Ellenbogenmentalität als zu einem entspannten Fahrradfahren. Wir haben uns darum überlegt, wie kann man das ändern und welche Standards müsste Stuttgart setzen, damit das möglich ist, dass jeder Mensch in Stuttgart Fahrrad fahren kann?

Wir wissen, dass die Stadt sich Mühe gibt, die ERA einzuhalten, das sind Normen, die sind schon relativ alt und auch nicht immer sinnvoll. Also haben wir uns überlegt, welchen Standard müssen wir setzen? Und wie soll dieser ganze Standard auch wirken? Welchen Erfolg wollen wir sehen? Das ist ganz klar, wir wollen Kinder und Erwachsene und auch ältere Menschen in Stuttgart Fahrrad fahren sehen. Nicht nur, dass sie es können, sondern wir wollen es tatsächlich sehen. Auf der Tübinger Straße ist dieser Effekt eingetreten. Wir sehen da Kinder und Menschen aller Art Fahrrad fahren. So viel zum Ist-Zustand.

Sicherheit ist dabei ein ganz großes Thema. Wir wissen aus dem Gutachten, dass die Stadtverwaltung der Meinung ist, dass die Kreuzungen und auch die Mündungen in Stuttgart schon sämtlich sicher seien. Man könnte sie also gar nicht mehr sicherer machen. Wir sind da anderer Meinung und sind auch der Meinung, dass das kein Fall ist, der überhaupt irgendwo in der Radinfrastruktur zutrifft.

Wir haben dieses Video aus Twitter mitgebracht, das kommt von Martin. Martin fährt sehr oft bis Kaltental, das ist einer von den Pendlern, die trotz der Bedingungen viel Fahrrad fahren. Was wir sehen, ist eine Infrastruktur, die nach ERA-Norm gebaut wurde, normgerecht, sicher, sagt die Verwaltung. Rechts - parkende Türen, links - eine Spur, auf der 50 km/h oder mehr gefahren werden. Eine Tür, die da aufgeht, lässt gar keinen Sicherheitsraum mehr frei. Ein Fahrrad ist ca. 70 cm breit, und da hat jeder Fahrradfahrer links und rechts 20 cm Platz. Da ist einfach kein Sicherheitsraum gegeben. Und nun einfach einmal die Frage an Sie: Würden Sie dort Ihre Kinder fahren sehen wollen, die gerade Fahrradfahren gelernt haben? Oder auch Ihre Großeltern? Also ich möchte sie nicht sehen, und ich fahre da jeden Tag. Und es ist immer wieder unangenehm.

Und hier haben wir jetzt ein Beispiel für eine gefährliche Einmündung. Das ist die Ecke Pragstraße/Quellenstraße. Dort wurde wegen einer Baustelle der Radweg bergab gesperrt, während der Autoverkehr weiterhin ungehindert fließen kann. Und die Radfahrer werden auf die linke Seite geschickt. Ja, die müssen also den linken Radweg nutzen. Und da gab es eben auch schon einige Unfälle an dieser Einmündung der Quellenstraße. Das waren 2016 zwei Unfälle, 2017 vier, für 2018 haben wir keine Daten. Und von 2019 wissen wir aber, dass es schon mindestens einen weiteren verletzten Radfahrer gegeben hat. Das zeigt eben, dass da viel Handlungsbedarf ist, gerade auch an den Kreuzungen und Einmündungen.

Was uns grundsätzlich wichtig ist, ist, dass Sicherheit nicht mehr von den Normen her betrachtet wird, sondern auch von tatsächlichen Unfällen her. Und dass da, wo Unfälle passieren, auch nachgebessert wird und nicht einfach gesagt wird: 'Wir haben nach Normen gebaut, das ist sicher, da können wir nichts machen'. Man kann immer etwas besser machen.

Jetzt hat der Oberbürgermeister schon einen Entwurf für einen Beschluss vorgelegt. Da stehen verschiedene Maßnahmen drin, die die Stadtverwaltung schon plant zu machen. Wir haben uns das angeschaut und nach Kilometern ausgewertet. Zwei Drittel dieser Kilometer würde man nach dem Radentscheid, nach den Zielen, die wir schon mal formuliert haben, gar nicht erst bauen, weil sie einfach zu schlecht und zu gefährlich sind. Das andere Drittel, und das ist so ein bisschen der Hoffnungsschimmer, hat das Potenzial, wirklich gut zu werden. Wir sehen das in der Tübinger Straße. Was da geschaffen wurde, ist ein Standard, der kann sich deutschlandweit und teilweise sogar international sehen lassen. Das ist ein Anspruch, den sollte Stuttgart bei allem haben, was man an Radinfrastruktur baut.

Und was man eben auch feststellen muss, ist, dass in Stuttgart bislang überhaupt nicht dafür geplant wird, dass auch Kinder Rad fahren können. Also gerade Kinder unter 8 Jahren vor allem, die müssen ja auf dem Gehweg fahren. Und man sieht überhaupt nicht, dass man da irgendwas dran verbessern würde, damit die Kinder dort auch sicher fahren können. Es ist durchaus ein Gradmesser, ob eine Stadt fahrradfreundlich ist oder nicht, ob eben alle fahren oder nur wenige. Also wenn jetzt nur junge und mittelalte Männer fahren und vielleicht noch wenige Frauen, dann ist das keine fahrradfreundliche Stadt. Sie wird erst wirklich fahrradfreundlich, wenn auch Kinder und Alte ganz selbstverständlich mit dem Rad unterwegs sind.

Wir haben mal geschaut, was andere Städte machen, weil es immer heißt, ja, Stuttgart hat Herausforderungen, Stuttgart ist halt nicht Kopenhagen. Ist richtig, Stuttgart ist nicht Kopenhagen, aber Stuttgart hat trotzdem Potenzial. Wir sehen es z. B. in Auckland, man hat einfach einen Fahrradweg gebaut, man hat Brücken gebaut da, wo man nicht weiterkam. Man hat einfach größer gedacht, als man bisher gedacht hat. Man hat nicht einen Radschutzstreifen gebaut, wo man ein bisschen, so einen Meter von der Straße abbaut, sondern hat wirklich Straßen geschaffen, die es noch nicht gab, und hat Wege gefunden, das umzusetzen.

Andere Städte profitieren davon. Nicht weit weg von hier, in Karlsruhe, redet heute keiner über Fahrverbote. Einfach weil man da vor Jahren schon aufs Fahrrad gesetzt hat. Ein Problem, das wir hier auch lösen müssen. Darum auch von uns einfach mal die Herausforderung und auch das Angebot, das gemeinsam zu schaffen, zu überlegen, wie wir in Zukunft damit umgehen. Im Radforum haben wir ganz viele Bürger, Frank Zühlke sitzt ja schon seit Langem drin, die die Verbesserung der Radinfrastruktur unterstützen wollen, dass auch für die Zukunft Verkehr funktioniert für uns, dass alle Menschen mobil sein können. Und dabei müssen wir einfach mutig sein. Mit kleinen, einfachen Lösungen, die zwar irgendeiner Norm entsprechen und die keinem wehtun, kommen wir nicht weiter. Und am Ende muss es lebenswert für alle sein. Wir sind davon überzeugt, dass alle davon profitieren, wenn wir den Radverkehr ausbauen. Vielen Dank."

Anschließend weist Herr Dr. Hangst darauf hin, dass der Gemeinderat nach § 21 Abs. 4 Satz 1 der Gemeindeordnung über die Zulässigkeit bzw. Rechtmäßigkeit des Antrags zu entscheiden habe. Ein Ermessen habe er hierbei nicht. Wenn alle Zulässigkeits-voraussetzungen erfüllt seien, müsse das Bürgerbegehren zugelassen und spätestens nach vier Monaten der Bürgerentscheid durchgeführt werden. Mit dem Gutachten habe seine Kanzlei im Auftrag der Stadt geprüft, ob das Bürgerbegehren rechtlich zulässig sei, und sei zum Ergebnis gekommen, dass dies nicht der Fall sei. Deshalb empfehle er dem Gemeinderat, das Bürgerbegehren abzulehnen.

Das der Vorlage angehängte Gutachten umfasse mehr als 80 Seiten, weshalb er nur einige Grundaussagen präsentieren wolle (nachstehend im leicht redigierten Wortlaut):

"Dazu gehört aus meiner Sicht, noch einmal kurz den Gegenstand des Bürgerbegehrens darzustellen. Nach § 21 Abs. 3 Satz 4 GemO muss das Bürgerbegehren die zur Entscheidung zu bringende Frage enthalten. Entscheidend ist der Text auf den Unterschriftenlisten. Der Text auf den Unterschriftenlisten liegt Ihnen vor. Ich schlage vor, dass wir dennoch gemeinsam einen Blick darauf werfen. Auf den Originalunterschriftenlisten ist die Fragestellung deutlich hervorgehoben, nämlich in blauer Schrift und Fettdruck. Sie lautet: 'Sind Sie dafür, dass die Stadt Stuttgart die folgenden elf verkehrspolitischen Ziele umsetzt, soweit sie in den Wirkungskreis des Gemeinderats fallen und der Gemeinderat zuständig ist?' Anschließend, unter dieser fettgedruckten Fragestellung, sind dann die elf verkehrspolitischen Ziele abgedruckt, jeweils bestehend aus einer Überschrift und einem Text darunter. In der rechten Spalte der Unterschriftenliste folgt dann noch eine Begründung mit Spiegelstrichen, eine Kostenschätzung und ein Kostendeckungsvorschlag sowie eine Vollmacht.

Wenn man diese Unterschriftenlisten betrachtet, ist klar, das Bürgerbegehren bezieht sich auf alle elf verkehrspolitischen Ziele. Wer die Fragestellung oben mit Ja beantwortet, der ist für die Umsetzung aller elf verkehrspolitischen Ziele. Wer will, dass zumindest eines der elf verkehrspolitischen Ziele nicht umgesetzt wird, der stimmt mit Nein. Eindeutig ist auch, die Fragestellung enthält einen zweiten Halbsatz, nämlich 'soweit sie' - also die elf verkehrspolitischen Ziele - 'in den Wirkungskreis des Gemeinderats fallen und der Gemeinderat zuständig ist'. Dieser Halbsatz wirkt, bildlich gesprochen, wie ein Filter. Nur soweit die elf verkehrspolitischen Ziele überhaupt durch diesen Filter durchkommen, sollen sie Gegenstand des Bürgerbegehrens sein.

Dieser Filter führt nunmehr aber dazu, dass die Fragestellung nach unserer Einschätzung nicht hinreichend bestimmt ist. Es trifft zu, die Anforderungen an die Bestimmtheit eines Bürgerbegehrens dürfen nicht überzogen werden. Doch die Bürger müssen aus der Fragestellung heraus erkennen können, wofür oder wogegen sie stimmen. Das bedeutet, die Fragestellung muss hinreichend eindeutig, sie darf jedenfalls nicht mehrdeutig sein. Die Fragestellung dieses Bürgerbegehrens ist nach unserer Einschätzung nicht hinreichend bestimmt. Das liegt, wie bereits erwähnt, an diesem zweiten Halbsatz in der Fragestellung. Mit diesem zweiten Halbsatz sollte offenbar der Wortlaut von § 21 Abs. 3 Satz 1 GemO übernommen werden, denn danach kann bürgerentscheidsfähig nur eine Angelegenheit des Wirkungskreises der Gemeinde sein, erste Voraussetzung, für die zweitens der Gemeinderat zuständig ist. Wir haben diesen zweiten Halbsatz bürgerbegehrensfreundlich wohlwollend ausgelegt. Denn der ist ja redundant. Der Gemeinderat wird zweimal angesprochen. Wir verstehen den Fragesatz 'soweit sie in den Wirkungskreis der Gemeinde fallen' als weiteren, engeren Filter.

Das bedeutet aber selbst bei bürgerbegehrensfreundlicher Auslegung für die Unterzeichner, sie müssen für jedes der elf verkehrspolitischen Ziele erkennen können, ob es tatsächlich in den Wirkungskreis der Stadt fällt und ob der Gemeinderat zuständig ist. Wir meinen, für den Durchschnittsbürger ist das nicht leistbar. Ich möchte Ihnen das zeigen anhand des verkehrspolitischen Ziels 1. Nach diesem verkehrspolitischen Ziel schafft die Stadt Stuttgart an Straßen ihrer Baulast mit Geschwindigkeiten über 30 km/h Radverkehrsanlagen, die vom Fuß- und Kraftfahrzeugverkehr baulich getrennt sind. Und dies setzt die Stadt jährlich an mindestens 15 km Straße um. Will man nun schauen, was der Filter ausfiltert, muss man sich ja folgende Fragen stellen: Welche Straßen stehen in der Baulast der Stadt Stuttgart? Fällt diese Baulast in den eigenen Wirkungskreis der Stadt oder in den übertragenen Wirkungskreis? Und dann, letzte Frage, ist der Gemeinderat deshalb für die Entscheidung über den Bau der Straßen zuständig?

Eine hinreichend eindeutige Antwort werden die wenigsten Unterzeichner auf diese Fragen geben können. Ich möchte Sie nicht mit zu viel Jura langweilen. Aber ich muss doch darauf hinweisen, wie kompliziert die Rechtslage z. B. bei den Bundesstraßen im Stadtgebiet ist, also z. B. die Heilbronner Straße oder die Neue Weinsteige. Klar ist, für diese Ortsdurchfahrten trägt die Stadt die Straßenbaulast. Aber die weitere Frage, macht sie das jetzt im eigenen oder im übertragenen Wirkungskreis? Da sagt die herrschende Meinung der Jurisprudenz, sie macht das im übertragenen Wirkungskreis, denn es handelt sich um Bundesauftragsverwaltung. Bei der Bundesauftragsverwaltung gibt es ein Weisungsrecht des Bundes bis ganz nach unten, auch gegenüber der Gemeinde. Das bedeutet also für das verkehrspolitische Ziel 1, durch den Filter kommt überhaupt nichts durch, was z. B. die Bundesstraßen betrifft. Wir meinen, das kann ein Durchschnittsbürger nicht erkennen, und kommen deswegen zum Ergebnis: Die Fragestellung, die oben drüber steht, ist nicht hinreichend bestimmt und das Bürgerbegehren schon aus diesem Grund als unzulässig abzulehnen.

Wir haben dennoch hilfsweise uns die einzelnen verkehrspolitischen Ziele angeschaut und geprüft. Wir meinen auch, wenn man die einzelnen Ziele sich anschaut, dann sind die für sich betrachtet ebenfalls zum Teil ganz oder teilweise unzulässig, nämlich die Ziele 2, 4, 6, 8, 9 und 10. Ich möchte den Punkt nicht weiter vertiefen. Ich möchte aber nur folgende Fragen aufwerfen: Wenn wir uns z. B. mal das Ziel 2 anschauen, was sind denn Straßen im Nebenstraßennetz? Wie sind diese umzugestalten, dass sie für den Radverkehr attraktiver werden? Und wie lässt sich der Durchgangsverkehr minimieren? Das bleibt alles offen.

Wir haben die verkehrspolitischen Ziele nun weiter geprüft, und für sich betrachtet meinen wir, dass einige Ziele auch deswegen nicht bürgerentscheidsfähig sind, weil sie in den übertragenen Wirkungskreis der Gemeinde fallen und/oder der Gemeinderat für sie unzuständig ist. Denn auch hier kommt wieder der § 21 Abs. 3 Satz 1 GemO ins Spiel: Bürgerentscheidsfähig ist nur eine Angelegenheit des Wirkungskreises der Gemeinde, für die der Gemeinderat zuständig ist. Oder, kurz gesagt: Was der Gemeinderat nicht beschließen darf, kann auch nicht Gegenstand eines Bürgerbegehrens sein.

Wenn man sich nun die einzelnen verkehrspolitischen Ziele anschaut, dann sind einige nicht bürgerentscheidsfähig, weil sie in den übertragenen Wirkungskreis der Gemeinde gehören. Bei Ziel 1, ich habe es schon angesprochen, Bundesstraßen, da wird die Stadt tätig zwar als Straßenbaubehörde, aber in Bundesauftragsverwaltung. Bei Ziel 2 geht es um die bauliche Umgestaltung von Nebenstraßen. Diese Umgestaltung, das ist ja nicht hinreichend bestimmt, wie die zu erfolgen hat, aber wenn sie z. B. zu erfolgen hat durch Poller oder Sperrpfosten, dann sind wir im Straßenverkehrsrecht. Auch da wird die Stadt tätig im übertragenen Wirkungskreis. Bei den Hauptradrouten, Ziel 3, genauso. Wenn diese Straßen verkehrstechnisch hergestellt werden, also z. B. als Fahrradstraße oder als Schutzstreifen, auch da ist die Stadt Straßenverkehrs-, nicht Straßenbaubehörde. Gleiches gilt für Ziel 5, Sätze 3 und 4. Da geht es um die Ampelschaltung. Und bei Ziel 9 auch, da geht es um die Sensibilisierungskampagne. Auch das sind Themen des Straßenverkehrsrechts.

Wir haben die Ziele weiter angeschaut und betrachtet, ist denn der Gemeinderat für sie zuständig? Das ist dann nicht der Fall, wenn es Geschäfte der laufenden Verwaltung sind. Wenn man sich nun das Ziel 4 anschaut, da geht es darum, Mängel und Gefahrenstellen im Fuß- und Radwegenetz zu beseitigen, das ist eine Aufgabe der laufenden Verwaltung. Der Gemeinderat ist unzuständig. Oder bei Ziel 5 Satz 5. Da geht es um die Schaffung freier Sichtachsen an Knotenpunkten usw. Auch das ist Geschäft der laufenden Verwaltung. Und zum gleichen Ergebnis kommen wir beim Ziel 6. Da geht es nämlich z. B. um das Räumen und Streuen von Straßen.

Lassen Sie mich zu einem letzten und aus unserer Sicht zentralen Punkt kommen. Ein Bürgerbegehren darf nur auf rechtmäßige Ziele gerichtet sein, denn wenn ein Bürgerentscheid später durchgeführt wird, hat er die Wirkung eines Gemeinderatsbeschlusses. Der Gemeinderat darf nur rechtmäßige Beschlüsse fassen, dementsprechend muss auch ein Bürgerbegehren darauf achten, dass das, was es begehrt, dass die Gegenstände rechtmäßig sind. Wir meinen, dass bei einigen Zielen, die das Straßenverkehrsrecht betreffen, das nicht der Fall ist, z. B. Ziel 2, Nebenstraßen umzugestalten. Oder Ziel 3, die 33 km Hauptradrouten pro Jahr anzulegen. Oder Ziel 5, Ampeln fahrradfreundlich zu schalten. Da ist das Straßenverkehrsrecht angesprochen. Straßenverkehrsrecht ist Gefahrenabwehrrecht. Ich muss im Einzelfall schauen, liegen die Tatbestandsvoraussetzungen der StVO vor, also ist diese Verkehrsbeschränkung etwa erforderlich, und bleibt trotzdem die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs erhalten? Das spiegelt sich in diesen Zielen nicht wider. Die sind, wenn man so will, überschießend in der Hinsicht.

Ein letzter und aus unserer Sicht wichtiger Punkt: Mit einem Bürgerbegehren darf nicht Unmögliches verlangt werden. Auch hier gilt wieder das Gleiche wie bei einem Beschluss des Gemeinderats. Der Gemeinderat darf nicht beschließen, was aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen objektiv später unmöglich umzusetzen ist von der Verwaltung. Objektiv Unmögliches wird mit den Zielen 1, 2, 3, 5 und 7 aus unserer Sicht verlangt. Warum gerade diese Ziele? Diese Ziele haben nämlich eines gemeinsam: Sie enthalten in dieser Hinsicht ganz genaue Mengen und Zeitvorgaben. Also, z. B. Ziel 3 - 33 km Hauptradrouten pro Jahr. Oder Ziel 5 - 31 Kreuzungen oder Einmündungen pro Jahr. Oder Ziel 7 - die Radabstellmöglichkeiten sollen, ausgehend von 2018, in drei Jahren verdreifacht werden. Wir meinen, dass die Umsetzung rechtlich und tatsächlich unmöglich ist.

Ich möchte das Ihnen hier zeigen anhand des Ziels 1. Bei Ziel 1 geht es darum, 15 km Straße pro Jahr sollen mit baulich getrennten Radverkehrsanlagen angelegt werden. Oder wir müssten es eigentlich hochrechnen auf drei Jahre. Warum drei Jahre? Denn so lange gilt ein Bürgerentscheid, wenn er denn Erfolg hat, und kann vom Gemeinderat nicht mehr abgeändert werden. Dann sind wir bei 45 km Straße. Es ist ja nicht mit dem Bau getan, sondern dem Bau muss ein Planungsverfahren vorangehen, klassischerweise ein Planfeststellungsverfahren. Es ist erforderlich, eine Abwägung durchzuführen. Die muss ergebnisoffen durchgeführt werden. Dann müssen die Bauaufträge, jedenfalls in diesem Umfang, öffentlich ausgeschrieben und vergeben werden. Und in der Zeit soll es auch noch gebaut werden. Aus unserer Sicht ist das, allein aus rechtlichen Gründen, objektiv unmöglich.

Jetzt könnte man hingehen und sagen: Okay, dann legen wir eben die verkehrspolitischen Ziele, die so genaue Vorgaben enthalten, geltungserhaltend aus. Also wir sagen z. B., möglichst bald soll möglichst viel gebaut werden. Da sind wir der Auffassung, dass das dem Willen der Unterzeichner widersprechen würde. Die Vorgaben sind in der Hinsicht so deutlich, es stehen genaue Zielvorgaben drin in quantitativer Hinsicht und auch in zeitlicher Hinsicht, und deswegen würde das dem Willen widersprechen. Eine geltungserhaltende Reduktion scheidet aus.

Ich komme zum Schluss und möchte nur noch kurz zusammenfassen. Wir halten das Bürgerbegehren für insgesamt unzulässig. Die Fragestellung ist zu unbestimmt, das habe ich Ihnen näher erläutert. Nicht weiter bin ich darauf eingegangen, dass aus unserer Sicht auch der Kostendeckungsvorschlag nicht nachvollziehbar und irreführend ist. Selbst wenn man das anders sieht und das Bürgerbegehren insgesamt für zulässig hält, halten wir die meisten der 11 verkehrspolitischen Ziele für sich betrachtet nicht für zulässig. Sie sind nämlich zum Teil nicht hinreichend bestimmt, liegen im übertragenen Wirkungskreis, für sie ist der Gemeinderat nicht zuständig. Und sie sind auf rechtswidrige Ziele gerichtet. Für sich betrachtet sind nur Ziel 8 Satz 2, da geht es um die entleihbaren Lastenräder in jedem Stadtbezirk, Ziel 10 Satz 1, nämlich das Monitoring der Radverkehrsplanung, und Ziel 11, da geht es um die Schaffung der organisatorischen und personellen Voraussetzungen, zulässig. Eine teilweise Zulassung des Bürgerbegehrens für diese Ziele kommt aber nicht in Betracht, denn die Kostenschätzung wurde nur aufgestellt als Gesamtsumme für alle 11 verkehrspolitischen Ziele. Eine Schätzung, die nach den einzelnen Zielen differenziert, gibt es nicht. Das heißt, es gibt keine Kosten, keinen Kostendeckungsvorschlag für die übrig bleibenden Ziele oder Teile der Ziele. Deshalb empfehlen wir dem Gemeinderat, das Bürgerbegehren abzulehnen. Vielen Dank."


Seinem Statement schickt OB Kuhn voraus, dass er den Zielen und Intentionen des Bürgerbegehrens innerlich sehr nahe stehe. Dennoch habe er nach der Lektüre des Rechtsgutachtens in Ziffer 4 des Beschlussantrags vorgeschlagen, das Bürgerbegehren für unzulässig zu erklären. Das politische Ziel, Stuttgart zu einer echten Fahrradstadt zu machen, unterstütze er - wie im Übrigen auch Bündnis 90/DIE GRÜNEN, SPD, SÖS-LINKE-PluS und STAdTISTEN, die hierzu einen Antrag gestellt hätten - zu 100 %. Denn betrachte man den Fahrradanteil am Gesamtverkehrsaufkommen, liege Stuttgart mit lediglich 8 % deutlich hinter Frankfurt a. M. mit 16 %, Hamburg mit 18 %, Freiburg mit 34 % und Münster mit 39 %. Dafür sei der ÖPNV-Anteil in Stuttgart deutlich höher.

Er stellt klar, dass Stuttgart zwar schon viel für den Fahrradverkehr tue, dies aber noch steigern könne und müsse. Inzwischen gebe die Stadt für den Radverkehr jährlich 7,4 Mio. € aus - das entspreche 12 €/Einwohner - und habe auch das notwendige Personal eingestellt. An die CDU-Fraktion wendet er sich mit dem Hinweis, er wolle die Stadt zu einer ganz besonderen Fahrradstadt im Rahmen einer vernetzten Mobilität machen. Denn gerade am Stadtrand, aber auch in der gesamten Region müsse die Kombination ÖPNV und Fahrrad massiv gestärkt werden.

Zu Antrag Nr. 74/2019 der CDU merkt er an, bei der dort dargelegten Auffassung, alle Verkehre auszubauen und zusätzlich noch mehr für den Radverkehr zu tun, handle es sich um "eine schöne, aber naive Vision". Denn Hauptradrouten bringe man nur zustande, wenn man Einschnitte beim Autoverkehr bzw. bei Parkplätzen mache. Das Beispiel aller Städte, die Fahrradstädte in großem Stil seien, zeige, dass man dafür dem Fahrrad mehr öffentlichen Raum geben müsse, als dies aktuell der Fall sei. Dabei gehe es nicht um die Frage, wie eine Kreuzung sicherer gestaltet werde, sondern darum, wie man Anteile am Modal Split von 15, 20 oder 25 % erreiche. Für ihn müssten sich in einer echten Fahrradstadt Radfahrerinnen und Radfahrer aller Altersstufen gleichberechtigt mit den anderen Verkehrsteilnehmern sicher und ohne Angst im öffentlichen Raum bewegen können. Man brauche einen Aufbruch im Hinblick auf die Mittel, die Durchsetzung der Hauptradrouten, die Schaffung sicherer Kreuzungen und ununterbrochener Radwege.

Anschließend dankt er der Initiative, die mit den vielen Unterschriften den Anstoß zu einer strategischen Diskussion gegeben habe, ob Stuttgart neben der Autostadt auch eine Fahrradstadt sein wolle, sein werde und sein könne.

Die Vertreter der Fraktionen danken für die Ausführungen und das große bürgerschaftliche Engagement derer, die am Radentscheid mitgewirkt haben.

StR Kotz (CDU) bezieht in seinen Dank auch das Statistische Amt ein, das die Adressen derjenigen, die unterzeichnet hätten, geprüft habe. Die große Zahl der Unterschriften zeige das enorme Interesse am Ausbau des Radverkehrs. Inhaltlich begrüße seine Fraktion das Bürgerbegehren, das in die Zukunft gerichtet sei. Auch seine Fraktion wolle den Anteil des Fahrradverkehrs in Stuttgart erhöhen, werde das Bürgerbegehren aber dennoch ablehnen, da es rechtlich nicht zulässig sei. Ein fahrradfreundliches Stuttgart erhalte man nicht mit Verboten oder gar einer Radfahrpflicht, sondern über attraktive Angebote, die - nach gewisser Zeit - zu einem Verhaltenswechsel führten. Die Folgen, wenn man zu schnell ein falsches Angebot einbringe, für das nicht die notwendige Nachfrage bestehe, könne man an der Buslinie X1 sehen. Hier sollte man den Mut haben, ein Angebot, das nicht angenommen werde, wieder zurückzunehmen. Er betont, dass die Projekte der letzten Jahre für den Radverkehr immer auch mit den Stimmen der CDU beschlossen worden seien. Es gehe nicht darum, eine Autostadt oder eine Fußgängerstadt zu haben, sondern um die Mischung aller Verkehrsträger. Als Beispiele nennt er die Filderauffahrt in der Langtunnelvariante und den Bau von Quartiersgaragen, die dem Radverkehr mehr Platz und Sicherheit bescherten. Er stellt den mündlichen Antrag, die Ziffern 4 und 5 des Beschlussantrags der GRDrs 1120/2018 zu beschließen und die Ziffern 1 bis 3, die zwei Anträge seiner Fraktion und die Anträge der "linken Mehrheit" zur Beratung in die Ausschüsse zu verweisen.

Da StR Kotz seine Redezeit weit überschritten hat, schlägt OB Kuhn vor, bei allen folgenden Rednern ähnlich großzügig zu sein. StR Dr. Fiechtner (BZS23) stellt einen Antrag zur Geschäftsordnung, allen Rednern inklusive denen der Bürgermeisterbank spätestens nach fünf Minuten das Mikrofon abzudrehen. Hierzu merkt OB Kuhn an, die Geschäftsordnung sehe für den Oberbürgermeister keine Begrenzung der Redezeit vor.

OB Kuhn lässt über die beiden Anträge zur Geschäftsordnung abstimmen und stellt fest:

Der Gemeinderat stimmt dem Vorschlag von OB Kuhn, die Redezeit jeweils großzügig an der von StR Kotz zu orientieren, mit großer Mehrheit zu. Für den Vorschlag von StR Dr. Fiechtner, sie konsequent auf fünf Minuten zu begrenzen, stimmen 3 Mitglieder des Gemeinderats, 5 enthalten sich. Er ist damit abgelehnt.

StRin Dr. Lehmann (90/GRÜNE) dankt vorab den mindestens 30 bis 40 Initiatorinnen und Initiatoren des Radentscheids, die rund zwei Jahre daran gearbeitet hätten, einen Radentscheid zu formulieren und Unterschriften zu sammeln. Die Ziele des Radentscheids seien seit Langem bekannt, weshalb ihre Fraktion den Antrag von StR Kotz auf Vertagung ablehnen werde. Auch wenn ihre Fraktion das Bürgerbegehren aus rein juristischen Gründen leider ablehnen müsse, habe der Radentscheid nun einen Auftrag erteilt. Dieser laute, mehr für ein fahrradfreundliches Stuttgart zu tun, die Menschen mit schönen, bequemen und sicheren Radwegen und Radfahrstreifen zu verführen, aufs Fahrrad umzusteigen. Die Vorlage der Verwaltung begrüßt sie als historischen Schritt in Richtung Fahrradstadt. Nach jahrzehntelangen Investitionen zur Optimierung des Autoverkehrs müsse nun die Radinfrastruktur verbessert werden. Der gemeinsame Ergänzungsantrag Nr. 76/2019, den sie kurz erläutert, erkenne die Ziele des Radentscheids ausdrücklich an. Damit werde aus einer Vision Realität und Stuttgart zum Vorbild für andere deutsche Großstädte.

Wenn viele Menschen in Stuttgart mit dem Fahrrad fahren würden, hätten alle mehr Platz, was die Lebensqualität steigere, erklärt StR Körner (SPD). Leider werde das vor fünf Jahren beschlossene Minimalziel des Verkehrsentwicklungskonzepts, dass der Modal-Split-Anteil für den Radverkehr 2020 bei 12 % liegen solle, verfehlt. Aktuell liege dieser bei 8 %, Ausgangspunkt vor fünf Jahren seien 6 % gewesen. Er erinnert an einen Antrag seiner Fraktion, die 2017 im Zusammenhang mit dem Thema Radverkehr befristet bei der Stadt Beschäftigten unbefristet zu beschäftigen. Die Mittel dafür seien im letzten Doppelhaushalt deutlich erhöht worden. Auch weitere Ziffern des gemeinsamen Antrags Nr. 76/2019 werden von ihm kurz begründet. Quartiersgaragen in Wohnvierteln könnten die Akzeptanz für weniger Autostellplätze im öffentlichen Raum erhöhen. Seiner Fraktion sei es sehr wichtig, die Stadtgesellschaft beisammenzuhalten, so gut es gehe. Die sehr ambitionierten Standards für Radwege seien wichtig, doch müsse man an manchen Stellen auch Kompromisse schließen, um Lösungen zu beschleunigen. Zum Beispiel seien die Radschnellwege auf dem Papier sehr gut, doch hielte er eine zügigere Umsetzung der ganz normalen Hauptradrouten für wichtiger als schnelle Erfolge bei den Radschnellwegen. Grundsätzlich sei er sehr optimistisch, was das Thema Radverkehr in der Stadt anbelange.

StR Ozasek (SÖS-LINKE-PluS) preist das Fahrrad als "echte Klimaschutzmaschine" und Schlüsselelement für eine menschenfreundliche Stadtentwicklung. Doch liege der Fahrradverkehrsanteil in Stuttgart weit unter dem Durchschnitt vergleichbarer Städte und dem Bundesschnitt von 10 % am gesamten Verkehrsgeschehen. Beim Radverkehrskonzept seien selbst die Minimalziele nicht mehr erreichbar. Dies sei dem Desinteresse großer Teile des Rates und auch der Verwaltungsspitze geschuldet. Im Fahrradklimaatlas des ADFC würden insbesondere die schlechte Radwegeführung an Baustellen, unzureichende Falschparkerkontrollen auf Radwegen, radfahrerunfreundliche Ampelschaltungen, unterdimensionierte Radwege und das Fahren im Mischverkehr mit erheblichen Konflikten bzw. Gefahren bemängelt. Die als solche bezeichneten Hauptradrouten seien eine Zumutung. Selbst die Aufstockung des Rad-Etats inklusive der Stellenschaffungen hätten keine greifbaren Verbesserungen gebracht. Von 11,2 Mio. € im Doppelhaushalt seien 2018 kaum mehr als 2 Mio. € investiert worden. Erst unter dem Druck der über 35.000 Unterschriften diskutiere der Gemeinderat über die Missstände der Radinfrastruktur. Die von OB Kuhn eingebrachte Vorlage widerspreche in weiten Teilen den im Radentscheid formulierten Qualitätsstandards. Dass Stuttgart so zu einer "echten Fahrradstadt" werde, sei Etikettenschwindel. Für eine "echte Fahrradstadt" werbe der interfraktionelle Antrag Nr. 76/2019, den er in einigen Punkten kurz erläutert.

Respekt zolle auch seine Fraktion der Arbeit der Initiative Radentscheid Stuttgart, erklärt StR Zeeb (FW). Radfahren sei bereits ein wichtiger Teil der Mobilität in Stuttgart geworden. Deshalb habe der Gemeinderat in den letzten Jahren viele Millionen Euro bereitgestellt, um die Infrastruktur für das Radfahren zu verbessern. Bevor man aber weitere Millionen Euro verplane, sollten die bisher angedachten Maßnahmen umgesetzt werden. Hier sieht er die Stadtverwaltung auf einem guten Weg. Allerdings müsse man auch die anderen Verkehrsteilnehmer - Autofahrer und Fußgänger - im Blick behalten. Wichtig sei ein respektvoller Umgang miteinander. Da das Bürgerbegehren nicht rechtmäßig sei, könne seine Fraktion diesem nicht zustimmen.

StR Dr. Oechsner (FDP) bedauert, dass ein Bürgerbegehren in Anbetracht des großen Aufwands nicht bereits im Vorfeld juristisch auf seine Rechtmäßigkeit geprüft werde. Ein Bürgerentscheid hätte die Meinung der Bürgerinnen und Bürger in dieser Frage abgebildet. Nach den Erläuterungen von OB Kuhn zur "echten Fahrradstadt" hätte seine Gruppierung dem Bürgerbegehren zustimmen können, wenn es eben zulässig wäre. Kritik übt er an dem extrem kurzfristig vorgelegten interfraktionellen Antrag Nr. 76/219, der ein Volumen von mehreren Millionen Euro im Vorgriff auf den kommenden Doppelhaushalt beinhalte. Diesbezüglich bittet er die antragstellenden Fraktionen um eine konstruktive Diskussion.

Zwar müsse man das Bürgerbegehren aus formaljuristischen Gründen ablehnen, merkt StR Klingler (BZS23) an, doch sei die hohe Beteiligung der Bürgerschaft erfreulich, und die Ziele würden durch den Antrag ja erreicht. Schade finde er, dass immer wieder ein Kreuzzug gegen das Auto geführt werde. Stattdessen sollte man das Verkehrsmittel nach der Art der Strecke und auch den körperlichen Möglichkeiten entsprechend wählen und nicht auf ein einziges Verkehrsmittel fixiert sein. Wenn man schöne Radwege wolle, müsse man anfangen, sie zu bauen. Und man müsse beim Vergleich mit anderen Städten die Topografie berücksichtigen.

Auch StR Dr. Schertlen (STd) dankt der Initiative fürs Unterschriftensammeln. Er hätte sich gewünscht, dass das Bürgerbegehren für rechtmäßig befunden worden wäre und tue sich sehr schwer, der juristischen Auffassung zuzustimmen. Es sei sehr schade, wie
diskutiert werde, es gehe immer noch um Auto gegen Fahrrad. Dabei umfasse Mobilität in der Stadt noch einige andere Fahrzeuge, z. B. Elektrokleinstfahrzeuge, aber auch Elektrogroßfahrzeuge wie z. B. die Stella-Roller. Man müsse multimodal unterwegs sein und dafür die Infrastruktur schaffen. In einer kurzen Zwischenbilanz listet er die Anträge auf, die er in den letzten Jahren hierzu gestellt habe und die zumeist abgelehnt worden seien.

Angesichts der Topografie mit einem Höhenunterschied von 352 m hält StR Brett (AfD) es für einen Scherz, wenn man sage, dass Stuttgart keine Autostadt mehr sei, sondern eine Fahrradstadt werden solle. Sinnvoll seien Fahrradgaragen und die Möglichkeit, Fahrräder auch im Bus mitzunehmen. Die Stadt könne auch Kindern bei der Einschulung ein Fahrrad schenken. Was aber nicht gehe, sei, einen Konflikt zwischen Auto- und Fahrradfahrern aufzubauen.

Da die Antragsteller dem Wunsch auf Vertagung der Entscheidung nicht stattgäben, komme man jetzt zur Abstimmung, erklärt OB Kuhn.

Nach einer kurzen Diskussion über die Reihenfolge der Abstimmungen, in deren Verlauf StR Rockenbauch (SÖS-LINKE-PluS) vorschlägt, dass die Verwaltung ein Bürgerbegehren künftig im Vorfeld rechtlich prüft, wenn ein Quorum von beispielsweise 1.000 Unterschriften erreicht worden sei, stellt OB Kuhn klar, dass dies rechtlich nicht möglich sei, da der Gemeinderat am Ende über Bürgerbegehren und deren rechtliche Zulassung zu entscheiden habe. Derzeit dürfe die Verwaltung nur bei der Kostenabschätzung eine Hilfestellung geben.

Er stellt abschließend fest:

Der Antrag von StR Kotz (CDU), die Entscheidung über die Ziffern 1 bis 3 des Beschlussantrags zu vertagen und in den Ausschüssen sachlich fundiert zu beraten, wird mit 25 Ja- und 29 Nein-Stimmen mehrheitlich abgelehnt.

Der Antrag Nr. 74/2019 der CDU-Fraktion wird bei 19 Ja-Stimmen und 1 Enthal-tung mehrheitlich abgelehnt.

Der gemeinsame Antrag Nr. 76/2019 wird mit 29 Ja- und 25 Nein-Stimmen bei 1 Enthaltung angenommen.

Die Ziffern 4 und 5 des Beschlussantrags werden bei 5 Enthaltungen einstimmig beschlossen.
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