Protokoll: Gemeinderat der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
318/2015
GZ:
OB 7831-10.00
Sitzungstermin: 02.07.2015
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Kuhn
Berichterstattung:Herr Prof. Dr. Kirchberg
(Rechtsanwälte Deubner & Kirchberg)
Protokollführung: Frau Sabbagh fr
Betreff: Bürgerbegehren gegen Stuttgart 21 "Storno 21",
Entscheidung über Zulässigkeit

Vorgang:

Verwaltungsausschuss vom 20.05.2015, öffentlich, Nr. 157
Ergebnis: Beratung/Vertagung

Gemeinderat vom 21.05.2015, öffentlich, Nr. 73
Ergebnis: Vertagung

Verwaltungsausschuss vom 01.07.2015, öffentlich, Nr. 197
Ergebnis: mehrheitliche Zustimmung

Beratungsunterlage ist die Vorlage des Referats Recht, Sicherheit und Ordnung vom 12.05.2015, GRDrs 318/2015, mit folgendem Beschlussantrag:

1. Der Antrag auf Zulassung eines Bürgerentscheids "zum Ausstieg der Stadt
Stuttgart aus STUTTGART 21 wegen grundlegend neuer Lage" wird zurückgewiesen. Das Bürgerbegehren wird für unzulässig erklärt.


2. Die Verwaltung wird beauftragt, den Vertrauenspersonen des Bürgerbegehrens die Feststellung der Unzulässigkeit des Antrags durch Bescheid bekannt zu geben.


Zunächst erläutert Herr Prof. Dr. Kirchberg sein Gutachten. Sein Vortrag ist nachfolgend im leicht redigierten Wortlaut wiedergegeben:

"Herr Oberbürgermeister, meine Damen und Herren, erlauben Sie zunächst, dass ich kurz noch einmal die Fakten rekapituliere.

Erstens, im April 2009 ist die bekannte Finanzierungsvereinbarung abgeschlossen worden, die die maximal zu erwartenden Kosten von Stuttgart 21 mit ca. 4,6 Mrd. € fixiert hat. Ein knappes halbes Jahr später, im September 2009, hat der Gemeinderat seine Zustimmung zum Abschluss dieses Vertrages gegeben. Allerdings damals bereits beschlossen, für den - damals als unwahrscheinlich angenommenen, aber nicht vollkommen ausgeschlossenen - Fall, dass sich weitere Kostenerhöhungen ergeben sollten, einen Bürgerentscheid bzw. eine Bürgerbefragung darüber abzuhalten, ob sich die Stadt Stuttgart, wenn das von ihr verlangt würde, an diesen Kosten beteiligen sollte.

Zweitens, im Dezember 2012 hat, für manche nicht überraschend, für manche sehr überraschend, die Deutsche Bahn angekündigt, dass sie mit Mehrkosten von immerhin 2,3 Mio. gegenüber den bisher mit maximal 4,6 Mio. € angesetzten Kosten rechne. Ein Vierteljahr später, also im März 2013, hat der Aufsichtsrat der Bahn bekannt gegeben, er beabsichtige, das Vorhaben weiter zu verfolgen und die Mehrkosten ggf. bei den Partnern seiner Vereinbarung zu holen.

Drittens, bis zum heutigen Tage sind, jedenfalls gegenüber der Stadt Stuttgart, keinerlei Forderungen erhoben worden seitens der Deutschen Bahn. Die Vertragslage gibt das auch nicht her. Denn die Vertragslage sieht vor, dass für den Fall, dass nun doch über den bisherigen Ansatz hinaus tatsächliche Kosten entstehen sollten, das Land und die Bahn Gespräche miteinander aufnehmen. Inzwischen haben solche Sondierungsgespräche stattgefunden, die Stadt ist nicht daran beteiligt, und sie ist auch nicht etwa aufgefordert worden seitens des Landes, sich hier einzubringen und ebenfalls tätig zu werden.

Viertens, zwei Jahre nach der Ankündigung der Deutschen Bahn und 1 ¾ Jahre nach der Absichtserklärung des Aufsichtsrats der Deutschen Bahn, das Vorhaben weiterführen zu wollen, wird ein Bürgerentscheid auf Kiel gelegt, mit dem die Kostensteigerungen zum Anlass für einen Ausstieg aus den finanziellen Verpflichtungen der Stadt Stuttgart gemacht werden sollen. Das sind die Fakten.

Und jetzt in aller Kürze zur rechtlichen Bewertung. Die Initiatoren des Bürgerbegehrens berufen sich auf eine Bestimmung des Verwaltungsverfahrensgesetzes, wir nennen das abkürzend 'Wegfall der Geschäftsgrundlage wegen einer grundlegenden Änderung der Verhältnisse'. In diesem Fall sieht das öffentlich-rechtliche Vertragsrecht tatsächlich ausnahmsweise die Möglichkeit einer Aufkündigung, zunächst allerdings im Sinne der Verhältnismäßigkeit die Aufnahme von Verhandlungen über eine Anpassung der vertraglichen Verpflichtungen vor. Voraussetzung ist also, dass sich die Verhältnisse seit Vertragsschluss grundlegend geändert haben. Eine solche Veränderung ist allerdings bis zum heutigen Tage nicht festzustellen.


Es geht, wie gesagt, um die finanziellen Verpflichtungen der Stadt Stuttgart. Weder ist - in der Tat, das ist meine Meinung - die Deutsche Bahn an die Stadt Stuttgart mit entsprechenden Forderungen herangetreten, noch besteht eine dahingehende vertragliche Verpflichtung. Und, was als Zweites sehr wichtig ist, das trifft auch nicht, wenn es so wäre, die Stadt Stuttgart wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Denn man hat bereits im September 2009, als man der Finanzierungsvereinbarung zustimmt hat, ausdrücklich Vorsorge für den Fall getroffen, dass tatsächlich eine Kostenerhöhung über die bisherigen Ansätze geltend gemacht und zu Mehrkosten führen sollte. Von daher sind also schon bereits die Grundvoraussetzungen für eine Aufkündigung des Vertragswerkes wegen Änderung der Verhältnisse nicht gegeben.
Und jetzt kommt noch ein Drittes hinzu, das meines Erachtens von bisher sogar noch unterschätzter Wichtigkeit ist. Sie wissen ja alle, dass ein Bürgerbegehren nicht unbefristet zulässig ist, sondern dass das Gesetz dafür eine 6-Wochen-Frist nach Eingang des Ereignisses, das hier also zu einem entsprechenden Bürgerentscheid führen sollte, vorsieht. Das ist in aller Regel geknüpft an einen entsprechenden Gemeinderatsbeschluss, der ggf. rückgängig gemacht werden soll. Nun haben wir hier die Beschlüsse des Gemeinderats von 2009, die Zustimmung, und wir haben angeblich eine neue Sachlage. Diese neue Information ist zum einen die Mitteilung der Deutschen Bahn von 2012, man rechne mit einer deutlichen Steigerung der Kosten. Und zum anderen die Ankündigung ein Vierteljahr später, man beabsichtige, das Vorhaben durchzuführen und ggf. die Partner der Vereinbarung zur Kasse zu bitten, wenn ich das mal so burschikos formulieren darf.

Angesichts dessen, wenn man sich schon auf eine Veränderung der Verhältnisse beruft, hätte dann innerhalb eines Zeitraums von 6 Wochen nach dieser Mitteilung, spätestens nach der Mitteilung der Beschlussfassung des Aufsichtsrats, ein entsprechendes Bürgerbegehren tatsächlich anhängig gemacht werden müssen. Und wie wichtig das auch ist, zeigt eine zweite Überlegung. Es gilt ja grundsätzlich das Prinzip der Vertragstreue 'Pacta sunt servanda'. Allerdings gibt es eine Durchbrechung, höchst ausnahmsweise, für eine grundlegende Änderung der Verhältnisse. Aber es ist nicht nur nicht unbestritten, sondern es ist geltende Gesetzgebung und Rechtsprechung, dass derjenige, der sich auf eine solche Änderung der Verhältnisse beruft, dies dann innerhalb angemessener, um nicht zu sagen kürzester Frist gegenüber seinem Vertragspartner mitzuteilen hat und ihn nicht etwa im Rahmen einer Hängepartie über längere Zeiträume - hier sind das also 1 ¾ Jahre - im Unklaren lassen darf, ob er nun diese Ankündigung zum Gegenstand von Anpassungs- oder gar Kündigungsbegehren machen will. Und dieser Zeitraum ist hier längst verstrichen. Mit anderen Worten, es ging ja vorhin um die Frage, ob dieses Bürgerbegehren auf ein rechtmäßiges oder ein rechtswidriges Ziel gerichtet ist. Es ist auf ein rechtswidriges Ziel auch deshalb gerichtet, weil es von der Stadt Stuttgart verlangt, sich vertragsungetreu zu verhalten, insbesondere auch deshalb, weil man nach den Ankündigungen der Deutschen Bahn zwei Jahre hat verstreichen lassen, inzwischen sind es ja bald drei Jahre, bevor nun tatsächlich in einem Anpassungs- oder Kündigungsbegehren an die Bahn herangetreten wird. Ich komme deshalb zu dem Ergebnis, wenn dieses Bürgerbegehren hier anschließend zur Entscheidung gestellt wird, muss meines Erachtens die Entscheidung lauten: Das Bürgerbegehren ist unzulässig, weil sich sonst die Stadt Stuttgart zu einem rechtswidrigen Handeln verpflichten würde."

Zustimmung zur Vorlage signalisiert StR Kotz (CDU) im Namen seiner Fraktion. Die Geschäftsgrundlage sei nicht weggefallen, da bislang keine höheren Zahlungsforderungen an die Landeshauptstadt gerichtet worden seien. Und das Ziel, über den Ausstieg der Stadt das Projekt zu beenden, sei angesichts der fortgeschrittenen Bautätigkeit völlig unrealistisch. Zudem wäre es das Schlechteste, was für die Stadt passieren könnte. Sowohl OB Kuhn als auch der Gutachter hätten ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es hier nicht um einen politischen Ermessensspielraum gehe, sondern um die juristische Zulässigkeit. Er bittet OB Kuhn, das Thema auf Wiedervorlage zu legen, damit es nach der höchstrichterlichen Entscheidung nochmals aufgerufen werde. Er sei sich ziemlich sicher, dass die Gerichte der Einschätzung der Verwaltung, des Gutachters und auch seiner Fraktion folgen werden.

An StR Rockenbauch (SÖS-LINKE-PluS) stellt er zwei Fragen: Ob er die Volksabstimmung bei einem anderen Ergebnis akzeptiert hätte und ab welchem Baufortschritt er das Projekt für unumkehrbar hielte.

Den Vorwurf, er habe die Unterzeichner des Bürgerbegehrens kriminalisiert, weist er mit dem Hinweis zurück, er habe nur aus der Vorlage des Herrn Oberbürgermeisters zitiert, der bekannterweise kein großer Förderer des Projekts sei und dennoch das Ziel des Bürgerbegehrens für rechtswidrig halte.

Hier weist StR Stopper (90/GRÜNE) auf den Unterschied im Ton hin, den es zwischen den Ausführungen seines Vorredners und der Vorlage des Herrn Oberbürgermeisters gebe. Er wolle nur daran erinnern, dass jeder, der einen Bauantrag stelle, in dem er eine Dachgaube beantrage, die im Baurecht nicht vorgesehen sei, ein rechtswidriges Ziel verfolge.

Seine Fraktion habe sich von Anfang an sehr intensiv mit dem Bürgerbegehren beschäftigt und sei aufgrund rechtlicher und politischer Bedenken zu dem Schluss gekommen, sie nicht zu unterstützen.

Seine Fraktion akzeptiere und respektiere das Ergebnis der Volksabstimmung, die mit einer Art politischer Geschäftsgrundlage verbunden sei. Ein wichtiger Teil hiervon sei der Kostendeckel von Land und Stadt, der bisher nicht infrage gestellt sei. An dieser Stelle betont er, dass seine Fraktion explizit gegen eine Kostenübernahme bei Mehrkosten sei und auch nicht davon ausgehe, dass es zu einer Situation komme, in der die Stadt Kosten übernehmen müsse.

Die Antragsteller des Bürgerbegehrens bemühten sich um eine Lösung für die Kostenexplosion. Seine Fraktion teile sowohl die Empörung über die Kostenexplosion als auch die Einschätzung im Gutachten und der Vorlage, dass die Stadt nicht Adressat der Sprechklausel sei und damit auch nicht verpflichtet, sich an Mehrkosten zu beteiligen. Diese Auffassung vertrete auch der Verwaltungsgerichtshof, der in seinem Urteil von 2014 zur Kostenexplosion und Leistungsfähigkeit festgestellt habe, dass die Bahn Mehrkosten übernehmen könne. Auf dieses Urteil sollte sich die Stadt ggf. berufen. Vor diesem Hintergrund teile seine Fraktion die Auffassung des Gutachters, dass das Bürgerbegehren "Storno 21" rechtlich nicht zulässig sei.

Auf die vom Gemeinderat bereits getroffenen Vorkehrungen im Falle von Mehrkosten kommt StR Körner (SPD) zu sprechen. Dann greife ein Bürgerentscheid über die Wahrnehmung eines Sonderkündigungsrechts.

Seine Fraktion werde der Vorlage der Verwaltung auch deshalb zustimmen, weil sie das Bürgerbegehren inhaltlich problematisch finde. Die Kündigung der Verträge sei für die Stadt mit einem hohen Schadenersatzrisiko - 1 bis 1 ½ Mrd. € - verbunden. Sie bekomme in diesem Fall zwar Geld von der Deutschen Bahn für die Rückabwicklung der Grundstücke, habe dann jedoch keine Grundstücke mehr. Die Schadenersatzzahlungen würden sich mit den Rückzahlungen für die Grundstücke aufrechnen. Auf diese Weise würde man sehr viel öffentliches Geld kaputtmachen, und darüber hinaus wäre die Frage, wie es verkehrspolitisch im Bahnknoten Stuttgart weitergehe, völlig ungeklärt.

Anders als die übrigen Rednerinnen und Redner spricht StR Rockenbauch (SÖS-LINKE-PluS) vom Rednerpult aus. Man stehe inhaltlich und rechtlich an einem Wendepunkt. Aufgrund der Faktenlage sei die Geschäftsgrundlage von S 21 entfallen. Die Bahn AG habe selbst eingestanden, "entweder unfähig zu sein, eine seriöse Kostenberechnung vorzulegen, oder absichtlich getäuscht zu haben". Hinzu komme der Leistungsrückbau, über den im folgenden Tagesordnungspunkt diskutiert werde.

Er betont, dass über die Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens nicht vom Gutachter, sondern vom Gemeinderat entschieden werde. Die Argumentation von Herrn Prof. Dr. Kirchberg gleiche der, mit der dieser das Bürgerbegehren zur Mischfinanzierung für unzulässig erklärt habe. Der VGH sei dieser Auffassung jedoch nicht gefolgt, sondern habe klar geurteilt, dass Anforderungen an die Begründung eines Bürgerbegehrens nicht so formuliert sein dürften, dass Bürgerbegehren dadurch nahezu undurchführbar würden. Die Haltung des Gutachters werde deutlich, wenn er beanstande, dass der Text in der Begründung Informationen aus einem Gespräch mit dem baden-württembergischen Verkehrsministerium nicht berücksichtige, das doch nachweislich erst nach dem Start des Bürgerbegehrens stattgefunden habe.

Die Sechs-Wochen-Frist gelte gemäß der Gemeindeordnung nur dann, wenn sich ein Bürgerbegehren gegen einen Gemeinderatsbeschluss richte. Im vorliegenden Fall gehe es jedoch um die Kündigung eines Vertrags.

Die Begründung des Gutachters sei in mehreren Punkten nicht stichhaltig. So zweifle dieser den Wegfall der Geschäftsgrundlage nach § 60 Verwaltungsverfahrensgesetz an, weil mit der Annahme eines SPD-Antrags 2009 schon eine Art Vorkehrung für Mehrkosten getroffen worden sei.

Nun gebe es für unvorhergesehene Risiken einen Risikopuffer und falls dieser nicht reichen sollte, habe man das Bürgerbegehren vorgesehen. Als die Bahn AG am 10.10.2012 festgestellt habe, dass die Kosten von 4,5 auf 6,5 Mrd. € steigen würden, sei offensichtlich geworden, dass die Vertragspartner - außer der Bahn AG - jahrelang getäuscht worden seien.


Im April 2009 habe man die Finanzierungsvereinbarung mit Kostenangaben der Bahn AG von 3 Mrd. € plus einem Risikopuffer von 1,5 Mrd. € beschlossen. Dies sei die Geschäftsgrundlage. Bereits im Sommer 2009 habe Drees & Sommer nachgewiesen, dass die Baukosten eher bei 5 bis 5,2 Mrd. € liegen würden. Um zu verhindern, dass das ordentliche Kündigungsrecht in den Verträgen ausgeübt würde, habe die Bahn AG Einsparungsmöglichkeiten in Höhe von 891 Mio. € verkündet, wodurch sich die Baukosten wieder auf unter 4,5 Mrd. € reduzierten. Am 10.12.2009 hätten die Vertragspartner verkündet, dass die Ausstiegsoption nicht gezogen werde. Bis Ende 2012 sei Geschäftsgrundlage gewesen, dass der 2007 vereinbarte Rahmen für Kosten und Risiken in Höhe von 4,5 Mrd. € ausreiche. Dabei hätten die Landesministerien bereits im November 2008 im Zusammenhang mit der Planfeststellung in den Abschnitten 1.2 und 1.6 deutliche Kostensteigerungen festgestellt. Doch hätte man diese binnen 8 Monaten nach Abschluss des Finanzierungsvertrags der Öffentlichkeit kaum kommunizieren können. Erst im Dezember 2012 habe die Bahn AG eingeräumt, dass durch eigenes Verschulden Leistungen nicht oder falsch budgetiert worden seien, und sie deshalb bereit sei, 1,1 Mrd. € selbst zu übernehmen. Ob die durch dieses Zugeständnis veränderte Sachlage auf arglistiger Täuschung oder Unfähigkeit der Bahn AG beruhe, sei für den Wegfall der Geschäftsgrundlage völlig unerheblich. Die Bahn AG sage selber in ihrer Aufsichtsratsvorlage im März 2013, sie hätte bei Kosten von 6,5 Mrd. € nie angefangen, S 21 zu bauen, da es so nicht mehr wirtschaftlich sei. Und allein schon mit Blick auf den Filderbahnhof und den Lärmschutz zeige sich, dass auch der Kostenrahmen von 6,5 bis 6,8 Mrd. € nicht zu halten sei.

An StR Kotz wendet er sich mit dem Hinweis, der städtische Anteil bei S 21 belaufe sich nicht lediglich auf 30 Millionen €. Beim Kostenstand von 4,5 Mrd. € trage die Stadt die Risikohaftung bis Risikostufe 3 in Höhe von 291 Millionen € zuzüglich Zinserlass für die Grundstücke in Höhe von 212 Millionen €. Bis zum letzten Tag lohne es sich, ein solches Projekt, das nicht nur Milliarden verschlinge, sondern von Anfang an ein Leistungsrückbau sei, zu beenden und zu bekämpfen.

StRin von Stein (FW) weist darauf hin, dass es in einem Rechtsstaat klare Verfahrensregeln gebe. Sie gehe davon aus, dass der Gutachter und die Verwaltung das Vorgehen in dieser Angelegenheit sehr sorgfältig geprüft hätten. Deshalb könne ihre Fraktion dem Beschlussantrag zustimmen.

Dem Volksentscheid seien Verträge gefolgt, damit die politischen Entscheidungen in eine Rechtssicherheit und eine Verlässlichkeit mündeten. Dies sollte man akzeptieren. Sie wolle auf keinen Fall, dass sich die Stadt Stuttgart rechtswidrig verhalte.

Hinzu komme, dass das Projekt nicht nur Stuttgart betreffe, sondern auch Ulm und die Strecke dorthin. Angesichts des weit fortgeschrittenen Projekts kämen auf die Stadt riesige Rück- und Schadensersatzforderungen zu. Und auch eine Diskussion um das Rosensteinviertel wäre bei einem Stopp des Projekts hinfällig.

An dieser Stelle weist OB Kuhn darauf hin, dass es keinen Sinn ergebe, wenn Personen, die StRin von Stein bei dem Satz "wir leben in einem Rechtsstaat" ausbuhten und sich zugleich auf das Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage beriefen. Entweder lebe man in einem Rechtsstaat oder nicht.

In seiner Fraktion gebe es unterschiedliche Ansichten zum Projekt S 21, erklärt StR Prof. Dr. Maier (AfD). Einig sei sie sich aber darin, dass das Zustandekommen und die Durchführung von öffentlichen Projekten, vor allem Großprojekten, dem Kriterium der Rechtsstaatlichkeit und der Beachtung demokratischer Gepflogenheiten - dazu gehöre insbesondere auch eine angemessene Bürgerbeteiligung - entsprechen müsse. Beides sehe seine Fraktion wenigstens im Ansatz als gefährdet an. So könne er nicht nachvollziehen, warum bei einem Vertrag, der ursprünglich auf 4,5 Mrd. € laute, bei einer nachträglichen Kostenerhöhung um mindestens 2,3 Mrd. € keine neue Sachlage bestehen solle. Das erscheine ihm so, als habe man bei einem Autokauf einen Vertrag über 20.000 € unterschrieben und erhalte noch während der Lieferzeit die Mitteilung, dass sich die Kosten auf 30.000 € erhöhten. Damit sei doch offensichtlich die Grundlage für den Kaufvertrag entfallen. Er wundere sich, dass laut dem Gutachter Stuttgart von der Kostenerhöhung nicht betroffen sein solle, obwohl die Stadt doch zu den Unterzeichnern der Finanzierungsvereinbarung gehöre.

Das Abschmettern von Bürgerbegehren ohne jegliche Diskussion habe in Stuttgart Tradition. Mehrere Redner hätten auf die sogenannte Volksabstimmung verwiesen, deren Ergebnis akzeptiert werden müsse. Doch habe in Baden-Württemberg nach politikwissenschaftlichem Sprachgebrauch keine Volksabstimmung stattgefunden, sondern ein Referendum. Bei einer Volksabstimmung werde die Frage, über die abgestimmt werde, von einer Bürgerbewegung formuliert. Erfolgreiche Beispiele dafür gebe es in Bayern und Hamburg. Dagegen werde die Frage bei einem Referendum von der Regierung formuliert. So werde es in Baden-Württemberg gehandhabt und bleibe nicht ohne Folge für das Ergebnis. Seine Fraktion werde der Vorlage nicht zustimmen.

StR Dr. Oechsner (FDP) übt Kritik an der inhaltlichen Diskussion, während es in der Vorlage doch allein um die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens gehe. Der Begründungstext sei seiner Ansicht nach bezüglich der Beteiligung an Mehrkosten nicht korrekt, weshalb seine Gruppierung dem Gutachten folge und der Vorlage zustimme.

Dagegen stimmt StR Dr. Schertlen (STd) für die Zulassung des Bürgerbegehrens, da die formalen Voraussetzungen erfüllt und vom begutachtenden Anwalt bestätigt seien. Die Nichtzulässigkeit könne er nicht nachvollziehen. Am 20.05.2015 habe der Bundesrechnungshof die Kürzung oder Streichung der Bundeszuschüsse für den Stadtbahntunnelbau in Karlsruhe angekündigt, da das Projekt aufgrund der Kostensteigerungen unwirtschaftlich geworden sei. Er rechne der Initiative in Stuttgart hoch an, dass sie sich bei diesen zulasten der Stadt abgeschlossenen Verträgen um Schadensbegrenzung bemühe.

Die Erfahrungen rund um den Filderbahnhof ließen sich auf andere Punkte übertragen. Er würde gerne den Antrag stellen, dass der Gemeinderat beschließe, dass sich die Landeshauptstadt nicht an weiteren Mehrkosten beteilige, da das bisherige Nichtvorliegen einer solchen Forderung seitens der Bahn AG der zentrale Punkt für die Ablehnung der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens sei.


Dass, wie unter Ziffer 1 der Begründung erwähnt, insbesondere kommunale Aufgaben der örtlichen Wirtschaftsförderung erfüllt würden, erschließe sich ihm angesichts der osteuropäischen Autokennzeichen der Bauarbeiter nicht.

Was die unter Ziffer 2b genannten irreführenden Darstellungen anbelange, so könne er diesen ohne Weiteres einige auf der Seite der Bahn AG hinzufügen: Der Kostendeckel werde eingehalten, die ursprüngliche Planung des Filderbahnhofs und der ursprüngliche Brandschutz reichten aus.

OB Kuhn weist StR Rockenbauch zum einen darauf hin, dass er Klage gegen die Bahn AG einreichen müsse, wenn diese die Öffentlichkeit betrogen hätte. Zum anderen habe er sich die Finanzierungsvereinbarung aus dem Jahr 2009 inklusive der Vorverträge sehr genau angesehen und sich über einige Formulierungen gewundert. Doch habe der Vertrag, dem die Vertragsteilnehmer inklusive des Gemeinderats zugestimmt hätten, zwei Dinge benannt: Eine Kündigung sei nur bis Ende 2009 möglich und bei einer Kostensteigerung greife die Sprechklausel, der zufolge dann Land und Bahn in Verhandlungen treten sollten. Von der Stadt Stuttgart sei hier nicht die Rede.

Das von StR Prof. Dr. Maier vorgebrachte Beispiel passe hier nicht, denn ein Autokaufvertrag enthalte keine Sprechklausel.

StR Rockenbauch stellt klar, seine Fraktionsgemeinschaft berufe sich nicht auf ein ordentliches Kündigungsrecht, sondern auf eines, das sich nach dem Wegfall der Geschäftsgrundlage ergebe. Die Sprechklausel helfe nicht weiter. Er halte es für sittenwidrig, ein Projekt, das offensichtlich über dem Kostenrahmen liege, zu bauen, ohne dafür eine neue Kosten- und Finanzierungsstruktur zu haben. Wie die Stuttgarter Zeitung in ihrer aktuellen Ausgabe schreibe, hielten auch die Anwälte der Bundesregierung bei Kostensteigerung einen Abbruch des Projekts für möglich. Dies sei ein neuer Hinweis darauf, dass die Verträge des Projekts sehr wohl kündbar seien.


Abschließend stellt OB Kuhn fest:

Der Gemeinderat beschließt mit 41 Ja- und 15 Nein-Stimmen mehrheitlich wie beantragt.

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