Protokoll: Gemeinderat der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
203/2023
GZ:
OB
Sitzungstermin: 27.04.2023
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Dr. Nopper
Berichterstattung:
Protokollführung: Frau Faßnacht fr
Betreff: Zielbeschluss für den Wohnungsneubau in Stuttgart

Vorgang: Ausschuss für Wirtschaft und Wohnen vom 31.03.2023, öffentlich, Nr. 56
Ergebnis: Einbringung

Ausschuss für Stadtentwicklung u. Technik v. 18.04.2023, öffentlich, Nr. 131
Ergebnis: ohne Votum erneut in den STA zur Vorberatung

Ausschuss für Stadtentwicklung u. Technik v. 25.04.2023, öffentlich, Nr. 142
Ergebnis: Verweisung ohne Votum in den Gemeinderat


Beratungsunterlage ist die Vorlage des Herrn Oberbürgermeisters vom 17.03.2023, GRDrs 203/2023, mit folgendem

Beschlussantrag:

1. Dem Ziel, zwischen 2023 und 2033 den Baubeginn von insgesamt 20.000 neuen Wohnungen zu ermöglichen, wird zugestimmt.

2. Um dieses Ziel zu erreichen, wird die Verwaltung mit den folgenden Aufgaben beauftragt: 3. Der Gemeinderat nimmt zur Kenntnis, dass aus dem Bauüberhang von aktuell über 5.000 Wohnungen für ungefähr 2.000 der unter 1 genannten 20.000 Wohnungen die Voraussetzungen für den Baubeginn bereits geschaffen worden sind, ohne dass die hierzu gehörenden Flächen in der Zeitstufenliste Wohnen oder in der Potentialanalyse Wohnen gelistet sind.

Zu diesem Tagesordnungspunkt mit aufgerufen sind die Anträge Nr. 103/2023 (90/GRÜNE) und Nr. 104/2023 (SPD), beide vom 17.04.2023.


OB Dr. Nopper nimmt Bezug auf sein Eingangsstatement anlässlich der Einbringung der Vorlage im Ausschuss für Wirtschaft und Wohnen am 31.03.2023: Erstens schlage die Verwaltung vor, am sehr ambitionierten und sehr optimistischen Neubauziel von 20.000 zusätzlichen Wohnungen netto in den nächsten elf Jahren festzuhalten. Man sei sich bewusst, dass die Baufinanzierungskosten seit dem vergangenen Jahr sich verdreifacht bis vervierfacht haben. Auch sei man sich bewusst, dass die Baukosten insgesamt seit dem vergangenen Jahr enorm angestiegen sind. Ebenso sei man sich bewusst, dass die Bautätigkeit von Baugenossenschaften und von privaten Wohnungsbauunternehmen in naher Zukunft stark zurückgehen wird. Die Bauwirtschaft selbst spreche von einem Auftragsrückgang beim Wohnungsneubau von 37 % im Februar 2023 gegenüber Februar 2022. Man gehe jedoch davon aus, dass die Situation sich mittelfristig was die Kostenseite angeht wieder verbessern wird. Zudem unterstütze man die Wohnbautätigkeit in städtischer Hand mit einer Finanzspritze in Höhe von 200 Mio. EUR für die SWSG für den Neubau von Wohnungen mit fairen und bezahlbaren Mieten - vorausgesetzt, der Gemeinderat stimme der Vorlage heute zu. Damit sollen auch in Zeiten stark gestiegener Kosten für Baufinanzierung und Gebäudeerstellung bis zum Ende des Jahres 2027 1.890 neue SWSG-Wohnungen entstehen. "Wir müssen bauen, wenn die private Immobilienwirtschaft auf die Bremse tritt oder besser gesagt, auf die Bremse treten muss", so der Oberbürgermeister. Die SWSG habe mit diesem Neubauprogramm deutschlandweit auf den Wohnungsbestand bezogen eine der höchsten Neubauquoten der städtischen Wohnungsbaugesellschaften.

Die zweite Botschaft laute, man strebe in Stuttgart keine Außenentwicklung an, halte aber Arrondierungen an Siedlungsrändern für unverzichtbar: "Wir schlagen Ihnen vor, in den Schwellenäckern in Sillenbuch, in Hausen, sowie an der Meßstetter, an der Prager Straße und an der Krautäckerstraße in Möhringen zu arrondieren. Wir schlagen Ihnen in dieser Situation nicht vor, auf dem Birkacher Feld im Süden unserer Stadt oder beim Viesenhäuser Hof im Norden unserer Stadt eine Bebauung im Außenbereich zu ermöglichen."

Die dritte Botschaft sei, Wohnungsbau gehe nicht durch die Stadt und durch die SWSG allein, "sondern wir brauchen auch die Baugenossenschaften und die privaten Wohnungsbauunternehmen. Wir können als Stadt im Wesentlichen nur die Voraussetzungen für neue Wohnungen schaffen. Es wird uns bei Weitem nicht gelingen, mit der SWSG allein die notwendige Anzahl von neuen Wohneinheiten zu schaffen. Deswegen müssen wir das Engagement von Baugenossenschaften und von privaten Wohnungsbauunternehmen durch die Erstellung neuer Bebauungspläne und durch optimierte Baugenehmigungsverfahren ermöglichen und stimulieren."

Die beiden in der Sache vorliegenden Anträge schlage die Verwaltung dem Gemeinderat vor, abzulehnen: Die Ablehnung des Antrags der Ratsfraktion von Bündnis90/DIE GRÜNEN deswegen, weil die Diskussion über die Wohnungsbauziele seit vielen Jahren schon geführt werde und alle entscheidungsrelevanten Fakten vorliegen. Den Antrag der SPD-Ratsfraktion schlage man vor abzulehnen, obwohl man den Wunsch nach noch mehr Wohnungen nachvollziehen könne und teile. Weil aber bereits der Verwaltungsvorschlag überaus ambitioniert und optimistisch sei, halte man alles, was darüber hinaus geht, aus gegenwärtiger Sicht und in absehbarer Zukunft für nicht realistisch.

StRin Schiener (90/GRÜNE) nimmt Bezug auf die vorausgegangenen Beratungen und auf die dazu vorliegenden Anträge. Nach ihrer Überzeugung wird es nie genügend Wohnungen geben - vor allem keine günstigen, bezahlbaren, geförderten Wohnungen. Die Verwaltungsvorlage sehe nun einen Zielbeschluss für den Wohnungsneubau vor. Es sollen 20.000 Wohnungen bis 2033 neu entstehen, würde man dem SPD-Antrag folgen, sogar 27.000. Die Nachfrage im STA, was der Beschluss bewirken soll, habe die Verwaltung damit beantwortet, dass er Klarheit bringen soll. Einerseits würde der Wohnungsbau in Stuttgart jedoch auch nicht gestoppt werden, wenn man 21.000 oder 22.000 Wohneinheiten fertigstellen könnte. Andererseits zeige die Statistik, dass in der Vergangenheit meist weniger als 2.000 Wohnungen pro Jahr in Stuttgart gebaut worden sind. In der Vorlage sei auch ein anderer Terminus gewählt worden, indem anstatt der Fertigstellung nun der Baubeginn relevant sein soll. Diese Änderung erschließe sich ihrer Fraktion überhaupt nicht, denke man z. B. an den Schwabenland-Tower in Fellbach, dessen Baubeginn vor mehr als acht Jahren war und wo bis heute keine einzige Wohnung bezugsfertig sei. Weiter bemängelt sie, dass nirgendwo aufgeführt werde, wie die angestrebten optimierten Verfahren aussehen sollen. Zudem habe OB Dr. Nopper eben selbst erwähnt, dass in diesen Zeiten Wohnungsbauunternehmen - private wie Baugenossenschaften - von Projekten Abstand nehmen. Deswegen sei der Antrag Nr. 103/2023 genauso zu verstehen wie sein Titel lautet: "Grundsatzbeschlüsse auf Faktenbasis realistisch fassen!"

StR Dr. Vetter (CDU) schickt voraus, seine Fraktion werde der Verwaltungsvorlage heute zustimmen. Man teile die Meinung der Verwaltung, wonach mit der Zeitstufenliste Wohnen, der Potenzialanalyse Wohnen, dem Baulückenkataster und dem Nachhaltigen Bauflächenmanagement genügend Instrumente zur Verfügung stehen, um die Flächen zu kennen, wo gebaut werden kann. Man sehe aber auch die Situation, wie sie eingetreten ist, und halte daher das Ziel, den Baubeginn von 20.000 Wohneinheiten bis 2033 zu ermöglichen, für eine sehr optimistische Rechnung. Laut einem Presseartikel des Immobilienverbands IVD vom 30.03.2023 sei ein Rückgang der Baugenehmigungen beim Wohnungsbau von nahezu 33 % festzustellen. Laut den Zahlen des Statistischen Landesamts für 2022 wurden in Stuttgart sogar nur 909 Wohneinheiten genehmigt. Es wäre daher realitätsfremd zu glauben, man müsste nur die Ziele anheben, um dies zu ändern. Höhere Ziele zu setzen sei nicht gleichbedeutend mit mehr Wohnungsbau, sondern überfordere - sofern die Ziele unrealistisch sind - auch die mit Wohnungsbau beschäftigten Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter.

Mit Blick auf den SPD-Antrag macht er darauf aufmerksam, dass die SPD-Bundesbauministerin mittlerweile das Ziel von 400.000 Wohnungen, die sie ursprünglich gefordert hat, erheblich reduziert habe. Die Unterstützer der Forderung, dass die Stadt für private Investoren einspringt und beispielsweise das EnBW-Gelände an der Hackstraße übernimmt und 800 Wohneinheiten fertigstellt, oder das Eiermann-Areal von der Adler Group mit 1.400 Wohneinheiten übernehmen soll, müssten zur Kenntnis nehmen, dass - wenn dies durch die SWSG erfolgen soll - es entsprechende Personalressourcen dafür braucht und vor allen Dingen Kapital. Die 200 Mio. EUR zur Eigenkapitalstärkung der SWSG, die heute zur Beschlussfassung anstehen, reichen nur für den Bestand und das Ziel, welches der SWSG vorgegeben wurde. Allen müsse bewusst sein, dass dann mindestens weitere 500 Mio. EUR Eigenkapital fließen müssen, damit solche Ziele realistisch werden können.

Als Stadt müsse man permanent nach Möglichkeiten suchen, um den Wohnungsbau in dieser Situation zu fördern. Dazu gehöre bürokratische Hürden und lange Genehmigungsdauern abzubauen. In der Frage, welche Mittel es dazu gibt, werde sicherlich kein geeignetes Mittel sein, die SIM-Quote zu erhöhen, wie die GRÜNEN dies zunächst gefordert haben. Ein Lösungsansatz könnte aus seiner Sicht sein, die SIM-Vorgaben zu belassen und seitens der Verwaltung schnellere Planungs- und Beratungsprozesse in Angriff zu nehmen, vielleicht auch Bebauungspläne zu überarbeiten, um höhere Nutzungen in einzelnen Baugebieten auszuweisen und mit der Ermöglichung einer höheren Wertschöpfung den SIM-Anspruch auszulösen. Die Bauvorhaben müssten schneller genehmigt werden und dazu sei es wichtig, Ermessensspielräume zu nutzen. Weiter brauche es die Einführung digitaler Prozesse und schlankerer Strukturen sowie das Ausweisen neuer Bauflächen. Denn laut der Potenzialanalyse Wohnen gebe es 18.300 Wohneinheiten, doch nur über 13 % davon verfüge die Stadt, das Land oder der Bund. Die anderen 87 % seien in privatem Eigentum und diese Eigentümer gelte es zu überzeugen, zu bauen. Herrn Körner fragt er nach Möglichkeiten, um den privaten Mietwohnungsbau zu fördern. Beim Thema Nachverdichtung regt er darüber hinaus an, die Eigentümer anzuschreiben und ihnen die Baumöglichkeiten aufzuzeigen mit dem Angebot der Erstellung von Testentwürfen. Vor allen Dingen müsse man sich jedoch auch befreien "aus der Geiselhaft der Eidechsen". Es brauche pragmatische Ansätze und niedrige Barrieren, um den Wohnungsbau in Stuttgart zu fördern. Insofern freue sich seine Fraktion, heute das Ziel zu definieren, um im Anschluss daran die Wege dorthin gemeinsam festzulegen anhand der weiteren Informationen, z. B. mit der aktualisierten Zeitstufenliste Wohnen.

StR Conzelmann (SPD) stimmt der Aussage des Vorsitzenden zu, wonach alle notwendigen Informationen vorliegen. Den Antrag Nr. 103/2023 lehne man daher ab. Er erinnert an seine Statements anlässlich der Einbringung und der Vorberatung der Vorlage. Aus der Unzufriedenheit mit der Verwaltungsvorlage heraus habe seine Fraktion den Antrag Nr. 104/2023 formuliert, über den er heute abzustimmen bittet. Er erläutert die darin beantragte Änderung der GRDrs 203/2023, argumentiert im Sinne des Antrags und fordert die anderen Fraktionen auf, sich ebenfalls ein Ziel zu stecken, das die beschriebene Realität am Wohnungsmarkt wahrnimmt, sie ernstnimmt und sich am wahren Bedarf in Stuttgart orientiert, statt dem, was die Verwaltung für machbar hält. 7.000 Wohneinheiten zusätzlich seien machbar: Bei einem engagierten Umgang mit der Zeitstufenliste Wohnen ließen sich 500 Wohnungen pro Jahr mehr erreichen, weitere 2.000 Wohnungen können über den 10-Jahres-Zeitraum aus der Potenzialanalyse Wohnen realisiert werden. Gegebenenfalls hätte man auch über das Szenario 2, das die Verwaltung vorgelegt hat, noch einmal 6.900 potenzielle Wohnungen in Reserve.

An StR Dr. Vetter gewandt weist er darauf hin, würde man die bundesweit 400.000 Wohneinheiten pro Jahr herunterbrechen auf Stuttgart, müsste man mit ganz anderen Hausnummern rechnen. "Denn wo sollen diese Wohnungen denn entstehen, wenn nicht in den Ballungsgebieten?" Auch insofern sei man sehr realistisch, aber auch ambitioniert. Als Bestätigung erinnert er an das auf Initiative seiner Fraktion korrigierte Klimaneutralitätsziel, wonach Stuttgart bis 2035 klimaneutral werden soll. Auch dort sei allen bewusst, dass dies kein Selbstläufer wird und dass es extremer Anstrengungen bedarf, dieses Ziel zu erreichen. Ohne enges Monitoring, ohne nachzusteuern, da wo es notwendig wird, laufe man Gefahr, das Klimaziel nicht zu erreichen, und trotzdem habe sich der Rat gemeinsam getraut, sich dieses Ziel zu setzen. Somit müsse man sich die Frage stellen, warum man diesen Ehrgeiz nicht auch bei dem Thema des fehlenden bezahlbaren Wohnraums entwickelt, das seit vielen Jahren bei allen Bürgerumfragen als größtes Problem an erster Stelle genannt werde.

Von den vorgeschlagenen 20.000 Wohnungen seien lediglich 6.000 im geförderten Bereich, hebt StRin Tiarks (Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei) hervor. Weil man nur diese tatsächlich brauche, brauchen die Stuttgarter*innen die 14.000 anderen Wohnungen nicht, denn diese seien ein Geschenk an die Immobilienwirtschaft. Die SPD wolle nun "den Pflugfeldern und Vonovias gleich 7.000 Wohnungen zusätzlich schenken". Diese Wohnungen könnten nur realisiert werden, wenn zukünftig arrondiert und auf der grünen Wiese gebaut werde. Dieser Neubaubeschluss schaffe nicht die notwendigen bezahlbaren Wohnungen, sondern sei darüber hinaus eine ökologische Katastrophe. Von den 6.000 Wohneinheiten im geförderten Bereich sei noch nicht einmal klar, ob es Sozialmietwohnungen sein werden oder ob es sich um Wohnungen aus dem geförderten städtischen Eigentumsprogramm handelt - und dies, obwohl seit Jahren in der städtischen Vormerkdatei für Wohnungssuchende ca. 4.500 Personen und darunter 3.000 Dringlichkeitsfälle registriert sind.

Schon lange hätten die Stuttgarter*innen Miethaushalte die Schmerzgrenze erreicht. 20 % von ihnen wenden mehr als 40 % ihres Einkommens für Miete auf, 11 % sogar mehr als die Hälfte und könnten sich diese Wohnungen eigentlich gar nicht mehr leisten, insbesondere in Zeiten steigender Inflation. Weil sie schließlich irgendwo wohnen müssen, bleibe ihnen nichts Anderes übrig. "Höhere Mieten in einzelnen Wohnungen führen automatisch zu einem höheren Mietspiegel für das umgebende Wohngebiet und geben damit für Vermieter*innen einen Grund, auch in anderen Wohnungen höhere Mieten zu verlangen oder langjährige Mieter*innen rauszuekeln, um einen neuen Mietvertrag zu höheren Mieten abzuschließen." Die Konsequenz sei Gentrifizierung. Sie könne nicht nachvollziehen, wie man bei einer so völlig falschen Strategie, die schon seit Jahren nicht funktioniere, weiterhin glauben kann, jetzt auf einmal Erfolg damit zu haben. Anstatt über den SPD-Antrag zu diskutieren, müsste man eigentlich über das Eiermann-Areal reden und darüber, wie dieses schnell in städtische Hand zu bekommen ist, oder auch über das EnBW-Areal am Stöckach. Letzteres sollte für die iba 2026 ein Leuchtturmprojekt sein und werde nun eher ein Totalausfall, da die EnBW festgestellt habe, dass die Marktsituation die wirtschaftliche Umsetzung derzeit nicht zulässt. Daran zeige sich, dass gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung grundsätzlich nicht Aufgabe privatwirtschaftlicher Investor*innen sein darf. Die hätten schlichtweg das Interesse, Gewinne einzufahren. BM Fuhrmann müsste deswegen eigentlich gerade mit der EnBW und der Adler Group Kaufverhandlungen führen mit dem Ziel, schnellstmöglich in Vaihingen und im Stuttgarter Osten in städtischer Hand bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Die FrAKTION werde daher dem Antrag der GRÜNEN zustimmen und den SPD-Antrag ablehnen.

StR Puttenat (PULS) weist darauf hin, dass jahrzehnte-, wenn nicht gar jahrhundertelang bedenkenlos gebaut und erweitert wurde. Nun finde ein Paradigmenwechsel statt, nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass der Bausektor für ca. 40 % der Emissionen verantwortlich ist. PULS wolle jeweils im Einzelfall entscheiden: "Was wird wo gebaut? Für wen, mit wem und nicht zuletzt, wie wird gebaut? Bauen wir zirkulär? Bauen wir gemeinwohlorientiert? Fragen und Kriterien, kurzum, für uns Maß statt Masse, und Behutsamkeit." Gleichzeitig gehe es PULS nicht darum, Neubauten prinzipiell zu verhindern. So habe man ein gutes Gefühl beim Rahmenplan Rosenstein, wo in einem guten Zusammenspiel von asp, Landschaftsarchitekten und den Ämtern, insbesondere dem Amt für Umweltschutz, behutsam und beispielhaft geplant werde. Beim Stichwort Rosenstein sei PULS die MakerCity besonders wichtig. Angesichts dessen, dass die MakerCity den Auftakt zum gesamten Rosensteinquartier macht, werde viel zu wenig über sie gesprochen. "Wir brauchen dort das beschlossene Begleitgremium und wir sollten es eigentlich schon längst haben!" Bezüglich der von der Verwaltung ausgemachten 16 potenziellen Baufelder wisse man heute noch nicht, wie man sich im Einzelfall dazu verhalten werde. Auch ans temporäre Bauen setze man Fragezeichen. Auch hier kündigt der Stadtrat Einzelfallentscheidungen an. "Temporäre Bauten müssen rückbaubar und anderswo wieder aufbaubar sein, Tiny-Häuser nur dann, wenn stapelbar bei effizienter Nutzung von Flächen."

Generell lasse die Beschlussvorlage für PULS zu viele Fragen offen: Denn man sei skeptisch, im Jahr 2023 einem Zielbeschluss zuzustimmen, der einen Zeitraum von elf Jahren beinhalten soll. Gewünscht hätte man sich zudem einen ausgearbeiteten Zielbeschluss zum Umgang mit dem Potenzial Bestand - Stichwort: Nachverdichtung, Umwidmung von zunehmenden Leerständen, perspektivisch die Verödung von Einkaufsstraßen angehen, um dort Wohnen und Bewegungsräume zu schaffen als Chance für die Lebenswerte Innenstadt, Wohnraum schaffen durch Verkleinerung und Teilung von bestehenden Wohneinheiten, neue Wohnformen etc. Aus Sicht von PULS gibt es das Potenzial für mehr Wohnraum in dem, was bereits besteht, schon längst. Die Dynamik der letzten Tage zeige auch, dass im Bestand enormes Potenzial liegt - siehe die Beispiele Eiermann-Areal und Stöckach. PULS sei keine Freundin der Enthaltung, vor allem nicht bei wichtigen Beschlüssen, betont der Stadtrat. Heute jedoch werde man sich guten Gewissens der Stimme enthalten.

StR Neumann (FDP) betont, "Stuttgart ist für jeden, der hier Wohnungen bauen möchte oder vielleicht auch bauen muss, wie die SWSG, ein toxischer Standort!" So habe man multiple Probleme in Stuttgart: "Unter anderem einen Gemeinderat, der ständig Anforderungen an die Immobilienwirtschaft stellt, die überhaupt nicht erfüllbar sind und der die völlig unrealistischen Ziele dann auch noch ambitioniert nennt." Dazu gehöre auch die SIM-Quote von 40 %. Sie sei genannt worden von den kleinen und mittleren Baugenossenschaften, mit denen man zusammenarbeiten wollte, die aber diese 40 % nicht schaffen können. Dennoch werde das Thema von der ökosozialen Gemeinderatsmehrheit immer wieder gefordert. Somit werde man diese mittleren und kleinen Baugenossenschaften nicht mehr als wichtige Partner für den Wohnungsbau in Stuttgart behalten können. Ein weiteres Thema sei, dass es Behörden gebe, die im Zweifel im Rahmen ihres Ermessensspielraums eher eine Entscheidung gegen ein Wohnbauprojekt fällen als für ein Wohnbauprojekt. Und selbst wenn alle Verfahren durchlaufen sind, so "komme die untere Umweltschutzbehörde daher und findet plötzlich Eierschalen von irgendeinem Wendehals. Da können Sie Ihr Projekt gerade wieder kippen!" Hinzu komme noch die Variante, dass womöglich im Rahmen des Wohnbauprojekts ein winziges Stückchen Acker bebaut werden soll: "Dann schreien die GRÜNEN auf und sagen, das geht auf gar keinen Fall!"

Obwohl also alle im Rat ständig beteuern, sie wollten Wohnungen haben, so stehe doch immer ein großes "Ja, aber…" dahinter: So wollen die einen dafür aber keine alten Gebäude abreißen, die anderen wollen aber nicht auf dem Acker bauen, die dritten aber mit 40 % SIM-Quote usw. Dies sei nicht erfüllbar. Stattdessen müsse man realistisch bleiben, sich als Gemeinderat einmal kompromissbereit zeigen und sich ein Stückweit in einem vernünftigen Rahmen trotzdem mit ambitionierten Anforderungen auf die Immobilienwirtschaft zugehen. "Mit uns Freien Demokraten wird es Wohnbau in Stuttgart nicht mit einem "Ja, aber", sondern mit einem großen "ohne Wenn und Aber" geben. Deswegen werden wir heute den vorgelegten Zielen von 20.000 Wohneinheiten, die wir immer noch als sehr ambitioniert empfinden aufgrund der genannten Gründe, aber dieser Vorlage werden wir zustimmen. Wir finden auch, dass die "Ja, abers" in dieser Vorlage durchaus berücksichtigt worden sind, z. B. für das Thema Potenzialanalyse Wohnen. Sollte die Vorlage heute keine Ratsmehrheit bekommen, so ist das ein eindeutiges Votum dieses Gemeinderats gegen den Wohnbau in Stuttgart!"

StR Schrade (FW) macht deutlich: "Wohnungsbau ist und bleibt wichtig, auch und gerade in Zeiten, in denen Bauen deutlich teurer und damit schwieriger wird!" Es sei deshalb wichtig, als Stadt ein Signal für den Wohnungsbau zu setzen und ein Ziel auszugeben. Dieses Ziel halte man als Freie Wähler für realistisch und nachvollziehbar. Auch halte man den Zeitpunkt jetzt für richtig, um diesen Zielbeschluss - der auch eine gewisse Verbindlichkeit für die Stadtverwaltung beinhalte - zu fassen. Er wirke nach außen, weil er zeige, "dass wir Wohnungen bauen wollen und dass wir die Anzahl der Wohnungen, die wir schaffen können, realistisch einschätzen." Nicht verstehen könne man hingegen das von seinem Vorredner bereits kritisierte "Ja, aber". Es könne nicht sein, dass der Rat in Zeiten, in denen Wohnungen bauen für Wohnungsbaugenossenschaften und für Bauträger schwieriger wird, in denen alles teurer wurde und in denen es Materialengpässe gibt, die Anforderungen noch weiter erhöht - Beispiel SIM-Quote. Zu bedenken gebe er auch, dass geförderte Wohnungen eine Quersubventionierung der nicht geförderten Wohnungen nach sich ziehen, sodass Mieter, die in nicht geförderten Wohnungen wohnen immer auch ein Stückweit die geförderten Wohnungen mitbezahlen.

Den Wortbeitrag von StR Dr. Vetter aufgreifend geht er ein auf die seiner Fraktion extrem wichtigen Themen Bebauungspläne und Baugenehmigungen. Bereits seit vielen Jahren fordern die Freien Wähler, dass man bei Bebauungsplänen, die Grundlage sind, um überhaupt bauen zu können, schneller vorankommen muss. Auch was das Thema Baugenehmigungen angeht, hoffe man, dass die Verwaltung Spielräume ausnutzt und dass beim Baurechtsamt in nächster Zeit Verbesserungen eintreten werden, die es ermöglichen, mehr Baugenehmigungen in kürzerer Zeit erteilen zu können.

Sollte sich herausstellen, dass das Ziel nicht ambitioniert genug ist oder der Markt sich beruhigt und Bauen vielleicht wieder günstiger wird, so könne man immer noch nachsteuern. Für Stand heute halte man es jedoch für richtig, den Zielbeschluss in der vorgelegten Größenordnung zu beschließen. In der Folge lehne man beide Anträge ab.

Abschließend merkt der Stadtrat an, in der heutigen Diskussion sei der Eindruck erweckt worden, es gebe einen guten Bodenverbrauch und einen schlechten Bodenverbrauch. Gehe man für Wohnungsbau oder für Gewerbe auf den Acker, so zähle dies zum schlechten Bodenverbrauch, wenn dagegen der Stadtbahnbetrieb ausgebaut werden soll und ein neuer Betriebshof gebraucht wird - Beispiel Weilimdorf -, gebe es wenig Aufregung, wenn 9 Hektar Ackerflächen verbraucht werden und zudem Kleingartenflächen verlorengehen sowie vorübergehend 4 Hektar Ackerflächen als Baustelleneinrichtungsfläche herangezogen werden.

Nach Auffassung von StR Köhler (AfD) muss man sich so ehrgeizige Ziele setzen "aufgrund einer sehr beliebten Stadt und aufgrund eines euphorischen Zuzugs in diese Stadt". Man müsse sich klarmachen, "dass dieser Zuzug auf den freiwilligen Willen trifft, diese Menschen auch konsequent und mit einigermaßen günstigem Wohnraum zu versorgen". Seine Fraktion werde dem Verwaltungsvorschlag zustimmen, weil die Vorgehensweise realistisch sei. Ob dies auch auf die Zahl zutrifft, könne heute keiner wirklich beurteilen. Es sei der Versuch, den Wohnungsbau voranzutreiben mit einer Methodik, die nachvollziehbar und pragmatisch sei. Deutlich geworden sei auch, dass das Kräfteverhältnis zwischen Investoren und den sonstigen Beteiligten bei solchen Bauprojekten sich verschoben hat. Er äußert Zweifel bezüglich der Mutmaßung, es könnte sich mittelfristig wieder einrenken. Deswegen sei es erforderlich, eine Umgebung zu schaffen, wo Investoren bessere Bedingungen haben. Auch an der SWSG lasse sich ablesen, dass die Zeichen sich geändert haben: Denn die städtische Kapitaleinlage von 200 Mio. EUR sei nur dazu da, um am Ende einigermaßen die Ziele halten zu können. Zu beiden Anträgen erklärt der Stadtrat Ablehnung.

StRin Yüksel (Einzelstadträtin) verweist auf die immer dramatischer werdende Wohnungsnot in Stuttgart. Sie habe sich in den letzten Jahren zu dem größten sozialen Problem in dieser Stadt entwickelt. Das Ziel, den Baubeginn von 20.000 Wohnungen bis 2033 auf den Weg zu bringen, sei wirklich ambitioniert. Man könne froh sein, wenn das in der Vorlage gesetzte Ziel in dieser Zeit erreicht wird. Unabhängig davon, dass die im SPD-Antrag geforderten zusätzlichen Wohnungen dringend benötigt werden und dieser höhere Bedarf sicher von jedem Ratsmitglied anerkannt werde, teile sie die Meinung der Verwaltung, dass die Realisierung bis 2033 schlichtweg nicht möglich sein wird. Sie werde diesen Antrag daher ablehnen. Inhaltlich gar nicht nachvollziehbar sei für sie der Antrag der GRÜNEN, heute überhaupt keinen Zielbeschluss zu fassen, weshalb sie auch diesen Antrag ablehnen werde. Ihre Zustimmung erfolge zur Vorlage der Verwaltung.

Herr Körner (S/OB) stellt klar, der Oberbürgermeister mache dem Gemeinderat diesen Beschlussvorschlag, weil er Orientierung geben möchte - auch für einen langfristigen Zeitraum, weil dies für das Thema Wohnen erforderlich sei. Die Orientierung erfolge nach innen und nach außen und sie entstehe durch Klarheit. Zur Frage, warum der Terminus Baubeginn gewählt worden ist und nicht die Baufertigstellung führt er aus: "Klarheit soll dadurch entstehen, was die Stadt tun kann und was sie nicht tun kann. Die Stadt kann Voraussetzungen dafür schaffen, dass Wohnungsunternehmen Wohnungsbau betreiben können. Sie kann Bebauungspläne auf den Weg bringen, Sie können die Satzung dazu beschließen, wir können Baugenehmigungen erteilen." Die Vorlage solle aber auch Klarheit bringen, was die Stadt nicht tun kann. Sie könne eben nicht am Eiermann-Areal oder am Stöckach Wohnungsbau betreiben. Sie habe nicht die Ressourcen, um überall Wohnungsbau zu betreiben, sondern die Stadt sei darauf angewiesen, dass Wohnungsunternehmen, Privatleute, in Stuttgart investieren und neue Wohnungen erstellen. Dass heute eine Vertreterin vom Bau- und Heimstättenverein und ein Vertreter vom Bau- und Wohnungsverein auf der Zuhörertribüne sitzen, sei ein starkes Zeichen dafür, "dass es Partner gibt in dieser Stadt, die weiterhin bereit sind, mit der Stadt gemeinsam diese Aufgabe zu bewältigen. Auch das gehört zur Klarheit dazu: Wir alleine schaffen das nicht, sondern wir brauchen Partner. Sie wissen, welchen Kapitalbedarf allein das Festhalten am Neubauprogramm der SWSG bereits jetzt ausgelöst hat. Da kommen wir an Grenzen, die wir alleine nicht überschreiten können."

Auch die Zahl von 20.000 Wohnungen bringe Klarheit: "Ambitioniert und realistisch und auch Klarheit bringend, was das Angebot und die Nachfrage anbelangt." Es sei legitim, wenn eine Fraktion ihre ablehnende Haltung zu einer größeren Entwicklung und zur Außenentwicklung überhaupt zum Ausdruck bringt. Auch sei es legitim, wenn eine andere Fraktion deutlich macht, dass sie die in der Vorlage genannte Zahl für ein zu wenig ambitioniertes Ziel hält. Weiter verweist er auf die eingangs vom Oberbürgermeister gemachte Aussage, wonach dieser nicht die offensive Außenentwicklung auf dem Birkacher Feld oder dem Viesenhäuser Hof vorschlägt, sondern eine ausgewogene, ambitionierte und realistische Zielvorgabe macht, die genau diese Abwägung vornimmt. Eine solche Abwägung könne einerseits bedeuten, dann eben für weniger Wohnungsbau zu stehen oder für mehr Wohnungsbau, was wiederum nur möglich wäre durch eine offensive Außenentwicklung. "Wir haben mit den 20.000 auch eine Nachfrage-Orientierung vorgenommen, weil wir im Auftrag von Ihnen eine Analyse durchgeführt haben, welche Nachfrage zu erwarten ist und genau diese Zielzahl von 20.000 dabei herausgekommen ist." Klarheit solle darüber hinaus auch dadurch entstehen, indem eine lange Diskussion zu einem Ergebnis geführt wird. Dies bitte er heute zu tun, denn dies diene der Orientierung und gebe Klarheit für alle Beteiligten, was wiederum die Voraussetzung dafür sei, um überhaupt mit Partnern in der Stadt erfolgreich für neue Wohnungen und für bezahlbare Wohnungen sorgen zu können.

StR Rockenbauch hält es für absurd zu behaupten, die Stadt hätte die Ressourcen nicht dafür, um das Eiermann-Areal und das EnBW-Areal gemeinsam mit denen, die wirklich geförderten und bezahlbaren Wohnraum schaffen, umsetzen zu können. "Wer, wenn nicht wir, hätte dieses Geld, um nicht ausschließlich, aber auch bezahlbaren
Wohnraum zu schaffen, sondern ausschließlich dauerhaft gesicherten bezahlbaren Wohnraum auf städtischer Fläche?" Dies schließe nicht aus, dass man Partner*innen dafür noch gewinnt.



StRin Schiener kann den Ausführungen von Herrn Körner nichts Neues entnehmen und klärt StR Neumann dahingehend auf, dass gerade in einem Bebauungsplan alle Einzelaspekte abgeprüft werden. Sie weist die Schlussfolgerung von Herrn Körner zurück, wonach die Ratsfraktion der GRÜNEN folglich für weniger Wohnungsbau wären. Man verschließe sich dem Wohnungsneubau nicht, aber man habe andere Wege im Auge. Wohnungsneubau bedeute für sie nicht, das Tor zu öffnen für eine Außenbereichsbebauung, sondern man wolle über jede einzelne Fläche abstimmen. Auch was die Zustimmung zum SSB-Betriebshof in Möhringen angeht, so habe ihre Fraktion eine Abwägung getroffen.



OB Dr. Nopper bittet anschließend um Abstimmung über den Antrag Nr. 103/2023. Er stellt fest, dass der Antrag bei 25 Ja-Stimmen und 31 Nein-Stimmen mehrheitlich abgelehnt ist. Die Abstimmung über den Antrag Nr. 104/2023 ergibt ebenfalls mehrheitliche Ablehnung (7 Ja-Stimmen).

Der Vorsitzende stellt abschließend die GRDrs 203/2023 zur Abstimmung und stellt fest:

Der Gemeinderat beschließt mit 35 Ja-Stimmen, 6 Nein-Stimmen und 8 Enthaltungen mehrheitlich wie beantragt.


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