Protokoll: Gemeinderat der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
217/2014
GZ:
KBS
Sitzungstermin: 10.04.2014
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Kuhn
Berichterstattung:-
Protokollführung: Frau Gallmeister
Betreff: Ganztagsgrundschulen:
Vereinbarungen mit den Trägern der Jugendhilfe
Änderung der Präambel

Vorgang: Verwaltungsausschuss vom 09.04.2014, öffentlich, Nr. 100

Ergebnis: einmütige Zustimmung


Beratungsunterlage ist die Vorlage des Referats Kultur, Bildung und Sport vom 25.03.2014, GRDrs 217/2014, mit folgendem

Beschlussantrag:

1. In den Mustervereinbarungen mit den Trägern der Jugendhilfe über den Betrieb einer Ganztagesgrundschule wird in §1 Abs. 5, 1. Satz "Da die Arbeit in Schulen stattfindet, ist für den Träger und sein Personal weltanschauliche Neutralität unabdingbare Voraussetzung für die Arbeit in der Ganztagesgrundschule." gestrichen.

2. Der Absatz behält folgende Fassung: "Der Träger wirkt im Rahmen dieses Vertrags am Erziehungs- und Bildungsauftrag der Schule im Sinne des Schulgesetzes mit."


OB Kuhn verweist auf die einmütige Zustimmung des Verwaltungsausschusses und erteilt anschließend den Sprecherinnen und Sprechern der Fraktionen das Wort.


StR Pätzold (90/GRÜNE) erinnert an die stattgefundenen Diskussionen, u. a. zu den Themen "weltanschauliche Neutralität", "Diskriminierungsfreiheit", "Transparenz". Die Diskussion sei noch nicht zu Ende, da es noch einen Antrag aller Fraktionen aus den Haushaltsplanberatungen heraus gibt, wie man mit den freien Trägern hinsicht- lich des Themas Diskriminierungsfreiheit umgeht. Nach Gesprächen mit den freien Trägern habe sich gezeigt, dass eine Diskussion nicht als schlecht angesehen wird, sondern auch begrüßt wird, um darzustellen, wie der Status quo wirklich aussieht.

Dass der genannte Satz in der Präambel gestrichen wird, sei deshalb logisch, da er von den freien Trägern so nicht unterzeichnet werden könne. Selbstverständlich gelte das Schulgesetz, betont StR Pätzold. Auch alle Gesetze, die in diesem Rahmen und in diesem Bereich auch bei den freien Trägern oder Schulen gelten, wolle keine Seite in irgendeiner Form verändern; aber man wolle Transparenz herstellen und auch darüber diskutieren. Seine Fraktion werde der Vorlage zustimmen, da die Änderung in der Präambel zur Klarheit beitrage, sodass die Vereinbarung von allen Beteiligten unterschrieben werden könne.

StRin Ripsam (CDU) macht auf den Antrag Nr. 104/2014 ihrer Fraktion aufmerksam, der durch die Stellungnahme hierzu als erledigt angesehen werden kann. Der Stadträtin ist es wichtig - wenn der pragmatische Ansatz gewählt wird -, nochmals darzustellen, dass es im Prinzip vor Ort keine Probleme gibt. Bisher sei aus keiner Einrichtung der beiden Kirchen an ihre Fraktion herangetragen worden, dass die Kinder nicht in geeigneter Art und Weise betreut, gebildet und informiert würden oder dass es irgendwelche Schwierigkeiten in dieser Fragestellung gibt. Die Stadträtin zitiert aus § 1 Abs. 2 des Schulgesetzes und erachtet es als wichtig, dass die Stadt die Wertevermittlung an den Einrichtungen deutlich macht, egal ob es sich um die Betreuung in der Ganztagsschule oder in den Kindertageseinrichtungen handelt. Die Kirchen und die anderen freien Träger seien für die Stadt wichtige Partner für die künftige Entwicklung und Bildung der Kinder. Deshalb halte ihre Fraktion den vorgeschlagenen Weg für sinnvoll.

Der zu streichende Satz in der Präambel sei von vornherein "Unsinn", da niemand weltanschaulich neutral sei, bemerkt StRin Dr. Blind (SPD). Für die Kirchen sei er besonders schwierig und man hätte die Kirchen aus der Betreuung der Ganztags- schulen ausgenommen; die Vielfalt der freien Träger in Stuttgart sei aber ein Glück für die Stadt. Gerade auch mit der pädagogischen Arbeit der Kirchen und ihrer Offenheit anderen Religionen gegenüber mache die Stadt seit Jahrzehnten z. B. im Kita-Bereich sehr gute Erfahrungen.

Die Stadträtin erinnert daran, dass Ausgangspunkt für die Diskussionen ein 10-Punkte-Antrag für eine gute Ganztagschule vom Oktober 2012 gewesen sei, mit dem es ihrer Fraktion um das Schulgesetz gegangen sei. Der Inhalt von § 38 des Schulgesetzes, "dass die Lehrkräfte an öffentlichen Schulen keine politischen, religiösen oder weltanschaulichen Bekundungen abgeben dürfen, die geeignet sind, die Neutralität des Landes gegenüber Schülern und Lehrern oder den Schulfrieden zu stören", gelte nur für die Lehrkräfte. Ihrer Fraktion sei es aber wichtig, dass er auch für das pädagogische Personal gilt, denn es sei ihrer Fraktion um die unbedingte Achtung vor der politischen Haltung, vor der Religion und der Weltanschauung von Schülern und ihren Eltern gegangen. Dabei habe ihre Fraktion überhaupt nicht nur die Kirchen im Blick gehabt, da sich "unreflektiertes politisches, religiöses oder weltanschauliches 'Eifertum' und Sektiererei" überall fänden, gerade auch außerhalb von Kirchen und kirchlichen Trägern. Ihre Fraktion sei deshalb froh, dass der Satz gestrichen wird.
Mit der erfolgten Veränderung der Präambel in der Mustervereinbarung über den Betrieb von Ganztagsschulen werde den rechtlichen Rahmenbedingungen, die die Kirchen als Tendenzbetriebe haben und die auch geschützt und gesichert seien, Rechnung getragen, legt StRin von Stein (FW) dar. Aus Gesprächen mit Eltern könne man entnehmen, dass ihnen die Kirchen als Träger von Kindertagesstätten und dann auch als Partner von Ganztagsschulen wichtig sind und dass deren Anschauungen durchaus geschätzt werden. Wenn es Extreme gebe, sei sie davon überzeugt, so die Stadträtin, dass auch die heutigen Regelungen ausreichen und sicherstellen, dass Extremen wirkungsvoll begegnet und sichergestellt werden könne, dass Kinder in der Ganztagsbetreuung oder in Kinderbetreuungseinrich- tungen keinen Schaden nehmen werden. Der nun erfolgten Änderung stimme ihre Fraktion zu.

Auch StR Dr. Oechsner (FDP) begrüßt die Satz-Streichung, da der Satz nicht nur die Kirchen, sondern jegliche Art von Vereinen und Vereinigungen betreffe, die immer irgendwo eine tendenziöse Weltanschauung vertreten. Seine Fraktion werde daher der Vorlage gerne zustimmen.

Die Ablehnung der Vorlage durch seine Fraktionsgemeinschaft erläutert StR Rockenbauch (SÖS und LINKE). Es gehe bei der Ablehnung überhaupt nicht darum, dass irgendwelche Zweifel an der Qualität und Professionalität der freien Träger in der Jugendhilfe und auch nicht an Ganztagsschulen bestünden; ebenso wenig habe man Befürchtungen, dass "Eiferer, Missionare o. ä." tätig seien. Es sei richtig, dass dies mit dem Verweis auf das Schulgesetz auch dauerhaft ausgeschlossen werde. Für seine Fraktionsgemeinschaft gehe es aber um einen weiteren Aspekt, der mit der neuen Formulierung nicht getroffen werde, und zwar die Anerkennung und den Respekt vor Vielfalt im alltäglichen Leben und vor jeglicher unterschiedlicher menschlicher Einstellung oder Identität. Hierzu gehöre auch, dass es geschiedene Menschen, Menschen mit unterschiedlichem Glauben oder mit unterschiedlicher sexueller Identität gibt. Seine Fraktionsgemeinschaft sei der Meinung, dass es gerade für die Träger an den Grundschulen wichtig ist, dass diese Weltoffenheit auch im Umgang mit den eigenen Beschäftigten gilt. Es stelle sich die Frage, wie Anerkennung und Respekt vor Vielfalt und unterschiedlichen Einstellungen und Identitäten vorbildlich vorgelebt werden könnten, wenn die eigenen Beschäftigten dies nicht dürften oder erst gar nicht eingestellt würden. Dieser Aspekt, der im Schulgesetz keine Rolle spiele, gehöre aber nach Meinung seiner Fraktionsgemeinschaft zu einer weltoffenen Stadt wie Stuttgart.

StR Rockenbauch hält es für angebracht, dass die im Landtag vertretenen Parteien sich damit auseinandersetzen, ob manche Gesetze noch zeitgemäß sind, zumal im Schulgesetz und in der Landesverfassung "ein heilloses Durcheinander" bestehe, wenn im Artikel 38 des Schulgesetzes enthalten sei, dass keine Bekundungen in politischer, religiöser Sicht gemacht werden dürfen, aber die Gemeinschaftsschule doch immer wieder z. B. als christliche Gemeinschaftsschule ausgewiesen wird. Da der Beschlussantrag zu unpräzise sei und die Diskriminierungsfreiheit und den Umgang mit der Menschenwürde der Beschäftigten nicht regle, lehne die Fraktionsgemeinschaft SÖS und LINKE ihn ab.

An StR Rockenbauch gewandt hält es StR Dr. Schlierer (REP) für absurd zu glauben, dass im Stuttgarter Gemeinderat Landtagsdebatten angestoßen werden müssten.

Der entscheidende Punkt, um den es heute gehe, ist nach Meinung von StR Dr. Schlierer der, dass es um Mustervereinbarungen geht und nicht um die Anerkennung von Vielfalt. Mit den Mustervereinbarungen wolle die Stadt mit den freien Trägern eine Regelung finden, die vor allen Dingen der Sicherstellung der Aufgaben dient, die im Bereich von Schulen erfolgen. Damit sei klar, dass das Neutralitätsgebot, das auch aus gutem Grund im Schulgesetz stehe, seine Auswirkung auch auf diesen Bereich haben müsse. Worum es nicht gehe, sei die Einwirkung der Stadt auf die freien Träger selber. Es komme darauf an, dass das Neutralitätsgebot, wie es im Schulgesetz festgelegt sei, in vollem Umfang für den Schulbereich, einschließlich der von den freien Trägern geleisteten "Zuarbeiten", gewahrt bleibe. Die Frage wäre nur gewesen, ob man in der Präambel, wenn man dies dort nochmals ausdrücklich erwähnen wolle, vielleicht noch eine bessere Formulierung hätte finden können. Dass der erste Satz gestrichen werde, sei nachvollziehbar, und zwar eben im Hinblick darauf, dass er sich sicherlich im Rahmen einer späteren rechtlichen Auseinandersetzung nicht halten lassen würde. Aber für die Verwaltung hätte es durchaus den Spielraum gegeben, im zweiten Absatz eine etwas konkretere und klarere Formulierung zu finden, mit welcher der Gedanke aus dem § 38 Abs. 2 des Schulgesetzes Baden-Württemberg hätte aufgenommen werden können. In der vorgesehenen Formulierung sei es ein sehr flacher und letzten Endes sehr unkonkreter Hinweis, der in der Präambel gegeben werde.

Interessant sei, dass unter dem Siegel der Diskriminierungsfreiheit hier eine Debatte geführt werde, bei der es letzten Endes um einen totalen Egalitarismus in allen Bereichen gehe. Ebenso interessant sei, dass genau dort, wo dies dann auf den Prüfstand gestellt werde, wie beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, das Ganze nicht durchgreife. Er hoffe, dass es noch mehr Entscheidungen dieser Art geben wird, damit diese Fehlentwicklung rechtzeitig gestoppt werden könne.


Abschließend stellt OB Kuhn fest:

Der Gemeinderat beschließt bei 4 Gegenstimmen und 1 Enthaltung mehrheitlich wie beantragt.

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