Protokoll: Gemeinderat der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
42/2022
GZ:
SI
Sitzungstermin: 10.03.2022
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: EBM Dr. Mayer
Berichterstattung:
Protokollführung: Frau Faßnacht
Betreff: Beitritt der Landeshauptstadt Stuttgart in das globale Netzwerk Age-friendly Cities and Communities der Weltgesundheitsorganisation (WHO)
- gemeinsamer Antrag Nr. 1384/2021 vom 07.12.2021
(90/GRÜNE, FDP, PULS)

Vorgang: Sozial- und Gesundheitsausschuss vom 07.03.2022, öffentlich, Nr. 32
Ergebnis: mehrheitliche Zustimmung bei 3 Gegenstimmen

Beratungsunterlage ist die Vorlage des Referats Soziales und gesellschaftliche Integration vom 21.02.2022, GRDrs 42/2022, mit folgendem

Beschlussantrag:

1. Die Landeshauptstadt Stuttgart tritt dem globalen Netzwerk der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für altersfreundliche Städte und Gemeinden bei.

2. Die Verwaltung wird beauftragt, die Voraussetzungen einer Aufnahme zu klären und den Beitritt einzuleiten.

3. Die Leitung der Strategischen Sozialplanung, Referat Soziales und gesellschaftliche Integration ist die Kontaktperson für die WHO und übernimmt die Geschäftsführung.

4. Die Landeshauptstadt Stuttgart wird prozesshaft und beteiligungsorientiert einen Aktionsplan entwickeln, Maßnahmen erarbeiten und umsetzen sowie ihre Erkenntnisse mit anderen Mitgliedern des Globalen Netzwerks teilen.

StRin Ciblis (90/GRÜNE) schickt voraus, man sei überzeugt, dass mit dem Beitritt der Landeshauptstadt Stuttgart in das Globale WHO-Netzwerk der Age-friendly Cities and Communities die Lebenssituation der älteren Menschen in Stuttgart deutlich verbessert werden kann. Sie führt anschließend den gemeinsam mit der FDP-Gemeinderatsfraktion und der PULS-Fraktionsgemeinschaft gestellten Antrag Nr. 1384/2021 aus. Natürlich solle mit diesem Beitritt ein wesentlich besser abgestimmtes, zielgerichtetes Vorgehen innerhalb der Verwaltung erreicht werden. Sie dankt für die Vorlage, die deutlich mache, dass es sich mitnichten um ein reines Lippenbekenntnis handelt, sondern eine verbindliche Willensbekundung sei, die zu konkreten Handlungen und Maßnahmen verpflichtet. Folglich begrüße man den vorgeschlagenen Prozess, einen Aktionsplan zu erstellen, der beteiligungsorientiert und sektorenübergreifend ausgerichtet ist. Mit dem Beitritt zum globalen WHO-Netzwerk Age-friendly Cities and Communities gebe man das klare Bekenntnis ab, dass ältere und alte Menschen in Stuttgart willkommen sind.

StRin Bulle-Schmid (CDU) fände es wünschenswert, es bräuchte den Beitritt zu diesem WHO-Netzwerk nicht, weil Stuttgart bereits seniorenfreundlich ist. Dem sei jedoch nicht so. Zur Untermauerung ihrer Aussage geht sie ein auf das Handlungsfeld Verkehr und Mobilität. So würden in Stuttgart 60,8 % der pflegebedürftigen Menschen zuhause betreut - vor allem von Ehe- und Lebenspartnern und Verwandten. Wenn solche Pflegebedürftigen den Arzt, eine Therapie oder sonstige Behandlungen benötigen, müssen sie von den sie Pflegenden mit dem Auto dorthin gebracht werden, weil die Fahrten zu diesen Terminen ziemlich sicher nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln erfolgen. Es sei ein Problem, dass in Stuttgart immer mehr Parkplätze weggeplant werden, weil es damit immer schwieriger werde, den Pflegebedürftigen solche Termine zu ermöglichen. Parkhäuser seien meist viel zu weit weg für die betroffenen Menschen, die oft nur noch wenige Meter gehen können. Sie erhoffe sich mit dem Beitritt zum Netzwerk ein Umdenken in der Stadt und eine Sensibilität bei den Mitgliedern aus dem Gemeinderat, den Stadtplanern und Verkehrsplanern für dieses Problem. Man hoffe aber auch, mit diesem Beitritt keinen Wasserkopf in der Verwaltung zu schaffen, sondern möglichst schnell gute Entscheidungen zu treffen zum Wohle der Seniorinnen und Senioren in Stuttgart und zum besseren Leben in der Stadt. Der Vorlage stimme man zu.

StRin Meergans (SPD) findet, auf dem Weg hin zu einer altersfreundlicheren Stadt könne es nur recht sein, dabei gute Impulse von anderen Städten zu bekommen, den ein oder anderen Impuls an andere Kommunen geben zu können und das Thema in Stuttgart sichtbarer zu machen. Ganz wichtig sei ihrer Fraktion dabei die konkrete Arbeit und die schnelle Verbesserung der Lebenssituation älterer Menschen. Dazu gehöre auch, das Defizit an Pflegeplätzen zu verringern. Durch die Initiative der SPD habe man im laufenden Doppelhaushalt 50 Mio. EUR für eine Pflegeheimförderung bereitgestellt, die dazu ein bisschen Anreiz und Erleichterung schaffen können und die Wohnkosten in den Pflegeheimen dämpfen. Deshalb habe man sich auch daran gestört, dass in der Vorlage nicht ein einziges Mal das Wort Altersarmut genannt wird. Ihre Fraktion sei der Meinung, der Fokus sei ein Stückweit falsch gelegt worden, zumal eine weitere Armutskonferenz stattfinden werde und das Thema Armut im Alter dabei hoffentlich eine Rolle spielen werde. Für wichtig erachte man auch, die Eigenvertretungen wie den StadtSeniorenRat dabei eng einzubeziehen, diese zu stärken und mit den notwendigen Ressourcen auszustatten, damit sie ihre Vertretungsaufgaben wahrnehmen können und auch Beratungsaufgaben wahrnehmen können. Hier sehe man noch einiges zu tun in den nächsten Haushalten.

Seine Fraktionsgemeinschaft freue sich, als Stadt Stuttgart dem Netzwerk beizutreten und stimme der Vorlage zu, so StR Pantisano (FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei). Er hoffe zudem, dass man tatsächlich aufgenommen wird, weil durch den Aktionsplan sich sehr viele Möglichkeiten ergeben, die zu einer Verbesserung für ältere Menschen führen können. Stuttgart könne in einem solchen Netzwerk sehr viel lernen von Praxisbeispielen in anderen Städten. Den Wortbeitrag von StRin Bulle-Schmid aufgreifend wendet er ein, das Problem seien nicht die fehlenden Parkplätze, sondern das Problem seien die sinnlos auf Parkplätzen stehenden Autos, deren Besitzer sich anderer Verkehrsmittel bedienen könnten. Durch eine richtige Mobilitätswende könnten somit ältere Menschen profitieren. So könne man zum Beispiel schnell umsetzbar die Grünphase bei den Ampelschaltungen für Fußgänger verlängern. Auch eine Temporeduzierung erhöhe die Sicherheit für ältere Menschen in der Stadt ebenso wie eine Trennung von Fußwegen und Radwegen. Auch die Nahversorgung - und hierzu zählen neben Einzelhandel auch Arztpraxen und Bankfilialen - sei für ältere Menschen unheimlich wichtig. Großen Wert lege er auch auf das Thema der älteren Migrantinnen und Migranten in Stuttgart, die nach seinem Eindruck oftmals hinten runter fallen in den Überlegungen der Stadtplanung, beim Wohnen und anderen Themen. Auch in der Frage der Armut seien sie stark betroffen.

StRin Yüksel (FDP) betont, ihre Fraktion habe sich in den vergangenen Jahren sehr intensiv mit vielen Anträgen sowohl zum Haushalt als auch unterjährig mit der Lebensqualität und der Teilhabe älterer Menschen beschäftigt. Dementsprechend begrüße man die Beschlussvorlage und stimme ihr zu. Da die Landeshauptstadt Stuttgart bereits schon unglaublich viel in diesem Bereich anbiete, könnte man hinterfragen, warum man dem Netzwerk nun beitreten sollte, zumal viele sehr wichtigen Themen, z. B. das Thema Altersarmut, in dem Papier nicht zu finden seien. Weil die Handlungsfelder aber nicht abschließend seien, könne der Gemeinderat die hier fehlenden Themen weiterhin selbst besetzen. Ihre Fraktion sehe in dem Beitritt eine sehr gute Chance, das Thema sichtbarer zu machen, die vielfältigen Maßnahmen, die Stuttgart bereits auf den Weg gebracht hat, zu bündeln bzw. zusammenzuführen und noch viel mehr anzustoßen, zumal bei diesen Themen überwiegend fraktionsübergreifend Konsens bestehe.

Durch den Beitritt zu diesem Netzwerk erhofft sich StRin Köngeter (PULS) einen Beitrag für ein möglichst langes, selbstbestimmtes Leben, das kognitive und motorische Fähigkeiten fördert. Obwohl Stuttgart schon viel in dieser Hinsicht mache, gebe es immer weiter zu lernen, sodass man von dem Zutritt zu diesem Netzwerk nur profitieren könne, was Erfahrungen und Erkenntnisse anderer Kommunen angeht. Auch ihre Fraktionsgemeinschaft sehe das Thema Altersarmut, speziell auch bei Frauen, wo es ein noch größeres Angebot für die Sicherung von Teilhabe in Zukunft brauche. Aber auch Themen wie Einsamkeit, Suchtproblematiken, soziale Netze und soziales Design habe man auf dem Schirm. "Wie schaffen wir Begegnungsorte, um diese Teilhabe am Leben zu ermöglichen?" Zum Beitrag von StRin Bulle-Schmid weist sie darauf hin, dass es Bedürfnisse gebe, die sich widersprechen, z. B. die Thematik Auto und Lärm versus das Bedürfnis nach Ruheorten. PULS sei der Meinung, auch um dem Thema Lärm zu begegnen, muss es eine Reduktion beim Verkehr geben und einen Ausbau des ÖPNV, der für Senioren funktioniert. Als Antragsteller stimme man der Vorlage natürlich zu.

StRin von Stein (FW) unterstreicht, die in der Vorlage genannten Ziele halte ihre Fraktion für richtig und wichtig. Auch vertrete man die Meinung, dass die Landeshauptstadt Stuttgart schon unglaublich viel unternimmt, um diese Ziele in Angriff zu nehmen, sie umzusetzen und erfolgreich zu etablieren. Beispielhaft nennt sie das Thema Barrierefreiheit. Allerdings frage man sich, wie Stuttgart lernen kann von anderen Städten, wenn es einen eklatanten Mangel an Pflegeplätzen gibt, der vor allem den Grund habe, dass dafür notwendige Flächen noch nicht oder sehr schleppend oder gar nicht zur Verfügung gestellt werden und man zudem einen eklatanten Mangel an Pflegepersonal hat? Da viele dieser Schwierigkeiten dem demografischen Wandel geschuldet seien, wisse man nicht, wie Stuttgart von anderen Städten wirklich lernen könnte, und werde die Vorlage deshalb ablehnen. Darüber hinaus störe man sich an der Aussage auf Seite 4 der Vorlage, wonach mit dem Eintritt in das Netzwerk Age-friendly Cities and Communities keine finanziellen Auswirkungen verbunden seien. Angesichts der zahlreichen Aktivitäten, die mit dem Eintritt verbunden seien, sei diese Aussage nicht stimmig. Dafür brauche es eine erhebliche Manpower, die gestellt werden muss und die dann für andere in der Stadt dringende Aktivitäten nicht zur Verfügung stehe. Zudem werde die Stadt Stuttgart schon deshalb dafür sorgen, dass ganz viele dieser Themen in Angriff genommen werden, weil in Stuttgart die Menschen jenseits der 65 Jahre so viele sind.

Darauf, dass älter und alt zu werden an sich noch kein Grund für besondere Aktivitäten seitens der Stadt sei, weist StR Dr. Mayer (AfD) hin. Es gehe primär um die hilfsbedürftigen Senioren und hier gebe es durchaus Handlungsbedarf angesichts der demografischen Entwicklung. Der Gedanke an ein solches Netzwerk sei insofern naheliegend, wenngleich die Fragen, ob man dazu als Stadt ein solches Netzwerk braucht, ob es nicht zusätzliche Kosten verursacht, natürlich auftauchen. Ihm stelle sich auch die Frage, ob man sich nicht unnötigerweise verzettelt, da Stuttgart ja bereits eine kinderfreundliche Stadt sei, auch eine ausländerfreundliche Stadt und eine Stadt, die sich um Barrierefreiheit bemüht. Er schlägt vor, sich als bürgerfreundliche Stadt aufzustellen. Damit würde man vermeiden, das Ganze aufzusplittern in immer einzelne Interessengruppen mit noch mehr spezifischeren Bedürfnissen, um die sich dann noch mal eine Arbeitsgruppe oder eine Expertenkommission kümmern müsste. Da man insgesamt keine schwerwiegenderen Einwände gegen den Beitritt zu diesem globalen Netzwerk habe, werde man der Vorlage zustimmen.



EBM Dr. Mayer stellt abschließend fest:

Der Gemeinderat beschließt mit 44 Ja- und 4 Nein-Stimmen mehrheitlich
wie beantragt.
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