Protokoll: Gemeinderat der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
TOP:
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VerhandlungDrucksache:
287/2013
GZ:
WFB/T
Sitzungstermin: 18.07.2013
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: EBM Föll
Berichterstattung:-
Protokollführung: Frau Gallmeister
Betreff: Erweiterung der Flüchtlingsunterkunft Kirchheimer Straße in Stuttgart-Sillenbuch um eine Gebäudezeile
- Grundsatzbeschluss

Vorgang:

Ausschuss für Wirtschaft und Wohnen vom 28.06.2013, öffentlich, Nr. 74b
Ergebnis: Einbringung

Sozial- und Gesundheitsausschuss vom 01.07.2013, nicht öffentlich, Nr. 97
Ergebnis: Vertagung

Der Sozial- und Gesundheitsausschuss vom 08.07.2013, öffentlich, Nr. 108
Ergebnis: Vorberatung

Ausschuss für Umwelt und Technik vom 09.07.2013, öffentlich, Nr. 271
Ausschuss für Wirtschaft und Wohnen vom 12.07.2012, öffentlich, Nr. 95
Verwaltungsausschuss vom 17.07.2013, öffentlich, Nr. 249
jeweiliges Ergebnis: mehrheitliche Zustimmung


Beratungsunterlage ist die gemeinsame Vorlage des Referats Wirtschaft, Finanzen und Beteiligungen und des Technischen Referats vom 26.06.2013, GRDrs 287/2013, mit folgendem

Beschlussantrag:

1. Der Errichtung einer weiteren Gebäudezeile in der Flüchtlingsunterkunft in der Kirchheimer Straße in Stuttgart-Sillenbuch zur Unterbringung von ca. 70 Flüchtlingen wird grundsätzlich zugestimmt.

2. Von der Kostenannahme in Höhe von rd. 2,43 Mio. € wird Kenntnis genommen.

Die erforderlichen Mittel werden zur Aufnahme in den Doppelhaushalt 2014/2015 angemeldet. Über die Aufnahme in den Doppelhaushalt 2014/2015 wird im Rahmen der Haushaltsplanungen entschieden.

3. Das Hochbauamt wird beauftragt, den Erweiterungsbau auf dem vorgesehenen Standort (Anlage 1) weiterzuentwickeln und die Vergabe in Form einer Generalübernehmerausschreibung vorzubereiten.

Die Kosten der weiteren Planung in Höhe von ca. 80.000 € werden aus dem laufenden Budget des Amts für Liegenschaften und Wohnen, Teilhaushalt 2307030, Immobilienverwaltung, gedeckt und bei Projektrealisierung auf das Projekt umgesetzt.

4. Infolge der Eilbedürftigkeit zur Schaffung dringend benötigter Unterbringungsplätze wird nach erfolgter Beschlussfassung sofort die Planung aufgenommen und die Ausschreibung vorbereitet. Die Vergabe wird unmittelbar nach der Mittelbereitstellung vorgenommen. Auf einen separaten Baubeschluss wird verzichtet.


Zunächst erläutert StR Dr. Oechsner (FDP) das Abstimmungsverhalten seiner Fraktion zu diesem Tagesordnungspunkt. Er weist dabei darauf hin, dass die Aufnahme von Flüchtlingen ein wichtiges Ziel und eine wichtige Aufgabe sind, welche die Liberalen nicht nur als gesetzliche, sondern auch als moralische Verpflichtung ansehen. Mit dem Stuttgarter Weg - der dezentralen Unterbringung von Flüchtlingen - habe sich die Verwaltung auf einen guten, fast perfekten Weg gemacht, den seine Fraktion vorbehaltlos unterstütze.

Die heute zur Diskussion stehende Erweiterung der bestehenden Flüchtlingsunterkunft Kirchheimer Straße habe mit dem Stuttgarter Weg aber nichts mehr zu tun. Seine Fraktion vertrete die Meinung, dass auch geeignete Standorte für kleine und mittelgroße Einrichtungen gefunden werden könnten. Durch die Erweiterung der bestehenden, bereits großen Einrichtung könnte die Akzeptanz durch die Bevölkerung vor Ort belastet werden und es seien möglicherweise soziale Unruhen zu erwarten. Aus diesem Grund könne seine Fraktion der Erweiterung der Unterkunft nicht zustimmen. Seine Fraktion werde sich bei der Abstimmung über die GRDrs 287/2013 der Stimme enthalten, kündigt StR Dr. Oechsner an.

StRin Küstler (SÖS und LINKE) signalisiert, dass sich auch ihre Fraktionsgemeinschaft der Stimme enthalten wird. Sie merkt an, dass der Stuttgarter Weg ein guter Weg gewesen sei, um die Flüchtlinge in der Stadt gut aufzunehmen und gut zu integrieren. Er habe in der Vergangenheit dazu beigetragen, dass die Bevölkerung in der Stadt die Ankunft dieser Menschen akzeptiert hat und dass es nicht zu sozialen Spannungen gekommen ist. Dies wolle ihre Fraktionsgemeinschaft auch weiterhin sicherstellen. Werde die Unterkunft Kirchheimer Straße wie beabsichtigt ausgebaut, werde eine Größenordnung erreicht, die nach Meinung ihrer Fraktionsgemeinschaft nicht mehr verträglich wäre. Man wisse sehr wohl, dass wieder viele Flüchtlinge nach Stuttgart kommen werden, allerdings nicht so viele wie in den 90er-Jahren. Ihre Fraktionsgemeinschaft sei daher der Meinung, dass nach kleineren Unterkünften gesucht werden müsse, und sie sei inzwischen sicher, dass es möglich wäre, solche Unterkünfte zu finden. Die Stadträtin spricht in diesem Zusammenhang an, dass der Verwaltung seit einem Jahr bekannt gewesen sei, dass in Rohr eine Unterkunft möglich gewesen wäre. Auch vertrete ihre Fraktionsgemeinschaft die Meinung, dass die Stadt Stuttgart sich darum kümmern müsse, dass der Streubesitz der SWSG nicht verkauft, sondern für die Flüchtlinge nutzbar gemacht wird.

Da ihre Fraktionsgemeinschaft mit ihren Stimmen die Erweiterung der Unterkunft Kirchheimer Straße nicht verhindern könne, bitte sie, auf die notwendige Qualität zu achten; eine Planung auf der Grundlage von 4,5 m2 pro Person sei weder für die Flüchtlinge noch für die Umgebung sozialverträglich. Ebenso vertrete ihre Fraktionsgemeinschaft die Ansicht, dass die entsprechenden Aufenthaltsräume, Sanitärräume und Küchen vorgehalten werden müssen, da ansonsten die Eingliederung der Flüchtlinge mit dem Ziel einer Arbeitsaufnahme bzw. eines selbstständigen Lebens ohne Sozialhilfe nicht verwirklicht werden könne. Eine gute Ausstattung trage zur Akzeptanz im Umfeld bei, was die Grundlage für die ehrenamtliche Arbeit sei, auf die man in Stuttgart stolz sein könne und die ihre Fraktionsgemeinschaft weiterführen und unterstützen wolle. Ihre Wortmeldung abschließend weist StRin Küstler darauf hin, dass für eine mögliche Umwidmung in der Zukunft, falls Unterkünfte nicht mehr benötigt würden, die Räume nicht so sein dürften wie jetzt in der Kirchheimer Straße, wo u. a. die Räume zu klein und die Lärmdämmung zu schlecht seien. Die Qualität reiche für eine Umwidmung nicht aus. Ihre Fraktionsgemeinschaft stehe der Erweiterung der Flüchtlingsunterkunft Kirchheimer Straße ablehnend gegenüber und fordere die Verwaltung auf, erneut einen Suchlauf zu starten, um den Stuttgarter Weg weiterhin durchzuführen.

EBM Föll betont, dass die Verwaltung den Stuttgarter Weg fortführen wolle. Allerdings würden nach aktuellen Prognosen in diesem und im kommenden Jahr mindestens 1.000 zusätzliche Plätze für die Unterbringung von Flüchtlingen benötigt. Dieser Verpflichtung müsse die Stadt nachkommen und sei daher für jeden Vorschlag auch seitens des Gemeinderats dankbar, insbesondere wenn es um Unterkünfte mit 20, 30 oder 40 Plätzen gehe; jeder Vorschlag werde intensiv geprüft. Die Schaffung von 1.000 zusätzlichen Plätzen sei aber mit kleinen Unterkünften von jeweils 20 bis 25 Plätzen nicht leistbar, da dann eine große Zahl zusätzlicher Standorte benötigt würde. Dies gebe die Situation am Markt nicht her.

Daher würden auch punktuell größere Unterkünfte benötigt, ohne dass der Stuttgarter Weg verlassen werde. Der Erste Bürgermeister erinnert daran, dass es in der Vergangenheit in Stuttgart größere Unterkünfte gegeben hat als die, welche die Verwaltung jetzt in Sillenbuch mit der erweiterten 4. Gebäudezeile vorschlage - beispielsweise das Flüchtlingsdorf in Botnang oder das Flüchtlingsdorf Hohe Eiche in Degerloch. Dem Sozialamt, den Betreuungsorganisationen und den ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern sei es gelungen, die Unterbringung sozialverträglich und menschenwürdig hinzubekommen. Er gehe davon aus, dass dies mit der vergrößerten Unterkunft in Sillenbuch auch jetzt der Fall sein wird. Auf die Schaffung von Unterkunftsplätzen könne nicht verzichtet werden, wenn sie, wie in Sillenbuch, in einer vertretbaren Art und Weise geschehe. Ansonsten wüsste man seitens der Verwaltung nicht, wie die gesetzliche Verpflichtung zur Flüchtlingsunterbringung tatsächlich umgesetzt werden könne. Was niemand wolle, sei eine Diskussion über die Unterbringung in Notunterkünften, wie beispielsweise in Turnhallen. Dieser Fall könnte aber eintreten, da das Land signalisiert habe, dass es mit der Erfüllung der gesetzlichen Verpflichtungen durch die Landeshauptstadt nicht mehr länger zuwarten werde, was auch damit zusammenhänge, dass die zentrale Aufnahmestelle des Landes in Karlsruhe in einer nicht mehr vertretbaren Art und Weise überbelegt ist.

StRin Fischer (90/GRÜNE) dankt EBM Föll für dessen Ausführungen, wie die Situation sich darstellt, und dass die Verwaltung am Stuttgarter Weg festhalten will. Dies sei auch das Ziel der Gemeinderatsmitglieder. Wenn jedoch nur noch kleinere Unterkünfte für maximal 40 Personen bereitgestellt würden, würde der Stuttgarter Weg konterkariert, weil dann Unterkünfte in ausreichender Zahl überhaupt nicht mehr zur Verfügung gestellt werden könnten. Da es sich bei der Flüchtlingsunterbringung um eine drängende und humanitäre Aufgabe handle, sei es auch zu verantworten, mehr als 200 Plätze an einem Ort zur Verfügung zu stellen. Es dürfe nicht - wie in den 90er-Jahren - passieren, dass Busse auf dem Marktplatz vorfahren und irgendwelche überhasteten Lösungen zur Unterbringung der Flüchtlinge gefunden werden müssten. Ihre Fraktion stimme daher der GRDrs 287/2013 aus rationalen Gesichtspunkten zu mit der Erwartung, dass durch eine gemischte Belegung und entsprechende Betreuung durchaus eine verträgliche Nutzung in der Flüchtlingsunterkunft Kirchheimer Straße ermöglicht wird.

Zum Stuttgarter Weg merkt StR Hill (CDU) für seine Fraktion an, dass dieser Weg zwei wesentliche Bestandteile hat. Zum einen handle es sich dabei um die dezentrale Unterbringung, wobei eine möglichst gleichmäßige Verteilung der Flüchtlinge auf die verschiedenen Stadtbezirke angestrebt wird, wenn die Ressourcen und Möglichkeiten dies zuließen. Er habe nicht den Eindruck, dass die Verwaltung nicht alles unternehme, um dem Ansatz der dezentralen Unterbringung gerecht zu werden. Insofern sei der Stuttgarter Weg durch die Erweiterung der Unterkunft in Sillenbuch nicht ausgehebelt.

Ein weiterer zentraler Punkt beim Stuttgarter Weg sei das Angebot bei der Unterbringung, nämlich von der einzelnen Wohnung bis zur größeren Unterkunft, fährt StR Hill fort. Die Unterbringung in kleineren Unterkünften sei zwar wünschenswert, wenn aber diese Möglichkeit nicht bestehe, sei es doch besser, die Flüchtlinge in größeren Unterkünften unterzubringen, als gar keine Unterkünfte anbieten zu können. Er habe kein Verständnis dafür, wenn von "Angriffsfläche für Rechtsradikale" oder von "möglichen sozialen Unruhen" im Zusammenhang mit der Planung für die Erweiterung der Unterkunft an der Kirchheimer Straße gesprochen werde. Auch der Bezirksbeirat Sillenbuch habe der GRDrs 287/2013 mehrheitlich zugestimmt. Er appelliere an die Kolleginnen und Kollegen des Gemeinderats, hier Solidarität walten zu lassen und keine "Rosinenpickerei" vorzunehmen. Die CDU-Gemeinderatsfraktion stehe zum Beschlussantrag und trage ihn mit.

EBM Föll informiert, dass der Bezirksbeirat Sillenbuch mit 11 Ja-Stimmen und 1 Nein-Stimme für die Vorlage votiert hat.

StRin Dr. Hackl (SPD) kündigt die Zustimmung ihrer Fraktion zur Vorlage an. Nachdem für die Unterbringung von Flüchtlingen mehr Plätze zur Verfügung gestellt werden müssen als ursprünglich gedacht, würden auch größere Einheiten benötigt.

In Sillenbuch hätten einzelne Flüchtlingsfreundeskreise ihre Sorge geäußert, dass sie die Betreuung, die sie neben den amtlichen Betreuungsorganisationen machen, nicht mehr wie bisher leisten könnten, wenn sehr viele Flüchtlinge nach Sillenbuch kommen. Es habe aber keine Ablehnung und "keinen Aufruhr" gegeben; sie sei überzeugt, dass dies auch weiterhin nicht der Fall sein wird.

StRin Dr. Hackl weist auf den Antrag Nr. 299/2013 ihrer Fraktion vom 05.07.2013 "Betreuung anpassen - Neubau an der Kirchheimer Straße (GRDrs 287/2013) muss flankiert werden" hin, der aber heute nicht von Bedeutung sei, da er auf die Haushaltsplanberatungen abziele.

Bei der Flüchtlingsunterbringung müsse der Stuttgarter Weg auch weiterhin gegangen werden, so die Stadträtin. Ihre Fraktion sei überzeugt, dass in Stuttgart - wie in der Vergangenheit - auch künftig verantwortungsvoll für eine menschenwürdige Unterbringung von Flüchtlingen gesorgt wird.

StRin von Stein (FW) erinnert daran, dass im Sozial- und Gesundheitsausschuss dargelegt wurde, dass die Stadt Stuttgart mit der Aufnahme von Flüchtlingen im Verzug sei, da durch den Brand in der Kirchheimer Straße Plätze zur Flüchtlingsunterbringung weggefallen sind. Die Stadträtin bestätigt, dass sich die Suchläufe vor Ort außerordentlich schwierig gestalten, auch was kleine Unterkünfte betreffe. Für sie ist es daher nachvollziehbar, dass auch, wie jetzt in Sillenbuch, größere Einheiten notwendig sind. Festzustellen sei, dass dort kein Widerstand vorhanden ist. Dafür danke ihre Fraktion den Betreuungsvereinen. Im Hinblick auf die Flüchtlingssituation in Stuttgart werde nichts anderes übrig bleiben, als auch einzelne größere Unterkünfte zu planen und zu realisieren, da es letztendlich darum gehe, dass man die nach Stuttgart kommenden Flüchtlinge hier aufnehmen und sie so gut wie möglich betreuen und versorgen wolle. Deshalb stimme ihre Fraktion der Vorlage zu.

Unstrittig ist für StR Dr. Schlierer (REP), dass die Stadt die gesetzliche Verpflichtung zur Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen hat. Jedoch gehe aus der Begründung zur Vorlage hervor, dass es nicht nur um die 600 zugewiesenen Flüchtlinge gehe, sondern auch um 35 Asylfolgeantragsteller und 25 unerlaubt eingereiste Ausländer. Diese Zahl von Menschen entspreche fast der Zahl von Plätzen, über deren Schaffung heute beschlossen werde. Bei dieser Gelegenheit sollte man sich bewusst machen, dass z. B. Asylfolgeantragsteller nach § 71 Asylverfahrensgesetz Fälle sind, bei denen bereits eine unanfechtbare Ablehnung eines früheren Asylantrags vorliegt, wo lediglich ein Folgeantrag gestellt wird und eigentlich in gewisser Weise ein Missbrauch des Asylrechts stattfindet.

Da letzten Endes das Verfahren vom Bundesamt geführt werde und die Stadt keinen Einfluss darauf habe, müsse sie unter Umständen über längere Zeiträume hinweg auch die Asylfolgeantragsteller und die rechtswidrig eingereisten Ausländer entsprechend unterbringen und dafür die entsprechenden Mittel aufbringen. Dies sei ein Missstand, den er nicht mitlegitimieren wolle; er werde sich daher der Stimme enthalten.

EBM Föll hält für die Verwaltung fest, dass auch Asylfolgeantragstellungen sich im Rahmen dessen bewegen, was das Asylrecht an Möglichkeiten bietet; auch unerlaubt eingereiste Ausländer seien Menschen und die Stadt sei verpflichtet, menschenwürdig mit diesen Ausländern umzugehen, weshalb entsprechende Unterkunftsplätze benötigt würden.


Abschließend stellt der Vorsitzende fest:

Der Gemeinderat beschließt bei 10 Enthaltungen einstimmig wie beantragt.

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