Protokoll: Gemeinderat der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
TOP:
48
1
VerhandlungDrucksache:
GZ:
Sitzungstermin: 08.04.2024
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Dr. Nopper
Berichterstattung:
Protokollführung: Frau Schmidt th
Betreff: Widerspruch nach § 43 Abs. 2 Satz 1 GemO gegen den Beschluss des Gemeinderats in der Sitzung vom 21.03.2024 zu TOP 11:
"Zweiter Versuch: Stuttgart setzt ein Zeichen für eine menschliche Flüchtlingspolitik" ...
(vollständiger Betreff siehe unten)

Da aus technischen Gründen der Betreff nicht in ganzer Länge im oberen Feld wiedergegeben werden kann, wird er hier vollständig aufgeführt:

Betreff: Widerspruch nach § 43 Abs. 2 Satz 1 GemO
Vorgang: Verwaltungsausschuss vom 21.02.2024, öffentlich, Nr. 49
Gemeinderat vom 22.03.2024, öffentlich, Nr. 45
jeweiliges Ergebnis: mehrheitliche Zustimmung

OB Dr. Nopper macht zu Beginn der Sitzung einige grundlegende Vorbemerkungen, die nachfolgend im überarbeiteten Wortlaut wiedergegeben sind:

"Der Gemeinderat der Landeshauptstadt Stuttgart hat am 21.03.2024 mehrheitlich einen Beschluss zur Übernahme einer Patenschaft für ein Seenotrettungsschiff im Mittelmeer gefasst. Ich habe in dieser Gemeinderatssitzung vom 21.03.2024 den diesem Beschluss zugrundeliegenden Antrag aus rechtlichen und aus sachlichen Gründen ausdrücklich abgelehnt. Sowohl in dieser Gemeinderatssitzung als auch in der vorausgegangenen Sitzung des Verwaltungsausschusses habe ich meine erheblichen rechtlichen Bedenken wie folgt angezeigt - ich zitiere: "Die Übernahme einer Patenschaft für ein Seenotrettungsschiff, die eine Geldspende für eine private Seenotrettung darstellt, ist nach unserer Rechtsauffassung rechtlich zumindest sehr bedenklich. Aus unserer Sicht dürfte ein Verstoß gegen das Örtlichkeitsprinzip vorliegen, weswegen wir Ihnen eine Unterstützung des Antrages nicht empfehlen können. Die Finanzhoheit der Kommunen beschränkt sich auf Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft."

Der Gemeinderat hat trotz dieser ausdrücklich vorgebrachten erheblichen rechtlichen Bedenken den Beschluss mehrheitlich gefasst. Von der Einlegung eines Widerspruchs habe ich zunächst abgesehen, da ich aufgrund der juristischen Bewertungen von mehreren städtischen Ämtern - genauer gesagt von vier städtischen Ämtern - sowie aufgrund einer Stellungnahme des Regierungspräsidiums Stuttgart gegenüber einer Stuttgarter Tageszeitung zu folgender Einschätzung gelangt war: Eine Geldspende für die private Seenotrettung ist zwar rechtlich sehr bedenklich, erscheint aber nicht eindeutig rechtswidrig. Das Regierungspräsidium Stuttgart hat mit Schreiben vom 28.03.2024 die Beschlussfassung des Gemeinderates der Landeshauptstadt Stuttgart über den Antrag Nr. 6/2024 für rechtswidrig erklärt. Das Regierungspräsidium hat dies damit begründet, dass es sich aus Sicht der Rechtsaufsichtsbehörde bei der finanziellen Unterstützung von Rettungsschiffen im Mittelmeer um eine Angelegenheit handelt, die keinen spezifischen örtlichen Bezug zur Stadt Stuttgart aufweist und daher nicht in den Wirkungskreis der Stadt Stuttgart fällt. Darüber hinaus ist der Beschluss nach Rechtsauffassung des Regierungspräsidiums nicht mit den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu vereinbaren. Das Regierungspräsidium teilt die erheblichen rechtlichen Bedenken der Stadt Stuttgart somit nicht nur, sondern geht sogar von einer eindeutigen Gesetzeswidrigkeit des Beschlusses aus. Deswegen habe ich meine ursprüngliche Haltung zum Widerspruch verändert und dem Beschluss, wie vom Regierungspräsidium ausdrücklich empfohlen, am 28.03.2024 gemäß § 43 Absatz 2 Satz 1 der Gemeindeordnung für Baden-Württemberg aufgrund Gesetzeswidrigkeit widersprochen. Der Gemeinderat hat aufgrund dieses Widerspruchs gemäß § 43 Absatz 2 Satz 4 der Gemeindeordnung spätestens drei Wochen nach der Sitzung vom 21.03.2024 erneut über den Antragsgegenstand zu entscheiden. Deswegen haben wir Sie zur heutigen außerordentlichen Gemeinderatssitzung eingeladen, damit, wie in der Gemeindeordnung vorgesehen, erneut über die Angelegenheit Beschluss gefasst werden kann.

Wir empfehlen Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren, den rechtswidrigen Beschluss vom 21.03.2024 heute aufzuheben. Es ist Ihre Entscheidung, ob Sie im Nachgang zu dieser Sitzung in der Sache einen neuen - hoffentlich rechtmäßigen - Antrag stellen. Ich wiederhole an dieser Stelle meine Aussage, dass ich die private Seenotrettung im Mittelmeer auch in der Sache für den falschen Ansatz halte. Wir sollten verhindern, dass Schleuser dadurch stärker in Aktion treten und Geflüchtete zur Flucht auf dem Seeweg animieren, die sich dadurch auf nicht seetüchtigen, von Schleusern vermittelten Booten in Gefahr bringen."

StRin Rühle (90/GRÜNE) kennzeichnet das Mittelmeer als tödlichste Seeroute der Welt; es gebe keine staatliche Seenotrettung, und sichere Fluchtwege seien leider auch nicht in Sicht. Somit blieben nur die zivilen Seenotrettungsschiffe, um Menschen vor dem sicheren Ertrinken zu retten. Nicht ohne Grund sprächen sich zivilgesellschaftliche Organisationen, aber auch die Kirchen für die Notwendigkeit der Seenotrettung aus. Es dürfe nicht tatenlos zugesehen werden, wie Menschen im Mittelmeer ertränken. Da Stuttgart die Potsdamer Erklärung unterzeichnet habe und dem Bündnis "Städte Sicherer Häfen" beigetreten sei, wäre die Übernahme einer Patenschaft der richtige nächste Schritt. Aus diesem Grund habe sie sich gute Chancen ausgerechnet, ein Zeichen für eine menschliche Flüchtlingspolitik und gegen Abschottung zu setzen. Es gebe Beispiele aus anderen europäischen, deutschen und baden-württembergischen Städten, die durch mehr Einigkeit und weniger Aufgeregtheit gekennzeichnet seien, weswegen es dort auch keine Probleme gegeben habe. Nun habe das Regierungspräsidium Stuttgart bedauerlicherweise auf Anfrage die rechtliche Einschätzung abgegeben, dass eine direkte Spende aufgrund des fehlenden örtlichen Bezuges nicht zulässig sei. Daher sei es nicht zielführend, den in der vergangenen Sitzung gefassten Beschluss erneut zu bekräftigen; es müssten andere Wege gefunden werden, um das Zeichen von der Landeshauptstadt aus setzen zu können. Da die Stadt selbst nicht spenden könne, wolle sie eine Spendenaktion zugunsten des Vereins Sea-Eye e. V. für die Rettung von Menschen in Seenot anregen. Sie appelliere an die Hilfsbereitschaft aller Stuttgarterinnen und Stuttgarter, aber auch an die Stadt, eine entsprechende Aktion zu unterstützen. Sie kündigt für ihre Fraktion an, die Sitzungsgelder für die heutige Sondersitzung zu spenden. Darüber hinaus benötige man ein Konzept, wie die angedachten 10.000 EUR jährlich rechtssicher für Menschen auf der Flucht bzw. für die Arbeit einer Stuttgarter Initiative, die in der Flüchtlingshilfe tätig sei, eingesetzt werden könnten. Auch eine Stiftung sei eine Möglichkeit. Sie wolle gemeinsam mit der Stadtverwaltung einen rechtlich gangbaren Weg entwickeln, um in der Sache weiterzukommen. Abschließend merkt die Stadträtin an, die Aussage, Rettungsschiffe animierten zur Nutzung dieses Fluchtweges, sei anhand einer Vielzahl von Studien widerlegt worden. Schiffsrettung stelle keinen Pull-Faktor dar. Verzweifelte Menschen auf der Flucht vor Krieg, Verfolgung und Elend ergriffen jeden Strohhalm und prüften nicht, ob möglicherweise ein weiteres Rettungsschiff unterwegs sei. Angesichts der Todeszahlen klinge dies wie Hohn. Es sei ein Gebot der Menschlichkeit und christlicher Nächstenliebe, Geflüchteten zu helfen, die humanitäre Katastrophe im Mittelmeer zumindest zu lindern und die Potsdamer Erklärung mit Leben zu füllen.

In ähnlicher Form äußert sich StRin Meergans (SPD), die erklärt, man lasse keine Menschen im Mittelmeer ertrinken. Es sei ein Gebot der Menschlichkeit, dies zu verhindern. Dass es keine staatliche Seenotrettung in Europa gebe, sei eine Bankrotterklärung des Projektes Europa. Man habe zuversichtlich diesen Beschluss gefasst, da bereits zahlreiche andere Städte den Weg einer Patenschaft in einem Engagement für eine humanitäre Flüchtlingspolitik gegangen seien. Nun sei man jedoch mit einer Stellungnahme des Regierungspräsidiums und dem Widerspruch des Oberbürgermeisters konfrontiert, und es sei selbstverständlich nicht im Sinne der Antragsteller, rechtswidrige Beschlüsse zu fassen. Aus diesem Grunde werde man diesen nicht erneut bekräftigen. Nichtsdestotrotz werde weiterhin das politische Ziel verfolgt, das Sterben im Mittelmeer zu beenden und (private) Seenotrettung zu unterstützen. Man werde sich intensiv mit der Frage auseinandersetzen, wie ein Engagement der Stadt Stuttgart rechtssicher möglich sei. Wie ihre Vorrednerin regt sie private Spenden an, und auch ihre Fraktion werde das Sitzungsgeld dieser Sitzung an Sea-Eye e. V. spenden. In ihren weiteren Ausführungen greift sie die erheblichen rechtlichen Bedenken des Oberbürgermeisters und die Stellungnahme des Regierungspräsidiums auf. OB Dr. Nopper habe seit dem 26.05.2023 (red. Anm.: Zeitpunkt der Stellung des ersten Antrages Nr. 176/2023) Zeit gehabt, gemeinsam mit dem Regierungspräsidium eine rechtliche Prüfung anzustreben. Die Verwaltung müsse sich stärker im Vorfeld mit solchen Anträgen des Hauptorganes - insbesondere einer Mehrheit des Gemeindesrates - auseinandersetzen, um ein rechtskonformes Handeln in den Beschlussfassungen zu ermöglichen. Angesichts der Situation im Mittelmeer vermisst sie beim Oberbürgermeister mehr Mitgefühl und bittet ihn, diese Haltung zu überdenken.

StR Pantisano (Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei) verweist auf die Zahl von rund 30.000 Menschen, die in den vergangenen zehn Jahren im Mittelmeer ertrunken seien; die Dunkelziffer sei mit 60.000 Menschen doppelt so hoch. Dies seien im Durchschnitt 16 Menschen am Tag, die auf der Flucht nach Europa ertränken. Er betont, er schäme sich heute für die Stadt Stuttgart und die Situation, die der Oberbürgermeister bereitet habe. Stuttgart gebe den Weg einer humanitären Politik mit der Orientierung an der Würde der Menschen auf; diese Würde gelte für alle Menschen, insbesondere für diejenigen, die vor Krieg und Zerstörung nach Europa flöhen. Die Stuttgarter CDU verlasse den Weg von großen Stuttgarter Oberbürgermeistern wie Manfred Rommel und Wolfgang Schuster, die im Umgang mit Migrantinnen und Migranten einen Maßstab für Städte bundes- und weltweit darstellten. Mit dem Antrag wollte man ein Zeichen für eine menschliche Flüchtlingspolitik setzen, so wie dies andere Städte bereits getan hätten. Als Beispiel nennt er die Stadt Konstanz, die als erste einen Beschluss in dieser Sache gefasst habe. Dort hätten 2020 alle Fraktionen - "inklusive der CDU" - einen Antrag für eine Schiffspatenschaft übernommen. Damit gelte Konstanz als Vorbild für viele andere Städte, die diesen Weg beschritten hätten. Die Stadt Konstanz beschwere sich regelmäßig bei Bundesregierung und der EU über den Umgang mit der zivilen Seenotrettung. OB Dr. Nopper verbreite hingegen rechte Narrative, wonach die Seenotrettung Schleusertum befördere und Menschen zur Flucht animiere. Dies halte er für falsch und bedauere es, dass Stuttgart den "Stuttgarter Weg" verlassen habe. Wie seine Vorrednerinnen kündigt er für seine Fraktionsgemeinschaft die Spende des heutigen Sitzungsgeldes an Sea-Eye e. V. an und ruft die Stuttgarter Bevölkerung ebenfalls zur Spende auf. Er lehnt den Widerspruch des Oberbürgermeisters ab und unterstützt weiterhin den Antrag zur Übernahme einer Patenschaft für ein Seenotrettungsschiff.

Bei dieser Thematik geht es StR Puttenat (PULS) um die Intention des Antrages. Eine Mehrheit des Gemeinderates halte es für eine angebrachte Maßnahme, dass sich die Stadt Stuttgart beteilige. Im Nachgang an die heutige Sitzung erwartet er von der Verwaltung ein rechtssicheres Konzept, um am Ende dieser Intention nachzukommen und sie umzusetzen. Wenn OB Dr. Nopper das "Strohmann-Argument" der Schleuser anführe, habe dieser offensichtlich auch kein Vertrauen in die Stadtverwaltung, ein rechtssicheres Konzept zu erarbeiten. Seine Fraktionsgemeinschaft habe dieses Vertrauen, und am Ende würden die 20.000 EUR gespendet werden. Es handle sich dabei im Übrigen auch um eine konkrete Maßnahme im Sinne einer mehrheitlichen Unterstützung für die Seebrücke Stuttgart.

Als befremdlich kennzeichnet StRin Yüksel (Einzelstadträtin) das Vorgehen der Verwaltungsspitze. Diese habe nun fast ein Jahr Zeit gehabt, den Antrag und die Rechtmäßigkeit eines Beschlusses - egal, wie der Oberbürgermeister dazu stehe - zu prüfen, allerdings sei nichts geschehen. OB Dr. Nopper beschränke sich auf rechtliche Bedenken. Wenn die Überprüfung der Rechtmäßigkeit im Vorfeld veranlasst worden sei, wäre kein rechtswidriger Beschluss zustande gekommen, kein Widerspruch erforderlich gewesen und die heutige Sitzung obsolet geworden. Abschließend merkt sie an, sie werde heute einem rechtswidrigen Beschluss nicht zustimmen.

In seinem Wortbeitrag betont StR Kotz (CDU) eingangs, bei dem heutigen Tagesordnungspunkt gehe es in erster Linie um einen rechtlichen Vorgang. Diesbezüglich müsse klar festgestellt werden, dass alle Vorrednerinnen und Vorredner in den vorhergehenden Sitzungen (Gemeinderat und Verwaltungsausschuss) davon ausgegangen seien, der Antrag sei rechtlich möglich und könne umgesetzt werden und dazu nun eine "Klatsche" des Regierungspräsidiums erhalten hätten. Das, was das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 15.11.2023 zum Haushalt der "Ampel" angehe, habe die linke Mehrheit des Gemeinderates in dieser Frage vom "interessanterweise auch noch grün geführten" Regierungspräsidium bekommen. Die Argumentation, es handle sich um eine rein politische Betrachtung, habe offensichtlich beim Regierungspräsidium ebenfalls nicht verfangen. Mit diesem Beschluss sei definitiv ein Rechtsbruch eingegangen worden, und daher sei es notwendig, diesen heute zurückzuholen. Großer Vorteil Deutschlands sei, dass es ein Rechtsstaat sei, der glücklicherweise in jeglicher Situation gelte und nicht nur dann, wenn es einem passe. Er hätte von den Antragstellern heute einen Dank an den Oberbürgermeister erwartet, der trotz seiner eigenen Bedenken der Mehrheit des Rates entgegengekommen sei und den Beschluss habe umsetzen wollen. Nun zu sagen, bei einem einstimmigen Beschluss hätte das Regierungspräsidium nicht geprüft und der Beschluss wäre dann rechtlich korrekt gewesen, zeige das unterschiedliche Verständnis von Rechtsstaatlichkeit. Einige Fraktionen hätten sich heute bereit erklärt, ihren nicht rechtskonformen Beschluss zu revidieren. Der Antrag hätte ohnehin schon in den letzten Haushaltsplanberatungen gestellt werden können, um die Diskussion früher und in anderer Form zu führen.

Bezüglich des Inhaltes des Antrages betont der Stadtrat, jeder Mensch, der im Mittelmeer ertrinke, sei bedauerlich. Dies stehe außer Frage. Er könne jedoch nicht nachvollziehen, warum die linke Ratsmehrheit sich genau darauf kapriziere. Alle 3,6 Sekunden sterbe ein Mensch an Hunger, worum sich niemand aus dieser Mehrheit jemals gekümmert habe. Es sei nicht stringent, ein Element herauszugreifen und sich als Stadt nur dafür zu engagieren. Gepaart mit der Meinung, in Stuttgart gebe es noch genug Platz, um Geflüchtete aufzunehmen, gehe die linke Mehrheit nicht mehr konform mit der Mehrheit der Stadt- oder der deutschen Gesellschaft. Es müsse anerkannt werden, dass sich dies seit 2015/2016 gewandelt habe. Aus dem Gemeinderat dürfe nicht die Botschaft kommen, dass es nun sicherer sei, in ein Boot zu steigen, weil es weitere Rettungsboote gebe. Der Begriff der Seenotrettung werde hier offensichtlich gebeugt, denn es gehe nicht darum, in den nächsten Hafen einzulaufen, sondern in europäische Häfen zu fahren. Trotz mehrerer Hinweise, dass der Antrag nicht rechtmäßig sei, habe man auf Abstimmung bestanden; dies müsse heute korrigiert werden. Er halte den Antrag aber auch inhaltlich für falsch, weshalb seine Fraktion auch zukünftige Varianten nicht unterstützen werde.

Es sei sehr traurig, dass Menschen im Mittelmeer sterben, hält StRin Höh (FDP) fest. Schlepper verdienten sich daran eine goldene Nase ohne Rücksicht auf Menschenleben. Es sei daher sinnvoller, die Fluchtursachen vor Ort zu mildern. Dies sei sehr viel nachhaltiger und vor allem auch menschlicher. Die geäußerten rechtlichen Bedenken hätten von vornherein - vor der Beschlussfassung - geprüft werden müssen; die Information darüber direkt in der Sitzung sei zu kurzfristig gewesen. Dennoch lasse sich auch durch Mehrheiten im Rat nicht beeinflussen, was rechtlich zulässig sei und was nicht.

Der Oberbürgermeister habe deutlich darauf hingewiesen, dass mit diesem Antrag das Örtlichkeitsprinzip nicht gewahrt sei und daher rechtliche Bedenken beständen, hält StRin von Stein (FW) fest. Dennoch habe er das getan, was in einer Demokratie ehrenwert sei, nämlich die Entscheidung einer Mehrheit zu akzeptieren und umzusetzen. Nach Intervention des Regierungspräsidiums sei nun klar, dass der gefasste Beschluss rechtswidrig sei. Die Stadträtin zeigt sich überrascht über die großzügige Interpretation des Örtlichkeitsprinzips in diesem Zusammenhang. Sie erinnert an eine Resolution des Gemeinderates aus dem Jahr 2006, in der deutlich gesagt worden sei, dass Kindergartenplätze nur noch an in Stuttgart wohnhafte Kinder vergeben würden; dies gelte bis heute. Auch im kulturellen Bereich gehe es immer wieder darum, wer wie gefördert werde, und auch hier gelte klar das Örtlichkeitsprinzip, wonach nur Vereine und Organisationen unterstützt würden, die einen klaren Stuttgart-Bezug aufwiesen. Insofern müsse eine große Mehrheit des Gemeinderats um das sehr umfassende Örtlichkeitsprinzip wissen und dass die Stadt nur zuständig sei für Dinge, die auf ihrer Gemarkung geschähen und eben nicht im Mittelmeer. Rechtsstaat bedeute, dass Recht auch dann gelte, wenn es weniger angenehm sei oder den eigenen Wünschen widerspreche. Die Stadträtin lehnt den Antrag nach wie vor ab und plädiert für private Spenden.

StR Köhler (AfD) kritisiert die moralische Überheblichkeit, mit der absichtsvoll über das Recht hinweggegangen worden sei. Die Begrifflichkeiten verkehrten sich zunehmend in eine falsche Richtung, denn es handle sich nicht um Seenotrettung, sondern Schlepperei. Ebenso seien die Push- und Pull-Faktoren und "Flüchtlingsmagnete" bekannt. Er verweist auf Australien, das ähnliche Probleme gehabt und die Zahlen auf Null gesenkt habe, indem konsequent niemand mehr ins Land gelassen worden sei. In der Folge sei auch niemand mehr gekommen. Dazu benötige man auch keine Studien, denn Menschen "funktionierten" im Regelfall in dieser Form. Die politische Linke sei Meisterin von Fake-Studien, die von den Menschen nicht mehr geglaubt würden. Er hinterfragt die Glaubwürdigkeit, wenn solche Dinge "angezettelt" würden, denn dies färbe auch auf andere politische Leitlinien ab, wie etwa beim Klima. Es mache sich "blanke Irrationalität" breit.

Die Glaubenserklärung des Oberbürgermeisters ist aus Sicht von StR Winter (Stuttgarter Liste) irrelevant und falsch, denn OB Dr. Nopper streite sämtliche wissenschaftlichen Erkenntnisse ab. Es habe zehn Monate Zeit gegeben, rechtliche Überlegungen zu prüfen; leider seien diese erst in einer Sitzung bekanntgegeben worden. Es habe sogar einen zweiten Antrag gebraucht, um das Anliegen diskutieren zu können. Er verweist auf zahlreiche Städte, denen Oberbürgermeister verschiedener politischer Couleur vorständen und zu einer anderen rechtlichen Bewertung gelangt seien, wie Potsdam, Bochum, Oldenburg, Osnabrück, Köln, Frankfurt und aus Baden-Württemberg Mannheim und Konstanz. Er hätte erwartet, dass nach dem mehrheitlichen Antrag darüber informiert werde, wie diese Städte umgesetzt hätten. Der Stadtrat zeigt sich einverstanden, einen Weg zu finden, das Ansinnen rechtssicher zu gestalten und plädiert dafür, kurzfristig auf private Spenden zu setzen. Das Regierungspräsidium habe erfreulicherweise in der Sache einen anderen Ton gefunden, denn Fakt sei, dass täglich Menschen im Mittelmeer ertränken. Menschen machten sich nicht aus Abenteuerlust auf den Weg, sondern befänden sich auf der Flucht vor Krieg, Vertreibung, Elend und Seuchengefahren.

Bezüglich des Rechtsbegriffs erinnert StR Puttenat an die von der CDU-Gemeinderatsfraktion abgelehnte Vorlage zu Flüchtlingsunterkünften. Es sei rechtlich bindend, die Vorgaben von Bund und Land zu erfüllen, weshalb es von Doppelmoral zeuge, wenn der Rechtsbegriff massiv in den Mittelpunkt gerückt werde. Des Weiteren betont er, der Gemeinderat unterstütze mit dem heute diskutierten Beschluss in keiner Weise Schlepperei.

In der Diskussion werde die Seenotrettung unrichtigerweise der Schlepperei bezichtigt, moniert StR Pantisano. Seenotrettung rette Menschen vor dem Ertrinken und fördere nicht Flucht; Menschen flöhen vor Krieg und Zerstörung. Den Vorwurf, "links" würde sich um nichts kümmern, weist der Stadtrat vehement zurück. Die linken Fraktionen setzten sich seit Jahrzehnten für alle Menschen ein, die hungern müssten. Bezüglich des Aspektes des Örtlichkeitsprinzips verweist er auf Schweigeminuten zu den Kriegen in der Ukraine und Israel, die Städtepartnerschaft mit einer ukrainischen Stadt und die israelische Fahne am Rathaus. Durch diese symbolischen Zeichen werde eben nicht eng im Örtlichkeitsprinzip gedacht, sondern eine Politik der Menschlichkeit gemacht. Somit sei auch die Frage der Seenotrettung eine Möglichkeit, um als Stadt ein Zeichen zu setzen, wo man sich verorte. Das Regierungspräsidium habe sich erst eingeschaltet, weil OB Dr. Nopper sich geweigert habe, den Antrag umzusetzen.

StR Kotz erwartet auch von einem grün geführten Regierungspräsidium, dass es nicht nur bei strittigen Punkten aktiv wird. Selbst ein einstimmiger Beschluss hätte einen Zeitungsartikel hervorgerufen, auf den das Regierungspräsidium mit einer Prüfung hätte reagieren müssen. Er verweist auf das Zahlenverhältnis der Personen, die nach einer Seenotrettung in Europa bzw. in ihren Herkunftsländern vom Schiff stiegen. An diesem Verhältnis lasse sich das Ziel der Seenotrettung erkennen, nämlich die Menschen nach Aufnahme nach Europa zu bringen "und eben nicht woanders hin". Gegenüber StR Puttenat führt er aus, der Vergleich mit der Flüchtlingsunterbringung hinke, denn die Stadtverwaltung könne die Unterbringung ohne Beschlüsse des Gemeinderates vornehmen. Somit könne sehr wohl dagegen gestimmt worden, ohne dass die gesetzliche Verpflichtung dann nicht erfüllt werde. Es dürften nicht Äpfel mit Birnen verglichen werden.

Das rhetorische Niveau der Auseinandersetzung wird von StR Goller (AfD) kritisiert, und auch eine inhaltliche Diskussion sei unnötig, denn wer ständig Falsches sage, wisse es entweder nicht besser oder wolle nicht besser argumentieren. Die Behauptung, Menschen kämen aus tiefster Armut sei falsch, denn der Transport mit einem der Schlepperboote koste mehrere tausend Dollar. Dies sei für die Herkunftsländer ein Familienvermögen, das in eine Person investiert werde. Die ärmsten Menschen könnten somit niemals einen Fuß auf eines der Boote setzen. Mit dieser "Industrie" sei eine Zwei-Klassen-Gesellschaft geschaffen worden für diejenigen, die investieren könnten oder eben nicht. Es gebe nur einen einzigen Weg, dafür zu sorgen, dass Menschen nicht mehr im Mittelmeer ertränken. Wenn Europa beschlösse, alle Ankommenden an die afrikanische Küste zurückzuführen, werde innerhalb von drei Monaten keine einzige Familie mehr Geld in das Spiel mit dem Tod investieren.

Zur Frage, warum die Seenotrettung die Menschen nach Europa und nicht in ihre Heimatländer bringe, erklärt StR Pantisano, die zivile Seenotrettung fahre in europäischen Gewässern und müsse Menschen aus völkerrechtlichen Gründen in einen europäischen Hafen bringen, die zumeist auch die nächst gelegenen Häfen seien. Push-Backs, die von der libyschen und anderen Küstenwachen betrieben würden, seien illegal und beförderten Bootsunglücke. Die zivile Seenotrettung halte sich an europäisches Recht, was durch viele Gerichtsurteile - auch in Italien - bescheinigt worden sei.

StRin Rühle erklärt, vor über 80 Jahren seien Menschen aus Deutschland geflohen und an den Grenzen zurückgewiesen worden. Dies habe aber niemanden davon abgehalten, es aus reiner Verzweiflung erneut zu versuchen. Menschen nicht auf der Route ertrinken zu lassen, sei ein Gebot der Menschlichkeit und daher dringend notwendig.

Abschließend merkt OB Dr. Nopper an, der Oberbürgermeister sei ein eigenständiges Organ, das sehr wohl eigenständig und unabhängig politische Aussagen machen könne. Das Instrument des Widerspruchs nach Gemeindeordnung sei ein außerordentlich selten zum Einsatz kommendes Instrument, von dem er in 22 Jahren als Oberbürgermeister noch nie habe Gebrauch machen müssen. An die Ratsmehrheit gewandt führt er aus, diese solle jetzt die Dinge nicht auf den Kopf stellen. Sie habe mit vollem Vorsatz, mit dolus directus 1. Grades, einen Beschluss gefasst, gegen den erhebliche rechtliche Bedenken vorgetragen worden seien. Man habe sich unter anderem mit Sätzen gewehrt wie "Herr Oberbürgermeister, Sie verstehen das falsch. Wir wollen die Frage nicht rechtlich, sondern politisch entscheiden". Die Antragsteller hätten allen Beteiligten diese Situation mit dem Widerspruch eingebrockt. Die Verwaltung haben die Rechtslage von vier Ämtern - dem Rechtsamt, dem Amt für Revision, der Stadtkämmerei und dem Haupt- und Personalamt - prüfen lassen. Auch das Regierungspräsidium habe aufgrund der zugeleiteten Anfrage einer Stuttgarter Tageszeitung seine vorläufige Rechtsauffassung geäußert und diese sei exakt in dieselbe Richtung gegangen, wie die von den vier Ämtern geäußerte Rechtsauffassung. Das Regierungspräsidium habe gesagt, man befinde sich in einem Graubereich, es gebe erhebliche rechtliche Bedenken. Zu diesem Zeitpunkt habe das Regierungspräsidium die eindeutige Rechtswidrigkeit noch nicht vorgetragen. Er selbst habe in der Sache sehr wohl eine konstruktive und keine formale Haltung eingenommen, obwohl er ganz erhebliche rechtliche Bedenken habe. Nach der Feststellung der Gesetzeswidrigkeit durch das Regierungspräsidium sei allerdings nichts anderes übriggeblieben als der Widerspruch.

Anschließend stellt OB Dr. Nopper die Aufhebung des in der Gemeinderatssitzung vom 21.03.2024 unter Tagesordnungspunkt 11 gefassten Beschlusses (siehe NNr. 45/2024) zur Abstimmung und stellt fest:

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