Protokoll: Gemeinderat der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
547/2016
GZ:
WFB
Sitzungstermin: 27.07.2016
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Kuhn
Berichterstattung:EBM Föll
Protokollführung: Frau Sabbagh de
Betreff: Anlagerichtlinien der Landeshauptstadt Stuttgart
und der Stuttgarter Versorgungs- und Verkehrs-
gesellschaft mbH
Umsetzung des Grundsatzes der Nachhaltigkeit

Vorgang: Verwaltungsausschuss vom 20.07.2016, öffentlich, Nr. 293

Ergebnis: mehrheitliche Zustimmung mit Ergänzung des ersten Punkts der Anlage


Beratungsunterlage ist die Vorlage des Referats Wirtschaft, Finanzen und Beteiligungen vom 11.07.2016, GRDrs 547/2016, mit folgendem

Beschlussantrag:

1. Der in Ziffer III.2 der Anlagerichtlinien der Landeshauptstadt Stuttgart und der Stuttgarter Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft mbH als Anlageziel genannte Grundsatz der Nachhaltigkeit wird wie in der Anlage aufgeführt konkretisiert.

2. Die Kriterien sind ab dem 1. September 2016 beim Erwerb neuer Papiere zu beachten. Im Portfolio enthaltene Papiere, die die Nachhaltigkeitskriterien nicht erfüllen, sind interessewahrend zu veräußern.


Eingangs weist OB Kuhn auf die im VA hinzugefügte Ergänzung hin.

EBM Föll berichtet, er habe vor Beginn der Sitzung eine Petition von Divest Stuttgart! an den Oberbürgermeister und den Gemeinderat entgegengenommen, in der die Forderungen fomuliert seien, die in den Anlagerichtlinien nach einem Beschluss des Gemeinderats nun umgesetzt würden. Die Petition sei von 302 Menschen unterzeichnet worden.

Im Namen ihrer Fraktion begrüßt StRin Ripsam (CDU) die Vorlage, mit der der Grundsatz der Nachhaltigkeit umgesetzt werde. Dies betreffe insbesondere die Themen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Das städtische Vermögen müsse nach ethischen und moralischen Grundsätzen angelegt werden, was z. B. Kinderarbeit ausschließe. Mit ihren Anlagerichtlinien verhalte sich die Stadt Stuttgart im Vergleich mit anderen Städten deutlich werteorientierter und sende so ein gutes Signal an andere Kommunen. Die Zusammenarbeit mit einer Ratingagentur sei sinnvoll, um die Ziele in der Anlagestrategie zu erreichen.

Auch StRin Deparnay-Grunenberg (90/GRÜNE) wertet die Vorlage im Namen ihrer Fraktion als Erfolg. Mit den neuen Anlagerichtlinien werde die Stadt den ethischen Grundwerten der Gesellschaft gerecht. Sicherlich habe die von EBM Föll erwähnte Bürgerinitiative deutschlandweit und auch in Stuttgart zu einer gesellschaftlichen Akzeptanz der Dekarbonisierungsstrategie beigetragen. Mit Blick auf die Teilnahme an der Klimaschutzkonferenz in Paris sei es für eine deutsche Kommune nur konsequent, kommunale Steuergelder nicht in Firmen zu investieren, die ihr Geld mit Ölplattformen oder Kohleabbau verdienten. Sie dankt der Fraktionsgemeinschaft SÖS-LINKE-PluS für die Mitarbeit am Antrag, außerdem der Verwaltung für die sehr gute Vorlage mit den im VA besprochenen Änderungen in Bezug auf Fracking und jährliche Berichte der Verwaltung.

Grundsätzlich merkt sie an, die Richtlinien bewirkten, dass gesellschaftlich nicht mehr akzeptierte Geschäftssparten künftig uninteressanter für Investoren würden. Nur wer nachhaltige und intelligente Geschäftsideen auf den Markt bringe und lebenserhaltende Strukturen fördere, werde langfristig bestehen bleiben, der Profit alleine rücke in den Hintergrund. Gesamtgesellschaftlich sei dies eine Win-win-Situation. Ihre Fraktion lade die Beteiligungsunternehmen und andere Kommunen explizit ein, diese Schritte nachzuahmen und in ein paar Jahren auch selber nachzusteuern, z. B. in der Frage, wie lange man Erdgas noch als Brückentechnologie benötige in einer Gesellschaft, die langfristig komplett auf regenerative Energie setzen werde.

StR Körner (SPD) erinnert an einen Antrag und eine Anfrage seiner Fraktion und schließt sich der positiven Bewertung seiner Vorrednerinnen an. Allerdings dürfe man sich nichts vormachen, es werde der Stadt nicht gelingen, dadurch wieder in ein Stadium der kompletten Unschuld zu gelangen. Z. B. würden die städtischen Festgelder von der Bank weiterhin auf dem internationalen Kapitalmarkt angelegt. Und die Stadtwerke Stuttgart seien zumindest vorübergehend bei Quartierskonzepten mit Kraftwärmekopplungsanlagen nach wie vor auf Erdgas angewiesen. Ehrlicherweise müsse man sich eingestehen, dass der Wohlstand insbesondere ökologische Nachteile mit sich bringe. Diese gelte es zu verringern. In dieser Hinsicht sei die Vorlage ein Schritt in die richtige Richtung.

Für seine Fraktionsgemeinschaft begrüßt auch StR Ozasek (SÖS-LINKE-PluS) die Vorlage, mit der die Stadt einen Impuls für eine klimagerechte Zukunft setze und Verantwortung für die Lebensverhältnisse der aktuellen und aller zukünftigen Generationen übernehme. Divestment sei ökologisch unumgänglich und wirtschaftlich dringend geboten, da den fossilen Energieträgern eine gigantische Wertberichtigung drohe. Ein solares Zeitalter müsse und werde die Energieträger des 19. und 20. Jahrhunderts überwinden, andernfalls werde die Staatengemeinschaft, die sich in der Pariser Klimaschutzkonferenz ambitionierte Ziele gesetzt habe, scheitern. Dazu müssten die Finanzmärkte an die Leine genommen werden. Mit diesen Anlagerichtlinien schaffe die Stadt ethische Mindestkriterien für die Finanzmarktaktivitäten der Stadt und der SVV.

Ausdrücklich bedankt er sich bei der Fraktion 90/GRÜNE für die Kooperationsbereitschaft, bei EBM Föll für die Offenheit gegenüber dem interfraktionellen Antrag sowie bei allen Aktiven von Fossil Free. Doch sei mit dem Beschluss die Auseinandersetzung für seine Fraktionsgemeinschaft nicht zu Ende. Der Druck auf die LBBW habe zwar dazu geführt, dass ab 2012 die Spekulationsgeschäfte auf Lebensmittel aufgegeben worden seien, doch brauche man einen verbindlichen Rahmen für nachhaltiges Unternehmenshandeln, damit insbesondere die fossilen Beteiligungen und Investments abgestoßen würden. Eine zweite Bankenrettung aufgrund eines unterlassenen Divestments werde es mit seiner Fraktionsgemeinschaft nicht geben.

StRin von Stein (FW) kündigt an, ihre Fraktion werde sich enthalten oder ablehnen. Zum einen habe sie Zweifel daran, dass die Einhaltung der Kriterien nachgeprüft werden könne. Hier sei eine Ratingagentur erforderlich, die wiederum die Erträge schmälere. Und zum anderen seien in der Zukunft strategische Veränderungen in Firmen möglich, die aktuell die Kriterien erfüllten. Mit Blick auf Militärwaffen macht sie deutlich, dass die Bundeswehr Waffen brauche, die auch finanziert werden müssten.

Auch seine Fraktion könne nicht zustimmen, erklärt StR Prof. Dr. Maier (AfD). Öl, Kohle und Erdgas sollte man nicht dämonisieren, da sie die drei wichtigsten Rohstoffe der chemischen Industrie bildeten. Die Überprüfung auf Kinder- und Zwangsarbeit scheitere meist an der nicht möglichen Rückverfolgung der Produktionsketten. Er spreche hier aus eigener Erfahrung, da er bei der Stiftung Warentest an der Konzeption von CSR-Tests - Testverfahren, bei denen Aspekte der Corporate Social Responsibility berücksichtigt werden sollten - beteiligt gewesen sei. In Bezug auf die Bundeswehr schließe er sich den Aussagen seiner Vorrednerin zu Militärwaffen an. Grundsätzlich sei dieser Begriff zu undifferenziert. Bei Waffen handle es sich zumeist um komplexe Systeme. Es gebe auch nicht sehr viele Dual-Use-Produkte. Und schließlich stelle eine ganze Reihe großer Pharmaunternehmen Produkte für den nationalen und europäischen Markt ohne Tierversuche her, könne diese jedoch nur in die USA oder nach Kanada exportieren, wenn sie zuvor an Tieren getestet worden seien. Aus den dargelegten Gründen erscheine ihm das Konzept unausgegoren. Er könne jedoch dem Konzept des norwegischen Pensionsfonds zustimmen, der viel klarer und nachvollziehbarer formuliere und Unternehmen ausschließe, die Antipersonenminen, Nuklearwaffen oder Tabakprodukte herstellten sowie Bergbaufirmen, die die Umwelt nachweislich zerstörten.

Nach Ansicht seiner Gruppierung schränkten die Richtlinien das Anlageverhalten der Stadt zu stark ein, merkt StR Conz (FDP) an. Mit den Gewinnen sollten unter anderem die Defizite der SSB gedeckt werden. Im Übrigen sei der Unwille, in Waffen und Munition zu investieren, zwar nachvollziehbar, doch müsse man ehrlicherweise einräumen, dass Polizei und Bundeswehr Waffen benötigten. Eine Investition in Tabakkonzerne sei dagegen weiterhin möglich. Nach Ansicht seiner Gruppierung sei dies ein Schritt in die falsche Richtung, weshalb sie sich enthalten werde.

StR Dr. Schertlen (STd) stimmt der Vorlage mit großer Freude zu. So abgedroschen die Begriffe fair und nachhaltig inzwischen auch klängen, seien sie doch Daseinsgrundlage. Deshalb gelte es, den Planeten mit geschlossenen, vollständigen Kreisläufen zu erhalten und dafür zu sorgen, dass anständige Arbeits- und Lebensbedingungen für Menschen in aller Welt nicht nur unerreichbare Hoffnungen blieben.

EBM Föll stellt klar, dass die Stadt mit den Anlagerichtlinien keineswegs die Tätigkeit von Unternehmen verbiete. Doch entscheide sie damit, nach welchen Kriterien die städtischen Gelder angelegt werden sollten. Dies solle durchaus gewinnbringend erfolgen, aber nicht in beliebiger Weise im Sinne von gewinnmaximierend, sondern nach strengen Bonitätskriterien. Dazu passe es seiner Ansicht nach auch sehr gut, strenge Nachhaltigkeitskriterien einzuführen, um Aspekte der Ökologie, des Sozialen und der Unternehmensführung mit zu beachten. Die Verwaltung sei im Übrigen davon überzeugt, dass dies die Rendite nicht schmälern werde, ganz im Gegenteil, da Unternehmen, die nicht in den dargelegten Unternehmensfeldern tätig seien, langfristig eine bessere Wertentwicklung erfahren würden.

Ausdrücklich betont er nochmals an StR Conz gewandt, dass weder Daimler noch Bosch unter diese Ausschlusskriterien fielen.

Gegenüber StR Prof. Dr. Maier macht er deutlich, dass die Stadt mit ihren Richtlinien konsequenter sei als der norwegische Staatsfonds, der z. B. Unternehmen, die bis zu 30 % ihrer Einnahmen aus Geschäftsfeldern wie etwa Kohle tätigten, dennoch aufnehme.

Natürlich werde die Verwaltung diese Kriterien von Zeit zu Zeit gemeinsam mit dem Gemeinderat überprüfen, erörtern und fortschreiben. Aktuell gehe man den ersten Schritt, dem weitere folgen würden.



OB Kuhn stellt abschließend fest:

Der Gemeinderat beschließt mit 6 Gegenstimmen bei 5 Enthaltungen mehrheitlich den Beschlussantrag in der im VA modifizieren Fassung, bei der der erste Punkt der Anlage wie folgt ergänzt wurde (Ergänzung fett):

…"die in den Rohstoffabbau von Kohle, Öl und unkonventionellem Erdgas (Fracking) investieren".

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