Protokoll: Gemeinderat der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
282/2017 Neufassung
GZ:
OB 1515-01
Sitzungstermin: 29.06.2017
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Kuhn
Berichterstattung:-
Protokollführung: Frau Westhaus-Gloël
Betreff: 3. Fortschreibung des Luftreinhalteplans Stuttgart
- Anhörung

Vorgang: Ausschuss für Umwelt und Technik vom 30.05.2017, öffentlich, Nr. 217

Ergebnis: Einbringung

Ausschuss für Umwelt und Technik vom 27.06.2017, öffentlich, Nr. 237

Ergebnis: Mehrheitliche Zustimmung zur GRDrs 282/2017 bei 9 Ja-, 7 Nein-Stimmen und 2 Enthaltungen mit Änderungen


Beratungsunterlage ist die Vorlage des Herrn Oberbürgermeisters vom 28.06.2017, GRDrs 282/2017 Neufassung, mit folgendem

Beschlussantrag:

Die Verwaltung wird beauftragt, zur 3. Fortschreibung des Luftreinhalteplans Stuttgart folgende Stellungnahme abzugeben:

1. Vom Entwurf der 3. Fortschreibung des Luftreinhalteplans wird Kenntnis genommen.

2. Den folgenden Maßnahmen des Entwurfs der 3. Fortschreibung wird ohne Änderung zugestimmt:


3. Den folgenden Maßnahmen des Entwurfs der 3. Fortschreibung wird zugestimmt. Es wird darum gebeten, die Hinweise, Empfehlungen und Änderungen zu berücksichtigen:
4. Die folgenden Maßnahmen des Entwurfs der 3. Fortschreibung werden abgelehnt:
5. Folgende neue und zusätzliche Maßnahmen regt die Landeshauptstadt Stuttgart an, um sie in Kapitel 6.2. (Geplante Maßnahmen) der 3. Fortschreibung aufzunehmen:

M21 Abwrackprämie für Motorroller

M22 City-Logistik-Konzept

M23 Straßenreinigungskonzept

M24 Heizungserneuerungsprogramm

M25 Abriss und Neubau Auffahrtsrampe Friedrichswahl in Stuttgart- Zuffenhausen

6. Zu folgenden Maßnahmen in Kapitel 6.3. (Untersuchung weiterer Maßnahmen) der 3. Fortschreibung gibt die Landeshauptstadt Stuttgart Hinweise, Empfehlungen und Änderungen ab bzw. regt an, neue und zusätzliche Maßnahmen in dieses Kapitel aufzunehmen:



Die Beratungsunterlage ist dem Originalprotokoll sowie dem Protokollexemplar für die Hauptaktei beigefügt.

OB Kuhn teilt zunächst mit, dass zur Neufassung der Beschlussvorlage mit den im Ausschuss für Umwelt und Technik am 27.06.2017 abgestimmten Änderungen keine weiteren Änderungswünsche eingegangen sind.

StR Kotz (CDU) betont, nichts sei wichtiger, als saubere Luft zu atmen, auch in Stuttgart. Daher sei es gut, dass die Stadt in den letzten Jahrzehnten in Sachen Luftreinhaltung eine Erfolgsgeschichte geschrieben habe. Die Gesamtluftbelastung sei rückläufig. Trotzdem müsse man feststellen, dass noch nicht alle gesetzlichen Grenzwerte eingehalten werden. Beim Feinstaub gebe es eine Überschreitung nur noch am Neckartor, bzw. in einem Modell berechnet auf ca. 5 km Streckenlänge in Stuttgart, beim Stickstoffdioxid gebe es Überschreitungen an mehreren Messstellen bzw. in der Berechnung an ca. 70 km Straßenlänge in Stuttgart. Gerade auch beim Stickstoffdioxid habe es aber in den letzten 10 Jahren starke Verbesserungen am Neckartor gegeben, von 853 Überschreitungsstunden im Jahr 2006 auf 35 Überschreitungsstunden im Jahr 2016. Dies sei durch ein Umdenken in den Köpfen und durch den technischen Fortschritt möglich geworden.

Was die Diskussion um die Blaue Plakette angehe, so könne diese aus Sicht seiner Fraktion erst dann verbindlich gelten, wenn eine Durchdringung in der Fahrzeugflotte von etwa 80 % gegeben sei und wenn für besondere Gruppen, z. B. für die Flotten von Unternehmen, entsprechende Übergangsregelungen vorlägen. Ein entscheidender Vorteil der Blauen Plakette sei dann, dass sie bundeseinheitlich gelten werde und kontrollierbar sei.

Am heutigen Tag gehe es aber zunächst um die Stellungnahme zur Fortschreibung des Luftreinhalteplans für Stuttgart. Im Entwurf dieses Planes seien Maßnahmen enthalten, die er als nicht verhältnismäßig ansehe, weil sie durch Fahrverbote zwar an einigen Orten den Verkehr reduzieren und damit auch die Luft verbessern würden, dafür dann aber zu mehr Verkehr und zu schlechterer Luft an anderen Orten der Stadt führen würden, zumeist an Wohnstraßen. Die richtige, jahrzehntelange Strategie in Stuttgart sei es aber gewesen, den Verkehr auf den Hauptverkehrsachsen zu bündeln und aus den Wohngebieten herauszuhalten.

Die Frage der Verhältnismäßigkeit stelle sich auch deshalb, weil das Wirkungsgutachten des Landes, das im Rahmen des Luftreinhaltplans erarbeitet worden sei, das folgende Basistrendszenario aufzeige: Dann, wenn gar keine weiteren Maßnahmen umgesetzt würden, wie sie in der Fortschreibung des Luftreinhalteplans enthalten sind, werde vom heutigen Status ausgehend die Länge der Straßenkilometer mit Überschreitungen beim Stickstoffdioxid von 88 km im Jahr 2015 auf 17,5 km im Jahr 2020 zurückgehen, beim Feinstaub von 5,7 km im Jahr 2015 auf 4 km im Jahr 2020, allein aufgrund der allgemeinen Weiterentwicklungen.

Tatsächlich sei aber damit zu rechnen, dass die Luft in Stuttgart viel besser sein werde, als im Basistrendszenario vorhergesagt, weil der Gemeinderat im Bündnis für Mobilität und Luftreinhaltung Maßnahmen beschlossen habe, die in diesem Trend noch gar nicht berücksichtigt sind: die besseren Takte bei den Bussen, das neue Ein-Zonen-Ticket für ganz Stuttgart, das Luftreinhalteticket, die Express-Bus-Linie, das Heizungserneuerungsprogramm. Weitere Maßnahmen seien nach der Vorberatung in die Stellungnahme zum Luftreinhaltplan mit aufgenommen worden: Die Abwrackprämie für Zweitakt-Roller, mehr Grün in der Stadt und eine bessere Pflege der Grünflächen, der ganzjährige Betrieb der Stadtbahnlinie U19, eine verstärkte E-Mobilität. Mit Blick auf das bereits Erreichte, auf die Erkenntnisse der Wissenschaftler, was den Trend angeht und diese zusätzlichen Maßnahmen, für die es eine breite Mehrheit im Stuttgarter Gemeinderat gebe, komme seine Fraktion zu der Aussage, dass harte, unverhältnismäßige Maßnahmen wie die Fahrverbote nicht notwendig und vor allem nicht verhältnismäßig sind. Auf die rechtliche Unsicherheit der Fahrverbotsmaßnahmen werde sogar im Entwurf zum Luftreinhaltplan hingewiesen. Die praktische Umsetzung und die Kontrollierbarkeit seien noch gar nicht geklärt. Darüber hinaus sei es auch noch unsicher, ob mit den Fahrverboten die Grenzwerte tatsächlich eingehalten werden könnten. Der Bündnis 90/DIE GRÜNEN-Fraktion scheine es mehr um das Ziel zu gehen, den Autoverkehr in der Stadt zu reduzieren, als die Grenzwerte einzuhalten.

Erfreulich sei, dass nach den Vorberatungen jetzt auch die Filderauffahrt und der Ostheimer Tunnel mit einer Machbarkeitsstudie in der Stellungnahme zum Luftreinhalteplan als langfristige Maßnahmen erwähnt würden. Wenn das heutige Abstimmungsverhältnis dem in der Vorberatung im Ausschuss für Umwelt und Technik entspreche, werde die CDU-Fraktion, neben anderen Fraktionen auch, Verantwortung für diese Stadt tragen. Während er von der Fraktion SÖS-LINKE-PluS nichts Anderes erwartet habe, als dass sie die Stellungnahme zum Luftreinhalteplan ablehne, so habe er doch gehofft, dass die Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN sich nicht "in die Büsche schlage". Die CDU-Fraktion werde, obwohl in der Stellungnahme auch Maßnahmen enthalten seien, die sie nicht gewollt habe, in der Abstimmung aber unterlegen sei, der Stellungnahme zustimmen. Er hoffe, dass aufgrund der Stellungnahme der Landeshauptstadt und anderer, unter anderem aller Wirtschaftsverbände, doch noch Vernunft einkehre beim Land und der Entwurf entsprechend geändert werde.

StR Peterhoff (90/GRÜNE) bezeichnet die Gesamtstellungnahme der Stadt zum Luftreinhalteplan, wie sie nach der Vorberatung zur Abstimmung stehe, als "herbe Niederlage für die Bürgerinnen und Bürger in dieser Stadt". Mit der Ablehnung der moderaten Fahrbeschränkungen an Feinstaubtagen, die das Land vorgeschlagen habe, ziehe sich der Gemeinderat aus der Verantwortung. Es komme einer "Bankrotterklärung der Politik" gleich, wenn man es auf die Entscheidung der Gerichte ankommen lasse. Die von der CDU-Fraktion angeführte Diskussion um die Umbenennung des Feinstaubalarms in Luftreinhaltetag sei ein Hohn für alle gesundheitlich belasteten Bürgerinnen und Bürger in der Stadt. Deutschlandweit würden 10.000e Menschen an der erhöhten Stickoxidbelastung sterben. In jeder Großstadt seien Klagen anhängig. Die SPD-Gemeinderats-fraktion argumentiere, dass es mit Fahrbeschränkungen insgesamt zu mehr Belastungen komme. Tatsächlich könnten aber durch 20 % weniger Kfz-Verkehr im Talkessel die Grenzwerte beim Stickoxid auf 3,6 km im Talkessel eingehalten werden. Mit der Ablehnung der Fahrbeschränkungen würden die Menschen, die dort wohnten, ab dem nächsten Jahr weiterhin dieser Gesundheitsbelastung ausgesetzt. Auch wirtschaftspolitisch sei die Ablehnung ein fatales Signal, weil die Nachrüstung von Diesel-Fahrzeugen als nicht mehr so notwendig erscheine.

Wirkliche Alternativen zu den Fahrbeschränkungen würden von den Fraktionen nicht angeboten. Die CDU-Gemeinderatsfraktion bringe "Tunnelfantasien" in die Diskussion, und der Austausch von Öl-Öfen habe keine Auswirkungen auf die Stickoxidbelastung. Die SPD-Gemeinderatsfraktion setze auf die Förderung des ÖPNV. Das werde von seiner Fraktion geteilt, führe aber noch nicht zur Einhaltung des gerichtlichen Vergleichs mit den Klägern am Neckartor ab 01.01.2018. Eine weitere Klage der Deutschen Umwelthilfe gegen die erhöhten Stickoxidwerte werde demnächst verhandelt. Wenn der Gemeinderat Fahrbeschränkungen ablehne, provoziere er deutlich umfassendere Verbote, die von den Gerichten verhängt würden.

Positiv zu vermerken sei, dass auf Antrag seiner Fraktion Einzelmaßnahmen wie die Abwrackprämie für Zweitakter, ein größerer Etat für den Fahrradwegeausbau, Geld für eine emissionsfreie City-Logistik in die Stellungnahme mit aufgenommen worden seien. Es handle sich aber um Maßnahmen, die nicht kurzfristig wirken könnten. Ohne Fahrbeschränkungen komme man nicht aus. Deswegen werde seine Fraktion der Stellungnahme der Stadt nicht zustimmen. Sie hoffe auf die Vernunft des Landes, das es nun in der Hand habe, die Komplettverbote für Diesel und drohende Strafzahlungen noch zu vermeiden.

StR Körner (SPD) bemerkt, die Landeshauptstadt nehme mit der vorberatenen Stellungnahme eine klare und eindeutige Haltung ein zu einem Plan, den sich die Landesregierung für Stuttgart ausgedacht habe und der dem Gemeinwohl der Stadt nicht gerecht werde. Der Plan sei unausgegoren und unglaubwürdig, weil er noch mindestens drei verschiedene Varianten für lokal beschränkte Fahrverbote enthalte. Die Landesregierung lege sich bis heute nicht fest, wo sie eigentlich Fahrverbote aussprechen wolle. Gleichzeitig sei die ÖPNV-Förderung des Landes nach wie vor völlig unzureichend. Der Luftreinhalteplan trage zum Teil groteske Züge, wenn unter der Überschrift "Mittel- und langfristig wirksame Maßnahmen für eine bessere Luft in Stuttgart" die grün-schwarze Landesregierung den sechsstreifigen Ausbau der Bundesstraße B10 im Neckartal nenne, die genau auf das Neckartor zuführe.

Der Hauptgrund für die SPD-Fraktion, den Plan mit seinen Fahrverboten abzulehnen, sei, dass der Plan die Menschen am Neckartor gegen die Menschen in der Pragstraße und anderswo ausspiele. Das sei "umwelt- und verkehrspolitische Voodoo-Politik". Damit am Neckartor 20 % weniger Autos fahren, werde in Kauf genommen, dass sich zusätzlicher Verkehr z. B. auch nach Hedelfingen und in die Hohenheimer Straße verlagert, wo die Belastung heute schon groß ist. Der ursprüngliche Beschlussvorschlag für eine Stellungnahme zum Luftreinhalteplan wäre von keiner einzigen politischen Kraft in diesem Rathaus unterstützt worden, außer von der GRÜNEN-Fraktion. Die jetzt vorliegende Stellungnahme sage "JA zu vernünftigen Fahrverboten", flächendeckend in der Umweltzone, damit kein unerwünschter Ausweichverkehr entsteht, mit einer Plakette, die noch kommen müsse, die aus Sicht seiner Fraktion auch die Wahrheit sagen müsse über die Sauberkeit des Autos. Die Stellungnahme sage "NEIN zu Fahrverboten nach dem St. Florians-Prinzip". Die Stellungnahme mache klar, dass eine richtige ÖPNV-Offensive nur möglich ist, wenn das Land den ÖPNV entsprechend fördert. Die Stellungnahme schaffe auf städtischer Ebene die Voraussetzung dafür, dass man bei der Radverkehrsoffensive wirklich vorankomme.

In der Diskussion sei vor allem von der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN kritisiert worden, dass die Gegner der Fahrverbote nichts anderes, kurzfristig Wirksames vorschlagen würden. Diese Behauptung sei falsch, denn es sei davon auszugehen, dass - falls im nächsten Winter 2018 Fahrverbote gelten - bei inversiver Wetterlage die Feinstaubwerte weiterhin nicht eingehalten werden. Im Wirkungsgutachten, welches das Land in Auftrag gegeben habe, werde darlegt, dass die Fahrverbotsvorschläge den Jahresmittelwert beim Feinstaub gerade einmal von 34,8 µg/m³ auf 34,4 µg/m³ oder
34,0 µg/m³ senken würden. Diese Maßnahme sei also gar nicht kurzfristig wirksam.


Seine Fraktion setze auf nachhaltig wirksame Maßnahmen, fährt StR Körner fort. Die
6 Mio. Euro, die das Land für das Feinstaubticket bezahlt habe, müssten in eine echte Tarifreform investiert werden, die auch den Abonnentinnen und Abonnenten zugutekomme. Die Industrie sei gefordert, sauberere Autos herzustellen, und der Bundesverkehrsminister müsse endlich handeln. Im Unterschied zur CDU-Gemeinderatsfraktion sei seine Fraktion der Meinung, dass der Umweltverbund gestärkt und sein Anteil am Gesamtverkehr ausgebaut werden müsse, mit einer Offensive für Fußgänger, für den Radverkehr und für den ÖPNV. Mit der Neuordnung des Bahnknotens Stuttgart werde die S-Bahn entlastet und der Regionalverkehr in den nächsten Jahren gestärkt. Dies werde auch im Entwurf des Luftreinhalteplans gewürdigt. Zu den nachhaltigen Maßnahmen zähle auch ein kluger Städtebau, nicht nur für die Innenstadt, sondern auch in den Stadtbezirken. Hier gebe es noch einiges zu tun. Seine Fraktion werde der Neufassung der Beschlussvorlage gerne zustimmen und sei optimistisch, dass sie auch eine Mehrheit im Gemeinderat findet.


StR Ozasek (SÖS-LINKE-PluS) kritisiert, das Problem der Luftschadstoffbelastung sei jahrelang "verdrängt, vernebelt und verharmlost" worden. Dieses Prinzip sei auch am heutigen Tag wieder zu erkennen. Die Politik missachte die Gesundheitsrisiken und geltendes Recht. Die 2. Fortschreibung des Luftreinhalteplans habe vor dem Verwaltungsgerichtshof eine "krachende Niederlage" erlitten. Im Nachgang zu der Verhandlung sei es zum Vergleich zwischen den Klägern am Neckartor und der Landesregierung gekommen. Auch die 3. Fortschreibung des Luftreinhalteplans sei untauglich, um den Jahresgrenzwert beim Stickstoffdioxid einzuhalten. Dies sehe auch der ehemalige langjährige Leiter der Abteilung Stadtklimatologie im städtischen Amt für Umweltschutz so, wie man neulich der Presse habe entnehmen können.

Die Fraktionsgemeinschaft sei der Auffassung, dass nur vollflächige, ganzjährige Fahrverbote für alle Fahrzeuge, die nicht den gesetzlichen Bestimmungen entsprechen, eine Lösung bringen. Auch der Euro-6-Diesel müsse als "Giftschleuder" von den Straßen verschwinden. Die Politik sei bemüht, den Betrug der Automobilindustrie vergessen zu machen, der Skandal von Dieselgate werde auch noch Bosch, Daimler und viele andere Automobilunternehmen und Zulieferer ergreifen.

Die Landesregierung strebe aus Sicht der Fraktionsgemeinschaft mit diesem Luftreinhalteplan einen offenen Rechtsbruch an: Der Vergleich mit den Klägern am Neckartor werde gebrochen, die Klage der Deutschen Umwelthilfe werde gänzlich ausgeblendet, wie auch der letzte Warnbrief der EU-Kommission. Mit einem Vertragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof sei zu rechnen. Die nachhaltige und dauerhafte Verringerung des Autoverkehrs in der Stadt sei die einzige Lösung. Das bedinge auch den Rückbau der großen Verkehrsschneisen B14, B27 und B10. Die Reduzierung des Tempos auf dem Vorbehaltsstraßennetz in der Stadt auf Tempo 30, wie es das Europäische Parlament und das Umweltbundesamt empfehlen, wäre eine weitere, maßgeblich wirksame Maßnahme wie auch die Schaffung autofreier Quartiere gleichzeitiger ÖPNV-Offensive.

Die neulich angekündigte Erhöhung der Fahrpreise beim VVS sei in diesem Zusammenhang völlig kontraproduktiv und ein denkbar schlechtes Signal. Die Fraktionsgemeinschaft lehne den Luftreinhalteplan entschieden ab, auch weil er Straßenausbaumaßnahmen beinhalte. Die aufgeführten Maßnahmen schützten nicht die Stuttgarter Bevölkerung vor hochgradig schädlichen Emissionen. Die Stellungnahme der Stadt sei im Verlauf der Verhandlungen stark verwässert worden und drücke ein Politikversagen aus. Die Zustimmung der Fraktionsgemeinschaft werde diese Stellungnahme nicht bekommen.

Im Rückblick auf die Vorberatung im Ausschuss für Umwelt und Technik, so StR Zeeb (FW), könne er der Verwaltung und den Fraktionen, die die Kompetenz des Gemeinderats gezeigt hätten, nur ein Lob aussprechen. Es habe eine lebhafte, sachliche und gute Diskussion gegeben. Für viele Punkte habe man sich einstimmig entschieden. Letzten Endes sei die Stellungnahme ein Votum gegen Fahrverbote. Man habe eine konstruktive Fortschreibung des Luftreinhalteplans im Sinne der Stadt Stuttgart zustande gebracht.

Die Freien Wähler wollten kein Fahrverbot in der Stadt, seien sich aber bewusst, dass das Votum des Gemeinderats nur eine Empfehlung an das Regierungspräsidium und an die Landesregierung sei, und dass diese Empfehlung von Gerichtsentscheidungen abhänge und auch gekippt werden könne. Sollte ein gerichtliches Fahrverbot angeordnet werden, so bitte seine Fraktion die Verwaltung im Grunde schon am heutigen Tag um Informationen, mit welchen Auswirkungen durch Schleich- und Verdrängungsverkehr sie rechnet. Das werde zu einer Versachlichung beitragen und den Bürgern auch zeigen, was ein partielles Fahrverbot an Belastungen an anderer Stelle in Stuttgart bringen würde. Mit der nun vorliegenden Stellungnahme sei ein guter Kompromiss gefunden worden, der seine Fraktion gerne zustimme.

StR Prof. Dr. Maier (AfD) führt aus, es sei zu begrüßen, dass Realitätssinn und Vernunft sich in den Beratungen letztlich durchgesetzt hätten. Die Neufassung der Vorlage sehe seine Fraktion als Fortschritt an, auch wenn sie bei etlichen Einzelpunkten noch deutlichen Beratungs- und Verbesserungsbedarf sehe. Die Urfassung der Vorlage sei erst nach nahezu geschlossener Ablehnung im Ausschuss zurückgezogen worden. Zuvor hätten zahlreiche Stellungnahmen von Verbänden, Unternehmen und von Einzelpersonen "keine Beachtung bei den Betreibern der Fahrverbote" gefunden. Stattdessen seien die Vorstellungen von der möglichst autofreien Automobilstadt Stuttgart unverändert weiterverfolgt worden. Es scheine, als ob diejenigen, die auf basisdemokratische Verfahren und auf Bürgerbeteiligungen stets so großen Wert legten, von diesen Grundsätzen immer dann abrückten, wenn diese Verfahren zu anderen Ergebnissen führen als beabsichtigt.

Was die heute vorgelegte Stellungnahme angehe, so stimme seine Fraktion den im Beschlussantrag unter der Ziffer 2 genannten Maßnahmen mit Ausnahme der Blauen Plakette, der Ausweitung der Tempo 40-Zonen sowie der Erhöhung der Parkgebühren im Stadtgebiet und in den Parkhäusern zu. Bei der Ziffer Punkt 3 halte sie alle genannten Maßnahmen mit Ausnahme der Maßnahme M18 für zustimmungsfähig. Die unter Ziffer 4 genannten Maßnahmen, die Blaue Plakette und die Luftreinhaltestrecke, lehne sie insgesamt kategorisch ab. Da diese Ziffer aber auf die Ablehnung gerade dieser Maßnahmen abziele, werde den Inhalten des Punktes voll zugestimmt. Bei der Ziffer 5, neue und zusätzliche Maßnahmen, stimme seine Fraktion der Abwrackprämie für Motorroller, dem City-Logistik-Konzept, wenn auch mit gewissen Einschränkungen, dem Straßenreinigungskonzept und dem Heizungserneuerungsprogramm zu. Den Maßnahmen unter Ziffer 6 stimme sie ebenfalls zu, mit Ausnahme der Temporeduktion auf Zubringerstraßen. Auch dem Nord-Ost-Ring könne sie wegen dem damit verbundenen Verlust von wertvollen Agrarflächen nicht zustimmen. Ungeachtet der Einschränkungen bei den einzelnen Ziffern werde seine Fraktion die Vorlage als Ganzes annehmen und zustimmen. Er hoffe, dass künftige verkehrsplanerische, aber auch andere Maßnahmen der Stadt in enger Abstimmung mit allen Beteiligten getroffen würden.

"Das harte Arbeiten" an der Stellungnahme im Ausschuss für Umwelt und Technik habe sich gelohnt, findet StR Conz (FDP). Ein sehr guter Verhandlungserfolg sei, dass die Maßnahmen M2a, M2b und M2c mit ihren Fahrverboten nun jeweils als "wird von der Stadt abgelehnt" markiert worden seien. Diese Maßnahmen führten zu einer Verdrängung des Verkehrs in Wohngebiete und zur Entwertung von Tausenden von Fahrzeugen in Stuttgart und der Region. Die Maßnahmen seien auch nicht zu kontrollieren.

Mit Einzelpunkten der Stellungnahme habe die FDP ihre Schwierigkeiten, wie der Erhöhung der Parkgebühren, Einrichtung einer Schnellbuslinie von Bad Cannstatt in die Innenstadt und der negativen Erwähnung des Nord-Ost-Rings. Die Stellungnahme sei allerdings das Ergebnis langer und zäher Verhandlungen und kein Wunschkonzert einzelner Parteien. Mit Blick auf das Gesamtergebnis könne die FDP der Vorlage zustimmen.

StR Dr. Schertlen (STd) macht deutlich, dass seine Zustimmung am heutigen Tag nicht bedeutet, dass er allen Einzelmaßnahmen ebenfalls zustimmen werde. Er bedauert, dass innovative Maßnahmen in der Stellungnahme zur Fortschreibung des Luftreinhalteplans kaum enthalten sind. Was fehle, sei z. B. die Taktverdichtung sowie der Nachtbetrieb bei Stadtbahnen oder ein Pilotversuch für den Busverkehr mit einer angepassten Gefäßgröße für Busse auch in Schwachlastzeiten. Die STAdTISTEN hätten zur Stellungnahme selbst keine Anträge gestellt, jedoch in der Vergangenheit bereits zahlreiche Anträge zu Maßnahmen gestellt, die zur Luftreinhaltung beitragen würden.

OB Kuhn betont, seit Jahren, verstärkt in den letzten Jahren, sei im Stuttgarter Rathaus eine Politik aufgenommen worden, die die Luft in Stuttgart sauberer machen solle. Tatsächlich werde die Situation auch besser. Beim Feinstaub würden die Jahresdurchschnittswerte überall erreicht, die Einhaltung von maximal 35 Überschreitungstagen bei den Grenzwerten noch nicht. Bei den Stickoxiden gebe es ein Problem, weil die Grenzwerte an vielen Stellen in der Stadt im Jahresdurchschnitt fast um das Doppelte überschritten würden. Wenn die richtigen Entscheidungen technischer Art gefasst würden und der Umstieg auf den ÖPNV gelinge, werde sich die Situation in den nächsten Jahren verbessern.

Der Stellungnahme, wie sie nach der Vorberatung im Ausschuss für Umwelt und Technik heute vorliege, werde er selbst nicht zustimmen. Dennoch enthalte sie viele positive Maßnahmen. Erfreulich sei, dass es im Gemeinderat Konsens darüber gebe, dass der ÖPNV in der Stadt Stuttgart ausgebaut werden muss, auch der Fahrradverkehr.

Das Land habe die 3. Fortschreibung des Luftreinhalteplans aufgelegt, weil die seit 2005 geltenden Grenzwerte bei Feinstaub und Stickoxid einzuhalten seien und es EU-Verfahren gebe. Auch die Landesregierungen z. B. in Bayern und Nordrhein-Westfalen müssten beschreiben, wie man die Grenzwerte einzuhalten gedenkt. Und die deutschen Gerichte würden nachvollziehbar ungeduldig, weil die Grenzwerte noch immer nicht eingehalten werden. Der Vorschlag der Landesregierung sei sicher nicht in allen Maßnahmen nur zu begrüßen. Wer aber ein wichtiges Element des Plans, die Maßnahmen M2a bis M2b, ablehne, müsse sich schon die Frage stellen lassen, ob er eine Alternative an der gleichen Stelle mit dem gleichen zeitlichen Horizont habe oder nicht. Das Stickoxidproblem in Stuttgart am 02.01.2018 könne mit keinem Tunnel in dieser Stadt gelöst werden. Auch mit einer Seilbahn, die vielleicht in fünf Jahren komme, werde es nicht zu lösen sein. Nachdem die freiwilligen Maßnahmen beim Feinstaubalarm nicht zum Erfolg geführt hätten, müssten nun ordnungspolitische Maßnahmen ergriffen werden. Darauf sei schon immer hingewiesen worden.

Sehr zu begrüßen sei, dass sich der Gemeinderat einstimmig für die Einführung der blauen Plakette ausgesprochen hat, wenn eine Flottendurchdringung von 80 % gegeben ist. Eine blaue Plakette stelle die einfachste Lösung dar, die Bundesregierung habe sie aber noch nicht eingeführt. Das SPD-geführte Umweltministerium habe sich zwar immer dafür ausgesprochen, sich aber gegenüber Bundesverkehrsminister Dobrindt nicht durchsetzen können.

Dass die Maßnahmen M2a bis M2b des Luftreinhalteplans - die Fahrverbotsmaßnahmen - ein wenig wie ein "Sammelsurium" wirkten, liege an den unterschiedlichen Rechtsfragen, die noch geklärt werden müssten. Wenn der Gemeinderat aber alle drei Maßnahmen ablehne, dann verhindere er, dass die Landesregierung mit dem Luftreinhalteplan kurzfristig Erfolge erzielen könne, falls die Blaue Plakette nicht komme. Damit liefere man sich den Gerichten aus, was er für einen Fehler halte. Die Politik müsse nach Lösungen suchen, auch wenn es sehr schwierig sei. Dass der gerichtliche Vergleich, der für das Neckartor geschlossen wurde - 20 % weniger Verkehr dort - nicht einfach sei, stehe nicht infrage. Er habe aber Rechtskraft, und das Landeskabinett habe ihm zugestimmt. Dass die Maßnahme M2b für die Stadt unkomplizierter und leichter darzustellen sei, was die Beschilderung, die Kontrolle und Ausweichverkehre angehe, habe bei der pauschalen Ablehnung aller Maßnahmen unter M2 leider keine Rolle gespielt.

Verbote einzuführen sei natürlich kein Vergnügen und könne mit Eingriffen in individuelle vergangene Kaufentscheidungen verbunden sein. Trotzdem sei der Gesundheitsschutz der Bevölkerung nicht irgendeine Petitesse, sondern elementare Aufgabe auch der Stadtpolitik. Auf die Kritik der Industrieverbände, die zum Ausdruck gebracht hätten, wenn die Politik rechtzeitig gehandelt hätte, hätte es gar nicht so weit kommen müssen, könne er nur antworten, da werfe jemand mit Steinen, der im Glashaus sitzt. Wer bei der Fahrzeug-Software manipuliert habe, solle sich bei Fragen zur Stickoxidbelastung lieber zurückhalten gegenüber denen, die seit Jahren für einen besseren ÖPNV kämpfen. Beim Elektroauto hinke die deutsche Automobilindustrie hinterher. Für die Ausschreibung von 48 vollelektrischen Fahrzeugen für den städtischen Fuhrpark gebe es kein vernünftiges Angebot der deutschen Automobilindustrie. Was er damit sagen wolle sei, dass die Automobilindustrie natürlich auch eine Verantwortung für die Luftqualität habe. Mit einem schnellen Durchdringungsgrad mit vollelektrischen Fahrzeugen in Stuttgart, regenerativ betankt, könne man das Stickoxidproblem ganz schnell in den Griff bekommen.

Wenn er der heute vorliegenden Fassung der Stellungnahme auch nicht zustimme, weil das gegen seine Überzeugung gehe, so werde er doch selbstverständlich als Oberbürgermeister den Beschluss des Rates darstellen, wie es sich nicht nur nach der Gemeindeordnung, sondern auch nach dem Respekt vor politischen Mehrheiten gehöre. Wenn der Gemeinderat der neuen Vorlage entsprechend entscheide, sei dies die Position der Stadt zum Luftreinhaltplan, nicht eine unter 200, sondern eine besonders wichtige. Er selbst werde nicht müde werden, zu versuchen, jede Verbesserung zur Luftqualität, sei es durch technische Maßnahmen, durch den Ausbau des ÖPNV, des Fahrradverkehrs, durch Verbesserung der Fußgängermöglichkeiten, durchzusetzen, weil manchmal auch die kleinen Schritte in der Summe sehr viel bedeuten.

StR Dr. Fiechtner (AfD) hält die Ausführungen von OB Kuhn für ein "Musterbeispiel ideologischer Verblendung". Der Oberbürgermeister habe sich mit Gängelungen und Maßregelungen der Bürger dieser Stadt ganz besonders hervorgetan. Den Vorwurf an die Automobilindustrie hierzulande, dass sie E-Mobilität noch nicht adäquat herstelle, halte er für nicht gerechtfertigt. Er sei der Überzeugung, dass die fähigen Ingenieure bei Daimler, Bosch und Porsche das täten, was möglich sei. Im Übrigen sei die E-Mobilität nicht so schadstofffrei, wie sie in der Öffentlichkeit dargestellt werde. Bei der Bevölkerung würden Ängste geschürt, auch durch die EU, die "irgendwelche Grenzwerte festlegt, die aus der Luft gegriffen sind". Dabei gebe es keinerlei Belege für angeblich Tausende von Toten aufgrund von Luftschadstoffen.

StR Kotz widerspricht dem Vorwurf, die Fraktionen von CDU und SPD würden nur langfristige Maßnahmen zur Luftreinhaltung vorschlagen. Dass dies nicht zutreffe, zeigten die im Bündnis für Mobilität und Luftreinhaltung beschlossenen kurzfristigen Maßnahmen, die auch in die Stellungnahme zum Luftreinhalteplan eingeflossen seien. Was die Kritik von OB Kuhn an der Stellungnahme der Verbände angehe, so weise er darauf hin, dass auch der Hotel- und Gaststättenverband, das Handwerk und die City-Initiative dabei seien, die wenig mit dem Diesel-Gate zu tun hätten. Die Stellungnahme dieser Wirtschaftsverbände sei ernst zu nehmen.

StR Peterhoff, der von einer Bankrotterklärung der Politik spreche, wenn man nur auf die Gerichte setze, wolle er daran erinnern, dass auch der Landesverkehrsminister im Luftreinhalteplan gleich drei Varianten von unterschiedlich ausgeprägten Fahrverbots-szenarien vorgelegt habe, weil er nicht Herr des Handelns sei, sondern abhängig von Gerichtsentscheidungen. StR Ozasek, der von einem erhöhten Todesrisiko aufgrund der Luftbelastung gesprochen habe, ignoriere, dass Stuttgart zusammen mit München die höchste Lebenserwartung in Deutschland habe, nicht nur unter den deutschen Großstädten, sondern auch unter Regionen wie Calw und Schwarzwald-Baar-Kreis. Er selbst freue sich, dass die Luft in Stuttgart auch mit verhältnismäßigen Maßnahmen jedes Jahr ein bisschen besser werde und er sich trotzdem so mobil bewegen könne, wie er es wolle.

Nachdem keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, stellt OB Kuhn die GRDrs 282/2017 Neufassung zur Abstimmung und stellt fest:

Der Gemeinderat beschließt bei 34 Ja-Stimmen und 20 Nein-Stimmen wie
beantragt.

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