Protokoll: Gemeinderat der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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278
17b
VerhandlungDrucksache:
GZ:
Sitzungstermin: 22.12.2016
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Kuhn
Berichterstattung:der Vorsitzende, RA Dr. Porsch (Kanzlei Dolde Mayen & Partner)
Protokollführung: Frau Sabbagh fr
Betreff: Stuttgart 21
- weitere Vorgehensweise
- Gesellschafterbeschluss Flughafen
- mündlicher Bericht -

Vorgang: Verwaltungsausschuss vom 21.12.2016, öffentlich, Nr. 559

Ergebnis: ohne Votum Verweisung in den Gemeinderat


Beratungsunterlage ist die Vorlage des Herrn Oberbürgermeisters vom 19.12.2016, GRDrs 1007/2016, mit folgendem

Beschlussantrag:

1. Der Bericht über die seitens des Landes erhobenen Ansprüche im Zusammenhang mit der Finanzierung des Projekts Stuttgart 21 und das weitere Vorgehen wird zur Kenntnis genommen.

2. Die Verwaltung wird beauftragt, eventuelle Ansprüche der Stadt gegen das Land und die weiteren Projektpartner gleichfalls zu prüfen und in den Gesprächen geltend zu machen. Im Falle einer Klage des Landes gegen die Landeshauptstadt Stuttgart wird dieser entgegengetreten.

3. Der Vertreter der Landeshauptstadt Stuttgart wird ermächtigt, in der Gesellschafterversammlung der Flughafen Stuttgart GmbH dem in Anlage beiliegenden Gesellschafterbeschluss zuzustimmen.


OB Kuhn berichtet im Sinne der Vorlage und betont dabei, dass die Verwaltung Zeit brauche, um die Klageschrift, falls sie komme, zu analysieren, die Rechtsposition der Stadt mit der gebotenen Sorgfalt aufzubauen und die Prozesse vorzubereiten. Die Verwaltung sei gerne bereit, Anfang des 2. Quartals 2017 - voraussichtlich im April - nochmals in den Gemeinderat zu kommen mit einer Empfehlung, ob die Gespräche mit der hemmenden Wirkung weitergeführt werden sollten oder nicht.

Herr Dr. Porsch ergänzt aus rechtlicher Sicht (nachfolgend im leicht redigierten Wortlaut):

"Es gibt zwei Rechtsverhältnisse, die jetzt hier im Raum stehen. Das erste ist ein reales. Die Bahn klagt gegen das Land und seine Partner; voraussichtlich morgen, wenn man der Pressemitteilung der Bahn glaubt, reichen sie diese Klage ein. Dahinter steht ein mehr oder weniger hypothetisches Rechtsverhältnis. Das wäre: Was passiert, wenn die Klage der Bahn erfolgreich ist? Was passiert dann im Verhältnis Land mit seinen Partnern Landeshauptstadt Stuttgart, Verband Region Stuttgart und Flughafen? Dann entsteht da ein Rückgriffsverhältnis. Ob es jemals überhaupt zu einem solchen Rückgriffsverhältnis kommt, das wissen wir heute noch alle nicht. Das hängt erst mal davon ab, ob die Bahn überhaupt Erfolg hat mit ihrer Klage. Und wie das Rückgriffsverhältnis dann überhaupt aussehen könnte, das ist im Moment auch mehr oder weniger spekulativ; das hängt dann davon ab, was die Bahn genau beantragt. Das wissen wir bisher nur so im Groben. Und es hängt natürlich auch davon ab, was das Gericht aus diesem Antrag macht, wie weit es ihm stattgibt. Und dann eben von dem möglichen Urteil. Vermutlich wird die Bahn eine Vertragsfortschreibung einklagen wollen, genau nach Maßgabe dieses § 8 Abs. 3, also eine Verteilung der weiteren Mehrkosten, genauso wie man seinerzeit schon die 1,45 Mrd. € an Mehrkosten in der Vereinbarung von 2009 verteilt hat.

Und weiter werden sie wohl sagen, das Land ist der Poolführer; also sozusagen im Außenverhältnis haftet zunächst mal nur das Land, und das Land soll dann schauen, wie es im Innenverhältnis seine Finanzierungsbeiträge von den Partnern sich wieder holt. Also angemessen anteilig. Sie sehen ja, ich spekuliere hier, weil ich es nicht genau weiß. Man müsste im Grunde genommen jetzt erst mal die Klage der Bahn kennen und lesen. Das Land sieht jetzt da ein Verjährungsproblem genau in diesem Rückgriffsverhältnis. Die Ansprüche im Rückgriffsverhältnis verjähren in 3 Jahren. Die Verjährung beginnt in dem Moment, wo der Rückgriffsanspruch des Landes gegen seine Partner entstanden ist und das Land auch ausreichend Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen hatte, also sozusagen in der Lage gewesen wäre, schon mal eine schlüssige Klage gegen seine Partner vorzubereiten. Das Land befürchtet jetzt, dass das vielleicht schon im Jahr 2013 der Fall gewesen sein könnte, als nämlich die Bahn auf das Land im Rahmen der Sprechklausel zukam und genau das geltend gemacht hat: Wir wollen die Mehrkosten und Land, als Poolführer haftest du nach außen für diesen Betrag. Wenn dem so wäre, wäre tatsächlich am 31.12.2016 Verjährung in diesem Rückgriffsverhältnis denkbar. Das Land muss handeln, es hat hierfür drei Möglichkeiten: Entweder erhebt es jetzt eine Klage noch in diesem Jahr gegen seine Partner, eine Feststellungsklage, dass im Rückgriffsverhältnis dann anteilig zu bezahlen ist. Entweder macht es eine Vereinbarung mit seinen Partnern oder es zieht diesen § 203 BGB, der jetzt prominent geworden ist und heute schon in der Presse stand; also es verhandelt mit seinen Partnern.

Das Land hat auch zu diesen Gesprächen nach § 203 BGB eingeladen, das ist auch zunächst mal eigentlich der sinnvolle Weg, dass man erst mal darüber redet, vor allem dann, wenn man so viele Unsicherheiten und Hypothesen im Raum hat. Unsere Empfehlung und die Empfehlung der Verwaltung wäre, diese Gespräche zu führen, Zeit zu gewinnen und vor allem dadurch erst mal die Klage 'jeder gegen jeden' zu vermeiden. Jetzt ist natürlich so aufgekommen: Was heißt denn das eigentlich, Verhandlungen im Sinne des § 203 BGB müssen schweben? Wie bringt man die zum Schweben, was muss der Inhalt dieser Verhandlungen sein? Jetzt denkt natürlich jeder, der diese Bestimmung liest, wir müssten jetzt schon um die Mehrkosten, um genaue anteilige Beträge feilschen. Darum, sage ich ganz klar, geht es nicht, nicht mal ansatzweise. Dieser § 203 BGB ist eingeführt worden im Jahr 2002, als man sehr bürgerunfreundlich die regelmäßige Verjährung von 30 auf 3 Jahre verkürzt hat. Das ist plötzlich, früher war Verjährung nie ein Problem, 30 Jahre. Das erlebt man kaum noch, aber 3 Jahre ist natürlich schon ein Thema. Wir sehen es hier. Als bürgerfreundlicher Ausgleich ist also dieser § 203 BGB reingekommen, ein einfaches Instrument, um den Leuten ein Hemmungsmittel an die Hand zu geben. Deswegen geringe Anforderungen. Es geht der Sache nach nur um einen Austausch von Rechtspositionen auf Arbeitsebene. Genau das ist also das, was auch das Land und die Stadt dann beabsichtigen, morgen zu tun. Das Land wird uns erst mal überhaupt mal schlüssig darlegen, wo es seine Ansprüche sieht. Wir werden dazu Stellung nehmen. Wir werden dem Land auch sagen, wenn dem so wäre, dass tatsächlich aus dieser Sprechklausel direkte Ansprüche auch gegen die Landeshauptstadt Stuttgart folgen würden, dann sehen wir durchaus Gegenansprüche. Das können Schadensersatzansprüche wegen einer Überschreitung der Vollmacht, die man im Jahr 2007 erteilt hat, sein.

Wenn diese Gespräche stattgefunden haben, haben die zur Rechtsfolge, dass die Verjährung erst mal gehemmt ist, und zwar so lange, bis die Verhandlungen abgebrochen werden. Dieses Abbrechen, dieser Schwebezustand ist also sehr einfach durch eine klare Erklärung. Wir würden die Zeit dann nützen und würden prüfen, wie man mit diesen gegenseitigen Rückgriffs- und Ausgleichsansprüchen sinnvoll umgeht, wie man sich vereinbart. Es gibt auch hier wieder mehrere Möglichkeiten, u. a. eine Verjährung möglicher Rückgriffsansprüche. Wir haben einen Prozess mit der Bahn vor der Nase sozusagen. Ich rechne ungefähr mit 6 bis 8 Jahren Prozessdauer, bis wir da vielleicht mal beim Bundesverwaltungsgericht angekommen sind. Also in der Zeit muss man natürlich auch dafür Vorsorge tragen, dass mögliche Ansprüche im Rückgriffsverhältnis nicht verjähren. Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Entweder macht man eine Vereinbarung. Was auch denkbar ist, wenn die Klage der Bahn dann mal rechtshängig geworden ist, der Stadt zugestellt ist, dass wir wiederum dem Land den Streit verkünden und auch möglicherweise den anderen Partnern. Oder man sagt, gut, wenn es nicht zu einer Vereinbarung kommt, dann soll das Land eben klagen. Dann würden wir, was unsere Ansprüche angeht, Widerklage erheben.

Also ich kann nur dafür werben, diesen Weg zu gehen. Wir gewinnen Zeit. Wir können dann die Klageschrift der Bahn in Ruhe lesen und verdauen und uns dann mit unseren Partnern einen sinnvollen Weg überlegen. Und wie OB Kuhn ja schon gesagt hat, wenn wir dann soweit sind, erstes, zweites Quartal nächsten Jahres, dann kommt man wieder auf den Gemeinderat zu."

Die Vertreter der Fraktionen danken für die Ausführungen.

StR Kotz (CDU) sieht keinerlei Anspruch, weder der Bahn noch des Landes, an die Stadt, sich an etwaigen Mehrkosten zu beteiligen. Die Stadt sei auch nicht für das Entstehen der Mehrkosten verantwortlich. Deshalb werde seine Fraktion der Vorlage zustimmen.

Die Zustimmung begründet er damit, dass es kein gutes Signal wäre, wenn sich alle Beteiligten an diesem Projekt nun mit gegenseitigen Klagen überwerfen würden. Außerdem kenne man die Klageschrift der Bahn noch nicht. Und schließlich müsse man nicht überhastet irgendwelche Klagen auf den Weg bringen, sondern könne auf diese Weise die Weihnachtszeit und den Jahreswechsel überbrücken.

Auch seine Fraktion könne dem Verwaltungsvorschlag folgen, erklärt StR Winter (90/GRÜNE). So könne man einerseits eine Klage des Landes gegen die Stadt vermeiden, andererseits aber ggf. die eigenen Ansprüche geltend machen. Damit erkenne man keinesfalls irgendwelche Ansprüche an, die nach Ansicht seiner Fraktion ohnehin nicht entstünden. Würden die Gespräche nicht stattfinden, müsste die Stadt klagen, was man aber vermeiden wolle. Sollte im laufenden Verfahren ein Partner die Gespräche für beendet erklären, bliebe die Dreimonatsfrist. So sei die Stadt jederzeit auch Herr des Verfahrens. Und sie habe die Möglichkeit, sich mit der Klageschrift der Bahn zu beschäftigen.

StR Körner (SPD) sieht ebenfalls keine Ansprüche der Bahn oder des Landes gegenüber der Stadt in Bezug auf eine Beteiligung an den Mehrkosten. § 8 Abs. 4 des Finanzierungsvertrags lege eindeutig fest, dass die Bahn bei weiteren Mehrkosten mit dem Land - und nur mit dem Land - Gespräche führen müsse. Im Namen seiner Fraktion übt er Kritik an Bahn und Land, die ihren Rechtsstreit so austrügen, dass er auch zulasten der Stadt gehe. Der Weg der Streitverkündung sei aus zeitlichen Gründen nicht mehr möglich. Dabei würde das Land für den Fall, dass es im Hauptverfahren mit der Bahn zumindest teilweise verlieren sollte, vorbeugend verkünden, mit der Stadt in einen Streit zu treten. Auf diese Weise könne das Land sicherstellen, dass seine möglichen Ansprüche nicht verjährten. Da sich das Jahr dem Ende zuneige und die Klageschrift dem Land aber bis Jahresende zugestellt werden müsse, stehe diese Option nicht mehr zur Verfügung. Man könne aber den Weg dorthin wieder öffnen, wenn zunächst Gespräche mit dem Land zur Hemmung der Verjährung geführt würden. Er bittet, die Beschlussantragsziffer 2 entsprechend zu konkretisieren. Dies sei auch deshalb wichtig, weil es neben der juristischen auch eine politische Dimension gebe und in der Öffentlichkeit die falsche Vorstellung entstehen könnte, dass die Stadt sich vielleicht doch an Mehrkosten beteiligen wolle.

Wichtig sei auch, dass diese Gespräche befristet seien, deshalb begrüße seine Fraktion, dass im Gemeinderat im April 2017 eine Vorlage zum weiteren Vorgehen präsentiert werden solle. Bis dahin sollte man wissen, was das Land von der Stadt erwarte. Im Übrigen stimme seine Fraktion dem Vorschlag der Verwaltung zu.

Für StR Rockenbauch (SÖS-LINKE-PluS) zeigt die Diskussion einmal mehr, dass das Projekt S 21 gescheitert sei. Hinter all den hypothetischen Gedankenspielen stecke die Botschaft, dass man sich nicht mehr so sicher sei bei diesem Projekt bzw. was den Kostendeckel anbelange. Die Einzigen, die noch davon profitierten, seien die Juristen.

Er appelliert nochmals an OB Kuhn, umzusteigen und so von der Stadt und dem Land Schaden abzuwenden. Obwohl OB Kuhn erklärt habe, dass die Stadt an dem Projekt nur so weit beteiligt sei, wie es den städtebaulichen Vorteilen entspreche, sei sie schon jetzt an der Finanzierung von Baukostenrisiken beteiligt. Dabei habe sie bereits 1 Mrd. € in die Flächen - den städtebaulichen Vorteil - investiert.

StR Zeeb (FW) lobt die vorausschauende Planung der Verwaltung und stimmt der Vorlage im Namen seiner Fraktion zu.

Auch StR Prof. Dr. Maier (AfD) signalisiert die Zustimmung seiner Fraktion.

StRin Yüksel (FDP) schließt sich an und erklärt, ihre Gruppierung erachte es grundsätzlich für richtig, außergerichtlich sämtliche Wege auszuschöpfen, auch wenn sie hier keine Anspruchsgrundlage sehe. Die vorgeschlagene Vorgehensweise sei auch aus prozessökonomischer Sicht sinnvoll.

StR Dr. Schertlen (STd) zieht eine "rundherum gelungene Negativbilanz" des Projekts, die sich nun auch noch finanziell manifestiere. Man könne nur noch darauf hoffen, dass es bei den Kosten von 6,5 Mrd. € bleibe. Sämtliche Ansprüche der Bahn oder anderer seien von der Stadt abzuweisen. Deshalb stimme er der Vorlage zu.


OB Kuhn greift den Vorschlag von StR Körner auf, die Beschlussantragsziffer 2 zu präzisieren. Er schlägt - mit dem Einverständnis der SPD-Fraktion - vor, Ziffer 2 des Beschlussantrags wie folgt zu ergänzen: "… und in den Gesprächen mit dem Land zur Hemmung der Verjährung diese Ansprüche geltend zu machen."

Er stellt fest:

Der Gemeinderat beschließt die Ziffern 1 bis 3 des Beschlussantrags einstimmig inklusive der Ergänzung unter Ziffer 2 "… und in den Gesprächen mit dem Land zur Hemmung der Verjährung diese Ansprüche geltend zu machen."

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