Protokoll: Gemeinderat der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
TOP:
240
1
VerhandlungDrucksache:
956/2016
GZ:
OB 7831-10.00
Sitzungstermin: 08.12.2016
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Kuhn
Berichterstattung:der Vorsitzende
Protokollführung: Frau Gallmeister
Betreff: S21 - Vorgehen der Landeshauptstadt Stuttgart
hinsichtlich angekündigter Ansprüche der DB AG
auf zusätzliche Finanzierungsbeiträge

Vorgang: Verwaltungsausschuss vom 07.12.2016, öffentlich, Nr. 501

Ergebnis: einmütige Zustimmung


Beratungsunterlage ist die Vorlage des Herrn Oberbürgermeisters vom 02.12.2016, GRDrs 956/2016, mit folgendem

Beschlussantrag:

1. Der Bericht über die seitens der Bahn erhobenen Ansprüche im Zusammenhang mit der Finanzierung des Projektes S 21 wird zur Kenntnis genommen.

2. Die Landeshauptstadt schließt die von der DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH vorgelegte Verjährungshemmungsvereinbarung nicht ab.

3. Die Verwaltung wird beauftragt, im Falle einer Klage gegen die Landeshauptstadt Stuttgart der Klage entgegenzutreten und die Kanzlei Dolde Mayen mit der Prozessvertretung zu beauftragen.


OB Kuhn erinnert an die ausführliche Beratung der o. g. Gemeinderatsdrucksache in der gestrigen Sitzung des Verwaltungsausschusses und wiederholt seine dort gemachten Ausführungen (vgl. Vorgang). Weiter merkt er an, die Stadt Stuttgart fürchte kein Rechtsverfahren, da es in diesem Rechtsstreit um die Fragen gehen werde, wer die Kostensteigerungen und die Zeitverzögerungen verursacht hat. Hinsichtlich möglicher Verzögerungen im Rahmen der Planfeststellungsverfahren hätten verschiedene Belange zügiger behandelt werden können, da z. B. das Vorhandensein des Juchtenkäfers und anderer Tiere bereits beim Beginn des Projekts bekannt gewesen seien. Auf die Naturschutzrechtslage hätte man sich einstellen können. Auch die Diskussion über Anhydrit sei lange bekannt und stelle deshalb, wie auch viele weitere Fragen, kein Risiko des letzten Jahres dar.

Zum Abschluss seiner Einführung empfiehlt der Vorsitzende, entsprechend dem Vorgehen im Verwaltungsausschuss, dem Beschlussantrag der GRDrs 956/2016 zuzustimmen.

Seine Fraktion trage die rechtliche Einschätzung der Stadtverwaltung, wie von OB Kuhn vorgetragen, vollständig mit, erklärt StR Kotz (CDU). Die Stadt sei an dem Projekt beteiligt, aber mit einem finanziellen Deckel. Deswegen werde eine Verjährungshemmungsvereinbarung abgelehnt, die Stadt solle auch keine weiteren Beiträge zahlen. Daher werde die CDU-Gemeinderatsfraktion der GRDrs 956/2016 vollumfänglich zustimmen.

Dennoch fänden manche Bürgerinnen und Bürger als Steuerzahler/-innen die Entwicklung der Baukostensituation nicht gut. Manches hänge hier sicherlich mit Verzögerungen zusammen, die das Projekt aufgrund verschiedener Umstände im Laufe der Jahre genommen habe. Dies habe sicher auch mit Planungsfragen, die sich verändert hätten oder vielleicht in manchen Teilen geändert worden seien, und mit Baukostensteigerungen aufgrund der boomenden Wirtschaft zu tun. Es spiele aber sicher auch die Frage von Auflagen, z. B. des Bundesnaturschutzgesetzes, eine Rolle; StR Kotz weist darauf hin, dass die Thematik um Eidechsen, Käfer oder Sonstiges bei anderen Projekten der Stadt Stuttgart vor 15 oder 20 Jahren nicht die Rolle gespielt habe, die sie heute spiele. Großen Teilen der Bürgerinnen und Bürger sei es nicht mehr nachvollziehbar zu erklären, dass für die Umsiedlung einer einzelnen Eidechse bis zu 8.000 € gezahlt werden müssen. Er meine, dass man sich in Zukunft, völlig losgelöst vom Projekt S 21, auch wenn es um Bauprojekte für eine Kindertagesstätte, eine Flüchtlingsunterkunft, eine Schulerweiterung o. ä. gehe, damit auseinandersetzen müsse, ob die Verhältnismäßigkeit gewahrt sei.

Seine Fraktion trage die GRDrs 956/2016 mit und stimme dem Beschlussantrag zu, schließt StR Kotz seine Wortmeldung ab.

StRin Deparnay-Grunenberg (90/GRÜNE) kündigt die Zustimmung ihrer Fraktion zur Vorlage an. Ihre Fraktion sei der Auffassung, dass die Deutsche Bahn AG (DB AG) keinen Anspruch auf zusätzliche Finanzierungsbeiträge durch die Stadt hat. Daher wolle sie auch keinen Abschluss einer Verjährungshemmungsvereinbarung. Eine Rolle für die Kostensteigerungen habe sicher gespielt, dass die DB AG damals nicht primär eine Optimierung der Eisenbahninfrastruktur wollte, sondern dass anscheinend auch verkehrswirtschaftspolitische Ziele mit verfolgt wurden und dass bei der DB AG die Hoffnung bestanden habe, dass das Geld, wenn es nicht reichen sollte, über die in der Finanzierungsvereinbarung enthaltene Sprechklausel irgendwie wieder hereingeholt werden könnte. Ihre Fraktion meine aber, dass die DB AG keinen Anspruch hierauf habe, weshalb eine gerichtliche Klärung erfolgen müsse.

Unter Hinweis auf die Ausführungen ihres Vorredners zum Bundesnaturschutzgesetz möchte StRin Deparnay-Grunenberg "eine Lanze für den Naturschutz brechen", da es darum gehe, bei den verschiedenen Pflanzen- und Tierarten Zeigerarten zu haben, die ein ganzes Ökosystem definieren. Da die Menschen sich immer mehr ausbreiteten, habe man sich mit dem Wissen über die Bedeutung der verschiedenen Ökosysteme als Lebensgrundlage auch für den Menschen für den Schutz von Pflanzen und Tieren durch ein Bundesnaturschutzgesetz entschieden; dieses Gesetz habe man jetzt zu erfüllen und nicht als Schikane abzutun.

Mit der Ankündigung der Zustimmung zur Vorlage bringt StR Körner (SPD) die Verwunderung seiner Fraktion darüber zum Ausdruck, dass das Land gegenüber der DB AG zum Ausdruck gebracht hat, dass die Bahn auch gegenüber der Stadt Ansprüche geltend machen sollte, da die Sprechklausel, die den Mehrkostenfall bei weiteren Mehrkosten behandelt, eindeutig vorsehe, dass Gespräche zwischen dem Land und der Deutschen Bahn AG zu führen seien und nicht mit der Landeshauptstadt Stuttgart.

StR Rockenbauch (SÖS-LINKE-PluS) betont, dass für seine Fraktionsgemeinschaft Stuttgart 21 "der größte wissenschaftlich-technische Betrug der bundesdeutschen Geschichte" bleibt. Versprochen worden sei, dass das Projekt 2009 fertig sei und dass es keinerlei Beeinträchtigungen für die Bürgerinnen und Bürger geben werde. In diesem Jahr sei der Grundstein für das Projekt gelegt worden und die Nutzerinnen und Nutzer, die täglich mit der Stadtbahn und der S-Bahn unterwegs seien, litten alle unter den verschiedenen Beeinträchtigungen. Versprochen worden sei das Jahrhundertprojekt Stuttgart 21, das die doppelte Anzahl an Zügen auf die Schiene bringe als bisher; diese Zahl sei im Laufe der Zeit immer geringer geworden; das Projekt sei mit 32 Zügen planfestgestellt, was weniger Züge seien als die seither im heutigen Kopfbahnhof fahrenden 38 Züge. Bekannt sei darüber hinaus, dass beim Kopfbahnhof mit Ausbau sogar mehr als 50 Züge fahren könnten.

Noch frappierender sei es bei den Kosten, fährt der Stadtrat fort. Die Kosten des Projekts von ursprünglich 5 Mrd. DM seien stetig in die Höhe korrigiert worden. Nach dem Abschluss der Finanzierungsvereinbarung, auch mit einer Risikoaufteilung der Stadt, seien die Kosten Ende 2009 nicht mehr bei 3 Mrd. € plus 1,5 Mrd. € Risikopuffer, sondern plötzlich bei 4 Mrd. € plus 0,5 Mrd. € Puffer gelegen. Im Laufe des Jahres 2013 seien es dann 6,5 Mrd. € gewesen. Bei dieser Kostenentwicklung sei es erstaunlich, dass die DB AG seit mehreren Jahren die Behauptung aufstelle, dass das Projekt nur 6,5 Mrd. € kosten wird. Er habe daran seine Zweifel. Seine Fraktionsgemeinschaft sehe sich durch den neuen Bundesrechnungshofbericht darin bestätigt, dass das Projekt deutlich mehr als 6,5 Mrd. € kosten wird. Das KPMG-Gutachten zeige neben den Kostenrisiken auch mögliche dauerhafte Einnahmeverluste und eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit bis hin zur Möglichkeit auf, dass der Tiefbahnhof gar nicht in Betrieb gehen könnte. Wenn man sich das vorstelle, sei die heutige Beratung absurd und aus dem Betrugsfall werde "das größte politische Versagen Deutschlands", weil Gemeinderat, Verwaltung und Juristen wegschauten. Die Juristen versuchten, dem Gemeinderat und der Verwaltung "weiszumachen", dass es keine andere Möglichkeit gebe, als an den Verträgen festzuhalten. Dies sei in einer Demokratie nicht der Fall. Nachdem der Atomausstieg rechtens war, sollten auch die Verträge zu Stuttgart 21 gekündigt werden, insbesondere weil Rechtsgrundlagen entfallen seien.

Die Bahn AG habe wiederholt formuliert, dass sie an einem Tiefbahnhof in Stuttgart kein Interesse habe, fährt StR Rockenbauch fort. Bahnchef Ludewig habe das Projekt daher im Jahr 2001 oder 2000 eingestellt. Erst durch massive Zuschüsse des Landes und der Stadt, z. B. durch den Grundstücksverkauf, sei das Interesse der Bahn AG für das Projekt wieder geweckt worden.

Weiter merkt StR Rockenbauch an, dass seine Fraktionsgemeinschaft als Stuttgart 21-Gegner bei Risiken, technischen Problemen und Kosten seit Jahren immer wieder Recht bekomme. Jetzt komme, wie von seiner Fraktionsgemeinschaft vorausgesehen, die Deutsche Bahn AG mit einer Klage auf den Projektpartner Stadt zu; und mit dem heute vorliegenden Schreiben der Bahn AG erhebe die Bahn weitere Forderungen gegenüber der Stadt.

Die Fraktionsgemeinschaft SÖS-LINKE-PluS werde der GRDrs 956/2016 zustimmen, so der Stadtrat mit der Argumentation, dass die Geschäftsgrundlage des Projekts Stuttgart 21 entfallen sei und Nachverhandlungen der Stadt wegen ihres bereits hohen Kostenanteils nicht zumutbar seien.

Nachdem StR Rockenbauch seinen Redebeitrag beendet hat, erinnert ihn OB Kuhn daran, dass im Ältestenrat für die heutigen Redebeiträge zu den einzelnen Tagesordnungspunkten jeweils fünf Minuten vereinbart wurden. Er bittet, sich im Fortgang der Sitzung daran zu halten und erteilt dem nächsten Redner das Wort.

StR Zeeb (FW) hält es für offensichtlich, dass bei der Planung und dem ganzen Bauablauf beim Projekt Stuttgart 21 die Bahn sich "nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat" und man sicher besser hätte agieren können. Deshalb sei im Prinzip auch klar, dass, wer hier Fehler mache und das Ganze nicht korrekt durchziehen könne, die Mehrkosten zu vertreten habe. Die Argumentation des Herrn Oberbürgermeisters sei schlüssig und nachvollziehbar. Seine Fraktion könne der Vorlage deshalb vollumfänglich zustimmen und hoffe, dass das Rechtsverfahren dennoch ein gutes Ende nehmen wird.

Für StR Prof. Dr. Maier (AfD) ist die GRDrs 956/2016 in sich logisch und entspricht den Interessen der Stadt. Auch den von OB Kuhn gestern im Verwaltungsausschuss detailliert vorgetragenen Argumentationsgang könne seine Fraktion unterstützen und stimme der Beschlussvorlage zu.

StR Dr. Oechsner (FDP) legt dar, dass eine Verjährungshemmungsvereinbarung üblicherweise dann abgeschlossen werde, wenn man sich möglicherweise außergerichtlich noch einigen könne. Dies sei hier nicht der Fall. Die Standpunkte seien klar, und der Standpunkt der Stadt sei richtig. Wenn die Bahn AG klagen wolle, müsse eine Klärung vor Gericht erfolgen. Die FDP werde der Vorlage zustimmen, kündigt StR Dr. Oechsner an.

StR Dr. Schertlen (STd) zitiert einen virtuellen Dialog zwischen Oberbürgermeister und Bahnchef und merkt an, dass er "auch den Glauben an den Rechtsstaat verlieren würde, wenn sich aus der Sprechklausel irgendwelche Ansprüche ableiten lassen". Angesichts der aufgetretenen Probleme beim Projekt Stuttgart 21 stimme er dem Beschlussantrag der GRDrs 956/2016 zur Vermeidung weiterer Belastungen des Stadthaushalts zu.





Abschließend stellt OB Kuhn fest:

Der Gemeinderat beschließt die GRDrs 956/2016 mit 57 Ja-Stimmen einstimmig wie beantragt.
zum Seitenanfang