Protokoll: Verwaltungsausschuss des Gemeinderats der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
TOP:
51
16a
VerhandlungDrucksache:
GZ:
Sitzungstermin: 21.02.2024
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: EBM Dr. Mayer
Berichterstattung:
Protokollführung: Frau Schmidt fr
Betreff: "Unterzeichnung der Städte-Erklärung 'Unsere Städte, unsere Stimmen' der europäischen Initiative Voting Rights for All"
- Antrag Nr. 394/2022 vom 09.12.2022 (90/GRÜNE, FDP,
Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei,
PULS, SPD)

Der im Betreff genannte Antrag ist dem Originalprotokoll sowie dem Protokollexemplar für die Hauptaktei beigefügt.


Nachdem StRin Rühle (90/GRÜNE) den Antrag kurz begründet hat, erklärt OB Dr. Nopper, der Antrag ziele auf ein voraussetzungsloses, ohne jegliche Vorlaufzeit eintretendes kommunales Wahlrecht für Menschen ohne deutsche oder EU-Staatsangehörigkeit ab. Dies sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht möglich und nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Er könne daher keine Empfehlung für den Beitritt zu einer derartigen Initiative abgeben. Er spreche sich zwar leidenschaftlich für Integration aus, aber das kommunale Wahlrecht müsse am Ende des Integrationsprozesses stehen und nicht an dessen Anfang.

Für eine Anpassung des Wahlrechts spricht sich StR Perc (SPD) aus; er wolle dazu beitragen, dass das kommunale Wahlrecht rechtssicher und verfassungsgemäß eingeführt werde. Die Situation in Stuttgart sei eine besondere, denn die Stadtgesellschaft sei sehr international. Menschen, die dauerhaft hierbleiben wollten, prägten das Stadtbild, und über 72.000 könnten in Stuttgart nicht mitentscheiden. Es geht nicht um außen- oder bundespolitische Fragen, sondern die aktive Mitgestaltung des direkten, kommunalen Umfeldes. Die Stadt forciere zwar die Möglichkeiten, Menschen über Beteiligungsverfahren einzubeziehen, aber das grundlegende Element einer Demokratie, das aktive und passive Wahlrecht, werde einem großen und stetig steigenden Anteil der Stadtgesellschaft verwehrt. Aus diesem Grund gebe es diese europaweite Initiative, die darauf abziele, die Gesetzgebung entsprechend anzupassen. Wenn das Grundgesetz geändert werde, habe auch das Bundesverfassungsgericht nichts mehr dagegen. Mit der EU-Staatsangehörigkeit sei dies bereits erreicht worden. Es stünde der Stadt Stuttgart hervorragend an, sich als Vorreiterin zu positionieren und Menschen Beteiligung zu ermöglichen.

Dass Franzosen, die seit Jahrzehnten im Land lebten, Bundes- und Landtag nicht wählen dürfen, ist aus Sicht von StR Urbat (Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei) ein Systemfehler. Der einzige Fortschritt sei die Möglichkeit für EU-Bürger, an Kommunal- und Europawahlen teilzunehmen. Dies sei für eine Stadt wie Stuttgart zu wenig. Er plädiert daher für ein allgemeines, kommunales Wahlrecht für alle.

Stuttgart sei wie keine zweite Stadt in Deutschland von Migration positiv geprägt, konstatiert StR Ozasek (PULS). Er begrüße es, wenn Stuttgart Botschafterin für einen neuen demokratischen Geist werde und die postmigrantische Gesellschaft annehme, um allen Menschen Teilhabe auf kommunaler Ebene zu ermöglichen. Bei der anstehenden Regionalwahl seien nicht einmal EU-Staatsangehörige wahlberechtigt, was hunderttausende Menschen in der Region Stuttgart diskriminiere und die Identifikation mit der Region und dem Land erschwere.

Mit dem Antrag werde nicht das sofortige Wahlrecht für neu Zugezogene gefordert, betont StR Dr. Oechsner (FDP), sondern es gehe darum, wie das Wahlrecht reformiert werden könne. Der frühere Oberbürgermeister Rommel habe gesagt, jeder, der in Stuttgart wohne, sei ein Stuttgarter. Wenn die Kommunalpolitik die Vertretung der Bürger sei, könne es nicht sein, dass ein großer Teil von der Wahl ausgeschlossen werde. Es müsse ein entsprechender Modus Vivendi gefunden werden. Eventuell habe sich der Antrag aber überholt, nachdem nun die doppelte Staatsbürgerschaft eingeführt worden sei.

Auch Manfred Rommel sei nicht für ein voraussetzungsloses, kommunales Wahlrecht gewesen, erwidert OB Dr. Nopper. Aus dem Papier der Initiative gehe keine einzige Hürde für das Kommunalwahlrecht hervor, was er für falsch halte. Er stelle fest, die Anerkennung von Recht und Gesetz sei die Basis eines demokratischen Gemeinwesens.

Der Antrag rufe dazu auf, eine Initiative zu unterstützen, die "einen Stein ins Wasser werfen soll", so StR Kotz (CDU). Er sei der Meinung, dies sei vorrangig Aufgabe der Parteien, denn politische Willensbildung entstehe in Deutschland über Parteien. Dass sich eine Kommune dazu äußere, halte er nur für den zweitbesten Weg. Unabhängig davon sei er der Meinung, wer dauerhaft hier lebe, könne über die deutsche Staatsbürgerschaft nachdenken und in der Folge an allen Wahlen teilhaben. Wer diese Entscheidungsgewalt haben wolle, müsse sich auch ein Stückweit bekennen. Der Stadtrat kann dem Antrag nicht zustimmen.

Das Ansinnen, allen Bürgerinnen und Bürgern einer Stadt eine Beteiligung an der Kommunalpolitik zu ermöglichen kann StRin von Stein (FW) zwar nachvollziehen, aber in diesem Fall werde der zweite Schritt vor dem ersten gemacht. Der Kreis der Wahlberechtigten und die Voraussetzungen müssten klar abgegrenzt werden. Langjährig Ansässige könnten die doppelte Staatsbürgerschaft erwerben; dies sei der einfachste Weg. Wie ihr Vorredner ist sie der Meinung, dieses Ziel über den politischen Willensbildungsprozess anzustreben. Die Stadträtin wird sich daher bei einer Abstimmung enthalten.

StR Ebel (AfD) erklärt, jeder Staat habe einen Souverän und dies sei in Deutschland das deutsche Volk. Die Ausweitung von Wahlrechten auf nicht dem deutschen Volk zugehörige Menschen stelle eine Entmachtung des Souveräns dar.

Der Antrag bilde eine Aufforderung an den Bundestag zur Änderung des Grundgesetzes, stellt StRin Rühle klar, denn nur dort könne diese Regelung konkretisiert und umgesetzt werden. Ein Staatsbürgerschaftswechsel sei sehr teuer und solle nicht Grundbedingung für ein kommunales Wahlrecht sein.

StR Perc bestätigt, es handle sich um einen Appell, in dieser Sache tätig zu werden. Die Argumentation des Oberbürgermeisters, der Antrag sehe eine vorbehaltlose Ausweitung der Staatsangehörigkeit vor, sei schlichtweg falsch. Der Antrag enthalte Beispiele, wie Vorbehalten begegnet werden könne. Alle Ausgestaltungen obliegen dem Gesetzgeber; es gehe lediglich darum, Handlungsbedarf zu signalisieren. Stuttgart sei eine Stadt, die viel Wert darauf lege, alle Menschen zu beteiligen, und es sei nur folgerichtig, sich dieser Initiative anzuschließen.

Der Wortbeitrag von StR Ebel wird von StRin Tiarks als völkisches Gedankengut kritisch kommentiert. Die Stadträtin betont, sie stehe auf dem Boden des Grundgesetzes und fordere keine Abschaffung der Demokratie. Ihre Partei stehe für die Rechte aller Menschen.

StR Dr. Oechsner verwahrt sich gegen die Aussage, man sei zum Rechtsbruch bereit. Der Antrag enthalte keinerlei rechtsbrüchige Grundlage.

An StRin Tiarks gerichtet betont EBM Dr. Mayer, es sei problematisch, wenn aus dem Begriff "deutsches Volk" etwas Völkisches herausgelesen werde. Dieser Begriff sei im Grundgesetz legal definiert.


Der Vorsitzende stellt fest:

Dem Antrag Nr. 394/2022 wird bei 12 Ja- und 6 Gegenstimmen mehrheitlich zugestimmt (1 Enthaltung).

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