Landeshauptstadt Stuttgart
Referat Jugend und Bildung
Gz: JB
GRDrs 187/2021
Stuttgart,
04/21/2021



Bildung stärken über den Sozialraum - Pilotprojekt "Fachkräftetandem"



Beschlußvorlage
Vorlage an
    zur
SitzungsartSitzungstermin
Jugendhilfeausschuss
Verwaltungsausschuss
Beratung
Beschlussfassung
öffentlich
öffentlich
03.05.2021
19.05.2021



Beschlußantrag:


Kurzfassung der Begründung:
Ausführliche Begründung siehe Anlage 1

In den letzten Jahren wurde in Stuttgart ein Zuwachs von Bürger*innen festgestellt, die von Wohnungslosigkeit betroffenen sind. In den sogenannten Sozialunterkünften erhalten Alleinerziehende, Familien und Alleinstehende ein Obdach, nachdem sie aus den verschiedensten Gründen ihr Zuhause verloren haben. Ursprünglich als Übergangslösung angedacht, ist die tatsächliche Aufenthaltsdauer in den Sozialunterkünften für viele Bewohner*innen mittlerweile längerfristig.

Die Situation von Familien und insbesondere der Kinder und Jugendlichen, rückt durch diese längerfristige Verweildauer zunehmend in den Fokus (vgl. GRDrs 253/2019 „Handlungsempfehlungen zur Verbesserung der Situation von Menschen in der ordnungsrechtlichen Unterbringung“, GRDrs 397/2018 „Unterstützung für Familien und Alleinerziehende in Sozialpensionen“).

Ende 2020 wurde zudem ein gesamtstädtischer, referatsübergreifender Prozess zur Verbesserung der Situation von Kindern und Jugendlichen in Gemeinschafts- und Sozialunterkünften (GRDrs 188/2021 „Projekt zur Verbesserung der Situation von Kindern und Jugendlichen in Sozial- und Gemeinschaftsunterkünften“) begonnen. In einer ämterübergreifenden Projektstruktur wird ein Maßnahmenkatalog erstellt, der im Rahmen einer haushaltsrelevanten Mitteilungsvorlage noch vor der Sommerpause eingebracht wird.

Dem vorgelagert wurde in Stuttgart Ost von Akteur*innen vor Ort ein sozialräumlicher Ansatz entwickelt, der einen Fokus auf die Verbesserung der Bildungssituation der Kinder und Jugendlichen in Sozialunterkünften legt. Dieser sozialräumliche Ansatz zur Unterstützung der Kinder und Jugendlichen sowie deren Eltern soll modellhaft noch in diesem Jahr in die Erprobungsphase gehen. Es sollen Erkenntnisse generiert werden, die nach dem in GRDrs 188/2021 „Projekt zur Verbesserung der Situation von Kindern und Jugendlichen in Sozial- und Gemeinschaftsunterkünften“ skizzierten Strategiewechsel genutzt werden können, um für die zukünftige Unterbringungsformen die passende Begleitung der Familien auszuwählen. Durch die Corona-Situation gewinnt die zusätzliche Ansprache der Familien an besonderer Dringlichkeit, so dass mit dem Start des Pilotprojekts zum neuen Schuljahr bereits erste wertvolle Erfahrungen gesammelt werden können.

Das Pilotprojekt „Fachkräftetandem“ wird außerdem ein Baustein des referatsübergreifenden Maßnahmenkatalogs darstellen. Daher wird auf die vorliegende Vorlage im Rahmen der im Juli einzubringenden haushaltsrelevanten Vorlage nochmals Bezug genommen werden.


1. Ausgangssituation

Aufgrund der Gegebenheiten in den Sozialunterkünften sowie durch die Ausgangssituation der Familien, ist die Lebenssituation vor allem für Kinder und Jugendliche besonders ungünstig. Die Kinder und Jugendlichen sind durch die beengte Unterbringung sowie aufgrund der existenziellen Notlagen und der ungewissen Zukunft der Familien, hohen Unsicherheitsfaktoren ausgeliefert und oftmals von Ausgrenzungen und Diskriminierungserfahrungen betroffen. Die Kinder und Jugendlichen haben unter diesen Umständen nur einen geringen Raum zur Entfaltung. Ihren bildungsbiographischen Verläufen sind enge Grenzen gesetzt, da ihre Kindheit und psychosoziale Entwicklung negativen und riskanten Einflussfaktoren unterliegen, die nachhaltig schwer zu kompensieren sind. Für diese beiden Zielgruppen – Eltern und Kinder bzw. Jugendliche – braucht es spezifische, an ihren Bedarfslagen ansetzende Unterstützungshilfen, um die beginnende Abwärtsspirale zu unterbrechen, die Bildungssituation von Kindern zu fördern und die Erziehungskompetenz der Eltern in den Sozialunterkünften zu stärken.

In Stuttgart Ost sind 41 Kinder und Jugendliche in Sozialunterkünften (Stand: 01.12.2020) untergebracht. Bei den Familien handelt es sich um 8 alleinerziehende Eltern mit ihren Kindern sowie 9 Elternpaare mit Kindern (insgesamt 17 Familien = 70 Personen).

Bildungssituation
Kinder und Jugendliche in Sozialunterkünften, wie auch ihre Eltern, haben häufig wenig Vorerfahrungen mit formaler Bildung, d.h. sie sind oftmals nicht alphabetisiert und besuchen in Stuttgart das erste Mal eine Schule. Sie verfügen bislang kaum über Zugänge in Bildungseinrichtungen, insbesondere Kita- und Vorschule werden kaum besucht. Den Familien fehlt das Wissen über das Bildungssystem in Deutschland, die hohe Bedeutung von Bildungsabschlüssen, sowie die Kenntnisse über ihre gesetzlichen Ansprüche.
Der Bedarf an Unterstützung der Kinder und Jugendlichen ist gerade in Zeiten, in denen kein oder nur eingeschränkter Präsenzunterricht stattfinden kann, sehr groß. Häufig fehlt es neben den räumlichen Voraussetzungen an technischen Möglichkeiten zur Teilnahme am Fernunterricht, vor allem aber fehlen durch die prekäre Lebenssituation und der multiplen Problemlagen der Familien die Unterstützungsmöglichkeiten seitens der Eltern.

Aufgrund der eingeschränkten bis fehlenden Zusatzförderung der Kinder durch ihre Eltern, brauchen sie eine ergänzende Hilfe, die über die tägliche schulische Aufenthaltsdauer hinausgeht. Dieser Bedarf potenziert sich wegen der fehlenden kindgerechten Lern- und Arbeitsmöglichkeiten in der Sozialunterkunft, durch die dort vorherrschende massive Raumnot. Die Schüler*innen brauchen deshalb eine verlässliche Angebotsstruktur, innerhalb der sie ihre Kompetenzen und Interessen ausbauen und zur Entfaltung bringen können.

Elternsysteme
Die Familien in den Sozialunterkünften weisen einen hohen Grad an kultureller Heterogenität aus. Die Erwartungsunterschiede hinsichtlich der Rollen und Aufgaben zwischen Eltern und Fachkräften unterscheiden sich in Erziehungseinstellungen, Erziehungsstilen sowie Problemlöseoptionen.
Die Erfahrung der Mitarbeitenden der Mobilen Jugendarbeit im Umgang mit Eltern haben aber gezeigt, dass über eine kontinuierliche Beziehungsarbeit ein guter Kontakt zu den Eltern hergestellt werden kann. Hierzu bedarf es verlässlicher Ansprechpersonen, die in der Lage sind, unter Berücksichtigung kultur- und milieusensibler Aspekte, professionelle Beziehungsarrangements herzustellen. Da viele Eltern keine präventiven Angebote im Sinne ihrer alltäglichen Verwertbarkeit kennen, scheuen sie sich, solche anzusteuern.

Erfahrungswerte der Mobilen Jugendarbeit in Stuttgart Ost
Die Schulsozialarbeit in Vorbereitungsklassen und die Mobile Jugendarbeit der Evangelischen Gesellschaft (eva) in Stuttgart Ost verfügen bereits über Erfahrungswerte und Zugänge zur beschriebenen Zielgruppe. Auf dieser Expertise soll das ergänzende Projekt aufbauen.

Die Schulsozialarbeit im sozialräumlichen Team der Mobilen Jugendarbeit beobachtet, dass (jüngere) Schüler*innen sehr gerne in die Schule kommen, dass Interesse am Lernen besteht und Lernfortschritte gemacht werden. Schüler*innen mit langer Schulabwesenheit, die nie eine Schule besucht haben oder nicht alphabetisiert sind, treffen allerdings auf enorme Hürden formale Bildung in Anspruch zu nehmen. Auch wenn die Eltern und Familienangehörigen den Schulbesuch im Rahmen ihrer Möglichkeiten durchaus fördern, so ist ein regelmäßiger Schulbesuch durch die existenziellen Notlagen der Familien stark gefährdet. So fehlen die Kinder und Jugendlichen oftmals in der Schule, da sie Familienangehörige zum Übersetzen auf Behörden- und Ämtergängen begleiten, auf jüngere Geschwister aufpassen oder Haushaltstätigkeiten übernehmen.

Die Mobile Jugendarbeit erreicht mit ihrem aufsuchenden und offenen Angeboten die Kinder und Jugendlichen aus den Sozialunterkünften und hat über die Ansprache der Kinder und Jugendlichen auch Kontakte zu Eltern geknüpft. Hieran will das Projekt direkt anschließen, um die Bildungssituation der Kinder und Jugendlichen zu stärken, was nur im gleichzeitigen sowie niederschwelligen Austausch mit den Eltern gelingen kann.


2. Projektziele

Das Projekt hat die Verbesserung im Hinblick auf die Bildung, Beteiligung und Teilhabe der Kinder und Jugendlichen zum Ziel. Dementsprechend sollen bessere Zugänge zu Bildung und Teilhabe geschaffen, mehr Chancengleichheit ermöglicht und Benachteiligung und Ausgrenzung abgebaut werden. Außerdem will das Projekt über einen aufsuchenden und niederschwelligen Ansatz die Eltern langfristig dazu befähigen, Problemlösestrategien zu erarbeiten und ihre Lebenssituation zu stabilisieren. Durch den niederschwelligen Ansatz sollen Familien gezielt angesprochen und eine Brücke zum bestehenden Regelsystem geschlagen werden.

Projektziele bezogen auf die Kinder und Jugendlichen
Projektziele bezogen auf die Eltern


3. Projektansatz und -inhalte

Fachkräftetandem
Über das Pilot-Projekt soll in Trägerkooperation zwischen dem Träger St. Josef und der Mobilen Jugendarbeit der Evangelischen Gesellschaft (eva) ein Fachkräftetandem, mit einem Stellenanteil von je 50%, erprobt werden. Um den dargestellten Zielen im Hinblick auf die Kinder und Jugendlichen einerseits und den Eltern andererseits systematisch zu entsprechen, haben die Fachkräfte in der gemeinsamen Zusammenarbeit jeweils einen eigenen Schwerpunkt. Ihre Tätigkeiten orientieren sich an den beschriebenen Projektzielen, unterschieden in Bezug auf die Kinder und Jugendlichen sowie in Bezug auf die Eltern:
Aufgebaut wird auf die bestehenden Erfahrungswerte der Mobilen Jugendarbeit, so dass eine aufsuchende Arbeit sowie offene Angebote für die Kinder, Jugendlichen und Eltern den Schwerpunkt des Fachkräftetandems bilden. Trotz des gemeinsamen Arbeitsauftrags sind die Fachkräfte so jeweils im bestehenden Hilfesystem verankert. Damit kann auf die jeweilige Trägerstruktur und -ressourcen genauso zurückgegriffen werden, wie auf die bestehenden Kooperationen und Vernetzungen im Stadtbezirk. Die Anschlussfähigkeit an das Regelsystem ist somit nicht nur expliziter Auftrag des Fachkräftetandems, sondern auch strukturell durch die Anbindung der Fachkräfte gegeben. Das Pilotprojekt erprobt einen neuartigen und besonders niederschwelligen Zugang und ermöglicht einen Beziehungsaufbau mit den Familien vor Ort. Um die Bildungssituation der Kinder und Jugendlichen insgesamt zu stärken, sollen die Familien langfristig befähigt werden, bestehende Hilfeangebote (etwa über die Hilfen zur Erziehung) in Anspruch zu nehmen.

Zusammenarbeit und Aufgaben der Fachkräfte
Mitwirkende und Projektbegleitung
Die konzeptionelle Ausarbeitung für das Pilotprojekt erfolgte in Federführung der Abteilung Stuttgarter Bildungspartnerschaft über die verantwortlichen Akteure vor Ort, den beiden Trägern, der Evangelischen Gesellschaft und St. Josef sowie dem Beratungszentrum und in enger Abstimmung mit dem Fallmanagement und der Koordinierungsstelle des ehrenamtlichen Engagements der Sozialunterkünfte sowie mit der Jugendhilfeplanung. In der Projektumsetzung ist außerdem vorgesehen, die bestehenden Stadteilrunden unter Beteiligung des sozialräumlich zuständigen Fallmanagements des Sozialamts zu nutzen, um die thematische Vernetzung zu vertiefen. Wichtige Ansprechpartner*innen sind hierfür neben dem Beratungszentrum und dem Fallmanagement unter anderem die Schulen, das Kinder- und Jugendhaus, das Projekt Elternbildungslotsen, die KiFaZ und die Stadtteil- und Familienzentren, Jobcenter und Kitas.

Zur inhaltlichen Begleitung und zur Projektsteuerung soll außerdem ein eigenes Gremium eingerichtet werden bestehend aus:
Projektlaufzeit
Das Pilotprojekt soll zum neuen Schuljahr 2021/22 starten. Es ist zunächst auf ein Schuljahr befristet.

Projektbegleitende Evaluation
Das Pilotprojekt wird über die Abteilung Stuttgarter Bildungspartnerschaft sowie im Rahmen der benannten Steuerungsgruppe begleitend evaluiert. Ein Evaluationsbericht wird dem Gemeinderat zum Projektende vorgelegt.


Finanzielle Auswirkungen

Die erforderlichen Gesamtmittel für eine Laufzeit von 1 Jahr in Höhe von bis zu 80.000 € (Personalkosten 1,00, inkl. Arbeitsplatz- & Verwaltungskosten, Sachmittelbudget) stehen aus den bereitgestellten Mitteln im Teilergebnishaushalt 810 – Bürgermeisteramt, Amtsbereich 8107080 – Abteilung Stuttgarter Bildungspartnerschaft, Kontengruppe 440 – Sonstige ordentliche Aufwendungen, zur Verfügung.


Beteiligte Stellen

WFB, SI




Isabel Fezer
Bürgermeisterin


Anlagen

<Anlagen>



zum Seitenanfang