Landeshauptstadt Stuttgart
Referat Soziales und gesellschaftliche Integration
Gz: SI
GRDrs 249/2023
Stuttgart,
06/13/2023



Erfrierungsschutz für Kinder und ihre Erziehungsberechtigten



Beschlußvorlage
Vorlage an
    zur
SitzungsartSitzungstermin
Sozial- und Gesundheitsausschuss
Verwaltungsausschuss
Gemeinderat
Vorberatung
Vorberatung
Beschlussfassung
öffentlich
öffentlich
öffentlich
03.07.2023
05.07.2023
06.07.2023



Beschlußantrag:

1. Dem Projektkostenzuschuss zur Finanzierung des Projekts „Erfrierungsschutz für Kinder und ihre Erziehungsberechtigten“ in Höhe von insgesamt 909.000 EUR wird zugestimmt. Das Projekt startet jeweils am 1. November des Jahres und endet am 30. April des darauffolgenden Jahres.

2. In Anbetracht der Dringlichkeit des Vorhabens soll mit der Eröffnung des Erfrierungsschutzes für Familien schon zum Winterbeginn am 01.11.2023 begonnen werden. Deshalb wird einem Projektkostenzuschuss für das Jahr 2023 in Höhe von 101.000 EUR zugestimmt. Für die Jahre 2024 ff. wird ein Budget von 808.000 EUR benötigt.
Die Aufwendungen i. H. v. 101.000 EUR im Jahr 2023 werden im THH 500, Amtsbereich 5003140 – Soziale Einrichtungen, Schlüsselprodukt 1.31.40.01.40.00-500 – Unterkünfte für Wohnungslose/Obdachlose, Kontengruppe 43100 – Zuweisungen und Zuschüsse für laufende Zwecke gedeckt.
Die Aufwendungen i. H. v. je 303.000 EUR in den Jahren 2024 und 2025 und 202.000 EUR im Jahr 2026 werden zum Doppelhaushaltsplan 2024/2025 angemeldet und in der Finanzplanung berücksichtigt.




Kurzfassung der Begründung:
Ausführliche Begründung siehe Anlage 1

Ausgangslage

Die Anzahl der Familien aus dem EU-Ausland, die zur Arbeitssuche in die Landeshauptstadt Stuttgart kommen, steigt kontinuierlich. Im Zeitraum 01.07.2022 bis 31.07.2022 wurden von der zentralen Anlaufstelle (ZAS) für Unionsbürger*innen bei der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart e.V. 82 Familien beraten. Nicht in allen Familien hat mindestens ein Elternteil einen Arbeitsvertrag, wenn sie nach Stuttgart kommen. In diesen Fällen haben sowohl die Erwachsenen als auch deren Kinder keinen Anspruch auf Sozialleistungen und können somit nicht in einer Sozialunterkunft untergebracht werden. Diese Familien leben bei Bekannten, in wechselnden unsicheren Mietwohnverhältnissen und auf der Straße. Eine Rückkehr in ihr Herkunftsland kommt für viele, trotz der prekären Lebenssituation und einem erschwerten Arbeitsmarktzugang, nicht in Frage.

Das MedMobil, die Streetworker*innen des Caritasvereins für Stuttgart e.V. und der Ambulanten Hilfe e.V. sowie das Cafe 72 der Ambulanten Hilfe e. V. haben Kontakt zu Familien in dieser Lebenssituation. Derzeit besteht regelmäßiger Kontakt zu 5 Familien mit insgesamt 9 Kindern im Alter zwischen zwei und 12 Jahren, die auf der Straße leben oder verdeckt wohnungslos sind.


Problembeschreibung

Volljährige EU-Bürger*innen ohne Leistungsansprüche werden derzeit vom Sozialamt im Rahmen des Erfrierungsschutzes in den drei Gebäuden der Zentralen Notübernachtung untergebracht. Das bedeutet, dass alle volljährigen, unfreiwillig Obdachlosen im Rahmen des Erfrierungsschutzes (ab 0 Grad und kälter) während der Wintermonate zu jeder Tages- und Nachtzeit in die Notübernachtung aufgenommen werden. Diese Not-übernachtungsangebote für akut obdachlose Erwachsene sind nicht kindgerecht und nicht geeignet für eine Unterbringung von Familien mit Kindern. Für obdachlose Familien steht im Winterhalbjahr ein Zimmer in einer Flüchtlingsunterkunft zur Verfügung, welches durch die Polizei und das Jugendamt belegt werden kann und Platz für ein Elternteil mit mehreren Kindern bietet. Dieses Erfrierungsschutzzimmer befindet sich in einer Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete mit Wachdienst. Somit ist auch die Aufnahme der EU-Bürger*innen mit Kind(ern) nachts und am Wochenende gewährleistet. Der Aufenthalt im Erfrierungsschutzzimmer ist jedoch nur für wenige Tage möglich, um regelmäßig freie Kapazitäten für eine Notunterbringung weiterer obdachloser Familien sicherstellen zu können.

Sowohl das Fehlen von Wohnraum als auch die Situation von Kindern in Wohnungslosigkeit ohne Zugang zu Bildung stellen keine kindgerechten Bedingungen zum Aufwachsen dar. Hinzu kommt eine zunehmende Verelendung dieser Kinder und ihrer Eltern je länger diese Lebensbedingungen anhalten.

Der grundrechtliche Schutz der Familie gewährt Eltern das alleinige Recht, nach ihrem freien Willen die Versorgung und Erziehung ihrer Kinder zu bestimmen. Leistungen der Jugendhilfe können den Berechtigten bei Bedarf nur angeboten, aber nicht aufgezwungen werden. Auf Antrag sind erforderliche und geeignete Hilfen zur Erziehung möglich. Werden Leistungen der Jugendhilfe nicht in Anspruch genommen, sind auch ungünstige oder benachteiligende familiäre Lebensumstände für die Kinder vom Jugendamt hinzunehmen.


Rechtlicher Hintergrund

Mit der UN-Kinderrechtskonvention verpflichtet sich jeder unterzeichnende Staat, die Rechte von Kindern zu schützen, unabhängig davon, wo sie leben oder welche Hautfarbe oder Religion sie haben. Die Aufgabe der Vertragsstaaten, den Eltern hierbei zu helfen, wird wie folgt beschrieben:

„Die Vertragsstaaten treffen gemäß ihren innerstaatlichen Verhältnissen und im Rahmen ihrer Mittel geeignete Maßnahmen, um den Eltern und anderen für das Kind verantwortlichen Personen bei der Verwirklichung dieses Rechts zu helfen, und sehen bei Bedürftigkeit materielle Hilfs- und Unterstützungsprogramme insbesondere im Hinblick auf Ernährung, Bekleidung und Wohnung vor“ (UN Kinderrechtkonvention Artikel 27 Absatz 3).

Die Verpflichtung zur Gefahrenabwehr ergibt sich nach §§ 1 und 3 Polizeigesetz (PolG) und der daraus abgeleiteten Verpflichtung zur ordnungsrechtlichen Unterbringung, die im Rahmen des Erfrierungsschutzes bereits bei alleinstehenden Personen übernommen wird.

Die Sozialverwaltung sieht vor diesem Hintergrund die Notwendigkeit, Eltern und ihren Kindern aus dem europäischen Ausland mindestens ein Obdach zur Verfügung zu stellen.


Lösungsvorschlag

Damit die Landeshauptstadt Stuttgart für diese Kinder den nötigen Schutz und ggf. weitere Hilfen sicherstellen kann, ist die Einrichtung eines Erfrierungsschutzes für Kinder und deren Erziehungsberechtigten in den Monaten November bis April erforderlich. Um die Zielgruppe und deren Bedürfnisse näher kennenzulernen, soll der Erfrierungsschutz zunächst für drei Jahre als Pilotprojekt starten. Das Projekt soll ausgewertet werden und die Sozialverwaltung berichtet vor Ablauf der drei Jahre im Sozial- und Gesundheitsausschuss über die Erfahrungen im Erfrierungsschutz und erarbeitet einen Vorschlag zum weiteren Vorgehen.

Dieser Lösungsvorschlag regelt nur die Unterbringung der Familien und nicht deren Lebensunterhalt. Alle Familien, die im Erfrierungsschutz für Kinder aufgenommen werden, müssen für Ihren Lebensunterhalt selbst aufkommen.

Es ist vorgesehen, dass das Projekt „Erfrierungsschutz für Kinder und ihre Erziehungsberechtigten“ von der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart e.V. umgesetzt wird. Die Evangelische Gesellschaft konnte bisher durch den Betrieb der „Zentralen Notübernachtung“ viele Erfahrungen in diesem Bereich sammeln. Die Landeshauptstadt Stuttgart fördert das Projekt zu 100 % des Aufwands bis zur Obergrenze von 909.000 EUR.

Zur Sicherstellung des Betriebs der Unterkunft und für die Anliegen der besonderen Bedarfe der Zielgruppe werden eine Fachkraft im Umfang einer VZÄ für Sozialarbeit und eine VZÄ als Sozialhelfer benötigt. Aufgaben des Sozialdienstes sind:

Für die Arbeit mit den Kindern gibt es den Bedarf einer weiteren Fachkraft im Umfang von 0,5 VZÄ für Sozialarbeit (mit Erfahrung in der Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und deren Eltern). Aufgaben dieser Fachkraft sind:

Alle Fachkräfte werden durch eine Fachberatung unterstützt, welche in den kinderschutzrelevanten Themen berät; die anteiligen Stunden sind in der 0,5 VZÄ Sozialarbeit enthalten.

Um einen 24-stündigen ordnungsgemäßen Betrieb der Unterkunft gewährleisten zu können, ist die ganztägige Überwachung des Objektes durch einen Wachschutz hinsichtlich des Bewohnerzugangs, der Einhaltung der Hausordnung und der Schlichtung von Konflikten sowie der Sicherstellung der Funktionen der Haustechnik erforderlich.

Zur Nutzung steht derzeit das Gebäude Villastraße 3 in Stuttgart-Ost mit 44 Plätzen zur Verfügung. Das Gebäude diente bisher der ganzjährigen Unterbringung von alleinstehenden, obdachlosen Personen. Aufgrund seines schlechten baulichen Zustands muss es in den nächsten Jahren entweder saniert oder aufgegeben werden. Das Liegenschaftsamt der Landeshauptstadt Stuttgart hat deshalb für die Unterbringung von alleinstehenden obdachlosen Personen ab 01.05.2023 das Gebäude Bottroper Straße 55 in Stuttgart Bad Cannstatt angemietet. Alle in der Villastraße 3 wohnenden Personen werden im Juni 2023 in die Bottroper Straße 55 umziehen. Aus diesem Grunde soll das Gebäude Villastraße 3 übergangsweise für das Projekt Erfrierungsschutz für Kinder und ihre Erziehungsberechtigten genutzt werden. Das Liegenschaftsamt wurde seitens der Sozialverwaltung aufgefordert, nach einem Ersatzstandort für die Unterbringung von obdachlosen Kindern und deren Erziehungsberechtigten zu suchen.

Die Sozialverwaltung empfiehlt zusätzlich zum Erfrierungsschutz für Kinder eine finanzielle Hilfe für die Unterkunftskosten von zugewanderten Familien aus der europäischen Union, die bereits in Sozialunterkünften leben und ihren Leistungsanspruch verlieren (vgl. GRDrs 247/2023 Budget zur Unterkunftssicherung - Überbrückung bei vorübergehendem Verlust des Leistungsanspruchs obdachloser Familien).


Auf diese Weise soll akute Obdachlosigkeit von Familien vermieden werden. Diese Vorhaben unterstützen mehrere Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG), und zwar SDG Nr. 1 „Keine Armut - Armut in jeder Form und überall beenden“ und SDG Nr. 3 „Gesundheit und Wohlergehen - ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern“.


Kosten für die Unterkunft Villastraße 3:

monatliche Kosten
Miete4.900 EUR
Nebenkostenvorauszahlung 500 EUR
Reinigung2.140 EUR
Summe gesamt7.540 EUR


Kosten des Trägers:

Jährliche Kosten
Wachdienst198.000 EUR
Personalkosten 98.000 EUR
arbeitsplatzbezogene Sachkosten 5.800 EUR
Kosten für Programmgestaltung 1.200 EUR
Summe gesamt303.000 EUR




Finanzielle Auswirkungen


Die Aufwendungen i. H. v. 101.000 EUR im Jahr 2023 werden im THH 500, Amtsbereich 5003140 – Soziale Einrichtungen, Schlüsselprodukt 1.31.40.01.40.00-500 – Unterkünfte für Wohnungslose/Obdachlose, Kontengruppe 43100 – Zuweisungen und Zuschüsse für laufende Zwecke, gedeckt.

Die Aufwendungen i. H. v. je 303.000 EUR in den Jahren 2024 und 2025 und 202.000 EUR im Jahr 2026 werden zum Doppelhaushaltsplan 2024/2025 angemeldet und in der Finanzplanung berücksichtigt.




Beteiligte Stellen

Das Referat WFB hat die Vorlage mitgezeichnet
Das Referat JB hat die Vorlage mitgezeichnet
Das Referat SOS hat die Vorlage mitgezeichnet





Dr. Alexandra Sußmann
Bürgermeisterin


Anlagen

Anlage 1_Absprachen Erfrierungsschutz für Kinder
Anlage 2_Kurzkonzept der eva Erfrierungsschutz für Kinder


<Anlagen>



zum Seitenanfang