Protokoll: Verwaltungsausschuss des Gemeinderats der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
TOP:
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VerhandlungDrucksache:
318/2015
GZ:
OB 7831-10.00
Sitzungstermin: 20.05.2015
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Kuhn
Berichterstattung:der Vorsitzende, Herr Prof. Kirchberg (Rechtsanwälte Deubner & Kirchberg)
Protokollführung: Herr Häbe
Betreff: Bürgerbegehren gegen Stuttgart 21 "Storno 21",
Entscheidung über Zulässigkeit
- Vertagung -

Beratungsunterlage ist die Vorlage des Referats Recht, Sicherheit und Ordnung vom 12.05.2015, GRDrs 318/2015, mit folgendem

Beschlussantrag:

1. Der Antrag auf Zulassung eines Bürgerentscheids "zum Ausstieg der Stadt Stutt- gart aus STUTTGART 21 wegen grundlegend neuer Lage" wird zurückgewiesen. Das Bürgerbegehren wird für unzulässig erklärt.

2. Die Verwaltung wird beauftragt, den Vertrauenspersonen des Bürgerbegehrens die Feststellung der Unzulässigkeit des Antrags durch Bescheid bekannt zu geben.


Die Beratungsunterlage ist dem Originalprotokoll sowie dem Protokollexemplar für die Hauptaktei beigefügt.


Einleitung

Zu diesem Tagesordnungspunkt begrüßt OB Kuhn den seitens der Stadt beauftrag- ten Gutachter, Herrn Prof. Kirchberg.

Einleitend trägt der Oberbürgermeister vor, nach ausführlicher Erörterung mit dem städtischen Rechtsamt und dem Gutachter komme die Verwaltung zu dem Ergeb- nis, dass der Antrag auf Zulässigkeit des Bürgerbegehrens für unzulässig erklärt werden muss. Es gehe um eine reine Rechtsprüfung, eine Ermessensentscheidung dürfe nicht getroffen werden.

Die formalen Voraussetzungen des Bürgerbegehrens seien in Ordnung (die Frage- stellung kann hinreichend mit Ja oder Nein beantwortet werden/die Unterschriften sind geprüft/Eingang). Somit könne heute der Verwaltungsausschuss in der Vorbe- ratung entscheiden und morgen könne der Gemeinderat beschließen.

In der Bewertung dominiere die Einschätzung, dass der Bürgerentscheid nicht zuläs- sig sei, da er die Verfolgung eines rechtswidrigen Zieles beantragt. Der Vertrag aus dem Jahr 2009 sei rechtsgültig. Es habe die Möglichkeit bestanden, diesen noch bis Ende 2009 zu kündigen. Zudem seien in diesem Vertrag durch eine Sprechklausel Vorkehrungen für den Fall getroffen worden, dass beispielsweise die Kosten des Bahnprojekts Stuttgart 21 (S 21) überschritten werden. Dieses durch einen Bürger- entscheid anzugreifen, sei nach Überzeugung des Gutachters und der Verwaltung nicht möglich. Weitere Gründe für die Ablehnung werde Herr Prof. Kirchberg dar- stellen.

Der anschließende Vortrag von Herrn Prof. Kirchberg ist nachstehend im überarbei- teten Wortlaut wiedergegeben.

Herr Prof. Kirchberg:
„Herr Oberbürgermeister, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte das, was Sie bereits in schriftlicher Form vorliegen haben, zusammenfassen.

Zur Erinnerung, die Stuttgarter Bürgerschaft bzw. sogar die Bevölkerung des Bun- deslandes Baden-Württemberg ist zwischenzeitlich fünfmal aufgerufen worden, sich zum Vorhaben S 21 zu positionieren. Es gab bekanntlich kurz nach Amtseinführung der derzeitigen Landesregierung die Volksabstimmung und speziell in der Stadt Stuttgart zwischenzeitlich vier Bürgerbegehren. Das erste Bürgerbegehren aus dem Jahr 2009 zielte generell auf den Ausstieg der Landeshauptstadt aus S 21 ab. Die- ses Begehren wurde vom Gemeinderat für unzulässig erklärt, und diese Erklärung hatte auch vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart Bestand.

Das zweite Bürgerbegehren machte die Kündigung der Finanzierungsvereinbarung zum Gegenstand, da es sich angeblich um eine grundgesetzwidrige Mischfinanzie- rung gehandelt habe. Dieses Bürgerbegehren wurde vom Gemeinderat ebenfalls für unzulässig erklärt. Dem haben sich das Verwaltungsgericht Stuttgart und relativ aktuell der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg angeschlossen. Da es dort um eine Grundsatzfrage geht - und nicht etwa weil der Verwaltungsgerichtshof sein eigenes Urteil nicht für richtig hielt -, ist die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen worden. Ich habe die Stadt Stuttgart in diesem Verfahren vertreten und bin zuversichtlich, dass sich die Stadt auch im Verfahren vor dem Revisionsgericht durchsetzen wird.

Nun haben wir es mit dem dritten Bürgerbegehren zu tun. Wiederum wird eine Auf- kündigung der entsprechenden Vereinbarungen begehrt, und zwar unter dem Hin- weis, dass die Kostenentwicklung nach Ankündigungen der Bahn vor einigen Jahren bereits ein Ausmaß angenommen habe, das die Stadt Stuttgart dazu berechtige, aus der entsprechenden Finanzierungsverantwortung auszuscheren. Und, das wird dann möglicherweise bereits Gegenstand der übernächsten Gemeinderatssitzung sein, es gibt ein weiteres Bürgerbegehren, bei dem die Leistungsfähigkeit des unter- irdischen Bahnhofs zur Disposition gestellt wird, und deshalb wiederum ein Ausstieg aus S 21 begehrt wird.

Zur aktuellen Begutachtung des heute zur Debatte stehenden dritten Bürgerbegeh- rens 'Storno 21'. Dieses Bürgerbegehren halte ich aus folgenden Gründen für unzu- lässig. Die erste Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist, ob die Radikal- forderung nach einer Aufkündigung der entsprechenden Vereinbarung tatsächlich zulässig ist oder ob sie nicht schon deswegen auf ein rechtswidriges Ziel gerichtet ist, weil die einschlägige Vorschrift, auf die sich auch die Initiatoren des Bürgerbe- gehrens beziehen, nämlich die Vorschrift des § 60 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG), eigentlich zunächst bei einem sogenannten Wegfall der Geschäftsgrund- lage Verhandlungen über eine Anpassung der entsprechenden vertraglichen Verein- barung vorsieht und nur gewissermaßen im Extremfall eine Aufkündigung. Diese Stufung trägt dem Umstand Rechnung, dass, wie ja schon immer Franz Josef Strauß als Altphilologe zu sagen pflegte: 'Pacta sunt servanda' (Verträge sind einzu- halten). Dies bedeutet, Verträge müssen grundsätzlich eingehalten werden. Abwei- chungen hiervon aufgrund unvorhersehbarer Entwicklungen sollen eben nur gestuft zu einer möglichen Revision der vertraglichen Verpflichtungen führen. Man kann sich, wie das auch die GRDrs 318/2015 getan hat, sehr energisch bereits auf den Standpunkt stellen, dass allein deshalb das Bürgerbegehren unzulässig sei, weil es gewissermaßen angesichts der eben genannten Vorschrift von vornherein über das Ziel hinausschießt. Man kann es möglicherweise auch etwas zurückhaltender ein- schätzen, indem man sagt, in Berufung auf die vorgenannte Vorschrift und auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage steckt gewissermaßen als ein Minus auch das Anpassungsbegehren drin. Und man kann vielleicht auch die Auffassung vertreten, bei der Auslegung von Bürgerbegehren soll eine wohlwollende Betrachtungsweise stattfinden, die darauf abzielt, wenn möglich ein Begehren daran nicht scheitern zu lassen. Aber das ist vielleicht eher ein Randaspekt der Argumentation. Ich wollte das aber nicht unerwähnt lassen.

Wesentlicher ist aber die Frage: Haben wir es wirklich mit einer so grundsätzlichen Veränderung der Verhältnisse zu tun, dass deshalb dasjenige, was von Ihnen jeden Tag gesehen werden kann, gewissermaßen aufs Spiel gesetzt wird? Insbesondere natürlich aber auch die Verpflichtungen, die sich in finanzieller Hinsicht für die Stadt Stuttgart aus diesem Projekt ergeben. Insofern wird von den Initiatoren die bekannte Ankündigung thematisiert, wonach der bisherige Kostenrahmen deutlich überschrit- ten wird, und zwar nicht nur um einen ein-, zwei- oder dreistelligen Millionenbetrag, sondern um einen Milliardenbetrag. Diese Ankündigung ist relativ alt, was aber nichts daran ändert, dass sie nun Gegenstand des Bürgerbegehrens wurde. Da muss man gleichzeitig sagen, der Herr Oberbürgermeister hat es ja bereits ange- deutet, dass auch dieser Fall in zweifacher Hinsicht bereits bei Abschluss des Ver- trages bzw. bei Billigung des Vertrages durch den Gemeinderat in Aussicht genom- men worden ist. Zum einen haben wir in der Finanzierungsvereinbarung von 2009 einen Passus, wonach dann, wenn eben der damals ins Auge gefasste maximale Finanzierungsrahmen einschließlich noch nicht absehbarer Kostenerhöhungen überschritten wird, das Land und die Eisenbahnstrukturunternehmungen Gespräche miteinander aufnehmen - die berühmt berüchtigte Sprechklausel. Diese Sprechklau- sel ist auch, wie es so schön heißt, von der Bahn gezogen worden. Welche Folge- rungen sich daraus ergeben, ist noch nicht absehbar, insbesondere nicht für die Stadt Stuttgart. Die Stadt hat festgeschriebene Verpflichtungen aufgrund des ent- sprechenden Vertrages. Sie ist an diesen Gesprächen, die aufgrund der Sprech- klausel stattfinden sollen, nicht beteiligt. Schon deshalb kann man also nicht sagen, dass bei der Billigung des Vertrages durch den Gemeinderat überhaupt nicht abseh- bar gewesen sei bzw. dass offen gewesen sei, wie sich die Verhältnisse weiterent- wickeln sollten, wenn der damals maximal veranschlagte Kostenrahmen überschrit- ten werden sollte.

Der zweite Aspekt ist, dass der Gemeinderat bei der Billigung der Finanzierungsver- einbarung vom 02.04.2009 die mögliche Überschreitung des damals absehbaren Kostenrahmens ebenfalls bereits ins Auge gefasst hat und für diesen Fall ausdrück- lich die Durchführung eines Bürgerentscheids oder zumindest einer Bürgerbefra- gung in Aussicht gestellt hat. Mit anderen Worten, wenn ich es jetzt richtig in Erinne- rung habe, die 2012 erfolgte Ankündigung einer deutlichen Überschreitung des bis- her angenommenen Kostenrahmens ist auch bei dieser Gelegenheit ausdrücklich mit einer Konsequenz seitens des Gemeinderats bzw. der Stadt Stuttgart ins Auge gefasst worden. Angesichts solcher Umstände können Sie von vornherein nicht davon ausgehen, dass es der Stadt Stuttgart erlaubt wäre, so zu tun, als hätte sie das nie ins Auge gefasst bzw. als hätte sie das nicht im Rahmen der Finanzierungs- vereinbarung durch die Sprechklausel bereits angedacht, sie sei gewissermaßen wie ein Blitz aus heiterem Himmel davon überrascht worden. Sondern dafür ist Vor- sorge getroffen worden. Deshalb kommt selbst im Hinblick auf die mildere Variante, nämlich Anpassungsverlangen, ein sogenannter Wegfall der Geschäftsgrundlage meines Erachtens inhaltlich/materiell nicht infrage.

Dazu kommen jetzt noch zwei eher formelle, aber nicht weniger wichtige Aspekte hinzu. Ich beginne mit dem letzteren. Sie wissen ja, dass ein Bürgerbegehrensan- trag eine Begründung beinhalten muss, und die Begründung muss nun nicht der Begründung eines Gerichtsurteils gleich sein, sondern es ist ausreichend, sich hier auf die wesentlichen Aspekte zu beschränken. Die Dinge, die gewissermaßen offen- kundig sind und die auch offensichtlich unter Umständen der Durchführung des Bür- gerentscheidsverfahrens entgegenstehen, müssen angesprochen werden. Davon finden Sie aber in der Begründung nichts. Sie finden nichts darüber, dass es eine Sprechklausel gibt. Sie finden darüber, dass der Gemeinderat im Juli 2009 bei Billi- gung der Finanzierungsvereinbarung für den Fall der Übersteigung der damals ins Auge gefassten oder bekannt gewesenen Kosten die Durchführung eines Bürger- entscheids oder einer Bürgerbefragung ins Auge genommen hat, nichts. Und Sie finden im Übrigen auch nichts dazu, dass die Initiatoren, obwohl die Ankündigung der Kostenüberschreitung schon lange Zeit zurückliegt, meinen, im Jahr 2014 nach Ablauf aller Fristen noch mit einem Bürgerbegehren antreten zu können.

Sie wissen aus vergleichbaren Fällen, dass hier eine Sechswochenfrist besteht. Diese Sechswochenfrist war, bezogen auf die Ankündigung der Kostenüberschrei- tung im Jahr 2014, mehr als abgelaufen. Ich will allerdings einräumen, dass die Fra- ge, wie es sich mit der Frist verhält, wenn sich ein Bürgerbegehren auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage bezieht, jedenfalls in der Rechtsprechung des hiesigen Ver- waltungsgerichtshofs, noch nicht abschließend entschieden worden ist. Es bestand auch in dem Verfahren wegen der Mischfinanzierung, das jetzt zum Abschluss ge- kommen ist, auf Landesebene keine Veranlassung, dazu Stellung zu nehmen. Aber es gibt, wie ich meine, hinreichend Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsge- richte und dazu veröffentlichte Kommentarmeinungen, die in einem Fall wie dem vorliegenden, wenn ein entsprechendes Faktum, Geschehen oder Ereignis tatsäch- lich zum Anlass für die Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage genom- men wird, besagen, ab wann die Sechswochenfrist läuft.

Also zusammengefasst: Wir haben vier bis fünf Punkte, die gegen die Zulässigkeit dieses Bürgerbegehrens sprechen. Und ich kann deshalb der Stadt nur empfehlen, genau wie bei den beiden vorangegangenen Bürgerbegehren dieses für unzulässig zu erklären."


Aussprache

Im Verlauf der Aussprache wird das Bürgerbegehren von StR Kotz (CDU), StR Stop- per (90/GRÜNE), StR Körner (SPD), StRin von Stein (FW) und StR Dr. Oechsner (FDP) für rechtlich nicht zulässig angesehen. StR Prof. Dr. Maier (AfD) kündigt seine Enthaltung zum Beschlussantrag an.

Von StR Rockenbauch (SÖS-LINKE-PluS) wird beantragt, die in der morgigen Sit- zung des Gemeinderats vorgesehene Beschlussfassung über die GRDrs 318/2015 zu vertagen. Seine Fraktionsgemeinschaft und er benötigten mehr Zeit, die Thema- tik zu diskutieren. Es habe keine Gelegenheit gegeben, die Beschlussvorlage in der Fraktionsgemeinschaft zu beraten. Für heute erachtet er eine inhaltliche Debatte für sinnvoll. Eine Basis für die morgige Beschlussfassung ist für ihn jedoch noch nicht gegeben.

StR Kotz erklärt grundsätzlich, dass seine Fraktion sowohl den Ausführungen der Verwaltung als auch dem Gutachten von Herrn Prof. Kirchberg vollumfänglich folgen kann. An die Projektgegner appelliert er, sich in Zukunft in die Diskussion, wie Stutt- gart im Zusammenhang mit S 21 weiterentwickelt werden kann (z. B. Bürgerbeteili- gung Rosensteinviertel) einzubringen.

Anschließend bemerkt StR Stopper, angesichts eines von über 20.000 Bürgerinnen und Bürgern unterstützten Bürgerbegehrens habe der Gemeinderat neben seiner Entscheidung über eine rechtliche Zuständigkeit auch die Aufgabe, eine politische Bewertung abzugeben. Da die Initiatoren und die Unterstützer versuchten, die Lan- deshauptstadt vor erheblichen Kostenbelastungen zu schützen, handle es sich für die Gemeinderatsfraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN, um ein durchaus ehrenwertes Anliegen. Der Gemeinderat und die Verwaltung hätten bisher noch keinen rechtssi- cheren Weg für den Fall gefunden, wenn Mehrkosten gegenüber der Stadt Stuttgart geltend gemacht würden. Vermutet werde lediglich, dass hier ein gewisser Schutz seitens der Vertragslage existiere. Daran, das formulierte Ziel durch ein Bürgerbe- gehren zu erreichen, habe seine Fraktion politisch erhebliche Zweifel. Deshalb habe man dieses Bürgerbegehren auch nicht wie die vorherigen unterstützt. Seine Frak- tion habe sich allerdings auch nicht dagegen ausgesprochen, da nachvollziehbar gewesen sei, dass angesichts der von der Bahn geltend gemachten Kostensteige- rungen, große Teile der Bürgerschaft extrem aufgebracht sind.

Weiter merkt StR Stopper an, das Bürgerbegehren werde durch seine Fraktion als problematisch und fragwürdig angesehen, da wenige Monate nach der Volksabstim- mung im Jahr 2011 wieder ein Bürgerbegehren gegen das Projekt angestoßen wur- de. Dies werde nicht als richtig angesehen. Die Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN habe das Ergebnis der Volksabstimmung akzeptiert bzw. dieses werde respektiert. Demokratische Entscheidungen könnten, um glaubwürdig zu sein, nicht fortwährend mit dem Hinweis auf angeblich neue Fakten revidiert werden. Er geht davon aus, dass bei der Durchführung eines gegen S 21 gerichteten Bürgerentscheids von einer Niederlage der Projektgegner ausgegangen werden muss. Befragungen nach dem Volksentscheid zeigten, dass selbst diejenigen, die damals für einen Projekt- ausstieg gestimmt haben, das Ergebnis des Volksentscheids in einem hohen Maß akzeptierten/respektierten.

Seine Fraktion sehe das Bürgerbegehren auch in rechtlicher Hinsicht nicht als zu- lässig an. Allerdings würden nicht alle Punkte der gutachterlichen Stellungnahme und der Verwaltungsvorlage geteilt. Bekanntlich hätten die Bündnis 90/DIE GRÜ- NEN die ersten zwei Bürgerbegehren mitinitiiert und unterstützt; zur Kenntnis ge- nommen werde, dass man mit der dabei vertretenen rechtlichen Position unterlegen ist, auch mehrfach vor Gerichten.

Für StR Körner sind die Darlegungen von Herrn Prof. Kirchberg überzeugend. Hin- weisend auf die mit einem Projektstopp für die Stadt einhergehenden finanziellen Risiken teilt StR Körner nicht die Einschätzung von StR Stopper, dass es den Initia- toren des Begehrens darum geht, die Stadt vor Mehrkosten zu bewahren. Eher sei die Aussage von StR Stopper zutreffend, dass es den Initiatoren um ein Projektende geht. Mit Sorge sehe es die SPD-Gemeinderatsfraktion, wie sich die politische Teil- habe in der modernen Stadtgesellschaft darstellt. Die sozial selektiv niedrige Wahl- beteiligung bei Kommunalwahlen werde als unbefriedigend angesehen. Die SPD habe mit an vorderster Stelle für den Volksentscheid gekämpft. Damit sei eine Legi- timation von S 21 sowie eine Befriedung der Stadt erreicht worden. Mit anderen In- strumenten wäre dies nicht gelungen. Dieser Erfolg dürfe nicht kleingeredet werden. Dies werde aber gemacht, indem alle paar Monate ein weiteres Bürgerbegehren zur Grundsatzfrage S 21 auf die Tagesordnung gesetzt wird. Vielmehr sollte gemeinsam daran gearbeitet werden, Chancen und Risiken bei der Umsetzung von S 21 zu nut- zen, um die Stadtgesellschaft wieder zusammenzuführen. Bürgerbegehren/Bürger- entscheide gegen S 21 würden das Gegenteil erreichen. Von daher seien diese nicht im Interesse des städtischen Gemeinwohls.

Für StR Stopper muss festgehalten werden, dass eine Befriedung der Stadtgesell- schaft dann deutlich besser verlaufen wäre, wenn schon lange vor dem Volksent- scheid ein Bürgerentscheid durchgeführt worden wäre. Dies sei aber auch seitens der SPD-Gemeinderatsfraktion aus politischen Gründen abgelehnt worden. Die Ent- scheidung des Gemeinderats auf Antrag der SPD-Gemeinderatsfraktion, im Fall von Mehrkosten einen Bürgerentscheid vorzusehen, sei eine Reaktion darauf gewesen, dass die Gemeinderatsfraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN im Gemeinderat einen Bürgerentscheid beantragt hatte. Die wie gesagt auf Antrag der SPD-Gemeinderats- fraktion zurückgehende Beschlusslage bedeute, dass die Stadt 2019 oder 2020 - also zu einem Zeitpunkt, an dem die Baumaßnahmen noch weiter fortgeschritten sein werden - in die Situation komme, die Bürger mit einem Bürgerentscheid zu konfrontieren. Dann werde auch ihm zur Vermeidung eines Desasters nur bleiben, für eine Zustimmung zur Übernahme von Mehrkosten zu werben.

Nach Einschätzung von StR Prof. Dr. Maier ist es möglich, dass das Bürgerbe- gehren mit folgenden zwei Hypotheken belastet ist:
- Ergebnis des Volksentscheids
- Beschlusslagen/unterzeichnete Verträge.

Für StR Rockenbauch stellt sich, sollte die vom Gutachter geltend gemachte Sechs- wochenfrist, diese rein formale Hürde, anerkannt werden, die Frage, wie in Zukunft überhaupt noch Bürgerbegehren durchgeführt werden sollen (s. auch Ausführungen dieses Rates zum Wegfall der Geschäftsgrundlage, Seiten 9 und 10 dieses Proto- kolls). Er hofft, dass sein Vertagungsantrag befürwortet wird. Dann würde es seiner Fraktionsgemeinschaft ermöglicht, sich zusätzliche rechtliche Meinungen einzuho- len. Die sich abzeichnende Ablehnung des Bürgerbegehrens sei so dünn begründet, dass dagegen wohl Beschwerde eingelegt werde. Der Beschlussantrag werde durch seine Fraktion wohl abgelehnt, zunächst wolle man allerdings eine genaue Prüfung des Sachverhalts vornehmen.

Das Gutachten wird von StR Dr. Oechsner als neutral bezeichnet. Es sei ergebnis- offen erstellt worden. In seiner politischen Bewertung folgt er den Ausführungen von StR Körner.

Im Verlauf der Aussprache bringt der Oberbürgermeister seine Sorge zum Aus- druck, dass sich bei sehr vielen Projekten (z. B. Klinikum Stuttgart, Rosenstein- tunnel) deutlich höhere Kosten als ursprünglich angenommen ergeben. Zum Teil resultiere dieses große Problem aus der politischen Beschlussfassung, da es natür- lich zum Zeitpunkt solcher Beschlüsse Versuchungen gebe, Kosten erträglich darzu- stellen. Dies müsse geändert werden, da durch die seitherige Praxis das Vertrauen in politische Entscheidungen unterhöhlt werde. Alle Fraktionen und die Verwaltung müssten hier sorgfältiger vorgehen. So gehe er lieber bei dem Sanierungsprogramm für die Staatsoper von Kosten in Höhe von 400 Mio. € aus, als lediglich mit Kosten in Höhe von 300 Mio. € zu starten, um letztlich dann doch auf 400 Mio. € Gesamtkos- ten zu kommen.

Kritik an den Initiatoren des Begehrens übt StR Kotz, indem er ausführt, beim Werben um Unterschriften für das Bürgerbegehren sei der Eindruck vermittelt wor- den, dass sich bei dem Bahnprojekt S 21 noch ein Projektstopp erwirken lässt. Diese Irreführung der Menschen sei verantwortungslos. Das eigentliche Ziel des Bürgerbegehrens sei, und sinngemäß äußert sich StR Stopper, eine Beendigung von S 21. Das Bürgerbegehren zeigt für StRin von Stein, dass die Gemeinderats- fraktion SÖS-LINKE-PluS das Ergebnis des Volksentscheids nicht akzeptiert.

Die Frage von Schadensersatzforderungen hat nach Erinnerung von StR Körner in der Schlichtung eine Rolle gespielt. In diesem Rahmen hätten drei Wirtschaftsprü- fer die Schadensersatzfrage beleuchtet. Die von StR Stopper benannten 1,5 Mrd. € seien dort angeführt worden. Er sieht eine Kündigung durch die Landeshauptstadt angesichts drohender Schadensersatzklagen als gefährlich an. Zu der in der Be- gründung des Begehrens diesbezüglich angeführten Gegenrechnung durch Grund- stücke wird von StR Körner erklärt, in diese Grundstücke habe die Stadt städtische Finanzmittel investiert. Bei diesem sogenannten Aktivtausch würde sich in der Bilanz der Stadt vermögenstechnisch keine Änderung ergeben. Da ihm als Ratsmitglied das Thema Wohnen wichtig sei, begrüße er es, dass diese städtischen Mittel in Grundstücken angelegt worden seien.

Die Auffassung, dass angesichts des Fortschritts bei den S 21-Bauarbeiten nie- mand ernsthaft über einen Projektausstieg oder über eine Projektbeendigung nach- denken kann, vertritt StR Kotz. Dem schließt sich StR Körner mit dem Hinweis an, dass beim Fildertunnel bereits der zweite Kilometer gegraben ist. Zudem merkt er an, die Neubaustrecke Ulm - Stuttgart könne doch nicht in Wendlingen enden. StRin von Stein weist ebenfalls auf die an vielen Stellen der Stadt und der Region erkenn- baren Fortschritte bei den S 21-Bauarbeiten hin. StR Prof. Dr. Maier erklärt, es kön- ne schon sein, dass die Fortschritte beim Projekt S 21 eine Rückabwicklung nicht mehr realistisch erscheinen lassen.

Laut StR Kotz ist gegenüber der Stadt trotz Mehrkosten beim Projekt S 21 noch keine Forderung zur Übernahme von Mehrkosten gestellt worden (über den im Jahr 2009 vereinbarten städtischen Finanzierungsanteil hinaus).

Daraus, dass sich die Stadt in der Vergangenheit mit Mehrkosten beschäftigt habe und einen Weg gesucht habe, Mehrkosten von sich abzuwenden, die Schlussfolge- rung abzuleiten, dass die Stadt gegebenenfalls Mehrkosten übernehmen muss, wird von StR Stopper vehement abgelehnt. Dies empfindet er "gelinde gesagt als die Iro- nie der Geschichte". Davon distanziere sich seine Fraktion. Aus dieser Argumenta- tion könnten bei der Bahn erhebliche Begehrlichkeiten entstehen. Zu Protokoll gibt er, dass seine Fraktion den Satz "ein weitergehender Finanzbedarf ist also bereits bei Vertragsschluss in Erwägung gezogen bzw. abgesehen worden", nicht teile. Die Stadt, so zumindest die Auffassung seiner Fraktion, sehe überhaupt keine Veranlas- sung, sich an Mehrkosten irgendwann zu beteiligen. Es gebe eindeutige Finanzie- rungsvereinbarungen, und diese müssten eingehalten werden.

Die SPD-Gemeinderatsfraktion hat laut StR Körner die Äußerung des Gutachters hinsichtlich Mehrkosten/Bürgerentscheid im Zusammenhang mit der Finanzierungs- vereinbarung so verstanden, dass sich die Stadt der Frage gestellt hat, wie damit umzugehen wäre, wenn die Stadt aufgefordert würde, sich an Mehrkosten zu beteili- gen. Die Stadt habe für sich diese Frage mit der Sprechklausel im Finanzierungsver- trag und mit dem auf Antrag der SPD-Gemeinderatsfraktion gefassten Beschluss, bei Mehrkostenforderungen an die Stadt einen Bürgerentscheid durchzuführen, be- antwortet. Darunter dürfe nicht verstanden werden, dass seitens der Stadt erklärt worden sei, es würden Mehrkosten übernommen.

Im Gutachten, so die Sichtweise von StR Rockenbauch, erkläre der Gutachter, dass der Gemeinderat mit seinen Entscheidungen im Jahr 2009 Mehrkosten beschlossen habe. Er zitiert aus dem Gutachten "… etwaige Mehrkosten, die über die bisherige Vertragslage hinausgehen, beschlossen hat". Wenn nun verlangt werde, so etwas Umstrittenes und Abwegiges in die Begehrensbegründung aufzunehmen, zeige dies, dass verzweifelt nach Gründen gesucht werde, das Bürgerbegehren formal abzulehnen.

Dabei, wie sich der Gemeinderat anlässlich der Billigung der Finanzierungsverein- barung am 02.04.2009 verhalten habe, so Prof. Kirchberg, nämlich tatsächlich beschlossen hat, gegebenenfalls einen Bürgerentscheid oder eine Bürgerbefragung durchzuführen, sollte wider Erwarten der Kostenrahmen gesprengt werden, habe es sich um einen reinen Verfahrensvorschlag gehandelt. Insofern fühle er sich von StR Körner richtig verstanden. Keinesfalls seien damals bereits Kostenerhöhungen oder die Übernahme der Kostenerhöhungen durch die Stadt beschlossen worden, son- dern man habe realistischerweise, wie dies bei Projekten dieser Größenordnung der Fall sei, so etwas in den Blick genommen, sich in gewisser Weise darauf eingerich- tet, dass man darüber nachdenken muss und dass man dieses eben nicht nur im Verwaltungsausschuss und im Gemeinderat tun wollte, sondern man habe erkannt, dass man dieses auf eine breitere Grundlage stellen sollte, falls diese Fragestellung auf die Stadt zukäme.

StR Rockenbauch merkt an, der Gutachter habe darauf hingewiesen, dass seine gutachterliche Stellungnahme sich von der Verwaltungsvorlage unterscheidet. Die vom Oberbürgermeister unterzeichnete Vorlage spreche entgegen dem Gutachten eindeutig davon, dass das Bürgerbegehren auf ein rechtswidriges Ziel gerichtet sei. Die Begründung des Gutachtens ergebe diesbezüglich eine deutlich differenziertere Position. Dieser habe festgestellt, dass der Antragstext des Begehrens prinzipiell bürgerentscheidsfähig sei. In diesem wesentlichen Punkt sei also die Vorlage falsch.

Der im Bürgerbegehren geltend gemachte Wegfall der Geschäftsgrundlage wird von StR Stopper als nicht nachvollziehbar angesehen. Der Gutachter habe aufge- zeigt, dass das Bürgerbegehren mit seinem Ansinnen zu sagen, "die Geschäfts- grundlage ist entfallen" allerdings dann nicht völlig fehl ginge, wenn denn die Ge- schäftsgrundlage entfallen wäre. Laut Gutachter wäre wohl durchaus ein Weg gang- bar, dass die Vertragstreue nicht völlig über allem anderen steht, sondern es werde die Frage eines Ausstiegs aus solchen Verträgen als möglich angesehen bei einem Wegfall der Geschäftsgrundlage. Das Argument "Wegfall der Geschäftsgrundlage" gehe aber schon dadurch fehl, da die Landeshauptstadt Stuttgart nicht der Adressat der Sprechklausel ist.

In diesem Zusammenhang führt StR Rockenbauch an, der Gutachter habe eine we- sentliche Begründung für das Bürgerbegehren nicht kommentiert. Im Bürgerbegeh- ren gehe es doch nicht alleine um die Verteuerung des Projekts. Solche Verteuerun- gen würden sich normalerweise erst in den Bauphasen von Projekten ergeben. Bei S 21 sei dies jedoch bereits geschehen, bevor überhaupt die Bauarbeiten begonnen haben. Die Geschäftsgrundlage für das Bürgerbegehren sei ein Kostendeckel von 4,5 Mrd. € (inklusive Kostenpuffer in Höhe von 1,5 Mrd. € für Risikokosten). Bei der Beschlussfassung der Finanzierungsvereinbarung am 29.07.2009 habe es noch die Ausstiegsoption aus S 21 gegeben. Aus einer am 10.12.2009 herausgegebenen Pressemitteilung der Bahn zitiert er den Vorstandsvorsitzenden, Herrn Dr. Grube: "Mit den nun vorliegenden Zahlen sind alle heute bekannten Fakten auf dem Tisch." Damals habe die Bahn festgestellt, S 21 koste nicht, wie noch am 29.07. geglaubt,
3 Mrd. €, sondern 4 Mrd. €. Damit habe sich der Kostenpuffer von 1,5 Mrd. € auf 500 Mio. € reduziert. Im selben Zusammenhang sei nochmals bestätigt worden, dass der von den Partnern 2007 vereinbarte Rahmen für die Kosten und Risiken ausreiche. Dieses sei die damalige Geschäftsgrundlage gewesen. Das Bürgerbe- gehren nehme Bezug auf den Tatbestand, dass diese Kostensteigerung nachweis- lich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen stattgefunden hat. Am 10.12.2009 sei- en ebenfalls nicht alle Fakten auf den Tisch gelegt worden. Zu diesem Zeitpunkt sei das Büro Drees & Sommer längst bei Gesamtkosten von 5 Mrd. € gewesen. Dieses werde weder vom Gutachten noch von der Verwaltung gewürdigt. Im März 2012 habe die Bahn AG dann zugeben müssen, dass ein Abzug von den geplanten 900 Mio. € nicht haltbar sei. Im Gegenteil, Mehrkosten in Höhe von 1,1 Mrd. € seien an- geführt worden. Dass dies von der Bahn verschuldet worden sei, gebe die Bahn 2012 auch zu. Damit sei auch eingeräumt worden, dass das Projekt S 21 im Jahr 2009 künstlich billiger gerechnet worden sei, um die erforderlichen Beschlüsse zu erhalten. Wenn, und damit wendet er sich an den Vorsitzenden und an den Gutach- ter, appelliert werde, dass Verträge, die unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zustande gekommen sind, Bestand haben sollen, sehe er dies als höchst unmora- lisch an. Seitens der Bahn seien die Vertragsgrundsätze vorsätzlich missachtet wor- den. In der Vorlage schreibe der Oberbürgermeister: "Die Vertragspartner hatten ein Interesse daran, dass es zu keinem weiteren Zeitpunkt mehr möglich sein sollte, aus diesen Verträgen herauszukommen." Dies sei nicht nur unmoralisch, sondern gren- ze schon an die Veruntreuung von Steuergeldern. Er halte es für unmoralisch, dass der damalige Gemeinderat Verträgen zugestimmt hat, aus denen man nicht mehr herauskommen kann, besonders angesichts der Kenntnis, dass dies durch das Vor- spiegeln falscher Tatsachen politisch durchgesetzt worden sei. Mit ihrer Vorgehens- weise habe sich die Bahn Leistungen der öffentlichen Hand erschlichen. Wenn ein solches Verhalten eines Vertragspartners offensichtlich werde, sei es abenteuerlich, wenn, wie in der Vorlage geschehen, versucht werde, Argumente zur Rechtfertigung des Verhaltens der Bahn zu finden. Eigentlich hätte das Projekt seitens der Politik 2012 zur Disposition gestellt werden müssen. Vor diesem Hintergrund von einer Sechswochenfrist zu reden, lasse sich nicht durch die Gemeindeordnung (GemO) rechtfertigen.

Als sehr überzeugend sieht StRin von Stein das Thema " Pacta sunt servanda" an. Ohne dieses Prinzip würde die Realisierung von für die Infrastruktur wichtigen Groß- projekten mit einer langen Laufzeit nicht mehr möglich. Während der langen Pla- nungsphase von S 21 hätten sich Gesetzesänderungen ergeben, die Umplanungen erforderlich machten und zu Mehrkosten geführt hätten (z. B. Brandschutz). Ihres Erachtens gibt es in Sachen Umplanungen/Optimierungen und Kostensteigerungen zwischen den beiden Großprojekten S 21 und Klinikum Stuttgart Parallelitäten.

StR Prof. Dr. Maier hat den Eindruck, dass diejenigen, die das Motto "Pacta sunt servanda" immer "wie ein Mantra vor sich her tragen", in der Vorstellung leben, dass eine Abstimmung, die mit 1 Stimme Mehrheit gewonnen wurde, den Gewinner legiti- miert, zu machen, was immer er will, solange es in den thematischen Rahmen die- ser Abstimmung passt. Dies entspreche nicht seiner Vorstellung von Demokratie. Vielmehr seien diejenigen, die aus Abstimmungen als Sieger hervorgehen, in einem demokratischen Rahmen stets verpflichtet, zumindest punktuell die Interessen der Unterlegenen mit zu berücksichtigen. Zu der Feststellung des Gutachters, das Bür- gerbegehren sei verfristet, fährt er fort, dies stütze sich ausschließlich auf die Kos- tenschätzung der Bahn aus dem Jahr 2012. Seitdem seien weitere Kostenschätzun- gen, auch von kompetenter Seite, sukzessive nachgeschoben worden. Diese Schät- zungen würden zum Teil deutlich über den Kostenschätzungen der Bahn des Jahres 2012 liegen. Es sei nicht verwunderlich, dass sich im Verlauf von drei Jahren ein immer realistischeres Kostenbild ergeben hat. Vor diesem Hintergrund von einem verfristeten Bürgerbegehren zu sprechen, ist für ihn nicht nachvollziehbar.

Zum anderen beziehe sich die Vorlage auf die Sprechklausel. Inhalt dieser Klausel sei u. a., dass die Kündigung der Finanzierungsvereinbarung ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr möglich sei. Das Gutachten, so StR Prof. Dr. Maier, benenne diesen Zeitpunkt jedoch nicht. Es gebe auch keine Kriterien, woran dieser Zeitpunkt festgemacht werde (z. B. bestimmter Baufortschritt). Dies erscheint ihm nicht hinrei- chend dafür zu sein, zu sagen, das Ganze sei nicht mehr zulässig. Zudem, und dies sei bereits erwähnt worden, binde der Kündigungsausschluss die Landeshauptstadt überhaupt nicht. Gebunden würden die Bahn und das Land.

Der Oberbürgermeister rät StR Prof. Dr. Maier an, den Vertrag aus dem Jahr 2009 anzuschauen. Dort hätten die Vertragspartner bis Ende 2009 eine Ausstiegsmög- lichkeit ins Auge gefasst. Danach nicht mehr. Die Frage der Kostensteigerungen sei dort nicht besonders präzise, aber dennoch klar geregelt, nämlich mit dem Hinweis, dass bei Überschreiten des Kostendeckels Gespräche geführt werden müssten (so- genannte Sprechklausel). Die Landeshauptstadt gehe eher davon aus, dass nach wie vor der Wortsinn dieser Klausel gilt (Verhandlungen über Aufteilung von Mehr- kosten werden von der Bahn und vom Land geführt. Diese beiden Seiten müssen die Aufteilung der Mehrkosten unter sich entscheiden.) Die Erfahrung lehre, dass bei solchen Konstellationen letzten Endes Gerichte entscheiden, wer welche Kostenan- teile zu tragen hat. Ziel der Partner, dies könne aus den Begründungen und aus dem damaligen medialen Umfeld erkannt werden, sei gewesen, einen Vertrag abzu- schließen, der lediglich über eine kurze Frist eine Aufkündigungsmöglichkeit vor- sieht. Im Blick sei gewesen, dass die Bauarbeiten beginnen, und dafür habe eine klare Geschäftsgrundlage vorliegen müssen. Die Kernentscheidung für S 21 sei in einem mehrstufigen Verfahren gefallen. Hauptpunkt sei das Jahr 2009 gewesen, und damals hätten jeweils große Mehrheiten im Landtag, in der Region und im Ge- meinderat erklärt, sich dafür auszusprechen, diesen Vertrag wie beschrieben abzu- schließen. Im Jahr 2011 habe dann der Volksentscheid stattgefunden. Dabei sei geklärt worden, wie die Mehrheit der Bevölkerung in Baden-Württemberg zu S 21 steht. Zwar habe eine Seite die Ausstiegskosten sehr gering angesetzt, aber die an- dere Seite habe diesen Zahlen widersprochen. Dies sei häufig bei politischen Ausei- nandersetzungen der Fall. Am Ende habe die Bevölkerung in Kenntnis dieser stritti- gen Frage entschieden. Ende 2012 habe die Bahn über eine Kostensteigerung von ca. 2 Mrd. € informiert. Im Jahr 2013 habe der Bahn-Aufsichtsrat einen Beschluss gefasst, welcher von der Logik her bedeute, dass die Bahn die Mehrkosten über- nimmt, die Bahn sei dabei jedoch aufgefordert worden via Sprechklausel und letzt- endlich durch ein Rechtsverfahren, diese Kosten teilweise beim Land einzutreiben. Die gesamte Stellungnahme von Herrn Prof. Kirchberg, die der Verwaltungsvorlage zugrunde liege, besage, nur wenn alle Beteiligten (Bahn, Land, Region, Stadt) An- fang 2013 erklärt hätten, es sollen Gespräche zur Vertragsauflösung geführt wer- den, hätte diese Möglichkeit bestanden. Aber niemand seitens der Stadt, auch nicht der damals amtierende Gemeinderat, habe im April 2013 erklärt, es werde bean- tragt, dass die Stadt Stuttgart Gespräche zur Aufkündigung des Vertrages aufneh- men soll; ohnehin hätte der Vertrag Rechtsbestand gehabt, wenn nur ein Partner sich gegen diesen Antrag gewendet hätte. Dies, so der Vorsitzende an StR Rocken- bauch gewandt, müsse sich die Fraktionsgemeinschaft SÖS-LINKE-PluS zum Thema Befristung fragen lassen. Aufgrund dessen könne nicht von einem unmorali- schen Vertrag gesprochen worden. Der Rechtsstaat sei konstitutiver Teil der Demo- kratie. Demokratie heiße Herrschaft des Rechts, und der Rechtsstaat könne nicht einfach nach politischem Willen ausgehebelt werden, sondern gehandelt werden müsse entsprechend dem rechtlich Möglichen. Diesem Geist entspreche die Be- schlussvorlage. Es gebe in der Beschlussfassung kein rechtliches Ermessen, son- dern gefolgt werde der rechtlichen Argumentation, die die Verwaltung mit dem Gut- achter gründlich erörtert habe. Aus den genannten Gründen stelle es eine Illusion dar, jetzt so zu tun, als ob aus dem Projekt noch ausgestiegen werden kann. Sollten sich die Projektpartner über einen Projektausstieg einig sind, müssten diese über die Konsequenzen reden (Übernahme der bereits angefallenen Kosten/was ge- schieht weiter?).

Anschließend moniert der Oberbürgermeister, dass das von StR Rockenbauch aus dem Gutachten erfolgte Zitat nicht vollständig war (Seite 8, 4 Absatz dieses Proto- kolls). StR Rockenbauch habe zitiert: "Denn zusätzlich setzt sich die Begründung mit keinem Wort damit auseinander, dass der Gemeinderat bereits im Zusammenhang mit der Billigung der Finanzierungsvereinbarung vom 02.04.2009 in seiner Sitzung vom 29.07.2009 etwaige Mehrkosten, die über die bisherige Vertragslage hinaus- gehen, in den Blick genommen und beschlossen hat." Anschließend habe StR Rockenbauch abgebrochen. Im Gutachten gehe es aber wie folgt weiter: "…, im Rahmen des rechtlich Zulässigen einen Bürgerentscheid oder aber zumindest eine Bürgerbefragung über die weitere Mitfinanzierung des Projekts „Stuttgart 21“ durch- führen zu wollen;" (s. Anlage 2 der GRDrs. 318/2015, Ziffer 2 e, zweiter Absatz). Mit dem unvollständigen Zitat habe StR Rockenbauch suggeriert, dass die Mehrkosten bereits beschlossen seien.

Vom Gutachter wird in Erinnerung gerufen, in der Begründung seiner Entscheidung zum ersten Bürgerbegehren habe das Verwaltungsgericht angemerkt, das Bürger- begehren verstoße gegen vertragliche Bindungen der Stadt Stuttgart. Im Rahmen des heute zur Beratung stehenden dritten Bürgerbegehrens habe man sich auf den gesetzlich vorgesehenen Notausstieg aus einem Vertrag besonnen, nämlich auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage. Er bleibe dabei, dass das Begehren ein rechtswi- driges Ziel verfolgt, da die Voraussetzungen für den Wegfall der Geschäftsgrund- lage nicht gegeben seien.

Kritisiert wird von StR Rockenbauch der vom Gutachter angesprochene Punkt, dass für eine vollumfängliche Begründung des Bürgerbegehrens der Hinweis im Begeh- ren fehlt, dass der Gemeinderat bei eventuellen Mehrkosten einen Bürgerentscheid im Jahr 2009 vorgesehen hat. Er sei davon ausgegangen, dass Herr Prof. Kirchberg nach der letzten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof solche "formale Spie- lereien" unterlässt. Der Gutachter treibe mit den von ihm genannten höchst umstrit- tenen Anforderungen an ein Bürgerbegehren die Hürden für solche Begehren für Bürger in einer unfreundlichen Art in die Höhe. Dies aufgreifend erklärt Herr Prof. Kirchberg, diese ungewöhnliche Situation, dass man sich nicht auf den Vertrag beruft, sondern auf die Möglichkeit, den Vertrag aufzukündigen/hilfsweise anzupas- sen wegen Wegfall der Geschäftsgrundlage, sei so ausdrücklich im Gesetz nicht vorgesehen. Solche Möglichkeiten des Ausstiegs aus einer vertraglichen Gestaltung würden sich jedenfalls nicht unmittelbar aus der GemO ergeben, sondern eben aus dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht. Gleichwohl vertrete er die Position, dass die im § 21 GemO, dort seien die Voraussetzungen von Bürgerbegehren/Bür- gerentscheiden im Einzelnen geregelt, enthaltene Sechswochenfrist auch einzuhal- ten ist. Es könne ja nicht sein, dass nach Wegfall der Geschäftsgrundlage - und dies sei ausdrücklich mit der Bekanntgabe der Kostenerhöhung um 2 Mrd. € zum Thema gemacht worden - in einem unübersehbar langen Zeitraum die Möglichkeit besteht, dann, wenn es einer Seite politisch opportun erscheint, im Nachhinein die Notbrem- se zu ziehen. Dies wäre wiederum eine Verletzung des Grundsatzes der Vertrags- bindung und der Vertragstreue. Dazu gehöre auch, dass die Beteiligten dann, wenn sie tatsächlich der Meinung sind, dass es eine grundlegende Veränderung der Ver- hältnisse gegeben hat, auch vergleichsweise rasch darauf reagieren müssen. Hier liege die Bezugnahme auf die Sechswochenfrist, wie sie in § 21 Abs. 4 GemO vor- gesehen ist, durchaus nahe.

Dass der Verwaltungsgerichtshof in seinem aktuellen Urteil vom 21.04.2015 die von- seiten der Stadt geltend gemachten Mängel der Begründung des zur Debatte ste- henden Bürgerbegehrens nicht für durchschlagend gehalten habe, treffe zu. Aber Einigkeit bestehe sicherlich darüber, dass jedes Bürgerbegehren anders begründet wird. Aus der Zurückweisung der Einwendungen der Stadt Stuttgart gegen die Be- gründung des zweiten Bürgerbegehrens könne nicht darauf geschlossen werden, dass auch im vorliegenden Fall entsprechende Einwendungen zurückgewiesen werden.

Im weiteren Verlauf hebt StR Stopper hervor, StR Rockenbauch gehe es im Kern um den Vorwurf, dass die Bahn betrogen hat. Dieser Vorwurf könne gesehen wer- den, allerdings habe dies nichts mit dem Bürgerentscheid zu tun. Dieser Vorwurf lasse sich letztlich nur vor Gericht klären. Daraus resultierend sei eine Ablehnung des Bürgerbegehrens erforderlich. Dies wünschten sich doch wohl auch die Initiato- ren, um anschließend den Aspekt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage auf juristi- schem Weg prüfen zu lassen. Es sei denn, der Gemeinderat mache sich diesen Vorwurf zu eigen und bereite selbst eine Klage vor. Vor einer solchen juristischen Auseinandersetzung warnt er. Es sei alles andere als klar, dass die Bahn an irgend- einer Stelle betrogen hat. Die Politik sei stets tief in die Vorgänge involviert gewe- sen. Zu belgen, die eine Seite habe betrogen und die andere sei ahnungslos gewe- sen, werde nicht einfach sein. Seine Fraktion sei in Sachen Betrugsvorwurf zurück- haltend, aber die Projektgeschichte werde durchaus sehr kritisch gesehen, was auch viel mit Politik und nicht nur mit der Bahn zu tun habe.

Zu bedenken gegeben wird erneut durch StR Rockenbauch, die Position des Gut- achters (Bürgerbegehren ist auf ein rechtswidriges Ziel gerichtet, da die Geschäfts- grundlage nicht entfallen ist) unterscheide sich wesentlich von der Verwaltungsvor- lage (Bürgerbegehren ist schon alleine aufgrund des Aspekts der Vertragstreue rechtswidrig). Es sei eine politische, aber keine rechtliche Auffassung, dass die Geschäftsgrundlage nicht entfallen sei. Zu einer realen Betrachtung von S 21 im Jahr 2009 gehörten auch gewisse Leistungsversprechen. Heute bestehe darüber Kenntnis, dass diese vielleicht rein rechnerisch, aber nicht real (z. B. Fahrplan) um- zusetzen sind. In Sachen Leistungsfähigkeit von S 21 hätten sich neue Erkenntnisse hin zum Negativen ergeben. So sei mittlerweile gutachterlich bestätigt, dass die An- tragstrasse des Jahres 2009 nicht machbar sei, ohne das Rückgrat des Stuttgarter Nahverkehrs, die S-Bahn, erheblich zu beeinträchtigen. Zudem habe im Jahr 2009 der Brandschutz keine Rolle gespielt. Wenn ein Gemeinderat Entscheidungen be- züglich des Gemeinwohls treffe, seien die Gesamtkosten des Projekts relevant. Schwierig sei bezogen auf die Sprechklausel zu erklären, dass die Stadt von Mehr- kosten nicht betroffen ist.

Weiter betont er erneut, der Projektträger, die Bahn, habe nach 2009, nach der Ent- scheidung des Gemeinderats zur Finanzierungsvereinbarung, die Projektkosten künstlich niedriggerechnet, um nicht Gefahr zu laufen, dass eine Kündigung erfolgt. Nur die Bahn habe damals über die Informationen zu Mehrkosten verfügt. Aus einer Überprüfung des baden-württembergischen Innenministeriums unter dem damaligen Ministerpräsidenten Oettinger seien mittlerweile Stellungnahmen bekannt geworden, die besagten, dass die Verwaltung die offiziellen Zahlen der Bahn angezweifelt hat. Unter anderem stehe in diesen Unterlagen, dass es in punkto des Verhaltens der SPD bedenklich wäre, wenn vor dem 10.12.2009 die SPD darüber Kenntnis erhält, dass die Gesamtkosten bei eher 6,5 Mrd. € und nicht bei 4,5 Mrd. € liegen. Diese Beweise habe die derzeitige rot-grüne Landesregierung herausgefunden. Klar sei auch gewesen, dass es sich bei der Summe von 900 Mio. € um eine Luftnummer handelt. Er fragt, um Klarheit über die Geschäftsgrundlage im Jahr 2009 zu erhalten, die Stadträte Kotz und Körner, ob sie dies bestätigen können. Allein die von Herrn Prof. Kirchberg angesprochene Vorkehrung des Gemeinderats für Mehrkosten stelle doch keine Aussage über die Geschäftsgrundlage dar. Diese Vorkehrung sei im treuen Glauben getroffen worden, dass das Projekt für 4,5 Mrd. € (inklusive Kosten- puffer von 1,5 Mrd. €) realisiert werden kann. Der Beschluss zur Finanzierung habe im Glauben des riesigen 1,5 Mrd. € umfassenden Kostenpuffers einfach getroffen werden können. Damals sei doch nicht billigend die nun bekannte Kostenexplosion in Kauf genommen worden. In Kenntnis davon, dass der Kostendeckel bereits 2009 überschritten war, wäre dieser Beschluss mit der Inaussichtstellung eines Bürgerent- scheids/einer Bürgerbefragung nicht zustande gekommen. Dies zeige, dass die Ge- schäftsgrundlage, von der damals der Gemeinderat ausgegangen sei, nicht zutref- fend war.

Nach Einschätzung von Herrn Prof. Kirchberg wird teilweise in der Aussprache ver- sucht, zwischen seiner Begutachtung und der Verwaltungsvorlage einen Wider- spruch zu konstruieren. Daher erkläre er in aller Deutlichkeit, dass er als Gutachter zu der Meinung gelangt sei, dass sich das Bürgerbegehren auf ein rechtswidriges Ziel richtet, da die Voraussetzungen für den Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht vorliegen und weil es darüber hinaus noch zusätzliche Aspekte der Zulässigkeit ge- be, die gegen dieselbe sprechen (Sechswochenfrist, Begründung). Zwischen dem Gutachten und der Vorlage sei die einzige Differenz, dies klinge im Gutachten be- reits an, die Frage, ob man die von den Initiatoren des Bürgerbegehrens ausdrück- lich gewünschte Aufkündigung der entsprechenden Finanzierungsvereinbarungen wegen einer grundlegend neuen Sachlage wohlwollend interpretieren könnte als "immer mindestens Anpassung im Sinne von ergänzenden Vertragsverhandlungen". Dies habe er im Gutachten offen gelassen, und in der Verwaltungsvorlage sei dies eine Spur prononcierter im Sinne der in der Begutachtung angeführten rechtlichen Bedenken gegen die Zulässigkeit dieses Bürgerbegehrens angesprochen worden.
Weiter erinnert Herr Prof. Kirchberg, der Tenor des Bürgerbegehrens laute, soll die Stadt Stuttgart ihre Mitgliedschaft im Projekt S 21 förmlich beenden, indem sie den Finanzierungsvertrag vom 02.04.2009 und ihm vorangehende Projektverträge gege- nüber den Vertragspartnern wegen einer grundlegend neuen Sachlage kündigt. Es werde also nicht geltend gemacht, man solle sich gegenüber den Vertragspartnern auf die Nichtigkeit der entsprechenden Vereinbarungen berufen, weil diesen ein Be- trug zugrunde liege, oder die Stadt Stuttgart solle gegen die Vertragspartner vorge- hen mit der Anfechtung der Arglist, um diese Verträge aus der Welt zu schaffen.

Im weiteren Verlauf der Begehrensbegründung werde die einschlägige Norm des
§ 60 VwVfG ausdrücklich genannt. Angesichts des Versuchs, eine Differenz zwi- schen der Verwaltungsvorlage und seinem Gutachten herzustellen, wolle er den ent- sprechenden Satz des § 60, Abs. 1, Satz 1 VwVfG zitieren: "Haben sich die Verhält- nisse, die für die Festsetzung des Vertragsinhalts maßgebend gewesen sind, seit Abschluss des Vertrages so wesentlich geändert, dass einer Vertragspartei das Festhalten an der ursprünglichen vertraglichen Regelung nicht zumutbar ist, so kann diese Vertragspartei eine Anpassung des Vertragsinhalts an die geänderten Verhält- nisse verlangen oder, sofern eine Anpassung nicht möglich oder einer Vertragspar- tei nicht zuzumuten ist, den Vertrag kündigen". Diese Vorschrift bedürfe der Ausle- gung. Jurisprudenz sei keine Naturwissenschaft, sondern eine Wertungswissen- schaft. Dies bedeute, das Ergebnis dieser Auslegung könne nicht ausgerechnet werden, sondern erforderlich sei, sich auf Präjudizien, auf Erfahrungstatsachen, auf Kommentierungen und Ähnliches zu beziehen. Darüber hinaus habe man es mit demjenigen zu tun, was man im öffentlichen Recht die unbestimmten, aber be- stimmbaren Rechtsbegriffe nennt (maßgebend, zumutend, wesentlich). Er sei zu dem Ergebnis gekommen, auch unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechts- prechung, dass eine Situation, in der der maximal avisierte Kostenrahmen von ca. 4,5 Mrd. € überschritten werden könnte, sowohl in der Finanzierungsvereinbarung als auch bei der Billigung dieser Finanzierungsvereinbarung durch den Gemeinderat ins Kalkül gezogen worden sei. Dem könne nicht entgegengehalten werden, dass man nie davon ausgegangen sei, dass dieses eintritt bzw. dass man davon ausge- gangen sei, dass mit 4,5 Mrd. € der Rahmen wirklich ausgeschöpft sei. Wenn man dieses getan hätte, wäre es nicht zu der Sprechklausel gekommen. Und insbeson- dere wäre es nicht zu der Beschlussfassung des Gemeinderats gekommen, dass, wenn wider Erwarten die 4,5 Mrd. € nicht ausreichen, die Frage mit der Öffentlich- keit nochmals verhandelt werden muss.

Mit Nachdruck unterstreicht StR Kotz nochmals, bei der Stadt seien keine Forderun- gen auf Übernahme von Mehrkosten angekommen. Daher gebe es auch diesbezüg- lich keine Diskussion und keine Änderung der Geschäftsgrundlage. Wenn die Stadt mit mehreren Partnern (Land, Bahn) ein Projekt verfolge und die Partner erklärten, sie würden gegebenenfalls Mehrkosten übernehmen, ändere sich die städtische Ge- schäftsgrundlage nicht. Die Stadt werde selbstverständlich ihren vertraglich zuge- sicherten Finanzierungsanteil liefern. Von ihm wird der Umgang von StR Rocken- bauch mit städtischen Partnern, genannt werden die Bahn, die EnBW und die LBBW, gerügt.

Durch den Vorsitzenden wird abermals daran erinnert, dass im Jahr 2009 beim Ab- schluss des Finanzierungsvertrags lediglich eine kurze Ausstiegsfrist, nämlich bis Ende 2009, formuliert wurde. Damals hätte jeder Vertragspartner eine längere Frist fordern können. Dies sei aber nicht geschehen. Offensichtlich habe das Gefühl vor- geherrscht, dass trotz aller in der Finanzierungsvereinbarung und in den Vorverträ- gen genannten Zahlen, sollte es doch zu Mehrkosten kommen, eine Regelung erfol- gen muss (Sprechklausel). Gesehen werden müsse, dass alle Partner mit übergro- ßen Mehrheiten den Verträgen zugestimmt haben. Dies sei die politische, aber auch die rechtliche Geschäftsgrundlage. Die Überprüfung, wenn man den Volksentscheid 2011 als Überprüfung ansehen möchte, habe auf der Basis strittiger Zahlen erge- ben, das Projekt weiterzuführen. Entscheidend sei für ihn die Frage - dies habe auch mit der Zuverlässigkeit von Demokratie zu tun -, wie häufig politisch getroffene Beschlüsse infrage gestellt werden können. Das Projekt S 21 habe viele Hürden ab- solviert. Er sage dies als jemand, der in der Vergangenheit eine sehr distanzierte und ablehnende Haltung zu S 21 eingenommen hat, aber er könne und wolle nicht erklären, es sei Aufgabe der Verwaltung, Mehrheitsentscheidungen dauernd zu de- legitimieren. Wenn er damit beginnen würde, würde er die demokratischen Grund- lagen untergraben, die schon darin bestünden, das nach Abwägungsprozessen eine Mehrheit entscheidet. Die politische Geschäftsgrundlage von S 21 seien mehrfache Abstimmungen, bei denen die Mehrheiten sich für S 21 ausgesprochen haben. Mittlerweile sei das Projekt im Bau. Vor diesem Hintergrund sehe er es als Aufgabe der Verwaltung an, schnell und mit Bürgerbeteiligung weiter zu planen, wie frei wer- dende Flächen in Zukunft genutzt werden können.

Im Verlauf der Aussprache äußern sich StR Dr. Oechsner, StR Stopper und StR Körner zustimmend zu dem von StR Rockenbauch zu Beginn dieses Tagesord- nungspunktes gestellten Vertagungsantrag. OB Kuhn erklärt gegenüber StR Kotz, eine Vertagung würde zu keinen Fristproblemen führen.

Weitere Vorgehensweise

Nachdem der Oberbürgermeister den Ausschuss darüber informiert, Herr Prof. Kirchberg könne die erste Sitzung des Gemeinderates nach der Pfingstpause am 18.06.2015 nicht wahrnehmen, schlägt er für die abschließende Behandlung der GRDrs 318/2015 folgende Termine (KW 27) vor:
- Vorberatung Verwaltungsausschuss am 01.07.2015
- Beschlussfassung Gemeinderat am 02.07.2015.

Zu seinem weiteren Vorschlag, an diesen Terminen zudem das vierte Bürgerbegeh- ren mit dem Thema „Kapazität des Tiefbahnhofs“ zu behandeln, erklärt Herr Prof. Kirchberg, er stehe für die Ausarbeitung des Gutachtens für dieses Bürgerbegehren erst ab dem 15.06.2015 (KW 25) zur Verfügung. Da er aber bereits Vorarbeiten geleistet habe, könne seine gutachterliche Äußerung im Verlauf dieser Woche (KW 25) vorgelegt werden.

Danach stellt OB Kuhn fest, dass sich aus dem Verwaltungsausschuss keine Ein- wendungen dazu ergeben, dass der Verwaltungsausschuss in seiner Sitzung am 01.07.2015 und der Gemeinderat in seiner Sitzung am 02.07.2015 über die Zuläs- sigkeit des im Betreff genannten Bürgerbegehrens und über die Zulässigkeit des vierten Bürgerbegehrens entscheiden.

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