Landeshauptstadt Stuttgart
L/OB-K
Gz: 0336-00
GRDrs 1218/2021
Stuttgart,
11/08/2021



Haushalt 2022/2023

Unterlage für die 1. Lesung des Verwaltungsausschuss zur nichtöffentlichen Behandlung am 15.11.2021



Videoaufzeichnungen von allen Gemeinderatssitzungen machen und veröffentlichen!

Beantwortung / Stellungnahme

Ein hoher Standard und Qualitätsanspruch sollte auch bei Livestreamings und Videoaufzeichnungen von Gemeinderatssitzungen der Landeshauptstadt Stuttgart das maßgebliche Leitmotiv sein. Nur so kann das Ziel erreicht werden, dass möglichst viele Bürgerinnen und Bürger von diesem Angebot auch Gebrauch machen. Dass die Landeshauptstadt ein Bild mit einem leeren Rednerpult und einer Stimme aus dem „Off“ überträgt, würde diesem Selbstverständnis widersprechen.

Gemeindeordnung und Datenschutzrechtliche Aspekte

Eine zulässige Videoaufzeichnung (mit Ton) aus einer Sitzung des Gemeinderats und das Einstellen dieser Aufzeichnung ins Internet setzt zunächst voraus, dass der Oberbürgermeister als Vorsitzender des Gemeinderats dieser Aufzeichnung in Ausübung seines Rechts, Ablauf und Ordnung der Sitzungen zu gestalten, überhaupt zulässt; er ist zu einer Zulassung nicht verpflichtet.

Die Videoaufzeichnung stellt nach der derzeitigen Rechtslage eine Datenverarbeitung durch die Gemeinde dar. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um eine Bild- und Tonübertragung oder lediglich eine Tonübertragung handelt. Beides ist derzeit nur mit Einwilligung der betroffenen Personen zulässig. D.h. sofern der Oberbürgermeister die Videoaufzeichnung grundsätzlich gestattet, müssen alle an den Sitzungen beteiligten Personen, also insbesondere Mitglieder des Gemeinderats, der Oberbürgermeister und die Beigeordneten über die Übertragung aufgeklärt werden und zur Aufnahme ihrer Person (in Bild und/oder Ton) in zulässiger Weise vorab schriftlich ihre Zustimmung erteilen. Ohne vorherige schriftliche Zustimmung darf eine Aufzeichnung der betroffenen Person nicht erfolgen. Insofern hat die Einschränkung des Bildausschnittes auf das Rednerpult nur Auswirkungen auf den damit verbundenen technischen Aufwand. Wenn eine Person nicht im Bild ist, aber zu hören, ist sie dennoch erkennbar – zumal für eine barrierefreie Nutzung der Videoaufzeichnungen eine Untertitelung erforderlich ist.

Nach Ansicht des Landesdatenschutzbeauftragten können Mitarbeitende der Gemeinde - mit Ausnahme besonders hervorgehobener Führungskräfte - nicht in Videoaufzeichnungen von Gremiensitzungen einwilligen, da eine freiwillige Einwilligung von Gemeindemitarbeitenden, etwa des Sitzungsdienstes, auf Grund ihres Dienst- bzw. Arbeitsverhältnisses nicht möglich ist. Als besonders hervorgehobene Führungskräfte wären dabei in Stuttgart nur Beigeordnete und Referatsleiter sowie ggf. weitere Führungspersönlichkeiten der Verwaltung anzusehen; dies müsste im Detail mit dem Landesdatenschutzbeauftragten abgeklärt werden.

Diese Einschränkung für Mitarbeitende gilt entsprechend auch für Personen, die nicht der Verwaltung angehören und die in einer Gemeinderatssitzung zum Beispiel als externe Gutachter, Sachverständige oder Berater auftreten. Auch hier wird aufgrund des bestehenden oder angestrebten Vertragsverhältnisses eine freiwillige Einwilligung als nicht möglich angesehen. Mitarbeitende und Externe müssten also von der Aufzeichnung ausgeschlossen sein bzw. später aufwendig gelöscht oder geschwärzt werden.

Weiterhin darf keine Aufzeichnung von Sitzungsteilen erfolgen, in denen personenbezogene Daten im Sinne der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und des Landesdatenschutzgesetzes Baden-Württemberg zur Sprache kommen. Die Offenbarungsbefugnis des § 35 der Gemeindeordnung für Baden-Württemberg bezieht sich ausschließlich auf die Saalöffentlichkeit im Rahmen einer Sitzung. Die Videoaufzeichnung müsste bei entsprechenden Punkten dann entweder unterbrochen werden oder die personenbezogenen Daten müssten mit erheblichem Aufwand anonymisiert werden.

Zu berücksichtigen ist darüber hinaus, dass eine erteilte Einwilligung jederzeit ohne Angabe von Gründen auch für einzelne Passagen und bei Aufzeichnungen zudem auch nachträglich - auch außerhalb einer 24 bzw. 48 Stunden dauernden Einspruchsfrist - widerrufen werden kann.

Aufgrund dieser geschilderten Rahmenbedingungen ist die im Antrag vorgesehene reine Einspruchslösung nicht ausreichend.

Aus Sicht der Verwaltung kommt eine generelle Videoaufzeichnung von Sitzungen des Gemeinderats nur dann überhaupt in Betracht, wenn (beinahe) alle Mitglieder des Gemeinderats, der Oberbürgermeister, alle Beigeordneten und Referatsleiter grundsätzlich bereit sind, in eine solche Aufzeichnung schriftlich einzuwilligen. Sollten nicht beinahe alle Beteiligten einwilligen, würde sich eine Verzerrung der Diskussion im Gemeinderat ergeben, so dass sich die Frage stellt, ob der Oberbürgermeister eine solche eingeschränkte und verzerrende Videoaufzeichnung überhaupt zulassen würde.

Selbst wenn (beinahe) alle der im vorstehenden Absatz genannten Personen einer Aufzeichnung und Bereitstellung von Gremiensitzungen im Internet für die Dauer einer Wahlperiode bzw. Amtszeit grundsätzlich zustimmen würden, wären neben den oben genannten rechtlichen, insbesondere datenschutzrechtlichen Aspekten auch zahlreiche technische Aspekte zu berücksichtigen. Wie eingangs beschrieben, müsste die Umsetzung in der Landeshauptstadt Stuttgarter so erfolgen, dass sie notwendigen Qualitätsansprüchen genügt.

In einem ersten Schritt wäre zunächst festzustellen, ob (nahezu) alle Mitglieder des Gemeinderats bereit sind, grundsätzlich in eine Videoaufzeichnung einzuwilligen. Dies muss in einer die freie Entschließung nicht beeinträchtigenden Art und Weise erfolgen. So könnte zunächst in einer geheimen Abstimmung im Gemeinderat anonym die Bereitschaft, eine grundsätzliche Einwilligung zu erteilen, abgefragt werden. Sollte hierbei eine überwältigende Mehrheit die Frage mit Ja beantworten, könnte sodann an jeden Gemeinderat eine schriftliche Einwilligungserklärung unter Zusicherung der Vertraulichkeit der Rückmeldung versandt werden. Je nach der Zahl der dann tatsächlich in schriftlicher Form erteilten Einwilligungen wäre es dann am Oberbürgermeister, zu entscheiden, ob unter den dann gegebenen Voraussetzungen eine Zulassung seinerseits erfolgt. Sichergestellt werden muss, dass kein öffentliches An-den-Pranger-Stellen derjenigen Mitglieder des Gemeinderats erfolgt, die keine Einwilligung erteilen. Zudem wäre nach jeder Neuwahl des Gemeinderats aufs Neue abzuklären, ob eine Einwilligung erteilt wird.

Sitzungsverlauf und Wortbeiträge:

Eine Kameraperspektive, welche auf das Rednerpult ausgerichtet ist, hat auch Auswirkungen auf die Wortbeiträge der Gremienmitglieder. Die eingeübte Praxis während der Generaldebatten, dass Redebeiträge vom Rednerpult gehalten werden, greift in regulären Sitzungen des Gemeinderates nicht. Üblicherweise werden die Wortbeiträge vom Platz des jeweiligen Gremienmitglieds aus eingebracht. Dies hat zur Folge, dass den Zuschauern während des Wortbeitrags eines Stadtrates oder einer Stadträtin nur das leere Rednerpult eingeblendet wird.

Dem könnte abgeholfen werden, indem die Wortbeiträge grundsätzlich am Rednerpult gehalten werden. Dies hätte jedoch Auswirkungen auf die Sitzungsdauer und die Debattenkultur an sich.

Unkenntlichmachung / Löschung

Der Antrag sieht für Mitglieder des Gemeinderats die Möglichkeit einer Einspruchsfrist innerhalb von 24 bzw. 48 Stunden nach Ende der Sitzung vor. Die bei Nutzung der Möglichkeit bestehende Pflicht zur Unkenntlichmachung und Anonymisierung gilt entsprechend für Wortbeiträge von Mitarbeitern und Externen, die nicht eingewilligt haben oder gar nicht wirksam einwilligen können. Dies zieht einen erhöhten Aufwand nach sich, welcher in den Personalbedarfen und Kosten für die externen Dienstleister berücksichtigt ist.

Diese Unkenntlichmachung bzw. Anonymisierung selbst erfordert ein Zeitfenster für die Umsetzung, welches aktuell nicht beziffert werden kann, den geplanten Zeitpunkt der Veröffentlichung nach 24 bzw. 48 Stunden jedoch verzögern kann.

Darüber hinaus müsste die erforderliche Löschung von Wortbeiträgen mit personenbezogen Daten bzw. die Anonymisierung dieser Daten in rechtlich unangreifbarer Weise vorgenommen werden, was einen erheblichen Arbeits- und Zeitaufwand mit sich bringt und ebenfalls zu einer Verzögerung der Bereitstellung führen kann.

Umfang der Aufzeichnung

Mit Bild und Ton werden die wesentlichen Inhalte der Akteure einer Sitzung wiedergegeben. Um dem in der Begründung genannten Transparenzprinzip Rechnung zu tragen, müssten jedoch auch die im Sitzungssaal auf Leinwand dargestellten Präsentationen in die Videoaufzeichnung integriert werden. Dabei ist der Urheber- und Datenschutz zu gewährleisten. Dies erhöht den zeitlichen Aufwand an Vorbereitung, Organisation und Schnitt und ist in der nachfolgenden Hochrechnung für notwendiges Personal noch nicht berücksichtigt.

Allgemeiner Personalbedarf innerhalb der Stadtverwaltung

Die Verwaltung kalkuliert bei ca. 20 Sitzungen im Jahr mit einem Personalaufwand bei L/OB-K, dem Sitzungsdienst von 10-1 und der Abteilung 10-2 von hochgerechnet 0,26 Stellen.

Technische Umsetzung, Organisation und Kosten

Welche Auswirkungen die Produktion aller Gemeinderatssitzungen auf den Workflow innerhalb der Verwaltung, aber auch für den Ablauf der Gemeinderatssitzungen hat, muss konzeptionell geklärt werden. Dabei müssen z.B. Fragen beantwortet werden, wie mit Präsentationen bzw. Vorträgen Dritter sowie dem Schutz von Persönlichkeitsrechten externer wie interner Redner umgegangen wird.

Auch die Einspruchsfrist von 24 bzw. 48 Stunden führt zu einem hohen Koordinationsaufwand innerhalb der Verwaltung und zu einem Kostenaufwand bei dem externen Dienstleister hinsichtlich Schnitt und Postproduktion.

Inwieweit die neue Medientechnik im Großen Sitzungssaal für eine kontinuierliche Videoaufzeichnung und das Einspielen von Bauchbinden geeignet ist, muss eruiert werden. Für die Bedienung der Kameras, Ton und Bildmischer muss ein externer Dienstleister beauftragt werden, ebenso für die Erstellung von Untertiteln. Sollten Gebärdensprachdolmetscherinnen und Gebärdendolmetscher eingesetzt werden, würde auf jeden Fall eine zusätzliche Kamera benötigt.

Ausgehend von 20 Gemeinderatssitzungen, die alle im Nachgang untertitelt werden, davon 6 Sitzungen mit jeweils zwei Gebärdensprachdolmetscherinnen und Gebärdendolmetscher, ist mit folgenden Kosten zu rechnen:

Aufwand pro SitzungGesamtaufwand bei 20 Sitzungen
Produktion/Bedienung der Technik vor Ort (Kamerabedienung und -führung, Bildmischer für Einblenden der Bauchbinden, Ton, Videomitschnitt im geeigneten Format) durch externe Dienstleister 2.200 € 44.000 €
Schnitt und Postproduktion durch externen Dienstleister 900 € 18.000 €
Untertitelung im Nachgang durch externen Dienstleister: 2.500 € 50.000 €
Einsatz von zwei Gebärdensprachdolmetschern bei 1/3 der Sitzungen inkl. erforderlicher Technik 1.700 € 11.900 €
Zwischensumme
123.900 €
abzüglich vorh. HH-Mittel aus DHH 2020/2021- 40.000 € -40.000 €
zusätzlicher Finanzaufwand
83.900 €

Fazit der Verwaltung

Angesichts des erheblichen Aufwandes und des Umstandes, dass in Baden-Württemberg Stand heute keine vereinfachten Regelungen für die Medienöffentlichkeit im Internet durch den Gesetzgeber geschaffen worden sind, ist es aus Sicht der Verwaltung derzeit nicht sinnvoll, in die generelle Videoaufzeichnung und die Bereitstellung im Internet einzusteigen. Vielmehr sollte an der aktuell bestehenden Praxis der Videoübertragung von besonders wichtigen Schwerpunktsitzungen festgehalten werden.

Gerade auch angesichts der Umstände, dass
1. der Landesdatenschutzbeauftragte ein Archiv für vergangene Sitzungen für bedenklich hält,
2. die derzeitige Umsetzung einen erheblichen Aufwand mit sich bringen würde,
3. die die Landesregierung tragenden Koalitionsfraktionen im grün-schwarzen Koalitionsvertrag „Jetzt für Morgen. Der Erneuerungsvertrag für Baden-Württemberg“ (vgl. S. 95) nunmehr planen, eine Rechtsgrundlage schaffen, damit die öffentlichen Sitzungen von Gemeinderäten, Kreistagen und Regionalversammlungen offen im Internet übertragen werden können,
schlägt die Verwaltung vor, eine gesetzliche Neuregelung seitens des Landes abzuwarten. Es ist zu erwarten, dass sich der Aufwand für die beantragten Videoaufzeichnungen durch die geplanten rechtlichen Erleichterungen reduzieren wird.



Vorliegende Anträge/Anfragen

908/2021 Die FrAKTION




Dr. Frank Nopper
Oberbürgermeister




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