Protokoll: Verwaltungsausschuss des Gemeinderats der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
TOP:
433
43a
VerhandlungDrucksache:
GZ:
Sitzungstermin: 19.07.2023
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Dr. Nopper
Berichterstattung:-
Protokollführung: Frau Schmidt th
Betreff: Allgemeinverfügung gegen Klimaproteste: Was hat sich an der Einschätzung der Verwaltung seit März
geändert?
Antrag Nr. 206/2023 der Gemeinderatsfraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN und Frau Stadträtin Yüksel vom 07.07.2023

Der im Betreff genannte Antrag ist dem Originalprotokoll sowie dem Protokollexemplar für die Hauptaktei beigefügt.


StR Winter (90/GRÜNE) erläutert und begründet den Antrag, worauf OB Dr. Nopper mit folgendem Statement antwortet:

"Zur Klarstellung vorab: Es gibt zwei Säulen der Kommunalverwaltung: Es gibt eine hoheitliche Säule und es gibt eine Selbstverwaltungssäule. Bei der Frage der in Rede stehenden Allgemeinverfügung geht es um eine hoheitliche Angelegenheit und nicht um eine Selbstverwaltungsangelegenheit. Dies scheint nicht jedem in diesem Raum klar zu sein. Da für hoheitliche Angelegenheiten allein die Verwaltung zuständig ist, berichten wir in diesem Ausschuss gerne wunschgemäß. Eine gemeinderätliche Entscheidungszuständigkeit gibt es allerdings definitiv nicht. Klimakleber gefährden sich und andere, sie gefährden sogar Rettungseinsätze. Wir können, dürfen und werden es nicht zulassen, dass unsere Straßen unangemeldet nach dem Gutdünken Einzelner blockiert werden - völlig unabhängig von der Frage, dass Klimaschutz ein ganz wichtiges Anliegen ist. Die Allgemeinverfügung schafft Klarheit und sie ermöglicht der Polizei, schnell zu handeln. Angemeldete Versammlungen und Demonstrationen zum Thema Klimaschutz bleiben von der Allgemeinverfügung unberührt und sind damit weiterhin möglich. Ich bin im Übrigen der Auffassung, dass Klimakleber nicht nur destruktiv und rücksichtslos sind und sie überdies zur Polarisierung und Radikalisierung unserer Gesellschaft beitragen. Ich bin auch der Auffassung, dass ihr Auftritt in Stuttgart in der Sache besonders unangebracht ist, weil Stuttgart in Sachen Klimaschutz besonders aktiv und engagiert ist. Gemeinderat und Verwaltung haben sich ein besonders ambitioniertes Klimaschutzziel gesetzt - bisher 2050, nunmehr 2035 - was einen enormen städtischen und gesamtgesellschaftlichen Kraftakt bedeutet. Die Anstrengungen der Stadt für Ausbau und Modernisierung von ÖPNV und SSB mit dem Ziel des Klimaschutzes sind mit einer ganz konkreten, milliardenschweren Investitionsoffensive verbunden; dies ist bundesweit selten, wenn nicht gar einzigartig. Bei den Stadtwerken werden wir uns viel stärker als bisher mit einer ersten Kapitalspritze in Höhe von 100 Mio. Euro mit dem Ziel des Klimaschutzes in ganz konkrete Ausbaumaßnahmen für erneuerbare Energien einsetzen. Der Verkehrsflughafen Stuttgart soll bis zum Jahr 2040 klimaneutral sein und weitgehend emissionsfrei betrieben werden. Hier engagieren sich Land und Stadt in einer Weise für den Klimaschutz am Flughafen und beim Flugverkehr, wie dies bundesweit sehr selten oder gar einzigartig sein dürfte. Ich empfehle deswegen Klimaklebern, in Sachen Klimaschutz klimawirksam und nicht nur medienwirksam tätig zu werden, zum Beispiel bei unseren städtischen Beteiligungsunternehmen oder im Handwerk - frei nach dem Motto: Runter von der Straße, rein in den aktiven Klimaschutz."

Jenseits des juristischen Aspektes habe OB Dr. Nopper das städtische Engagement umfassend gewürdigt, hält StR Winter fest. Die Menschen teilten in der Sache diese Ziele. Er halte allerdings den Weg des Dialoges für sinnvoll, ehe man "solche Dinge" mache, die man sich bei anderen Demonstrationen wie den Querdenkern auch gewünscht hätte.

OB Dr. Nopper erklärt, von den 40 Klimaklebern, mit denen man bei der großen Aktion konfrontiert gewesen sei, stammten lediglich drei aus Stuttgart. Er habe lange im Vorfeld gesagt, er spreche als Oberbürgermeister mit allen Bürgerinnen und Bürgern, aber Bedingungen lasse er sich nicht diktieren. Insofern halte er den Weg von Hannover für falsch.

Auf den Antrag Nr. 23/2023 seiner Fraktion verweist StR Kotz (CDU), der die Einführung der Allgemeinverfügung begrüßt. Ob sie rechtlich haltbar sei, werde nun geprüft. Bezüglich der Stilfrage stimmt er StR Winter zu, dass vor der Presse eine Information im Ältestenrat sinnvoll gewesen wäre.

StR Perc (SPD) erklärt, er halte die Aktionen der Klimakleber für wenig zielführend, aber auch, wenn die Zuständigkeit nicht beim Gemeinderat liege, wäre es hinsichtlich der Tragweite ein gutes Zeichen gewesen, diesen einzubinden. Die Gelegenheit einer Vorabinformation sei leider ebenfalls nicht genutzt worden. In der Sache selbst zeigt sich der Stadtrat verwundert über die geänderte Rechtsauffassung der Verwaltung. Diese habe dargelegt, dass der Münchener Weg für Stuttgart nicht passend sei. Nun finde eine einzige Aktion statt und plötzlich sei es verhältnismäßig, großflächig und über ein halbes Jahr eine Allgemeinverfügung zu erlassen. Diese Diskrepanz müsse erläutert werden.

Diese Allgemeinverfügung sei ein unnötiger, populistischer Alleingang am Gemeinderat vorbei, betont StR Rockenbauch (Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei). Sie liefere einen Beitrag zur Eskalation, und diese politische Wirkung habe der Rat mehrheitlich so beschrieben. Es sei das klare Zeichen gegeben worden, nicht diese Eskalation zu fahren, weil sie unnötig, wenig zielführend und in ihrer Verhältnismäßigkeit rechtswidrig sei. Es gebe deutlich mildere Mittel als einen der höchsten Werte des Grundgesetzes, die Versammlungsfreiheit, in dieser Art und Weise einzuschränken. Blockaden seien nicht per se Nötigungen, weswegen solche Versammlungen immer wieder von Gerichten unter die Schutzwirkung des Grundgesetzes gestellt worden seien. Es werde nun eine Gefährdung der Öffentlichkeit konstruiert, die für ein solches Verbot benötigt werde. Die Anordnung sei unverhältnismäßig und es finde keine Einzelfallabwägung mehr statt, weshalb er eine gerichtliche Überprüfung anstrenge.

StRin Schumann (PULS) schließt sich den Äußerungen der StRe Winter und Perc an. Als kritisch kennzeichnet sie ebenfalls die Kommunikation mit dem Gemeinderat. Des Weiteren müsse nochmals dargelegt werden, dass sich Verwaltungsparteiarbeit und Parteiarbeit im Rat "günstig ergänzen", was der Rat klar abgelehnt habe. Dies wirke als Wahlkampfunterstützung.

Das Gerichtsurteil wird von StR Dr. Oechsner (FDP) mit Spannung erwartet. Er wolle sich nicht einmischen, da es sich um Verwaltungshandeln handle.

StRin von Stein (FW) geht von juristischem Sachverstand in der Verwaltung aus und will ebenfalls auf die gerichtliche Feststellung warten.

Auf die Frage, was sich seit dem letzten Bericht am 01.03.2023 verändert hat, geht BM Dr. Maier ein, der erklärt, seitdem habe es mehrere Einzelaktionen am 08.06.2023, 28.06.2023 sowie am 01.07.2023 gegeben. Es sei erkenntlich gewesen, dass es sich nicht mehr um Spontanversammlungen, sondern geplante Ereignisse gehandelt habe, die deshalb als Versammlung angezeigt werden müssten. Das Ereignis am 01.07.2023 habe alles Zumutbare überschritten; es habe in der Stadt an neun Stellen massive Stausituationen gegeben und es sei nicht festzustellen gewesen, dass Rettungswege freigehalten werden konnten, weil es schlichtweg nicht mehr möglich gewesen sei. Die Gesamtsituation sei für die handelnden Aktivisten nicht mehr beherrschbar gewesen. In dieser Dimension dürfe dies nicht mehr passieren; das überschrittene Maß rechtfertige eine andere Beurteilung des Sachverhaltes auch in rechtlicher Hinsicht mit dem Ziel, der Polizei einen schnelleren Zugriff zu erleichtern. Dies habe zwei Effekte, zum einen werde die Straßenblockade früher aufgelöst, zum anderen könne das Ablösen von Zement und Klebstoff einfacher erfolgen, wenn die fünfzehnminütige versammlungsrechtliche Vorwarnzeit nicht mehr eingehalten werden müsse. Es habe die Situation gegeben, dass Rettungsmittel einschränkt worden sind. Die Bürgerinnen und Bürger würden somit in ihrem Recht auf eine schnelle Hilfeleistung beeinträchtigt, was nicht geduldet werden dürfe.

Man könne zum Schluss kommen, so StR Rockenbauch, dass eine einzige Aktion unverhältnismäßig sei und die öffentliche Sicherheit gefährde, aber damit allen anderen Aktionen pauschal die schützende Funktion des Versammlungsrechts zu nehmen, halte er nicht für akzeptabel. Dafür werde eine Einzelfallabwägung benötigt.



Mit der Bemerkung, die Verwaltung entscheide im Interesse der Sicherheit von Menschen, schließt OB Dr. Nopper den Tagesordnungspunkt ab.

zum Seitenanfang