Protokoll: Verwaltungsausschuss des Gemeinderats der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
TOP:
107
2a
VerhandlungDrucksache:
219/2015
GZ:
OB
Sitzungstermin: 25.03.2015
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Kuhn
Berichterstattung:der Vorsitzende
Protokollführung: Frau Faßnacht de
Betreff: Bewerbung Europäische Kulturhauptstadt 2025

Beratungsunterlage ist die Mitteilungsvorlage des Herrn Oberbürgermeisters vom 19.03.2015, GRDrs 219/2015. Sie ist dem Originalprotokoll sowie dem Protokoll- exemplar für die Hauptaktei beigefügt.

OB Kuhn schickt voraus, man habe gestern mit Kultursachverständigen über das Thema in einem breiten Konsens diskutiert. Nachdem es im regionalen Kontext Anträge gegeben habe, in denen zu einer Bewerbung aufgefordert wurde, habe er deutlich gemacht, er wolle zuerst, dass der Gemeinderat der Stadt Stuttgart darüber entscheidet, ob dies für die Landeshauptstadt überhaupt infrage kommt. Erst danach könne man weitere Gespräche aufnehmen über das "Wie". Manche im Regionalparlament seien damit nicht ganz zufrieden gewesen und hätten versucht, über die Öffentlichkeit dieses Vorhaben zu durchkreuzen.

Weiter begründet er die Haltung der Verwaltung im Sinne der Vorlage. Mit den Fraktionsvorsitzenden und mit den Kultursprechern der Fraktionen seien die Gründe für die Empfehlung, von einer Bewerbung als Europäische Kulturhauptstadt 2025 abzusehen, bereits erörtert worden. Besonders hervor hebt er folgende Botschaften: "Erstens, diese Botschaft ist für mich keine kulturresignative Botschaft, sondern im Gegenteil: Weil wir in eine Kulturoffensive kommen wollen, dürfen wir uns jetzt nicht verzetteln! Kultur ist und bleibt der Stolz des Bürgertums, und die Attraktivität unserer Stadt hängt auch daran, dass wir im Kulturbereich, und zwar von dem, was wir 'high culture' nennen würden bis zu allen anderen Formen der städtischen Kultur in der Gesamtheit. Zweitens, es ist auch keine Absage an regionale Kooperationen im Kulturbereich. Wir haben auf mein Betreiben hin die Gebühren, die wir für die Kulturregion bezahlen, von Null wieder hochgefahren. Die waren Opfer des Sparhaushalts 2009. Das haben wir jetzt im letzten Doppelhaushalt wieder angefahren. Und ich bin auch der Meinung, es ist richtig, in der Region beim Thema Kultur zu kooperieren. Weil es gibt viele kulturelle Projekte, Schätze, die zusammen beworben werden können. Deshalb, wenn ich Ihnen jetzt sage, lassen Sie uns diese Bewerbung nicht machen, dann ist das keine Absage an regionale Kooperation. Eines ist aber auch noch zu sagen, die Kultur ist nach der Gesetzeslage, und gelegentlich hilft ein Blick ins Gesetz ja immer, Kultur ist kommunale Angelegenheit. Die Kommunen und das Land. Die Region hat bislang keine Zuständigkeit bei der Kultur, sondern sie kann zwischen den Städten - das macht die Kulturregion, dafür muss man Geld bezahlen außerhalb der Umlage - gemeinsam Projekte machen in der kulturellen Kooperation. So ist die Lage. Und da muss man ansetzen. Das heißt, der Ansatzpunkt für mehr Zusammenarbeit in der Region ist, und da kann die Kulturregion als Initiative des Verbands natürlich auch die Federführung haben, die freiwillige Zusammenarbeit zwischen Städten auf dem Gebiet kultureller Kooperation. Das ist die Lage."

Abschließend merkt er an, bei der Fragestellung Internationale Bauausstellung in Verbindung mit der Bürgerbeteiligung Rosenstein, sehe es anders aus. Es könne gut sein, dass die Bürgerbeteiligung dort in ein IBA-Projekt mündet. Die Zeit diene auch dazu, entsprechende Themenstellungen zu finden. Man nehme generell regionale Kooperationsfelder gerne in Anspruch, doch im Fall Europäische Kulturhauptstadt aus den dargelegten Gründen nicht.

StR Kotz (CDU) bekräftigt die Ausführungen und Empfehlungen des Oberbürger- meisters ausdrücklich und stimmt der Vorlage zu. Er glaubt, die gute Leistung, die die Kulturschaffenden in Stuttgart bisher erbracht haben und von welcher die Stadt sehr stark profitiert, als Kommune besser unterstützen zu können, indem man die Kapazitäten und finanziellen Möglichkeiten auf diese Einrichtungen konzentriert.

StR Winter (90/GRÜNE) erklärt, nach langer und intensiver Beschäftigung mit diesem Thema könne seine Fraktion die Vorlage ebenfalls mittragen. Er begründet dies mit der gänzlich anderen Situation der Kultur in Stuttgart gegenüber früheren Kulturhauptstädten wie die Ruhr-Region oder Linz und Graz sowie der zeitlichen Schiene. Stuttgart habe eine sehr gut aufgestellte Kulturlandschaft, aber einen sehr hohen, über Jahre angestauten Investitionsbedarf im Bereich Sanierungen. Andere Dinge fehlen, wie ein Filmhaus oder Flächen für freie Theater. Neben der Sanierung der Oper sind aus seiner Sicht auch die Wagenhallen zu nennen, der Ausbau der Zuwendungen, um der strukturellen Unterfinanzierung einiger Bereiche anzugehen sowie langfristig anzugehende Projekte, insbesondere Lindenmuseum und die Sanierung der Konzerthäuser.

StR Perc (SPD) bedauert die Schlussfolgerung, zu welcher die Verwaltung in dieser Angelegenheit gekommen ist. Die SPD-Fraktion teile die Einschätzung von OB Kuhn nicht. Diese stelle eine Auflistung dar von Baumaßnahmen bis zum Jahr 2025, die korrekt dargelegt wurden, und verknüpfe diese mit der Bewerbung um die Europäi- sche Kulturhauptstadt 2025. Eine solche Verknüpfung ist seiner Ansicht nach nicht zwingend, weil Stuttgarts Kulturlandschaft bereits heute sehr gut aufgestellt ist, und somit nicht extra die Baumaßnahmen, die 2025 fertig werden, braucht für eine Be- werbung. Die sich ebenfalls bewerbenden Städte würden in ihrer Leistungsfähigkeit sicherlich nicht die Leistungsfähigkeit Stuttgarts übertreffen, zumal die Vielfältigkeit und Buntheit der Stuttgarter Stadtgesellschaft in diesem Umfeld einzigartig sei. Er bedauert, dass es zu keiner inhaltlichen Auseinandersetzung und Prüfung gekommen ist, und die Entscheidung nur auf baulichen und formalen Aspekten beruht.

Für SÖS-LINKE-PluS bekennt sich StR Rockenbauch eindeutig zur Vielfalt und Buntheit der Kulturlandschaft in Stuttgart, welche die Fraktionsgemeinschaft gerne fördern und verteidigen will. Man lehne jedoch einen Kulturbegriff ab, "bei dem ein Event das andere jagt, ein Festival auf das nächste folgt, und ein Großevent, möglichst international, das höchste der Gefühle ist". Das, was unter dem Begriff Kulturhauptstadt abgehandelt wird, die Notwendigkeit von repräsentativen Bauten etc., sei aus seiner Sicht eher eine Ablenkung von dem, was er unter der Förderung von Kultur versteht. Die Fraktionsgemeinschaft habe einen anderen Kulturbegriff. Sie spreche sich dafür aus, bei den anstehenden Haushaltsplanberatungen gemeinsam die Hausaufgaben zu machen bei den Projekten, die von den Vorrednern angesprochen wurden, vor allem aber auch, in die Förderung von Künstlern und Künstlerinnen zu investieren.

Der Vorlage stimmt er zu, und macht gleichzeitig deutlich, die Verkürzung von Baukultur auf internationale Bauausstellungen sei nicht das, was einer ökologischen und sozialen Stadtentwicklung entspricht. Es gehe auch dort nicht um repräsentative und touristisch attraktive Veranstaltungen, sondern auch bei der Baukultur gelte es, ökologisch und sozial in die Breite zu investieren, anstatt dies auf ein Quartier zu verengen.

Nach Ansicht von StRin von Stein (FW) braucht die Kultur sowohl Leuchttürme und herausragende Objekte, aber auch die Förderung in der Breite. Stuttgart sei mit diesem Konzept gut aufgestellt. So sei in den vergangenen Jahren schon sehr viel getan worden, damit die Kultur einen guten Stellenwert hat, den die Freien Wähler erhalten wollen. Die von OB Kuhn vorgetragenen Argumente trage man mit. Was die IBA angeht, so sei dies ein Projekt, das sich entwickeln kann.

StR Klingler (AfD) vertritt die Meinung, es wäre reizvoll und hätte eine sehr große Werbewirkung, Europäische Kulturhauptstadt zu sein. Angesichts der hohen Investitionen, die allein für die Bewerbung notwendig sind, der geringen Förderung durch die EU und in Anbetracht der Mitbewerber - denen Stuttgart seines Erachtens nicht zwingend überlegen ist - gebe es jedoch zu viele Unwägbarkeiten. Kultur sei ein Standortfaktor, weshalb es wichtig sei, sowohl Highlights anzubieten als auch noch stärker als bisher kleinere Einrichtungen besser zu fördern. Angesichts des bekannten Sanierungsbedarfs in Stuttgarter Kulturstätten und dem Wunsch nach einem neuen, zusätzlichen Konzerthaus ("Schlossgarten-Philharmonie") benötige man die Gelder dort, sodass er die Ausführungen von OB Kuhn sowie die Vorlage selber mittrage. Der Stadtrat verweist außerdem auf viele Projekte, bei denen Stuttgart Marketing in Kooperation mit RegioMarketing hervorragend zusammenarbeitet.

StR Dr. Oechsner (FDP) schließt sich dem an. Es gelte, die anstehenden Aufgaben innerhalb von Stuttgart zu bewältigen, weshalb für ihn das Argument, dass man sich nicht verzetteln dürfe, am meisten zählt. Der Vorlage stimmt er zu.
Zur Klarstellung macht OB Kuhn darauf aufmerksam, dass die Auflistung von Vorhaben und die Phantasien, was zusätzlich noch gemacht werden könnte, alles sehr teure Projekte sind, die wünschenswert sind, und wo man sich gemeinsam, auch unter finanziellen Gesichtspunkten, noch überlegen müsse, was prioritär ist und was im Zeitfenster wann realisiert werden kann.

An StR Perc gewandt merkt er an, er teile nicht dessen Argumentation, wonach man auch mit dem, was bereits da ist, Erfolg haben kann bei der Bewerbung. Denn der Wettbewerb sei in der Struktur so angelegt, dass diejenigen das Prädikat Europäi- sche Kulturhauptstadt bekommen, die zusätzlich zu ihren Ausgangsbedingungen etwas Bedeutendes im Rahmen des Wettbewerbs obendrauf legen können. Dieser Trend lasse sich anhand der Bewerbungen der letzten Jahre erkennen. Die struktur- schwächeren Regionen werden anders behandelt im Wettbewerb, als diejenigen, die schon stark sind. Er habe bereits geprüft, ob man mit einem "low-budget- Konzept" sich bewerben könnte - also nur mit Inhalt, ohne Gebäude. Dabei sei er zu der Überzeugung gelangt, dies gehe bei einer Stadt wie Stuttgart nicht. Mannheim beispielsweise bewege sich in einem regionalen Kontext, der von Darmstadt über Heidelberg bis Mannheim reicht, somit Einiges bieten könne und auch international gut aufgestellt sei.

Gegenüber StR Rockenbauch und dessen Kritik im Hinblick auf repräsentative Bauten betont OB Kuhn, beim Lindenmuseum gehe es um dem Auftrag eines völkerkundlichen oder ethnografischen Museums entsprechenden funktionalen Bauten. Er empfiehlt sich beispielhaft die entsprechenden Museen in Zürich oder Köln anzuschauen. Dass bei einem Neubau gleichzeitig eine besondere Architektur gewählt wird, sei dabei nur natürlich. Auch eine Opernsanierung laufe nach seinem Kulturbegriff nicht unter dem Stichwort repräsentativ. Man könne sie nicht verrechnen mit 20 sozio-kulturellen Einrichtungen, da sie ein wesentlicher Bestandteil des Stuttgarter Kulturlebens sei.

Darüber hinaus werde es eine Bauausstellung, mit dem Ziel, wie man am schönsten Gentrifizierung machen kann, nicht geben in Stuttgart. Eine Bauausstellung jedoch, die die Frage stellt, wie man gemeinsam bei unterschiedlichen sozialen Ausgangs- bedingungen auf einem Gelände wohnen kann, sei sehr wohl attraktiv. Er empfiehlt StR Rockenbauch sich davon zu emanzipieren, "dass man alles, was auf dem Rosensteingelände sein könnte deswegen schlecht findet, weil man Stuttgart 21 als Ganzes nicht will". Um keine Chancen zu vergeben, müsse jetzt geplant werden, was auf dem Gelände stattfinden kann. Gentrifizierung stehe jedenfalls nicht auf der Agenda der Stadt Stuttgart. Gentrifizierung zu verhindern sei nicht die Aufgabe eines Modellquartiers, unterstreicht StR Rockenbauch, sondern sei eine gesamtstädtische Aufgabe. Daher habe er auch mit Stadtentwicklungsgründen argumentiert.


OB Kuhn stellt abschließend fest:

Der Verwaltungsausschuss hat von der GRDrs 219/2015 Kenntnis genommen.

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