Protokoll: Verwaltungsausschuss des Gemeinderats der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
GZ:
Sitzungstermin: 01.03.2023
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: BM Dr. Maier
Berichterstattung:Frau Koller (AföO)
Protokollführung: Frau Schmidt th
Betreff: Illegale Klimakleber in Stuttgart verhindern
Antrag Nr. 23/2023 vom 03.02.2023 (CDU)

Der im Betreff genannte Antrag ist dem Originalprotokoll sowie dem Protokollexemplar für die Hauptaktei beigefügt.


Eingangs erklärt BM Dr. Maier, man habe sich mit der Stadt München ausgetauscht und deren Erfahrungen abgefragt. Am 13.02.2023 habe es keinerlei Aktionen der Klimakleber in Stuttgart gegeben.

Zum Sachstand berichtet Frau Koller (AföO), die erklärt, die Aktivisten der "Letzten Generation" hätten in 2022 zehn Straßenblockaden, davon drei mit Klebeaktionen (Mai, Juni und September) in Stuttgart durchgeführt. Die letzte Aktion liege nun über ein halbes Jahr zurück, und die Situation könne mit München nicht verglichen werden. Neben Berlin sei München die Stadt mit den meisten Klebeaktionen; teilweise habe es drei Aktionen pro Tag an den Haupteinfallstraßen gegeben oder es seien Schilderbrücken der Autobahnen besetzt worden. Die Versammlungsbehörde der Stadt München habe daher auf Veranlassung der bayerischen Landesregierung und des Münchener Gemeinderates am 09.12.2022 eine Allgemeinverfügung erlassen, in der unangemeldete Versammlungen unter freiem Himmel im Zusammenhang mit Klimaprotesten in Form von Straßenblockaden untersagt worden seien, wenn sich die Teilnehmenden hierbei mit der Fahrbahn oder an Schilderbrücken durch Ankleben, Einbetonieren oder Anketten fest verbänden. Die Amtsleiterin betont die drei Merkmale "unangemeldet", "auf bestimmten, definierten Straßen" und das "feste Verbinden mit der Fahrbahn oder Teilen wie einer Brücke". Die Allgemeinverfügung sei auf einen Monat bis zum 08.01.2023 befristet gewesen und nicht verlängert worden. Zur rechtlichen Bewertung stellt sie fest, die Versammlungen würden regelmäßig nicht angemeldet, was allein aber nicht dazu führe, dass die Versammlung von vornherein verboten sei oder untersagt werden könne. Nicht jede Art von Blockade sei von vornherein verboten; hierbei komme es darauf an, ob es sich um ein symbolisches Element handle, mit dem die Versammlungsfreiheit ihre Botschaften ausdrücken könne. Es kippe in dem Moment, wenn die Blockade zum Selbstzweck werde; eine Verhinderungsblockade sei nicht vom Versammlungsrecht geschützt und berechtige zur Auflösung der Versammlung. Wenn keine Allgemeinverfügung wie in München vorliege, sei man in solchen Situationen seitens der Polizei und der Versammlungsbehörde an ein bestimmtes Verfahren gebunden. So müsse zunächst eine erhebliche Behinderung festgestellt werden, die nicht mehr vom Versammlungsrecht gedeckt sei, dann werde ein neuer Versammlungsort - in der Regel neben der Fahrbahn oder auf einer Verkehrsinsel - zugewiesen. Wenn die Teilnehmer diesem nicht folgten, werde dreimalig die Auflösung der Versammlung angekündigt, nach der dritten Aufforderung gelte sie als aufgelöst und die Teilnehmer könnten von der Polizei von der Fahrbahn entfernt werden. Dieses Prozedere gehe in der Regel mit einem Zeitablauf von ca. 15 Minuten einher; lediglich diese Viertelstunde habe sich die Stadt München mit der Allgemeinverfügung gespart. Die Hoffnung der Münchener, dass sich durch diese Verfügung die Bereitschaft erhöhe, die Versammlung anzumelden, habe sich nicht bestätigt. Sie habe keinen besonderen Effekt gehabt, weshalb die Verfügung auch nicht verlängert worden sei. Frau Koller erklärt, derzeit würden für Stuttgart die rechtlichen Voraussetzungen für den Erlass einer solchen Allgemeinverfügung nicht gesehen. Es bedürfe einer konkreten Annahme, dass solche Klebeaktionen in erheblichem Maße stattfänden. Darüber hinaus sei es praktisch nicht notwendig, da mit den Mitteln des Versammlungs- und Polizeirechts mit diesen Situationen umgegangen werden könne. Der Forderung, solche Aktionen konsequent juristisch zu verfolgen, werde nachgekommen; es gebe bereits erste Verurteilungen des Amtsgerichts wegen Nötigung in Verbindung mit der Blockade im Mai 2022.

StR Kotz (CDU) ist es wichtig zu betonen, dass solche Aktionen nicht gesetzeskonform seien. Der Gemeinderat müsse klar zum Ausdruck bringen, dass Derartiges nicht akzeptiert werde und kein Mittel des Dialoges im Ringen um die besten Ideen für mehr Klimaschutz darstelle. Durch diverse Gerichtsurteile sei dies entsprechend klargestellt worden. Unabhängig von den Auswirkungen der Allgemeinverfügung sei es ein klares Zeichen der Stadt München gewesen, solche Aktionen auf ihrer Gemarkung nicht zu dulden und mit den Möglichkeiten des Rechtsstaates dagegen vorzugehen. Er fordert die Verwaltung dazu auf, das Thema im Auge zu behalten und bei weiteren Anzeichen zu reagieren und eine solche Allgemeinverfügung umzusetzen. Fraktionen des Gemeinderates, Stadtverwaltung und Bürgermeister seien zu vielerlei Gesprächsformaten bereit, wofür es nicht nötig sei, sich auf die Straße zu kleben. Stuttgart dürfe aus seiner Sicht kein Ziel mehr sein, da man mit dem Klimaziel 2035 wesentlich ambitionierter sei als Land, Bund und viele andere Städte. Er verweist auf die Einrichtung des Klimarates und die hohen Investitionen der Stadt beim Klimaschutz. Mit dem Hinweis auf die Wichtigkeit von 15 Minuten beim Rettungsverkehr dankt der Stadtrat für den Bericht und betrachtet den Antrag als erledigt.

Der Einschätzung der Verwaltung, dass eine Allgemeinverfügung in Stuttgart derzeit nicht notwendig sei, kann sich StR Roth (90/GRÜNE) anschließen. Es müsse den Bürger*innen selbst überlassen werden, ob sie auf der Straße demonstrierten oder nicht. Auch wenn das Versammlungsrecht in Deutschland sehr weit gehe, hätten nicht angemeldete Demonstrationen mit rechtlichen Konsequenzen zu rechnen. Die Situation in Stuttgart sei mit München nicht vergleichbar, da Bayern eine andere, tief konservative Innenpolitik fahre und eine Präventivhaft von 30 Tagen eingeführt habe, die bei den Klimademonstrierenden gezogen habe. Dass München die Allgemeinverfügung nicht verlängert habe, sei ein Zeichen dafür, dass es sich dabei nicht um das beste Mittel handle. Insgesamt seien die Bürger*innen in Stuttgart und Umgebung von derlei Aktionen genervt, da nicht nur der Straßen-, sondern auch der Busverkehr betroffen sei. Dadurch schlössen sich weniger Menschen dem Klimaschutz an. Er halte stattdessen den Klimarat für die richtige Maßnahme für Dialog, da weniger Polarisierung und mehr Zusammenführung stattfinde. Stuttgart könne sich im Städtevergleich in der Tat sehen lassen, trotzdem sei die Klimaneutralität 2035 bisher nur ein Ziel, weshalb er ein gewisses Verständnis für Druck von der Straße habe.

StR Perc (SPD) geht es nicht darum, die Art und Weise der Demonstrationen politisch zu bewerten. Das Instrument sei nicht geeignet, um auf das Ziel hinzuweisen und dafür zu werben. Eine Allgemeinverfügung halte er hinsichtlich der Zahl der Beeinträchtigungen derzeit für nicht verhältnismäßig. Die Frage sei hoch aufgeladen und gesellschaftlich brisant. In diesem Fall manifestiere es sich im Sektor Verkehr, was nicht erfreulich sei. Demonstrationen seien allerdings selten erfreulich, trügen das Thema aber in die Gesellschaft hinein. Er erinnert an Demonstrationen für und gegen S21 und erklärt, er sehe momentan keinen Handlungsbedarf.

Für StR Urbat (Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei) befindet sich Bayern mit der Präventivhaft nah am Polizeistaat. Grundsätzlich halte er solche Blockaden zwar für schlecht, aber das Problem sei, dass Deutsche ein stark gestörtes Verhältnis zum Auto hätten. Ergänzend zieht er den Vergleich zwischen halbautomatischen Waffen in den USA und Autos in Deutschland. Verständnis äußert er für die Blockaden der Aktivisten, denn es gebe wissenschaftliche Untersuchungen, wonach ziviler Ungehorsam Änderungen in den Gesetzen herbeiführen könne. Die Verzweiflung in der Szene der Klimaaktivisten sei enorm; junge Menschen wüssten genau, was auf sie zukomme, wenn der Kurs nicht drastisch geändert werde. Auch wenn Stuttgart bereits deutliche Fortschritte erzielt habe, müsse man sich darüber im Klaren sein, dass solche Protestformen legitim sein könnten, auch wenn sie nicht legal seien. Er verweist abschließend auf Urteile des Bundesverfassungsgerichtes, wonach Blockaden in Mutlangen nicht als Nötigung eingestuft worden seien.

Die Sinnhaftigkeit des Antrages kann StRin Schumann (PULS) nicht nachvollziehen. Mit Blick auf die 15-Minuten-Frist verweist sie auf die Durchschnittsgeschwindigkeit von 17 km/h in Stuttgart und erklärt, die Verkehrsblockaden, die durch Autos ausgelöst würden, seien bereits groß genug. Sie bezweifelt die von StR Kotz benannte Gesprächsbereitschaft, denn typischerweise sei die Politik nicht bereit, mit Leuten zu sprechen, die komplett konträre Meinungen verträten.

Die Demonstrationen seien zum größten Teil vom Demonstrationsrecht gedeckt, so StRin Yüksel (FDP). Es gehe nicht darum, wie weit Stuttgart im Klimaschutz schon sei, sondern darum, der eigenen Meinung Ausdruck zu verleihen. Die zweite Frage sei die nach der Strafbarkeit des Vorgehens einiger Aktivistinnen und Aktivisten, die eindeutig vorliege. Dafür gebe es aber das Strafgesetzbuch, das ausreichend sei; eine Allgemeinverfügung werde nicht benötigt.



Nachdem sich keine weiteren Wortmeldungen mehr ergeben, stellt BM Dr. Maier fest:

Der Antrag Nr. 23/2023 ist mit dem Bericht beantwortet.

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